Demokratie-Placebo, Piraten-Edition

Wisst ihr noch? 2009? Als es in Online-Medien ständig kleine Umfragen zu politischen Themen gab und sich Piraten und andere Netzbewohner einen Spaß daraus machten, massenhaft auf diesen Umfragen abzustimmen, bis absurde Ergebnisse wie 50% Piratenpartei bei der Sonntagsfrage herauskamen? Damals war das noch eine Form von Guerilla-Marketing, die gleichzeitig auf die Dämlichkeit solcher Klickumfragen aufmerksam machte, die aus Gründen weitgehend wieder aus dem Netz verschwunden sind. Das hält die Piratenfraktion in Schleswig-Holstein aber nicht davon ab, das ganze zu wiederholen.

Es handelt sich um eine mit Limesurvey realisierte Umfrage, an der jede Person so oft teilnehmen kann, wie sie will. Inhaltlich geht es darum, 71 Fragestellungen aus dem Wahlprogramm jeweils zwischen 1 und 5 Punkte zu geben. Das Ergebnis will die Fraktion dann benutzen, um die eigene Arbeit zu priorisieren. Dass sie sich dabei auf eine völlig ungesicherte Limesurvey-Umfrage stützt, ist mutig, kann doch am Ende niemand garantieren, dass das Abstimmungsergebnis nicht manipuliert wurde. Brauchen sich ja nur ein paar Leute aus der Jungen Union mit ein paar Burschenschaftlern zusammentun und ein paar Nächte beim gemeinsamen Saufen rumklicken, um die Fraktion dazu zu bringen, bestimmte Themen erstmal hintenan zu stellen.

Ganz davon abgesehen haben Multiple-Choice-Systeme mit vorgegebenen Fragen nichts mit Mitbestimmung zu tun. „Bewerten Sie auf einer Skala von 1 (nicht wichtig) bis 5 (wichtig)“ – die Möglichkeit, einen der Punkte abzulehnen besteht gar nicht. Offenbar hat man sich keine Gedanken darüber gemacht, dass die Bürger evtl. anders über politische Inhalte denken als die Parteimitglieder und den einen oder anderen Programmpunkt ablehnen.

Außerdem hilft mir der Inhalt des Wahlprogrammes nicht weiter, wenn tagespolitisch ganz andere Themen anstehen. Vielleicht möchte ich der Fraktion sagen, dass sich Deutschland nicht an Militäreinsätzen in Mali beteiligen soll. Oder – um bei Landesthemen zu bleiben – Anträge zu geplanten Offshore-Windparks stellen. Oder einen Änderungsantrag zur kürzlich beschlossenen Finanzspritze für Frauenhäuser. Oder Statement zur aktuellen Lärmschutzklage gegen das Wacken-Open-Air. Zu vergleichbaren Fragen kann man die Berliner Piratenfraktion via Liquid Feedback beeinflussen, wenn auch nur als Parteimitglied. In Schleswig-Holstein geht das weiterhin nicht.

Natürlich ist es Unsinn, mich bei diesen Fragen mitbestimmen zu lassen, schließlich lebe ich in Berlin und nicht in Schleswig-Holstein. Warum sollte ich dort also etwas mitbestimmen dürfen? Weil ich es kann? Das Umfrage-Tool zeigt deutlich, dass sich niemand über die fünf W-Fragen der Mitbestimmung Gedanken gemacht hat: Wer soll woran wie, womit und warum beteiligt werden? Dass der Leipziger OB-Kandidat für die CDU, Horst Wawrzynski, nicht wirklich über Internet-basierte Mitbestimmung nachgedacht hat, bevor er eine Umfrage online stellte und damit dann ordentlich Marketing machte, hat Klaus Peukert neulich zu recht als Demokratie-Placebo bezeichnet. Jetzt macht die Kieler Piratenfraktion genau den gleichen Quatsch und nennt das auch noch „einmalig in unserer Demokratie„, als ob es Projekte wie Liquid Friesland nicht geben würde, und ich kann das nicht anders nennen.

Direkte Demokratie ist doof

tl;dr Wirklich ausgewogen ist Demokratie nicht schon, wenn wir über alles abstimmen können, sondern erst wenn wir frei entscheiden können, worüber wir abstimmen möchten und in welchen Fällen wir unsere Stimme lieber delegieren.

