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  • Warum die AFD schlimmer ist als die NPD

    tl;dr: Ich habe die Programme von NPD und AFD nachgelesen und verglichen. Die AFD steht noch weiter rechts als die NPD. Das ist kein Witz.

    softeis

    Es gibt bereits eine Reihe von Vergleichen zwischen der AFD und der gerade wieder von einem Parteiverbot bedrohten NPD – zum Beispiel dieses nette, wenn auch etwas ältere Klickspiel der Jungen Piraten. Während es leicht ist, im typischen NPD-Anhänger den tumben Nazi zu sehen, geräte man in Konfrontation mit einem AFD-Anhänger leicht in die Bedrouille. Die geben sich nämlich gerne betont bieder und harmlos und zeigen sich geradezu beleidigt, wenn man sie als rechtsradikal bezeichnet.

    Deshalb an dieser Stelle eine stichprobenartige Gegenüberstellung von NPD- und AFD-Positionen. Sie stammen von der Webseite der NPD, die ich hier nicht verlinken möchte, sowie aus dem Programmentwurf der AFD, der kürzlich von correctiv.org geleaked wurde. Alle Angaben, die ich hier mache, können also jederzeit im Web nachgelesen werden.

    In der Bildungspolitik wendet sich die NPD gegen „flächendeckende Umsetzung von Inklusionsprogrammen“ und „bekennt sich zum Leistungsprinzip und zur Förderung von Leistungsträgern.“ Die AFD befürwortet „uneingeschränkt das Leistungsprinzip“ und findet: „Die ideologisch motivierte Inklusion „um jeden Preis“ verursacht erhebliche Kosten und behindert Schüler in
    ihrem Lernerfolg.“ Unter der Ägide beider Parteien hätte ich also aufgrund meiner Behinderung mein Abitur nicht an einem Regelgymnasium machen können. Weitere Passagen im AFD-Entwurf legen darüber hinaus nahe, mich entgegen meiner Berufwünsche mit einer handwerklichen Ausbildung zu bescheiden.

    Allerdings geht die AFD noch weiter als die NPD und behauptet: „Die Propagierung der Homo- und Transsexualität im Unterricht lehnen wir ebenso entschieden ab wie die ideologische Beeinflussung durch das „Gender Mainstreaming“. Während die NPD sich gegen „die Einführung des obligaten Englischunterrichts bereits in der Grundschule“ wendet, fordert die AFD: „Deutsch soll als Lehrsprache erhalten werden.“ Ein feiner Unterschied findet sich dann doch. Die NPD findet „Studiengebühren für das Erststudium (…) sozial ungerecht“ und möchte Studienplätze für Biodeutsche reservieren, während sich im AFD-Programm nichts über die Ablehnung von Studiengebühren findet. Verschiedene Untergliederungen der Partei haben diesbezüglich widersprüchliches gefordert.

    Die Bildungspolitik ist ein prototypisches Schlachtfeld für die Denke beider Parteien und ganz ähnlich sieht es in der Familienpolitik aus. Die NPD schreibt: „Die auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau ist zugleich die einzige Familienform, die Förderung und besonderen staatlichen Schutz verdient, denn nur in ihr können Kinder geboren werden.“ Das deckt sich mit dem Passus bei der AFD: „Die Familie aus Vater, Mutter und Kind als Keimzelle der Gesellschaft zu verstehen und den Bedürfnissen der Kinder und Eltern gerecht zu werden, muss wieder Mittelpunkt der Familienpolitik werden.“ Der zunehmende Anteil Alleinerziehender ist nicht nur Ausdruck zunehmender gesellschaftlicher Verwerfungen (…) und partnerschaftlicher Beliebigkeiten, sondern auch Ausdruck von Bindungsunfähigkeit infolge eigener unsicherer Bindungen im Kindesalter.“ Sie möchte deshalb die klassische Familie stärker fördern. Die AFD ist hier ein Stück radikaler und lehnt „eine staatliche Finanzierung des selbstgewählten Lebensmodells „Alleinerziehend“ (…) ab“.

    Wo immer man im Programm beider Parteien nachliest, finden sich ähnliche Parallelen. In der Geldpolitik fordert die NPD eine Volksabstimmung über den Euro und die Rückkehr zur Deutschen Mark. Exakt dasselbe fordert die AFD. Während die NPD die „Macht der Banken brechen“ möchte, fordert die AFD aber eine – heute bereits existierende – Einlagensicherung. Gesundheitspolitisch sieht die NPD in der Krankenversorgung ein Grundrecht, das sie freilich nur Biodeutschen gewähren will. Im Programmentwurf der AFD fehlt ein Passus zur Gesundheitspolitik, allerdings wird mehrfach erwähnt, dass Zuwanderung unsere Gesundheitssysteme angeblich überlasten würden.

