Es war von Anfang an klar, dass ich auf zwei fast neuen Handys sitzend eines davon wieder verkaufen musste. Über beide, das Nokia N86 und das Palm Pré habe ich sehr wohlwollende Testberichte geschrieben. Die Entscheidung fiel mir bis zum Schluss ausgesprochen schwer, und wenn Ebay nicht die 12-Stunden-Frist hätte, wäre ich mir nicht sicher, ob ich die Auktion nicht doch noch beendet hatte. Und jetzt mit Ablauf verspüre ich ein leichtes Reuegefühl. Das Palm Pré ist wie ein Porsche, während mein gutes altes Nokia eine Art Passat Kombi ist. Einen Porsche verkaufen tut weh, aber zum Einkaufenfahren ist er trotzdem völlig ungeeignet.
Das Grundproblem ist: Nutzen vs. Sexiness. Das Palm Pré ist sexy. Es zu bedienen, macht Spaß. Im Grunde ein Lifestyle-Handy oder wie Golem schrieb: ein Smartphone für iPhone-Verächter. Es hat viele großartige Features und ich bin immer noch der Meinung, dass das Pré von der Verarbeitung abgesehen dem iPhone überlegen ist. Aber hier geht es nicht ums iPhone sondern um ein klassisches Handy. Folgende Punkte gaben den Ausschlag, beim Nokia N86 zu bleiben:
- Die Akkulaufzeit ist wesentlich länger. Das Pré muss im Laufe des Tages einmal ans Netz, wenn man damit den Abend überstehen will. Es macht absolut keinen Spaß, von einer Bloglesung wegen eines leeren Akkus nicht twittern zu können. Das Nokia hält deutlich länger als einen Tag durch. Bei gleicher Nutzung bekomme ich abends sogar noch einen fast vollen Akku angzeigt (auch wenn Nokia die Anzeige wohl frisiert).
- Opera Mini ist der beste Handy-Browser. Auch wenn das Display kleiner ist, es keine Touchscreen-Bedienung gibt oder Webseiten auch mal unschön umbrochen werden: Oper Mini zeigt mir Seiten schon, wenn der Pré mit seinem Webkit-Browser noch lädt. Vor allem das Zurückblättern ist erheblich viel schneller. Die wichtigsten Webseiten kann ich in der U-Bahn auf dem N86 schneller, klarer und ohne Gestenfummelei betrachten. Das lässt sich auf die Formel bringen: Zoomst Du noch oder liest Du schon?
- Touchscreen macht Spaß, aber kann auch nerven. Das Pré interpretiert meinen Daumen anders als ich. Auch nach mehreren Wochen Nutzung passiert es mir, dass ich die falsche Mail lösche oder ein Twitterlink geöffnet wird, anstatt die Liste zu scrollen. Anwendungen wie das Mail-Programm von Nokia oder Twibble für Twitter mögen zwar in Sachen Sexiness in einer anderen Liga spielen, aber mit ihnen passieren solche Fehlbedieunungen nicht.
- Die Quertz-Tastatur ist toll, wenn man mal etwas längeres tippen muss – sie mit einer Hand zu bedienen aber nach wie vor eine Daumenqual. Auf einer klassischen Zifferntastatur schreibe ich (ohne T9!) fast genauso schnell, sehe aber an meinen Tweets, dass ich wesentlich weniger Tippfehler mache. Überhaupt sorgt die Kombination aus Zifferntastatur und Steuerkranz dafür, dass man ein Handy quasi blind bedienen kann, während ein Touchscreen mit Gestensteuerung die volle Aufmerksamkeit des Nutzers fordert. Mobil heißt aber eben unterwegs. Da hat meine Aufmerksamkeit aber oft der Straßenverkehr oder andere Leute oder ich brauche eine Hand, um mich in der U-Bahn festzuhalten oder oder oder…
- Syncen mit dem Pré ist ein endloses Herumgefrickel. Es gibt keine Anwendung, mit dem ich Kontakte, Termine, Aufgaben und Notizen einfach mal so mit dem Mac oder Outlook synchronisieren kann. Schon gar keine kostenlose. Auch Missing Sync und andere separat zu erwerbende Programme können z.B. keine Aufgabenlisten synchronisieren. Sinn des ganzen ist, dass ich die Daten ubiquitär zur Verfügung habe, am PC genauso wie auf dem Handy. Sicher, das Konzept des Pré will genau das: Meine Daten sollen gefälligst in der Cloud liegen, was mir nicht behagt. Synchronisieren kann ich mit Google, aber auch da wieder keine Aufgaben und Notizen. Und die Anbindung an Facebook hilft mir – Synergie hin oder her – kein Stück weiter. Wenn ein Anbieter mir die Cloud schmackhaft machen will, dann muss er mir auch die Möglichkeit geben, meine Daten in eben dieser Cloud mit Web 2.0-Anwendungen vollständig zu sichten und zu editieren. Genau das geht aber mit den von Palm gespeicherten Daten nicht. Die einzigen Geräte, die derzeit das Versprechen ubiquitärer Dateneinlösen, syncen direkt mit Desktop-Anwendungen. Es sind klasssiche Handys, klassische PDAs wie alte Palm-Geräte und die meisten Windows-Mobile-Geräte (die aus anderen Gründen ein Krampf sind). Auch Android und iPhone können hier bis heute nicht oder nur mit Zusatzsoftware wie Missing Sync mithalten. Vor dem Hintergrund der alten Palm-PDAs und des überaus funktionalen und ausgereiften Palm Desktop ist das ein ziemlich trauriges Fazit.