Direkte Demokratie ist doof. Ich meine gar nicht mal die klassischen Totschlagargumente. Direkte Demokratie hat einen ganzen Haufen weiterer Nachteile:

  1. Auf dem Wahlzettel habe ich in der Regel nur die Wahl zwischen zwei Varianten. Ich kann weder beide ablehnen noch eine dritte entwickeln. Wenn ich die Wahl habe zwischen „Nördlichen Mauerpark bebauen“ und „Nördlichen Mauerpark nicht bebauen“, kann ich nicht auf den Wahlzettel schreiben „Nördlichen Mauerpark bebauen, aber nur mit Sozialwohnungen.“ Und mit ein wenig Pech ist der Stimmzettel auch noch manipulativ verfasst wie bei der Abstimmung über Stuttgart 21.
  2. Ich brauche Zeit. Wenn ständig irgendwelche Abstimmungen sind, muss ich mir für diese Abstimmungen auch ständig Zeit nehmen. Bei Wahlen und Volksabstimmungen habe ich Pech gehabt, wenn ich am Wahlsonntag nicht kann. Möchte ich an einem Parteitag der Piratenpartei teilnehmen, muss ich dorthin reisen und eine Übernachtung klar machen. Schaffe ich das nicht, verfällt meine Stimme.
  3. Ich brauche Ahnung. Was hilft es mir, wenn ich über alle möglichen Dinge abstimmen kann, wenn ich keine Ahnung von ihnen habe? Wenn ich nicht einschätzen kann, ob Satzungsänderungsantrag Nummer 41 nun gut für uns ist oder nicht? Oder wenn mir das egal ist, aber nicht sein sollte?

Die Anhänger der direkten Demokratie schwärmen noch heute von der altgriechischen Polis. Die hatte zwar etwa 6000 Mitglieder, Athen aber 40.000 Einwohner. Teilnehmen konnten nur Männer und zwar solche, die wirtschaftlich gut gestellt waren, weil sie Sklaven hielten und dementsprechend Zeit und finanzielle Unabhängigkeit für Politik hatten. Die Sklaven waren natürlich von der Polis ausgeschlossen, genauso wie übrigens auch die Frauen. Mit Demokratie, wie wir sie heute verstehen, hat das nicht mehr viel zu tun. Dennoch war das ganze Gebilde zu sperrig, Athen wählte sich zusätzlich den Rat der 500, schon damals fing man an zu delegieren.

Heute haben wir die Wahl zwischen Parteien. Wählen kann ich nur das Gesamtpaket. Einmal gewählt, beugen sie sich Sach- und Koalitionszwängen. Im Berliner Abgeordnetenhaus wollen derzeit alle Parteien die Absenkung des Wahlalters auf 16. Alle bis auf eine: Die CDU will das nicht und verhindert ihre Minderheitsposition erfolgreich per Koalitionsvertrag. Abgestimmt wird darüber nicht und bis zur nächsten Wahl muss ich vier bis fünf Jahre warten. Dann sind die 16jähren von heute 20 und dürfen sowieso schon wählen… Die Mitbestimmung bei fast allen Fragen, die im Abgeordnetenhaus verhandelt werden, bleibt mir als Bürger defacto verwehrt, und wenn ich noch so pflichtbewusst wählen gehe.

Das Antragsbuch für den Bundesparteitag 2012 der Piratenpartei in Bochum ist 1400 Seiten dick. Wirklich lesen kann das eigentlich keiner, jedenfalls nicht ernsthaft alle Anträge abwägen und sich eine fundierte Meinung bilden. Nur ein Bruchteil der Anträge wird überhaupt abgestimmt werden. Um die Antragsreihenfolge festzulegen, wird eine Umfrage per Limesurvey gemacht – eine Art Vorwahl mit einem Online-Tool, das gleich in mehrfacher Hinsicht völlig ungeignet und manipulationsanfällig ist.

Wenn schließlich über die Anträge abgestimmt wird, werden nur etwa 1500 Piraten vor Ort sein – von etwa 34.000. Da es keine Delegierten gibt, ist das Stimmgewicht unter den einzelnen Landesverbänden ungleich verteilt. Auf dem Papier kann zwar jeder mitmachen, in der Praxis bestimmt aber eine kleine, aktive, gut organisierte, finanziell nicht allzu prekäre, Zeit habende und vor allem eine nicht gewählte Partei-Elite, wo es lang geht. Auf diesem Wege direkte Demokratie und allgemeine Mitbestimmung verwirklichen zu wollen, ist hoffnungslos. Daran sind zuletzt die Grünen gescheitert und verteilte Parteitage werden das nur graduell verbessern. Ein Delegiertensystem wäre demokratischer und gerechter als das, was wir derzeit in der Partei praktizieren.

