Welchen Namen gibst du deinem Staubsaugeroboter?

„Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt.“ Wer denkt bei diesem berühmten ersten Satz in Franz Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“ nicht notgedrungen an einen verunglückten Staubsaugeroboter, der festgefahren und käfergleich nicht vor, nicht zurück hilflos mit den antennengleichen Bürsten wirbelt, bis auch diese in einem letzten Zucken ersterben?

Ich musste meinen Staubsaugeroboter also „Gregor Samsa“ nennen, obwohl diese Namensgebung eigentlich ungerechtfertigt ist und auf schlechten Erfahrungen mit seinem Vorgänger beruht. Im Gegensatz zu Kafkas Figur macht mein Gregor überhaupt nicht den Eindruck, sich von seiner täglichen Arbeit entfremdet zu haben, die er zu unserer vollen Zufriedenheit erledigt.

Robotern Namen zu geben, scheint ein spielerisches Grundbedürfnis zu sein, sobald das Gerät hinreichend viel Eigenleben an den Tag legt, sodass es auch als Tier durchgehen könnte. Dass Menschen Robotern Namen geben und zu ihnen eine emotionale Bindung aufbauen, ist kein neues Phänomen. So berichten Soldatïnnen von Gefühlen der Trauer, wenn ihr Minen-Such-Roboter bei der Arbeit in die Luft flog.

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Log4j für Dummies

das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik hat am Wochenende „Warnstufe Rot“ ausgerufen. Eine Sicherheitslücke in der Java-Bibliothek „log4j“ stellt eine große Gefahr dar. Das hat viele Leute und ihre Oma alarmiert: Menschen, die sich überhaupt nicht mit Computern auskennen, schnappen die Meldung in der Zeitung und den Nachrichten auf und können sie einfach nicht dekodieren. Was zum Geier ist denn zum Beispiel eine Java-Bibliothek? Wer sich in Massenmedien darüber informieren möchte, ist bis auf wenige Ausnahmen wie dem „Spiegel“ aufgeschmissen. Das liegt daran, dass auch die Journalistïnnen, die darüber berichten sollen, keine Ahnung haben, wovon sie reden. Eindrucksvolles Beispiel war da die Börsenreporterin Valerie Haller im gestrigen „heute journal“, die „log4j“ als „Server-Software von Java“ bezeichnete, wobei sich fragt, ob das ihre Schuld ist, wenn die Redaktion findet, es sei eine gute Idee, das Thema in den Börsennachrichten unterzubringen.

Alle ITlerïnnen, Computer-Affine und Menschen, die Fachmedien verfolgen, können hier aufhören zu lesen. Für alle anderen folgt ein kleines „log4j für Dummies“.

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Corona und die „kybernetische Illusion“

„Mütend“ ist ein Kofferwort, das im Frühjahr aufkam um die Frustration, die Mischung aus Wut und Müdigkeit angesichts der Corona-Krise zu beschreiben. Ich habe den Eindruck, dass heute mehr Menschen denn je in diesem Gefühlszustand sind. RKI-Chef Lothar Wieler findet von Pressekonferenz zu Pressekonferenz immer deutlichere Worte. Die Wut geht längst nicht mehr von der verquerdenkenden Minderheit aus. Und die Philosophin Sabine Döring warnt davor, dass irgendwann auch einmal die Geduld derjenigen endet, die sich freiwillig vernünftig und solidarisch in der Pandemie verhalten.

Derzeit wird viel geredet über diese Wut, wie mit ihr umzugehen sei und woher sie komme. „Warum sind alle so wütend?“ fragt zum Beispiel der Podcast „Lakonisch elegant“, und unter der Prämisse, dass es keine dummen Fragen gebe, lässt sich das auch halbwegs anhören. Immerhin verleiht das Thema einem Gefühl Ausdruck, das gerade sehr viele Menschen teilen. Im Podcast versucht Philosoph und Journalist Nils Markwardt diese Frage mit einer These zu beantworten: Wir spürten gerade die „kybernetische Illusion“. Wir hätten eine Vorstellung von Gesellschaft, die so gesteuert werden könne, dass ein Ist-Wert in einen Soll-Wert verwandelt werden kann, zum Beispiel die Zahl der Neuinfektionen und der Bettenbelegung. Und uns frustriere die Desillusionierung von dieser Vorstellung.