    Das Militär soll nach Wunsch der NPD „den Schutz deutschen Territoriums und die Rückerlangung der nationalen Verteidigungsfähigkeit vor Augen haben.“ „Internationale Verflechtungen“ werden abgelehnt, was nach einem verklausulierten „raus aus der NATO“ klingt. Da sollten sich NPD und AFD ebenfalls schnell einig werden, fordert doch die AFD eine Erhöhung des Wehretats und die Wiedereinführung der Wehrpflicht (einschließlich einem Dienst für Frauen), da sie die Bundeswehr als „Eckpfeiler deutscher Souveränität“ sieht und – ganz wie die NPD – „internationale Verflechtungen“ ablehnt.

    Ich verzichte auf weitere Stichproben im Programm. Das Muster setzt sich durch alle Politikbereiche fort und gipfelt im Begriff der Identität. Bei der NPD ist das überschrieben mit „Überfremdung stoppen“. Der NPD geht es um „Überleben und Fortbestand des deutschen Volkes in seinem angestammten mitteleuropäischen Lebensraum.“ Sie schwadroniert über die „hohe Geburtenrate vor allem außereuropäischer Bevölkerungsgruppen“ (AFD-Reproduktionsstratege Höcke lässt schön grüßen) und sieht „das sichtbarste Zeichen der ungebremsten Überfremdung“ in der „expansive Ausbreitung des Islam“. Im Programmentwurf der AFD kommt das Wort „Islam“ gleich 42 mal vor. Die formuliert nur etwas subtiler, dass der Islam „im Spannungsverhältnis zu unserer freiheitlich-demokratischen Werteordnung“ stehe.  Das braune Wort von der „Überfremdung“ ersetzt die AFD durch „Leitkultur“, die sie durch Masseneinwanderung bedroht sieht. Das ganze steht unter der Überschrift „Demographieproblem“ in einem Passus, in dem die AFD genau wie die NPD die höhere Geburtenrate von Einwanderern beklagt. Beide sind also rassistisch, versuchen aber, diesen Rassismus durch Verwendung von Begriffen wie „Kultur“ und „Identität“ zu verschleiern.

    Was die AFD besonders gefährlich macht, ist die Vermeidung bestimmter brauner Signalwörter wie „Überfremdung“ und insgesamt wesentlich subtilere und oft auch schwammigere Formulierungen. Die AFD tarnt sich hinter einer bieder-bürgerlichen Fassade, die freilich schnell aufbricht, wenn Björn Höcke über „Reproduktionsstrategien von Afrikanern“ referiert oder Schießbefehl-Trixi zurückrudert, dass es doch nicht OK gehe, an den EU-Grenzen auf Kinder zu schießen, sondern halt nur auf deren Eltern.

    Sind AFD und NPD also weitgehend dasselbe? Nicht ganz. In einigen entscheidenden Punkten gibt es fundamentale Unterschiede, nämlich in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Wirtschaftspolitisch ist die NPD sehr schmal aufgestellt: Sie ist gegen Globalisierung und fordert eine im Programm nicht allzu genau definierte „raumorientierte Volkswirtschaft“. Im Programmentwurf der AFD kommt das Wort „Wirtschaft“ gleich 132 mal in etlichen Bezügen vor. Universitäten sollen der Wirtschaft dienen, Einwanderer würden die Wirtschaft überfordern, intakte Familien sind eine Basis für die Wirtschaft usw. Das Programm changiert zwischen sozialer Marktwirtschaft nach Ludwig Erhard und Forderungen nach mehr freiem Markt und Subventionsabbau.

    Die NPD fordert eine Mindestrente, angemessene Löhne, und eine gerechte Steuerpolitik. Sie findet das Alg2 unsozial und klingt ansonsten sehr wie die Linkspartei mit der klitzekleinen Einschränkung, dass all die sozialen Hilfen eben keinen Ausländern zugute kommen sollen. Die AFD hingegen fordert eine Flat Tax und faktisch die Abschaffung der flächendeckenden Arbeitslosenversicherung. Das Alg2 soll mit zunehmendem eigenen Einkommen sinken, was exakt der momentanen Regelung entspricht. Während in ihren neuen Programmentwurf die Beibehaltung des Mindestlohnes reingeschrieben wurde, lehnt die AFD den Mindestlohn in ihrem Europa-Programm von 2014 ab. Anders als die NPD möchte die AFD eine Einwanderungsregelung nach Qualifikation und verlangt von der Bundesagentur für Arbeit Transparenz, wieviele Migranten Alg2 erhalten – ohne näher zu sagen, wieviel sie dann diesen Migranten gerne kürzen würde.