Wäre es nicht unglaublich großartig, wir hätten ein System, in dem wir abstimmen könnten, wann wir gerade Zeit haben und ohne reisen zu müssen, eigene Alternativ-Anträge stellen könnten, wenn wir die vorhandenen Anträge nicht ausreichend finden, frei entscheiden könnten, worüber wir abstimmen und was wir an an Personen unseres Vertrauens delegieren möchten, wenn wir von einem Thema keine Ahnung haben oder es uns nicht interessiert, und das auch für tausende von Teilnehmer geeignet ist… oh wait!

P.S.: Was wir außerdem noch brauchen, ist die Urwahl von Vorständen. Aber das ist ein anderes Kapitel und soll ein andermal erzählt werden.

Warum ich meine Kandidatur für den Berliner Landesvorstand der Piraten zurückziehe

Anisa ist schuld. Auf die Frage, warum sie nicht wieder für den Landesvorstand kandidiert, sagte sie sinngemäß: „Für das, was ich machen will, brauche ich keinen Sitz im LaVo.“ Das war irgendwann im Frühjahr. Seitdem versuche ich für mich herauszukriegen, was ich eigentlich erreichen möchte und wie es sich am besten umsetzen lässt. Ich weiß, viele wünschen sich, dass ich wieder für den Berliner Landesvorstand kandidiere und ich weiß, dass ich einige Leute enttäusche, aber die Lage ist ziemlich einfach:

Ich muss nicht Vorsitzender werden, wenn es Kandidaten gibt, die das besser machen als ich. Davon haben wir mindestens zwei. Und ich muss auch nicht wieder Schatzmeister werden, wenn es Kandidaten gibt, die das auch gut können. Auch davon haben wir mindestens zwei.

Als ich letzten Winter für den Landesvorstand kandidierte, hatte ich zunächst gar nicht den Schatzmeister im Sinn, sondern wollte Beisitzer werden. Als solcher wollte ich mich um Liquid Feedback kümmern oder aber um das Problem der so genannten „Neupiraten“, das im Wesentlichen ein Kommunikationsproblem ist. Dieses Problem ist bis heute nicht gelöst. Ansätze wie „Gelassenheit durch Kompetenz“ von Gerhard Anger sind sicherlich hilfreich, wir brauchen aber mehr: mehr Neupiratentreffen, mehr Schulungen und endlich eine Art Handbuch – also richtiges totes Holz, in dem noch das netzunaffinste Mitglied nachlesen kann, wie der Landesverband Berlin funktioniert und wie man sich als Pirat engagieren kann.

Grundsätzlich gilt die Regel: Ohne Sitz im LaVo schafft man mehr. So ganz kann ich deshalb Gerhard Anger und Katja Dathe auch nicht verstehen: „Gelassenheit durch Kompetenz“ und „Operation Frozen Hell“ lassen sich wesentlich besser durchführen, wenn man sich nicht ums Kleinklein des Tagesgeschäftes kümmern muss. Und dieses Kleinklein hat es in sich: Weit über 1000 Stunden Arbeit habe ich in die Piratenpartei gesteckt und einen hohen vierstelligen Betrag an Verdienstausfall. Freunde, Familie und Arbeit habe ich böse vernachlässigt. Dass ich meine Kandidatur zurückziehe, bedeutet nicht, dass ich aufgebe, sondern dass ich eine Pause brauche, mich wieder mehr um bestimmte Menschen kümmern möchte und vor allem dringend wieder mehr Geld verdienen muss.

Das heißt übrigens weder, dass ich weg bin, noch dass ich in Zukunft nicht wieder für Ämter kandidiere. Bundes-IT, Landes-IT, Swanhilds Team, Berliner Mitgliederverwaltung: Irgendwo werde ich eine nette kleine Beauftragung finden. Ich könnte zum Beispiel helfen, in Berlin das „Schatzi-Squad“ anzuschieben, das aus technischen Gründen leider nicht mehr in meiner Amtszeit starten konnte. Außerdem will ich gerne endlich mal wieder inhaltlich arbeiten: So habe ich es z.B. im letzten halben Jahr kein einziges mal geschafft, im Integrations-Squad vorbei zu schauen. Und last not least: Ich möchte mich wieder mehr an dem orientieren, was ich drei Tage vor meinem Eintritt in die Piratenpartei schrieb.

„Neupiraten“ kann man sie nicht mehr nennen, aber Informationen scheinen sie immer noch zu brauchen, jedenfalls ist das mein Eindruck in den Crews. Ein Büchlein mit dem Arbeitstitel „Der Berliner Pirat“ will geschrieben werden. Ich muss nur Zeit finden.