Ich halte diese These für falsch und auch problematisch.

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Neun Corona-Mythen und Fehlannahmen

Vor zehn Monaten, im Verlauf der zweiten Corona-Welle, habe ich in meinem Blog 18 Corona-Mythen und Fehlannahmen aufgeschrieben. Denn im Verlauf der Sars-CoV2-Pandemie haben sich allerlei Mythen und Legenden herausgebildet, die es erschweren, sinnvoll über Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung zu debattieren. Die meisten dieser Mythen und Legenden haben den Effekt, dass sie eine sinnvolle Diskussion über die jeweiligen Maßnahmen unterbinden.

An diese Liste musste ich wieder denken, seitdem uns politisches Vollversagen in die vierte Welle manövriert hat und die Gesellschaft einer Person gleicht, die schreiend im Kreis rennt, während die Intensivstationen langsam aber sicher in die völlige Überlastung fahren. Doch seit dem letzten Winter hat sich einiges geändert. Über bestimmte Dinge wird heute nicht mehr geredet, dafür ist anderer Unsinn im Umlauf. Neun weitere Punkte sind hinzu gekommen. Zeit für ein Update also.

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Corona 4

Mit 37.120 Neuinfektionen vergangenen Donnerstag und einer Sieben-Tages-Inzidenz von 191 ist die vierte Corona-Welle die bislang höchste in Deutschland. In den nächsten Tagen und Wochen geraten die Intensivstationen über ihre Kapazitätsgrenze, an der einige sowieso schon arbeiten. Dementsprechend wird sich die Zahl der Todesopfer entwickeln. Bundes- und Landesregierungen bleiben weitgehend untätig. Als Ausweg gilt derzeit die Impfung, während fast alle anderen Schutzmaßnahmen bis auf Reste aufgehoben sind. Das ist fatal:

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Endzeit, eine Gedichtanalyse

bei unserer regelmäßigen Beschäftigung mit kalter Technik und seelenloser Digitalität muss gelegentlich auch einmal Zeit für etwas Erbauliches sein. Deshalb komme ich heute einer Bitte aus dem Internet nach, eine Gedichtanalyse zu verfassen. Die bemerkenswerte Elegie „Endzeit“ hat der allseits geschätzte Archäologe Mirko „Der Buddler“ Gutjahr bei einer gegenswartsarchäologischen Prospektion in einem Leipziger Schaufenster gefunden. (Zum Betrachten in höherer Auflösung bitte auf das Bild klicken/tappen.)

(Fotos: Mirko Gutjahr)

Der Titel „Endzeit“ öffnet trotz seiner Schlichtheit eine monumentale Rahmung.

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Von Büchern und Büchern

Im Kopf herumkramend kam mir das Zitat „Den Grad der Zivilisation einer Gesellschaft kann man am Zustand ihrer Bibliotheken ablesen.“. Das ist ein schönes Beispiel für ein trügerisches Gedächnis und die Konstruktion von Erinnerung, denn natürlich lautet das berühmte Dostojewski-Zitat: „Den Grad der Zivilisation einer Gesellschaft kann man am Zustand ihrer Gefangenen ablesen.“ und ich bin froh, diesen Satz nicht getwittert und damit nicht versehentlich zur unaufhörlichen Produktion von Fake-Zitaten in den sozialen Medien beigetragen zu haben.