    Der wesentliche Unterschied zwischen den Parteien ist also nicht, dass die AFD nennenswert weniger rechtsradikal wäre, sondern lässt sich so auf einen Nenner bringen: Während die NPD ihren Sozialdarwinismus weitgehend nur an Migranten und Behinderten auslässt, wendet sich das AFD-Programm gegen alle Menschen, die im Kapitalismus nicht mithalten können. Die AFD will systematisch die ohnehin Starken fördern. Sie kombiniert autoritäre und rassistische Ideen, die direkt aus der NPD stammen könnten, mit wirtschafts- und sozialpolitischem Neoliberalismus und kann somit als eine Art Turbo-NPD betrachtet werden. Anders gesagt: Im klassischen Parteiensystem steht die AFD noch weiter rechts als die NPD. Selbst wenn die AFD wegen der geforderten nach Qualifikation regulierten Einwanderung etwas weniger rassistisch und kulturchauvinistisch wirkt, könnte man der NPD noch irgendwie zugute halten, das Wohlergehen „des kleinen Mannes“ im Blick zu haben, solange es halt ein biodeutscher kleiner Mann ist.

    Diese Mischung aus neoliberalen bis libertären Ideen einerseits und autoritären Vorstellungen andererseits wirkt nur so lange seltsam, bis man sich klar macht, dass die AFD diese autoritären Vorstellungen sehr stringent nutzen möchte, um ihre libertären Ideen gegen sozial niedriger stehende umso rücksichtsloser durchzusetzen. Das ist der rote Faden in ihrem Programm. Nur scheinbar erwecken Widersprüche im AFD-Programm den Eindruck, sie wisse selber nicht so genau, was sie will. So schreibt sie beispielsweise: „Die Freiheit von Forschung und Lehre sind unabdingbare Grundvoraussetzungen für wissenschaftlichen Fortschritt. Deshalb müssen die Hochschulen über Art und Umfang ihres Studienangebotes frei entscheiden können.“ nur um wenige Sätze später das Gegenteil zu fordern, nämlich: „Die Gender-Ideologie erfüllt nicht den Anspruch, der an seriöse Forschung gestellt werden muss. (…) Sie darf deshalb nicht weiter gefördert werden, und ist abzuschaffen.“

    Die AFD kommt also immer doppelbödig daher, behauptet zunächst etwas konsensfähiges, nur um es später wieder einzuschränken oder in sein Gegenteil zu verkehren. Genau diese Doppelbödigkeit erlaubt der AFD ihr scheinbar bürgerliches Auftreten, das sie so gefährlich macht. Ich habe tatsächlich den Eindruck, dass etlichen AFD-Wählern wirklich nicht klar ist, wen sie da eigentlich gewählt haben. Was es nicht besser macht. Im Gegenteil.

  • Links der Woche

    • Wie eine schlecht programmierte Web-Seite im Jahr 2008 eine Fluggesellschaft fast in die Pleite stürzte:

      “Die automatische Textgenerierung greift auf diese neuen Börsendaten zu und erstellt Berichte, die auf automatisch zusammengestellten Nachrichtenseiten erscheinen, die wiederum von Analyse-Software ausgewertet werden, um automatisch Kaufentscheidungen in Quant-Fonds zu treffen. Manche Texte, die in diesem Kreislauf vorkommen, werden somit ausschließlich von Computern geschrieben und gelesen.“

    • vom Luxus über #armeLeuteessen zu fantasieren:

      “Da ist das “einen Tag im Rollstuhl”-Experiment, von Menschen, die keinen Rollstuhl benötigen, um sich selbstbestimmt von A nach B zu bewegen, genauso unangebracht, wie der “eine Woche obdachlos”-Selbsterfahrungstrip von Menschen, die ein Obdach haben.
      Es ist unangebracht, weil die sinnhaftere Variante ein “Ich höre den konkret betroffenen Menschen zu, die mir etwas über ihre Lebensrealität erzählen”-Experiment wäre, das bis heute noch viel zu wenig Medienmachende wagen.“

    • Was künstliche Intelligenz von menschlicher unterscheidet • Konrad Lischka:

      “Der grundlegende Unterschied zwischen KI und Menschen ist: Menschen formulieren Ziele und verfolgen Absichten, Software kann das heute nicht. Allerdings können Menschen nicht erkennen, hinter welchen Phänomenen eine Instanz mit Zielen und Absichten steht und hinter welchen nicht. Es ist also alles doch etwas komplizierter.“

    • Ich hab nichts gegen weibliche Brüste: Ein Plädoyer für eine erotische Männerquote in der Alltagserotik.:

      “Ich hab ehrlich gesagt nichts gegen nackte Frauen in der Bildzeitung oder anderen Boulevardmedien. Ich habe aber etwas gegen die Abwesenheit von nackten Männern und die Abwesenheit von körperlicher Vielfalt und dem teilweise Fehlen eines Geben und Nehmen des erotischen Blicks in der (heterosexuellen) Alltagserotik.“

  • Links der Woche

    • last week tonight with john oliver: donald trump – wirres.net:

      “vielleicht bin ich auch einfach nur frustriert. seit monaten, nein, seit jahren, wird donald trump mit satire und lächerlichmachung übergossen und er geht nach jedem fass schlamm das über ihm ausgekippt wird, gestärkt hervor.“

    • Why are so many smart people such idiots about philosophy?:

      “And Nye—arguably America’s favorite “edutainer”—is not the only popular scientist saying “meh” to the entire centuries-old discipline. Astrophysicist Neil DeGrasse Tyson has claimed philosophy is not “a productive contributor to our understanding of the natural world”; while theoretical physicist Stephen Hawking declared that “philosophy is dead.””

    • Über Leichen gehen:

      “Nach Schätzungen des mit der Aufgabe betrauten Zivilschutzes wird es bei gleichbleibendem Tempo der Räumungsarbeiten noch 700 Jahre dauern, bis alle Gebiete sicher sind.

      Einige wenige Stellen der »roten Zonen«, unter anderem in Ypern und im an der Maas gelegenen Woëvre, dürfen immer noch nicht betreten werden. Dort sterben 99 Prozent aller Pflanzen an Arsenvergiftung.“

    • Donald Trump is not a joke: A warning to Americans from an Italian who survived Berlusconi:

      “But perhaps the most striking similarity I can draw between Trump and Berlusconi has nothing to do with their actions. No, the thing that is most worrisome about the uncanny resemblance between these two politicians is the dangerous way the public and media have perceived their candidacies.“

  • Links der Woche

    • There’s an astronaut in a gorilla suit floating around the ISS:

      ”Maybe that’s just not how astronauts roll, though, because here’s a video of (presumably) NASA’s Scott Kelly floating around the ISS in a gigantic gorilla suit, set to the Benny Hill theme.

      I have no idea why this suit was deemed essential enough to send into zero gravity, or why Kelly himself found it personally important. But it’s kind of heartwarming to know that even astronauts on the ISS share my ability to keep completely useless and unwieldy items around the home.“

    • Rekombinase wechsle dich:

      “Eigentlich war es das dann auch mit dem Paper. Was noch folgt sind natürlich Tests in verschiedenen Zelllinien, um sicherzustellen, dass die Rekombinase keinen negativen Einfluss auf die Zellen hat, und außerdem, dass Brec-1 auch nur LoxBTR erkennt und nicht mehr LoxP. Der erste Test, ob das Konstrukt funktioniert, wurde dann in Immunzellen, die aus HIV+ Patienten gewonnen wurden, vorgenommen. Das hat natürlich alles funktioniert, sonst wäre es ja nicht in Nature Biotech veröffentlicht worden.“

    • Untranslatable Words:

      “25. Verschlimmbessern (German): To accidentally make something worse in the process of attempting to mend or improve it. Multiple applications around computers, cake baking and relationships. “

  • Links der Woche

    • Das Zeitalter der Massenhysterie:

      “Statt ständig irgendwelche Beleidigungen ins andere Lager zu brüllen („Nazi, Depp, Arschloch!“) müssen wir einsehen, dass diese Welt und das Wissen um diese Welt bei vielen Menschen Angst erzeugt, eine Angst, die den Bereich des rational Nachvollziehbaren weit übersteigt. Sie handeln und denken wie die Betroffenen einer Massenhysterie.“

    • Ein paar naive Fragen | Das Nuf Advanced:

      “Habt ihr von all dem nichts gewusst? Warum habt ihr nichts getan? Ich habe diese Frage nie aktiv jemanden gestellt. Da war sie immer. Ich wollte schließlich begreifen, wie all der Hass, diese völlige Entmenschlichung, diese Abkehr von allem Guten stattfinden konnte. Im Kopf spule ich 20 Jahre nach vorne. Meine Kinder sind groß. Clausnitz, die Pegida-Demonstrationen, all die Angriffe auf Flüchtlingsheime sind Teil der Geschichte.”