Wir haben nicht versagt

Wir haben versagt„, schreibt Stephan Urbach und meint damit, dass die Netzpolitik in der Blase Internet operiert, ohne „die Menschen da draußen“ mitzunehmen. Die großen Debatten finden schließlich immer noch massenmedial in den großen Zeitungen und Fernsehen statt und weniger in der Netzöffentlichkeit. In gewisser Hinsicht hat er recht:

Ich schrieb mal (wie ich da noch nicht wusste drei Tage vor meinem Eintritt in die Piratenpartei), dass alle Versuche, die Politik zu ändern, vergeblich sind, wenn wir nur Politik für und im Internet machen. Dass es nicht den geringsten Grund gibt, warum sich ein Offliner überhaupt nur ansatzweise für „unsere“ Themen interessieren sollte. Dass wir Begegnung herstellen müssen und den Offlinern etwas anbieten, statt sie als Ausdrucker zu beschimpfen: Das Internet als Instrument für Empowerment. Mein Gedanke war damals, Begegnung herzustellen z.B. indem wir ehrenamtlich Internet-Kurse für Senioren organisieren, bei der Gründung von netzbasierten Tauschringen für Alg2-Empfänger helfen oder Hacker-Camps für Jugendliche anbieten. Geschehen ist davon… nichts. Ich selber habe die Idee kaum vorangetrieben. Wenn jemand etwas vergleichbares getan hat, dann Stephan Urbach und Telecomix.

Aber haben wir versagt? Nein. Als Piratenpartei haben wir den wichtigsten Schritt schon getan – aufgehört, nur Netzpolitik zu machen, und angefangen, die Metapher Internet auf das Leben zu übertragen und daraus Antworten zu ziehen. Unbewusst beantworten wir alle politischen Fragen anhand des Prinzips der Plattformneutralität – ein Prinzip, das zur heimlichen Ideologie einer Partei geworden ist, die nicht ideologisch sein will.

Wenn wir das BGE, Mindestlohn und Reformen beim Alg2 fordern, Teilhabe an kulturellen Gütern und an Bildung, das Ende der Drogenprohibition, die Gleichbehandlung aller Religionsgemeinschaften und vollständige Integration von Migranten und dabei aus der einen Ecke als kommunistisch und aus der anderen Ecke als neoliberal beschimpft werden, während wir ja durchaus konservativ sind, was Bürgerrechte und das Grundgesetz angeht, wird klar, dass die Piraten keine Junior-Grünen und kein linker FDP-Flügel sind, sondern ein Denken vertreten, das sich selbst noch gar nicht richtig philosophisch durchdrungen und ausformuliert hat.

Dieses Denken manifestiert sich auch nicht nur im Mem „Piratenpartei“. Seit wir es im Straßenwahlkampf so richtig schön offline vertreten und dank des Wahlerfolgs in Berlin auch in den klassischen Medien transportieren können, beschleunigt sich dessen Verbreitung. In dem Maße, wie piratisches Denken in Kontexten virulent wird, die mit dem Internet nichts zu tun haben, wird umgekehrt auch in der Bevölkerung das Verständnis dafür steigen, warum Netzneutralität im Internet so wichtig ist und es keine Netzzensur geben darf. Netzpolitik ist zum Teilaspekt einer größeren Sache geworden.

Wahlkampf wird man mit Netzpolitik noch sehr lange nicht – vielleicht nie – machen können, auch wenn die Altparteien das jetzt hektisch versuchen und an ihren Varianten von Netzpolitik herumbasteln. Datenschutz und Internetzensur sind jedoch Themen, mit denen diese Parteien keinen Blumentopf gewinnen, sondern nur sich selbst beruhigen können: „Wir kümmern uns ja drum.“ Es kann auch nicht die Aufgabe der Piraten sein, jeden Hardcore-CDU-Wähler im letzten Winkel seines Weltbildes abzuholen; es muss Ziel der Piraten sein, ihr Denken in die Gesellschaft zu tragen und dafür alle Medien zu zu nutzen. Auch Parlamente und Parteien sind übrigens Medien, in die wir wir unsere Themen wie Transparenz und eine offene politische Kultur injizieren können, wie einst die Grünen das mit der Umweltpolitik taten.

Angesichts der allgemeinen Krisenstimmung (die gefühlt nur in den Medien und kaum im Privatleben stattzufinden scheint) hat niemand eine Antwort, aber die Leute scheinen mir genervt von denen zu sein, die Antworten simulieren, und offen für Visionen und Utopien. Ich wünsche mir noch immer auch so etwas wie eine breite soziale Bewegung wie eingangs skizziert. Mit mittlerweile 20.000 Mitgliedern rückt das in die Nähe des möglichen, aber ich bekomme zunehmend das Gefühl, dass sich unser Sozialleben unmerklich über das Internet neu organisiert und was wir derzeit erleben nur die üblichen Konflikte und Verwerfungen einer Wendezeit sind, in der es trotzdem gilt, so viele Menschen wie möglich abzuholen und mitzunehmen. Wenn ich beobachte, wie gerade in der Piratenpartei über die „Unnormalität“ all derer hinweggesehen wird, die freiwillig oder unfreiwillig irgendwelche gesellschaftlichen Normen nicht erfüllen, habe ich das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein.

