Open Mind 2011

Ich weiß jetzt schon: Wenn ich am Silvesterabend zurückblicken werde, welche drei Dinge mich 2011 nachträglich am meisten ärgern, dann dass ich nicht zur Open Mind nach Kassel gefahren bin. Einige der Vortragenden haben ihre Vorträge noch einmal aufgeschrieben und auf Telepolis veröffentlicht. Das ist alles nicht nur extrem lesenswert, sondern ich bin ernsthaft baff, in fünf dieser sieben Artikel die Quintessenz dessen wiederzufinden, womit ich mich gedanklich, bloggend und politisch die letzten zwölf bis 24 Monate beschäftigt habe:

Werke wie Musikstücke und Filme sind – wie wir dank der Digitalisierung wissen – nicht viel mehr als Daten, Nullen und Einsen und damit nichts anders als große Zahlen. Daten sind nicht ökonomisch knapp, man kann sie durch Kopieren nicht mal stehlen, immerhin hat sie der vermeintlich Bestohlene ja immer noch. Sie sind in beliebiger Menge vervielfältigbar und jeder kann sie nutzen ohne andere dabei einzuschränken.

Andreas Popp:
Warum Eigentum nicht geistig sein kann

Ich bin (…) überzeugt davon, dass die meisten Menschen, die vorübergehend oder dauerhaft in der institutionalisieren Wissenschaft tätig sind, aufrichtig handeln und sich ihr Ansehen und ihre akademischen Weihen ehrlich verdienen. Aber dass eine besondere kriminelle Energie nötig ist, um das System auszuhebeln, glaube ich nicht. Denn die institutionalisierte Wissenschaft selbst – konkret, das System der wissenschaftlichen Qualitätskontrolle – versagt hier auf eine vorhersehbare, in diesem System selbst angelegte Art und Weise.

Anatol Stefanowitsch:
Institutionalisierte Wissenschaft reloaded

Wie krass der Unterschied von einst zu heute ist, merkt man am besten an den Anachronismen, die in der alten Medienwelt bis heute überwinterten. Es gibt immer noch den Reflex der Massenmedien, sobald irgendwo ein Unglück geschieht, dass die Opferzahl unter den Deutschen extra ausgewiesen wird. So nach dem Motto: „Erbeben in China. 12 Deutsche verletzt. Insgesamt 8000 Todesopfer.“ Auf den ersten Blick wirkt das für unsereins zynisch und auf den zweiten nationalistisch, fast rassistisch. Aber ich glaube, diese Deutung ist falsch. Es ist schlicht: aus der Zeit gefallen.

Michael Seemann:
Die gesellschaftliche Singularität ist nah

Zur Folge hat dies oft, dass sich die Medien ihre Flügel selbst definieren. Als es 2010 um die Programmerweiterung ging, wurden zwei Lager definiert: das progressive Pro-BGE-Lager rund um Deutschlands Nord-Osten und das konservative Contra-BGE-Lager, vor allem aus den südlichen Bundesländern. Ähnliches geschah bei der Wahl zum Bundesvorsitzenden im Mai 2011, als trotz zahlreicher Kandidaten die Wahl künstlich zu einem Showdown zwischen einem eher gemäßigteren LiquidFeedback-kritischen, südlichen Nerz und dem progressiven LiquidFeedback-Fan Lauer aus Berlin hochstilisiert wurde.

Fabio Reinhardt:
Two wings to fly

Und in der Tat ist eine sachliche Diskussion über Feminismus und die Themen des Feminismus kaum möglich – ja, wird sie schon im ersten Schritt an dem semantischen Bias des Begriffes abgelehnt. Außerdem wird ein feministischer Diskurs grundsätzlich als ideologisch und nicht faktenorientiert empfunden. Und so bleibt letztlich nur die Frage: Warum? Woher kommen diese Emotionen? Was lässt emanzipatorisch gesinnte Menschen eine Emanzipationsbewegung so ablehnen?

Julia Schramm:
Einfach mal zuhören

Ich kam auf den mir damals noch völlig abwegig erscheinenden Gedanken, diese Gelegenheit zu nutzen, etwas öffentlich anzusprechen, was ich viele Jahre lieber verschwiegen hatte: meine eigene psychische Krankheit. (…) Der Moment, bevor ich mich vor die gut 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer stellte, war auch der letzte, bei dem ich wirklich unangenehm aufgeregt war. Einmal das Mikrophon in der Hand und die ersten, halb gestotterten Ansätze überstanden, verschwand die Anspannung schlagartig.

Andreas Preiß:
Post-Privacy: Schwäche zeigen, Stärke beweisen

Ein Wahl-O-Mat der nicht allzu fernen Zukunft wird natürlich weit mehr können. Er recherchiert – für mich personalisiert – die Entscheidungen der Politiker, ihre Versprechen, ihre Lügen, ihre Lobby, ihre Ziele. Er beobachtet mich in Twitter und Facebook und bestimmt so meine Präferenzen, schaut, mit wem ich befreundet bin und was mir und meinen Freunden wichtig ist. Wie lange mein Facebook-Avatar den „Atomkraft – Nein Danke“-Badget trägt. Auf welchen Webseiten ich wie lange verweile. Und aus all dem kann der Wahl-O-Mat der Zukunft mir eine unumstößliche Präferenz für eine Partei berechnen.

Jörg Friedrich:
Der Wahl-O-Mat