    • Plattform vs. Staat – Es wird interessant | ctrl+verlust:

      “Nun ist ein Gerichtsurteil erfolgt, das uns grundsätzlicher aufhorchen lassen sollte. In Frankreich entschied ein Gericht, dass Facebooks Löschung von – aus seiner Sicht unangebrachter Nacktheit – nach französischem Recht ein nicht zu rechtfertigender Eingriff in die Meinungsfreiheit ist. So weit, so gut. Hier freuen sich die Netzpolitikaktivist/innen, die bis zum Ende seiner Nasenspitze denken. Denn viel entscheidender ist, dass sich das französische Gericht in diesem Fall überhaupt zuständig sieht. Facebook hatte sich immer mit dem Hinweis auf die Jurisdiktion in den USA aus solchen Dingen herauslaviert.“

    • „Das Netz hat drei Dinge groß gemacht – Militär, Sex und Katzen“ – Interview mit Alain Bieber:

      “Allein auf Youtube werden pro Minute mehrere hundert Stunden Katzenvideos hochgeladen. 30 Prozent der Datenflut deutscher Surfer entfallen auf Tierbilder, so die Bundesnetzagentur. Grumpy Cat hat über sieben Millionen Fans, ist zu einem Filmstar geworden – und ihre Besitzer zu Millionären. Und das Netz hat vor allem drei Dinge groß gemacht: Militär, Sex und Katzen.“

  • Es gibt kein Volk

    tl;dr: „Volk“ ist eine Quatschkategorie.

    Bildschirmfoto 2016-02-19 um 18.18.26

    Im sächsischen Clausnitz kam es gestern Abend wieder zu einem widerwärtigen Vorfall. Ein Mob „besorgter Bürger“ blockiert über Stunden einen Bus und versucht, eintreffende Flüchtlinge daran zu hindern, in ihre Unterkunft einzuziehen. Dass die Meute klar rechtsradikal ist, zeigt sich im Video: Unter anderem ist der „Kühnen-Gruß“ zu sehen, eine Abwandlung des Hitlergrußes mit abgespreizten Fingern, der in Nazi-Kreisen gerne verwendet wird, um den verbotenen Hitlergruß zu ersetzen.

    Ein leider treffender Einwand von Jan Schnorrenberg:

    https://twitter.com/spektrallinie/status/700723715131187201

    So ist es leider… Allerdings sind sie zwar „das Volk“, aber wir, die wir Flüchtlinge aufnehmen wollen oder wenigsten ein solches Verhalten wie in Clausnitz ekelhaft finden, sind eben auch „das Volk“. Volk sagt gar nichts. Volk ist eine Quatsch-Kategorie. Wer völkisch denkt, glaubt, wir müssten alle die gleiche Meinung haben. Und zwar den Hass derer teilen, die da draußen „Wir sind das Volk“ krakeelen. Wer anderer Meinung ist, gehört ihrer Logik nach nicht zum Volk. „Wir sind das Volk“ zu rufen ist ein direkter Angriff auf die Meinungsfreiheit – und zwar ausgerechnet von denen ausgehend, die die Meinungsfreiheit überdehnen, um ihren Hass verbreiten zu können. Das Konzept vom „Volk“ ist eine Illusion, eine rechtsradikale Utopie. Wo versucht wird, die zu verwirklichen, ist es vorbei mit Vielfalt oder Freiheit für Minderheiten. Dann hast du nur noch genau die Rechte und Pflichten, die dir von denen zugeschrieben werden, die sich als „Volk“ bezeichnen. Völkisches Denken ist immer totalitär. Vom Volk zu sprechen, das ist jenseits der Demokratie. Schaffen wir also endlich das Volk ab.

  • Links der Woche

    • Sanktionsfrei – startnext.com:

      “Sanktionsfrei ist eine kostenlose Online-Plattform, die Hartz-IV-Sanktionen endgültig abschafft: Wir verpassen den Jobcentern ungefragt ein freundliches Online-Portal, das Betroffene umfassend informiert und kompetent begleitet. So vermeiden wir Sanktionen im Voraus! Mit Widersprüchen und Klagen bekämpfen wir Sanktionen und legen so die Jobcenter lahm. Und wir füllen verhängte Sanktionen aus einem Solidartopf auf. Denn niemand darf weniger haben als das verfassungsgemäße Existenzminimum!“

    • Der Goethe-Salon: Eine Handreichung:

      “Wir befassen uns mit der Wiederbelebung der Salonkultur im digitalen Zeitalter. Durch die Reoralisierung der Schriftkultur durch digitale Medien und das Internet halten mündliche Traditionen wie das gesellige Gespräch und der gemeinsame Diskurs wieder Einzug in die Gesellschaft.
      Wir kultivieren den Salon – europäisch in seinem Grundgedanken – als diskursives Format durch verschiedene Medien, führen analog, digital, schriftlich und mündlich Gespräche.
      Wie kann die Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs und Identitätsbildung für möglichst viele Menschen stattfinden – auch über Grenzen hinweg? Mit diesem Experiment loten wir aus, wie der digitale Raum dabei helfen kann, gesellschaftliche und transnationale Diskurse zu ermöglichen und zu führen.“