Wir haben nicht versagt, sondern stehen noch immer Anfang, denn das, was wir vorhaben, dauert Jahre und Jahrzehnte. Gemessen daran sind wir sogar ziemlich erfolgreich. Nur wenn wir jetzt nichts daraus machen, werden wir versagen.

No sleep till #Offenbings

Was macht man, wenn man zum Parteitag will und keine Kohle hat? Man besorgt sich eine Schlafgelegenheit bei @InsideX und @nad_no_ennas und fährt da mit der Regionalbahn auf Behi-Ausweis hin. Seit dem 1. Oktober 2011 geht das auch offiziell – die 50-km-Beschränkung ist abgeschafft. Für die die 550 km braucht man mit der Regionalbahn 10 Stunden und steigt fünf mal um. Was wie eine Qual klingt, ist eigentlich ganz gemütlich, jedenfalls wesentlich angenehmer als eine Bus- oder Autofahrt.

Die 10 Stunden waren auch nicht verplempert: Ich habe halt das Antragsbuch (PDF) durchgearbeitet. Wichtigste Frage: Gibt es ein Leben ohne ICE und Steckdose am Platz? Am Ende hatte mein Minilaptop/Riesennetbook (Acer Aspire 1810TZ) noch 34% Akku nach ca 7 Stunden Nutzung netto. Es muss also nicht immer Apple sein. Das iPhone hatte zwar auch noch 30%, war aber außerhalb von Bahnhöfen im Flugzeugmodus.

Akustisch war der Parteitag die Feuerprobe: Jawoll, ich bin wieder in der Welt der Hörenden angekommen. Ich konnte mühelos der Versammlungsleitung und den Redebeiträgen folgen, auch ohne hinzusehen, und wenn ich etwas nicht mitbekommen habe, dann weil ich schlicht und ergreifend abgelenkt war oder meine Aufmerksamkeit nachließ. Das einzige Problem: halblaute Gespräche, während Reden gehalten werden. Dafür bitte ich dann doch noch vor die Tür. War aber die zwei Tage eigentlich nur einmal nötig.

Mehrmals bin ich gefragt worden, was ich da am Kopf habe. Manche tippten auf Handy, andere auf Hörgerät. Einer wollte mir nicht glauben, dass es sich um ein Implantat handelt, das Signale auf meinen Hörnerv gibt. Dem sagte ich dann, in Wahrheit sei das auch das iPhone 5, was aber noch streng geheim sei, was die Person aber auch nicht zufrieden stellte.

Ansonsten war es einfach nur großartig. Viele Leute wieder gesehen oder endlich überhaupt mal getroffen, unzählige Hände geschüttelt, irgendwann die Fähigkeit verloren, Gesichter zuordnen zu können. Lang wurde es mir eigentlich nie: Anträge und Debatten waren spannend, manchmal kam Stadion-Laune auf und selbst dem GO-Anträge-Foo konnten wir oft noch viel Spaß abgewinnen.

[youtube]hXgaWAsCLAU[/youtube]Dazu kommt, dass der Parteitag fast alle Einzelpunkte so abgestimmt hat, wie ich selber. Das war dann schon mein Weihnachten – was sonst soll ich mir wünschen?

Bezirksbeauftragter, Partei-Foo und Dementi

schrieb ich gestern auf Twitter und Facebook, was neben Gratulationen (Vielen Dank!) offenbar von vielen missverstanden wurde. Daher ein kurzes Dementi: Das ganze war „no big deal“. Es gab fünf Kandidaten und die Versammlung beschloss, die Zahl der Beauftragten ebenfalls auf fünf zu erhöhen, was ich gut finde, weil letztes mal einer der drei Beauftragten zurückgetreten ist und die Arbeit an nur zwei Leuten hängen blieb. Es gab also keinerlei dramatische Kampfabstimmung, es musste lediglich jeder der fünf Kandidaten mehr als die Hälfte der Anwesenden von sich überzeugen. Es gibt keine feste Aufgabenverteilung unter den fünf Bezirksbeauftragten, aber de facto werde ich mich um die Öffentlichkeitsarbeit kümmern und unter anderem das Blog und den Twitter-Account pflegen. Was genau alles ansteht, kann dort mitgelesen werden.