Jedenfalls: Wir haben solch ein Glück, dass wir seit Mitte des 19. Jahrhunderts allgemein zugängliche, öffentliche Bibliotheken haben. In der heutigen politischen Landschaft ließe sich so etwas kaum mehr durchsetzen. Eins stelle sich nun vor, jemand erfindet eine Technologie, die es auch benachteiligten Menschen, also zum Beispiel kranke, behinderte, alleinerziehende mit wenig Zeit usw., ermöglicht, Bücher auszuleihen, ohne zu Öffnungszeiten wo hingehen zu müssen. Das kann und darf nicht sein, das muss sofort unterbunden werden! Jedenfalls wenn es nach einer Initiative geht, die sich „Fair lesen“ nennt. Auf ihrer Webseite zeichnet sie mit den Konterfeis von Großverdienerïnnen des Literaturbetriebs ein Bild von Literatïnnen, die am Hungertuch nagen müssen, weil Menschen Bibliotheken benutzen, statt ihre Bücher zu kaufen. Unter der Überschrift „Schreiben ist nicht umsonst“ stehen Sätze wie „Wer die Onleihe für E-Books nahe am Nulltarif fordert, der bedroht die literarische Freiheit in unserem Land.“ Als großflächige Zeitungsanzeige sieht das so aus:

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Non Fungible Tokens

Eigentlich war der 5. Oktober ein Tag, auf den ich mich gefreut hatte. Dann eröffnet in Berlin die Ausstellung „Game Over“. In einer ehemaligen Spielhalle am Nollendorfplatz, die demnächst abgerissen werden soll, zeigen die Dixons urbane und virtuelle Kunst vieler ganz unterschiedlicher Künstlerïnnen. Das gab’s schonmal 2017, hieß „The House“, fand in einer ehemaligen Volksbank in der Nürnberger Str. statt, und die Berlinerïnnen standen Schlange. Auf „Game over“ wollte ich mich eigentlich freuen, doch der folgende TV-Beitrag drehte meine Vorfreude in Ärger um (ab Minute 23:30):

Das hier, liebe Kinder, ist der Grund, warum man auf Koks keine Interviews gibt. Aber mir geht es natürlich nicht um den Substanzkonsum der Dixons, sondern um NFTs. Die sind zwar gerade der heiße Scheiß im Kunstmarkt, aber was NFTs eigentlich sind, haben viele noch nicht so richtig verstanden. Jedenfalls nicht die Dixons. Nein, NFTs sind keine digitalen Kunstwerke, „wo nur du den Schlüssel hast, dir dieses Kunstwerk anzuschauen“.

Aber was sind „Non Fungible Tokens“ (NFTs) dann?

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Konservative

Es ist ein weit verbreitetes Missverständnis, dass es Konservativen darum geht, Wandel aufzuhalten, um Werte und Erhaltenswertes zu bewahren. Das ist nicht ihr Ding. Folgendermaßen:

Kurz zum Begriff: Mit „Konservative“ meine ich hier im Wesentlichen die CDU, große Teile ihrer Wählerschaft, diverse Mittelstandsvereinigungen, Medien die sie umkreisen, und vielleicht auch noch Teile von AFD und FDP sowie selbstverständlich auch der SPD, wie sich gerade wieder im Wahlkampf zum Berliner Abgeordnetenhaus zeigt. Gemeint ist also nicht Konservatismus im Wortsinn sondern der tonangebende „real existierende“ Konservatismus.

Dieser „real existierende“ Konservatismus hat sich selten gegen Wandel gewehrt sondern ihn oft maßgeblich betrieben. Industrialisierung, Automatisierung, Digitalisierung sind alles Projekte, die auch von konservativer Seite nach Kräften gefördert wurden.

Konservative wollen in erster Linie nur eines bewahren: die gesellschaftliche Hierarchien und ihre eigene (meist gehobene) Stellung darin. Jeglicher Wandel, der diese Hierarchien (oder sie stützende Geschäftsmodelle) gefährdet, wird bekämpft. Alles andere wird begrüßt.

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Was passiert wirklich in El Salvador?

Am 7. September 2021 hat El Salvador den Bitcoin als offizielles Zahlungsmittel eingeführt – so heißt jedenfalls die offizielle Verlautbarung, die von den meisten Medien relativ unkritisch so weitergegeben wurde und den Eindruck erweckt, dass nun plötzlich alle ihre Brötchen mit Bitcoin bezahlen. Das war auch zunächst die später zurückgenommen Aussage von Präsident Nayib Bukele: Alle Menschen in El Salvador sollen Bitcoin akzeptieren müssen und damit bezahlen können. Doch einiges spricht dafür, dass diese Bitcoin-Einführung nur Propaganda ist.

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