    • What Makes You You? – Wait But Why:

      “When you say the word “me,” you probably feel pretty clear about what that means. It’s one of the things you’re clearest on in the whole world—something you’ve understood since you were a year old. You might be working on the question, “Who am I?” but what you’re figuring out is the who am part of the question—the I part is obvious. It’s just you. Easy.
      But when you stop and actually think about it for a minute—about what “me” really boils down to at its core—things start to get pretty weird. Let’s give it a try.“

    • „Wir existieren aus reiner Gewohnheit“:

      “Interessant wird es, wenn der allerletzte Mensch plötzlich merkt, dass Kinder machen doch nicht so dumm gewesen wäre…? –  Vielleicht ist der letzte Mensch aber auch einfach damit beschäftigt, sich von einem Roboter die Finger maniküren zu lassen.”

  • Gehörlosen-Tatort „Totenstille“

    tl;dr: Große Momente, peinlicher Plot und der Mythos vom Lippenlesen

    ciherz

     

    Als „Totenstille“ im TV lief, fragten mich ein paar Leute um meine Meinung, da es schließlich auch um Gehörlose und das Cochlea-Implantat geht. Jetzt bin ich endlich dazu gekommen, ihn mir in der Mediathek anzuschauen. Vorweg: Mir haben etlichen Passagen ausgesprochen gut gefallen. Sehr gelungen sind die Stellen, an denen sich die Schauspieler nur per Gebärdensprache unterhalten. Diese Szenen gewinnen durch die typische Mimik gebärdender Gehörloser außerordentlich an Intensität. Teilweise sind sie (grafisch sehr geschickt) untertitelt, teilweise werden die Zuschauer auch im Regen stehen gelassen und können nur ahnen, was gerade gesprochen bzw. gebärdet wird. Damit dreht der Tatort den Spieß um, schließlich sind es sonst die Gehörlosen, die nur aus dem Kontext erschließen müssen, worum es gerade gehen könnte, wenn ihnen Untertitel und andere Hilfen fehlen. Besonders gefallen hat mir der gehörlose Schauspieler Benjamin Piwko in der Rolle des Ben Lehner. Wenn einige Szenen seine Perspektive einnehmen, wird die Welt still, ganz wie ich das von mir kenne, wenn ich das CI abschalte. Das mache ich regelmäßig und genieße die Ruhe, zum Beispiel während ich diesen Text schreibe.

    Anders als ich aufgrund der Nachfragen auf Twitter dachte, spielt das Cochlea-Implantat im Film nur eine untergeordnete Rolle. Es wird deutlich, dass große Teile der Gehörlosen-Community negativ dazu eingestellt sind und viele es oft bewusst nicht tragen, weil es dazu diene, sie zu „normalen Menschen“ zu machen. Das ist tatsächlich eine weit verbreitete Einstellung in der Community, der im Film nichts entgegen gesetzt wird. Einerseits wäre es von einem Tatort wohl zuviel verlangt, dem erzählerisch eine zweite Perspektive gegenüber zu stellen. Andererseits gewinnen die Zuschauer so den Eindruck, dass die Gehörlosen vollständig das CI ablehnen, was so nur für einen kleinen, relativ radikalen Teil der Community zutrifft. Eigentlich ist der Tatort ein Portrait dieses kleinen Teils, der sich am Ende dann friedefreudeeierkuchig als überhaupt ganz toll entpuppt, weil Kommissar Jens Stellbrink nach Enttarnung des wahren Schuldigen mit ihnen ordentlich von Mann zu Mann ein Bierchen zischen, Party machen und schließlich sogar ein wenig knutschen kann.