Für Nicht-Berliner und Nicht-Piraten: Vergleichbar ist das ganze mit einem Kreisvorstand. Es handelt sich um ein Ehrenamt, das ich in meiner Freizeit ausübe, und nicht um eine bezahlte Stelle und hat schonmal gar nichts mit den Fraktionen im Berliner Abgeordnetenhaus oder den Bezirksverordnetenversammlungen zu tun. Im Gegenteil: Parteiarbeit darf nicht aus Fraktionsgeldern bezahlt werden und in der Piratenpartei gibt es (fast) keine vergüteten Stellen. Meine Jobsuche ist also noch nicht vorüber und ich freue mich weiterhin über Angebote.

 

 

Peter Altmaier, Malte Spitz und die Piraten

Der Tag brachte zwei bemerkenswerte Artikel von Spitzenpolitikern konservativer Parteien: Der eine liest sich ganz fluffig und gerade auch für Offliner sehr verständlich, zeugt aber beim erneuten Lesen von tief gehenden Gedanken zum Phänomen Piratenpartei und zur Netzkultur, die sich der Autor gemacht hat. Der andere simuliert Fachwissen, häuft aber nur Gemeinplätze an. Beginnen wir mit dem zweiten: Malte Spitz, Mitglied im Bundesvorstand der Grünen, beginnt seinen SPON-Artikel mit einer Respektbekundung, behauptet dann aber, die Piratenpartei habe nicht nur keine Inhalte, sie stammten auch noch nicht mal von den Piraten. Abgesehen davon, dass es paradox ist, klingt das wie ein Vorwurf an Kommunisten, sie hätten sich das ja alles gar nicht selber ausgedacht sondern von Marx geklaut.

Es stimmt: die großen netzpolitischen Schlachten der letzten Jahre wurden nicht von der Piratenpartei geschlagen, sondern vom CCC, vom AK Vorrat, vom AK Zensur, FoeBud e.V. und anderen Gruppen. Das kann auch gar nicht sein, die Piratenpartei ist nämlich nicht Vater dieser Auseinandersetzungen sondern ihr Kind. Sicher: gegründet wurde sie schon 2006 – in ihrer heutigen Form nahm sie jedoch erst 2009 Gestalt an. Der Vorwurf ist also ungefähr so albern wie den Grünen vorzuwerfen, ihre Politik sei von Greenpeace oder der Antiatombewegung geklaut, wo im übrigen auch Mitglieder anderer Parteien mitmachen würden.

Die Piratenpartei, so behauptet Malte Spitz, inszeniere ihr Anderssein nur. Für eine Inszenierung braucht man freilich jemanden, der inszeniert – und so jemand ist bei den Piraten nun wirklich weit und breit nicht zu sehen. Die Wurzeln der Piratenpartei gehen diffus auf den kalifornischen 60er-Jahre-Zeitgeist der ersten Programmierer, die Erfinder des Internet und auf die Hacker-Ethik zurück, aber auch auf das ganz aktuelle Lebensgefühl der hier und jetzt mit dem Internet sozialisierten Menschen, die heute überwiegend unter 30 Jahre alt sind.

Sie ziehen ihre Agenda nicht aus einer zentralen Ideologie, sondern aus dem Lebensgefühl einer Generation, welches sich gerade erst allmählich zu so etwas wie Ideologie formt. Der Kulturwissenschaftler Michael Seeman legt das knapp, verständlich und lesenswert dar: Ein, wenn nicht der zentrale Wert der Piratenpartei ist die „Netz- oder Plattformneutralität“. Für diesen sperrigen Begriff wünsche ich mir noch einen Ersatz, der das Prinzip stärker auf die gesamte Gesellschaft erweitert, aber man kann damit arbeiten. Von der Kernforderung, Information müsse frei zugänglich sein und niemand dürfe von ihr abgeschnitten werden, wird dieses Prinzip auf immer neue Lebensbereiche übertragen:

Ein Beispiel ist die Vision vom bedingungslosen Grundeinkommen, das helfen soll, allen ohne Diskriminierung eine ökonomische Teilhabe zu ermöglichen. Die Sozialpiraten arbeiten gerade u.a. an der konkreten Umsetzung: Eine schlagartige Einführung ist ja nicht zu erwarten – wie könnten die vorhandenen sozialen Systeme nach und nach in dieser Richtung transformiert werden? Ein weiteres Beispiel auf lokaler Ebene: kostenloser öffentlicher Nahverkehr für alle über eine kommunale Abgabe. Das ärgert zwar die Autofahrer, die keine Lust haben, die Bahn mit zu bezahlen, aber was mit GEZ und öffentlich-rechtlichen Sendern möglich ist, sollte auch bei der meiner Meinung nach viel wichtigeren Mobilität denkbar sein.