- Ich weiß nicht woran es liegt, aber der GPS-Empfänger im N86 zusammen mit Nokia Maps zeigt mir erheblich präzisiere Ortsangaben als das Pré, das mich doch sehr häufig in irgendwelchen Parallelstraßen wähnte. Außerdem sind die Karten viel schneller auf dem Schirm, weil sie nicht erst von Google Maps nachgeladen werden müssen.
- Der Palm Pré bietet keinen vernünftigen Start-Screen, auf dem mit einem Blick die Termine und Todos des Tages angezeigt werden. Ich muss separat in den Kalender schauen, dessen grafische Ansicht mich auch noch zwingt, herumzuscrollen, wenn ich morgens sehen will, ob abends ein Termin ist. (Die Ziehharmonika-Ansicht bekommt man erst bei mehreren Terminen pro Tag – Standardfall ist aber, dass ich morgens zur Arbeit gehe und abends eine Verbredung habe.) Ich muss explizit in meine Aufgabenliste schauen und da auch noch in mehrere. Ich möchte ein Gerät, dass mir nach Einschalten/Entsperren die wichtigsten Daten des Tages auf einen Blick zeigt, ganz so, wie es die alten Palm getan haben und es die meisten Handys und Smartphones heute noch tun.
- Ich habe seit längerem keine Digicam mehr, weil die Bildqualität meiner bisherigen Handys einfach zu gut war und ich meistens dann ein Foto machen will, wenn ich sowieso keine Kamera dabei habe. Die Bildqualität des Palm Pré ist zwar irgendwie noch OK, aber im Vergleich zum Nokia N86 oder sogar einem Sony-Ericsson K800i einfach schlecht. Außerdem kann man mit dem Pré ohne Hacks keine Videos aufnehmen.
Als ich das N86 wieder aus der Schublade genommen hatte, habe ich es gehasst. Diese steinzeitliche Bedienung, die niedrige Auflösung, das hässliche Screendesign… Nach kurzer Zeit habe ich aber schnell gemerkt, um wieviel praktischer doch so ein schnödes Mittelklassehandy ist. Dabei bin ich jemand, der so ziemlich alles mit einem Handy macht außer telefonieren. Eigentlich müsste ich der Smartphone-Anwender überhaupt sein. Trotzdem sind alle meine Versuche, mir ein Smartphone anzuschaffen, bisher gescheitert. (OK, ich hatte noch kein Android-Gerät und keinen Blackberry. Mal sehen, was der nächste Herbst so an Modellen bringt…)
Eine Internet-Maschine wie das Palm Pré könnte mich ohne weiteres auf ewig glücklich machen. Das Konzept stimmt und geht in die richtige Richtung, wenn doch nur obige Punkte erfüllt würden: Eine bessere Kamera, eine einfache Zifferntastatur (zzgl. virtueller Quertz-Tastatur wie beim iPhone), der Rest ist eine Frage der Software. So sitzt der Pré derzeit zwischen allen Stühlen und taugt nur als Spaß- und Lifestyle-Gadget – eine Nische die aber leider schon das iPhone besetzt hält.
Update:
Man kann es Unzurechnungsfähigkeit nennen oder Fanboytum: Ich habe den Pré einfach gebraucht wieder ersteigert. Die Gründe im anderen Blogpost und meine emotionale(!) Verbundenheit(!!) zu diesem Gerät(!!!) waren wohl stärker. Ich weiß jetzt, wie sich iPhone-Besitzer fühlen müssen. Immerhin kann ich mich jetzt damit rausreden, einen kleinen Differenzgewinn gemacht zu haben.
2 Antworten zu „Warum ich den Palm Pré wieder verkauft habe (Update)“