    Aber das passiert schon, nachdem der Tatort im letzten Drittel ein paar Umdrehungen zuviel bekommt und die Geschichte komplett ins Absurde abgleitet und versucht, alles an Zeitgeschehen mit in die Handlung reinzurühren, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Kommen wir also zu den wirklich schlechten Seiten des Filmes, die leider weit überwiegen: Dialoge weit jenseits jeglicher Fremdscham-Grenzen sind wir vom Tatort ja gewohnt. Genauso wie riesengroße Plotholes. Das meiner Meinung nach größte Loch im Plot: Entscheidende Wendungen beruhen darauf, dass einige Gehörlose wahnsinnig gut von den Lippen ablesen können. Das wird an verschiedenen Stellen prominent in die Handlung eingebaut, dabei können wir es getrost ins Reich der Märchen und Legenden verweisen. Lippenlesen funktioniert in verschiedenen Sprachen unterschiedlich gut, weshalb es in anderen Sprachräumen auch professionelle Lippenleser gibt, die zum Beispiel das Geschehen bei Fußballspielen auswerten. Im deutschen Sprachraum gibt es das zwar auch, aber nur wenig seriös, weil es nicht funktionieren kann. Das Deutsche ist nur zu etwa 15% lippenlesbar. Sehr geübte Lippenleser kommen auf 30%, mit Kontext ist mehr drin. Been there, done that in meiner Zeit als Hörgeräteträger am Rande der Gehörlosigkeit. Das reicht ganz sicher nicht, um ernsthaft verstehen zu wollen, was jemand auf einem Fußballplatz brüllt – oder wie im Film gezeigt aus einer gewissen Distanz zu „belauschen“, was jemand unten auf der Straße hinter einer Windschutzscheibe in ein Telefon spricht. Wir brauchen uns also weiterhin keine Sorgen zu machen, von Gehörlosen qua Lippenlesen heimlich belauscht zu werden. Damit bricht leider die ganze Prämisse der Handlung zusammen. Schade, aber Tatort halt.

  • Links der Woche

    • Will Machines Eliminate Us?:

      ”There are people who are grossly overestimating the progress that has been made. There are many, many years of small progress behind a lot of these things, including mundane things like more data and computer power. The hype isn’t about whether the stuff we’re doing is useful or not—it is. But people underestimate how much more science needs to be done. And it’s difficult to separate the hype from the reality because we are seeing these great things and also, to the naked eye, they look magical.“

    • Computers as Oracles: True Answers We Won’t Understand:

      “An accompanying editorial notes that AlphaCo’s play is “intuitive” and that the folks at DeepMind do not know what the AlphaGo system is “thinking” when it makes a move.“

    • Oklahoma university to track Fitbit activity on all incoming freshmen:

      “Students must hit 10,000 steps each day, have 150 active minutes of exercise per week, as well as an elevated heart rate between 60 and 80 BPM for an extended period of time. Students must buy their own device, just like a textbook.”

    • Is Harm to a Prosthetic Limb Property Damage or Personal Injury?:

      “According to the law, you and your cell phone are two separate entities. No matter how reliant you might feel on the small, glowing rectangle in your pocket, the distinction is clear: you are a person and your phone is your property. In the same way, the law also sees a separation between a person who is using a prosthetic (such as a bionic limb) and the device itself.“

    • Muss das Baby wissen, wie man Kaffee macht?:

      “Heute morgen habe ich mit dem Baby auf dem Arm Kaffee gemacht. Sie ist jetzt 8 Monate alt, und ich hab ihr bei jedem Schritt erklärt, was ich da genau mache. Dabei dachte ich: werden wir je herausfinden, ob es was gebracht hat? Also ob man mit Kindern so früh schon sprechen und ihnen Sachen erklären sollte*?“

    • Reinickendorf:

      “Seit kurzem wohne ich in Reinickendorf. In Alt-Wittenau. Gegenüber ist eine Tankstelle, die hat bis Mitternacht offen. Da geh ich jetzt hin um Zigaretten und Bier zu kaufen.“

  • #RIPtwitter

    tl;dr: Twitter wird Facebook immer ähnlicher, weil die Leute es immer mehr wie Facebook nutzen.

    twitter

    Twitter stirbt 1000 Tode. Mal ist es ein Herzchen, das das alte Sternchen ersetzt, mal sind es Hiobsbotschaften irgendwelcher Analysten betreffend Nutzungs- und Nutzerzahlen, mal ist es die Aufhebung der 140-Zeichen-Grenze (die es übrigens im Original-Twitter nicht gab und erst mit der SMS-Schnittstelle eingeführt wurde.). Im Moment ist es unter dem Hashtag #RIPTwitter der Plan, die chronologische Anzeige der Tweets abzuschaffen und durch einen Algorithmus zu ersetzen, wie wir ihn von Facebook kennen. Das soll schon nächste Woche passieren.

    Nun steht also zum zigsten Male Twitters Tod bevor, einige entstauben aus Protest ihre Ello-Accounts und überhaupt zeigt sich die Tech-Avantgarde auf Twitter erstaunlich konservativ, wenn es um Veränderungen an ihrem Lieblingsdienst geht. Vielleicht ist sie aber auch gar keine Tech-Avantgarde, denn sehr viele Tweets, die gerade unter #RIPTwitter gepostet werden, stellen auf das Reizwort „Algorithmus“ ab – und die sind natürlich per se böse. Auch wenn ich nicht ganz nachvollziehen kann, wie diese Menschen es schaffen, entsprechend einem vorgegebenen Algorithmus verarbeitete Nahrungsmittel (=Kekse) angstfrei zu sich zu nehmen.