Ein letztes Beispiel, das besonders deutlich illustriert, wie wenig die Piratenpartei von ihren Konkurrenten verstanden wird, ist die Frauenquote. Sie wird von den Piraten abgelehnt, weil sie Diskriminierung zwischen den Geschlechtern zementiert anstatt sie abzubauen. Unausgegorene Ideen wie der „Frauenstudiengang Informatik“ an der HTW Berlin, der allein erziehenden Müttern das Studieren in Teilzeit ermöglicht, zeigt die Beschränktheit des Quotendenkens: Warum ist so etwas an einige wenige Studiengänge gekoppelt und nicht einfach Standard? Und was ist, wenn allein erziehende Väter in Teilzeit studieren wollen?

„Piraten machen es sich leichter“, ist der Artikel von Malte Spitz überschrieben. Ansichten und Forderungen wie letztgenannte müssen gerade im linken Spektrum, zu dem die Piratenpartei ja irgendwie auch gehört, nicht nur mühsamst erklärt werden – man kann ganz schön politische Haue dafür bekommen, und zwar von allen Seiten. Da tun die Piraten vieles, aber leicht machen sie sich nichts.

Das waren nur wenige Beispiele und in der Piratenpartei wird fleißig weiter an Inhalten gearbeitet. Man sieht das bloß nicht so, weil darüber nicht auf Parteitagen und im Feuilleton gestritten wird, sondern im Netz. Also zurück zur Netzpolitik, zur Frage, wie tief greifend das Internet die Gesellschaft verändert. Einer, der das verstanden hat, ist Peter Altmaier, parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Bundestagsfraktion. In seinem FAZ-Artikel beschreibt er, wie ihm allmählich bewusst wird, wie dramatisch die Umwälzungen sind, die das Internet mit sich bringt, und dass das längst noch nicht im öffentlichen Bewusstsein angelangt ist.

Zwar redet Altmaier noch vom „Virtuellen“, das „in die Realität schwappe“, als sei früher nicht real gewesen, was im Netz geschehe, das ändert aber nichts an der Richtigkeit seiner Diagnose: „Die politische Freiheit und Gleichheit der Bürger realisiert sich im Netz zum ersten Mal in Permanenz.“ Es geht aber nicht nur darum, das Politik schneller wird, die Reaktionszeiten kürzer und heute Facebook und Twitter im Auge zu behalten sind – sondern auch darum, dass die aller meisten Politiker und Mitglieder der Elite des Landes das noch nicht verstanden haben und mit Verachtung und Spott auf die Netzkultur reagieren. Reagiert mein Volksvertreter so auf meine Alltagsgewohnheiten, reagiere ich als Wähler wiederum gerne, indem ich mir einen anderen Volksvertreter suche, der mich und meinen Alltag versteht. Wenn man nicht aufpasst, entsteht so rubbeldiekatz eine neue Partei.

So lange Unionspolitiker wie Peter Uhl ihre Ignoranz demonstrativ vor sich hertragen, droht die CDU nicht gerade, zur zweiten Piratenpartei zu werden. Leider spielt Peter Altmaier hier wissentlich oder unbewusst in einem „Good-Cop-Bad-Cop“-Spiel mit. Sein restlicher (übrigens sehr lesenswerter) Artikel ist „Netzpolitik in a Nutshell“. Guttenplag, Wikileaks, Twitter, Schwarmintelligenz, Netzkultur und Occupy Wallstreet: All das wird dem meist konservativen FAZ-Leser nahe gebracht. Das macht sichtbar: Viele dieser Themen haben nichts mit der Piratenpartei zu tun. Das ist aber kein Makel, schließlich muss lange nicht alles von der Piratenpartei thematisch angenommen werden, bloß weil es das Internet als gesellschaftliches Betriebssystem benutzt – vielmehr geht es den Piraten um dieses Betriebssystem selbst. In der Gentechnik werden manipulierte Viren verwendet, um Gene in einen Organismus einzuschleusen. Analog dazu hat für mich die Piratenpartei die Funktion, Meme in den Politikbetrieb einzuschleusen.

Ich finde, das macht sie sehr gut.

