Demokratie-Placebo, Piraten-Edition

Wisst ihr noch? 2009? Als es in Online-Medien ständig kleine Umfragen zu politischen Themen gab und sich Piraten und andere Netzbewohner einen Spaß daraus machten, massenhaft auf diesen Umfragen abzustimmen, bis absurde Ergebnisse wie 50% Piratenpartei bei der Sonntagsfrage herauskamen? Damals war das noch eine Form von Guerilla-Marketing, die gleichzeitig auf die Dämlichkeit solcher Klickumfragen aufmerksam machte, die aus Gründen weitgehend wieder aus dem Netz verschwunden sind. Das hält die Piratenfraktion in Schleswig-Holstein aber nicht davon ab, das ganze zu wiederholen.

Es handelt sich um eine mit Limesurvey realisierte Umfrage, an der jede Person so oft teilnehmen kann, wie sie will. Inhaltlich geht es darum, 71 Fragestellungen aus dem Wahlprogramm jeweils zwischen 1 und 5 Punkte zu geben. Das Ergebnis will die Fraktion dann benutzen, um die eigene Arbeit zu priorisieren. Dass sie sich dabei auf eine völlig ungesicherte Limesurvey-Umfrage stützt, ist mutig, kann doch am Ende niemand garantieren, dass das Abstimmungsergebnis nicht manipuliert wurde. Brauchen sich ja nur ein paar Leute aus der Jungen Union mit ein paar Burschenschaftlern zusammentun und ein paar Nächte beim gemeinsamen Saufen rumklicken, um die Fraktion dazu zu bringen, bestimmte Themen erstmal hintenan zu stellen.

Ganz davon abgesehen haben Multiple-Choice-Systeme mit vorgegebenen Fragen nichts mit Mitbestimmung zu tun. „Bewerten Sie auf einer Skala von 1 (nicht wichtig) bis 5 (wichtig)“ – die Möglichkeit, einen der Punkte abzulehnen besteht gar nicht. Offenbar hat man sich keine Gedanken darüber gemacht, dass die Bürger evtl. anders über politische Inhalte denken als die Parteimitglieder und den einen oder anderen Programmpunkt ablehnen.

Außerdem hilft mir der Inhalt des Wahlprogrammes nicht weiter, wenn tagespolitisch ganz andere Themen anstehen. Vielleicht möchte ich der Fraktion sagen, dass sich Deutschland nicht an Militäreinsätzen in Mali beteiligen soll. Oder – um bei Landesthemen zu bleiben – Anträge zu geplanten Offshore-Windparks stellen. Oder einen Änderungsantrag zur kürzlich beschlossenen Finanzspritze für Frauenhäuser. Oder Statement zur aktuellen Lärmschutzklage gegen das Wacken-Open-Air. Zu vergleichbaren Fragen kann man die Berliner Piratenfraktion via Liquid Feedback beeinflussen, wenn auch nur als Parteimitglied. In Schleswig-Holstein geht das weiterhin nicht.

Natürlich ist es Unsinn, mich bei diesen Fragen mitbestimmen zu lassen, schließlich lebe ich in Berlin und nicht in Schleswig-Holstein. Warum sollte ich dort also etwas mitbestimmen dürfen? Weil ich es kann? Das Umfrage-Tool zeigt deutlich, dass sich niemand über die fünf W-Fragen der Mitbestimmung Gedanken gemacht hat: Wer soll woran wie, womit und warum beteiligt werden? Dass der Leipziger OB-Kandidat für die CDU, Horst Wawrzynski, nicht wirklich über Internet-basierte Mitbestimmung nachgedacht hat, bevor er eine Umfrage online stellte und damit dann ordentlich Marketing machte, hat Klaus Peukert neulich zu recht als Demokratie-Placebo bezeichnet. Jetzt macht die Kieler Piratenfraktion genau den gleichen Quatsch und nennt das auch noch „einmalig in unserer Demokratie„, als ob es Projekte wie Liquid Friesland nicht geben würde, und ich kann das nicht anders nennen.

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