    Aber zur Sache: Ja, ich finde eine chronologisch sortierte Timeline auf Twitter im ersten Impuls auch schöner. Dann muss ich aber daran denken, dass ich nunmal auch nicht den ganzen Tag gucke, was auf Twitter los ist und ich eine Zusammenfassung der wichtigsten Tweets durchaus interessant fände. Tatsächlich verbringe ich relativ viel Zeit damit, Diskussionen im fortgeschrittenen Stadium zurück zu ihren Anfängen zu verfolgen, um zu verstehen, worüber da eigentlich gerade alle reden. Ideal wäre, wenn Twitter einfach beides anbieten würde: Eine algorithmisch sortierte Timeline und die chronologische Sortierung. Et voila: Genau das planen sie. Bleibt zu hoffen, dass sie nicht den Fehler machen, es genauso schlecht wie Facebook zu implementieren, das sich die einmal gewählte Einstellung nicht merkt. Richtig richtig elegant wird die Angelegenheit übrigens, wenn wir uns einen Client mit mehreren Spalten vorstellen wie z.B. Tweetdeck, das ja längst Twitter gehört. In einer Spalte könnte die chronologische Sortierung stehen, in einer weiteren die algorithmische. Also einfach erstmal abwarten: Vielleicht wird ja sogar ganz toll, was Twitter da baut?

    Als Twitter neu war, war die Idee mal, dass sich kleine Gruppen von Menschen gegenseitig Status-Updates geben, z.B. der Bürogemeinschaft mitteilen, dass sie jetzt Mittagspause machen. Für eine solche Nutzung ist natürlich die chronologische Reihenfolge unbedingt nötig. Allerdings wird Twitter so längst nicht mehr genutzt. Diese Aufgabe haben längst, Whatsapp, Slack usw. übernommen. Stattdessen wird debattiert und kommentiert, Links werden in die Welt gepostet und Membilder. Ganz wie auf Facebook. Leute sind beleidigt, wenn eins ihnen nicht zurückfolgt, obwohl es gar kein „Friending“ wie auf Facebook gibt. Fremde grätschen sich gegenseitig in die Kommunikation und allerorten ist fröhlich Trollerei. Wenn Twitter zu etwas längst nicht mehr taugt, dann für den Use-Case, für den Twitter mal gedacht war. Wenn Twitter versucht, Facebook ähnlicher zu werden, dann liegt das auch daran, dass die Leute ständig versuchen, Twitter wie Facebook zu benutzen.

    Aus der Sicht von Twitter ergibt die Einführung der algorithmischen Sortierung jedenfalls sehr viel Sinn. Twitter hatte schon immer Schwierigkeiten damit, dass Neu-Nutzer nicht so recht damit klarkamen. Intressante Accounts und Inhalte müssen im Heuhaufen erst einmal gefunden werden. Wer neu dazu kommt, wird schnell wieder zur Karteileiche. Eine algorithmische Aufbereitung ist also durchaus im Sinne der Nicht-Hardcore-Nutzer und könnte die Twitternutzung wieder ankurbeln. Gleichzeitig ist sie im Sinne der prominenten Twitterer mit vielen Followern. Die kriegen aufgrund ihrer Leserzahl mehr Likes und Retweets, was vermutlich dazu führen wird, dass ihre Tweets durch den Algorithmus noch sichtbarer werden als zuvor. Verlieren werden diejenigen, die weniger Follower als Sendungsbewusstsein haben. Deren Tweets werden vermutlich weniger sichtbar sein als bisher. Wahrscheinlich wird es schwieriger sein, auf Twitter populär zu werden und sich eine Followerschaft zu erarbeiten. Dafür haben die Social-Media-Berater in Zukunft mit dem Algorithmus einen Kaffeesatz mehr, aus dem sie lesen können, um ihren Kunden Rezepte für mehr Aufmerksamkeit anzudienen.

    Der Umbau ist also aus Business-Sicht keine schlechte Idee. Und leider ist Twitter ein Business. Das blenden viele Nutzer gerne aus: Ihre Forderungen laufen im Grunde auf eine Demokratisierung der Plattform hinaus. Konsequent gedacht: antikapitalistisch. Enteignen und so. Also das, wofür es sonst Haue gibt, wenn man* es zu klar sagt. Demokratisierung ist bei hinreichend großen Plattformen eine sehr berechtigte Position. Bin ich auch ganz und gar für. Ich frage mich nur, warum dann nicht längst alle bei APP.net, Identi.ca, Ello und natürlich Diaspora sind. Mein Tipp: Sie werden es auch in Zukunft nicht sein. Und Twitter wird auch diesen Tod überleben (wenn es nicht sowieso schon tot ist.)

    Update: Jack Dorsey dementiert.