Piratengeist

[Achtung, Pathoscontent!] Es stimmt ja: Programmatisch klaffen riesige Lücken und vieles ist schwammig. Die Piratenpartei hat noch viel vor sich. Dass es aber nicht schlimm ist und etwas ganz großartiges beginnt, erleben wir gerade:

  • In der heillos abgesoffenen FDP entzündet sich eine Diskussion, sie müsse sich mehr an der Piratenpartei orientieren. Tatsächlich stillt die Piratenpartei die Sehnsucht nach einer linksliberalen, bürgerrechtsorientieren Partei, die die FDP seit 1982 nicht einmal mehr als Flügel ist.
  • Angela Merkel sieht zwar nur die Proteststimmen, fühlt sich aber bemüßigt, „auf dem Sachgebiet Internet sehr entschieden weiter zu arbeiten„.
  • Jetzt gerade läuft der Stream der dritten Fraktionssitzung live. Man vernimmt Stimmen aus den anderen Fraktionen, die laut darüber nachdenken, das nachzumachen.
  • Und heute hielten die Grünen stur an ihrem Wahlversprechen zur A100 fest, dass die Koalitionsverhandlungen scheiterten. Natürlich mach das eine Lehre aus dem schwarzgrünen Fiasko in Hamburg und das Scheitern des konservativen Künast-Wahlkampfes sein, aber als ich auf Twitter fragte, „Bin ich der einzige, der gerade das Gefühl hat, die Grünen weht Piratengeist an, bei #A100 nicht umzufallen?„, bekam ich nur entsprechende Antworten: Bin ich nicht.

Das sind erste Anzeichen, dass es tatsächlich funktionieren könnte. Dass die Parteien den Bürger wiederentdecken und sich um mehr Glaubwürdigkeit bemühen. Dass Politik wieder ein Stück außerhalb heiliger (medialer) Hallen stattfindet und dass die beste unter allen schlechten Regierungsformen ein Stückchen weiterentwickelt wird. Dass Politiker wieder mehr Angst vor dem Wähler haben – und diese Angst nicht darin besteht, vor der Kamera eine schlechte Figur zu machen, sondern den Zorn der Wähler auf sich zu ziehen.

Die Piratenpartei hat in Berlin sämtlichen Parteien Wähler genommen, am wenigsten bei der CDU, am meisten bei den Grünen. Am allermeisten jedoch hat sie Nichtwähler wieder an die Wahlurne gebracht. Langsam merken wir: Die Wählerstimmen in Berlin waren nicht umsonst.

Ach ja, und es gibt jetzt Club Mate im Abgeordneten Haus, wobei mir ja 1337mate lieber wäre…

Der @Schmidtlepp bei Anne Will & @Laprintemps epischer Facepalm

So, ich bin aus dem Studio zurück und eigentlich zu müde für alles, aber wie schon die letzten Tage: kaum fähig zu schlafen. 1000 Dinge gäbe es zu bloggen, aber seit Sonntag kam ich einfach nicht dazu. Also der Abend bei Anne Will: Wenn ihr euch fragt, was mit euren GEZ-Geldern passiert: Dafür gibt es in der Gästelounge Häppchen, Suppen, großartigen Rotwein (Mist, ich wollte mir den doch merken) und ein Taxi vom Adlershof nach Prenzlauer Berg. Ich bin mit Julia „@laprintemps“ Schramm, die angesichts von Altparteiengeschwafel den schönsten Facepalm des Herbstes liefert, Katja „@kd__dc“ Dathe und Marie „@euneike“ Maroske in der ersten Reihe.

Christopher „@schmidtlepp“ Lauer (Piraten) hat IMHO eine wirklich gute Figur gemacht, während Martin Lindner (FDP) angesichts des katastrophalen Anti-Euro-Wahlkampfes in hilfloses Gestammel abgleitet und Bärbel Höhn (Grüne) sich vom ÖPNV distanziert und ein Auto für jede Großstadtfamilie fordert. Erstaunlich, dass ausgerechnet Peter Altmeier (CDU) das Phänomen „Piratenpartei“ als einziger verstanden zu haben scheint. Dazu noch viele warme Worte von Roger Willemsen und Gertrud Höhler, die offenbar sehr angetan von den Piraten ist und nach der Sendung noch sehr angeregt mit uns gesprochen hat, wie übrigens auch Anne Will. Ich vermute, letztere war einfach mal froh über die Abwechslung, da sonst immer dasselbe öde Parteienpersonal bei ihr durchgeschleust wird…

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=toxXrqS6-DQ[/youtube]

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=dsbR9SVnba8[/youtube]

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=r8maxQrgXKw[/youtube]

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=vQDQ886e3xo[/youtube]

Morgen… ach nee, irgendwann dann mal mehr.

die ennomane labert – Teil 1: Berliner, geht Wählen!

Ich wollte mal anwenden, was ich neulich auf dem Videocamp gelernt habe und habe heute ein kleines Wahlkampfvideo gedreht und geschnitten. Wie es sich für einen gestandendenen Prokrastinator gehört, am Abend vor der Wahl. Es zeigt mich beim Tee machen. Für die ganz Harten gibt’s Katzencontent.

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=aeAomwgKwPg[/youtube]