„Mütend“ ist ein Kofferwort, das im Frühjahr aufkam um die Frustration, die Mischung aus Wut und Müdigkeit angesichts der Corona-Krise zu beschreiben. Ich habe den Eindruck, dass heute mehr Menschen denn je in diesem Gefühlszustand sind. RKI-Chef Lothar Wieler findet von Pressekonferenz zu Pressekonferenz immer deutlichere Worte. Die Wut geht längst nicht mehr von der verquerdenkenden Minderheit aus. Und die Philosophin Sabine Döring warnt davor, dass irgendwann auch einmal die Geduld derjenigen endet, die sich freiwillig vernünftig und solidarisch in der Pandemie verhalten.
Derzeit wird viel geredet über diese Wut, wie mit ihr umzugehen sei und woher sie komme. „Warum sind alle so wütend?“ fragt zum Beispiel der Podcast „Lakonisch elegant“, und unter der Prämisse, dass es keine dummen Fragen gebe, lässt sich das auch halbwegs anhören. Immerhin verleiht das Thema einem Gefühl Ausdruck, das gerade sehr viele Menschen teilen. Im Podcast versucht Philosoph und Journalist Nils Markwardt diese Frage mit einer These zu beantworten: Wir spürten gerade die „kybernetische Illusion“. Wir hätten eine Vorstellung von Gesellschaft, die so gesteuert werden könne, dass ein Ist-Wert in einen Soll-Wert verwandelt werden kann, zum Beispiel die Zahl der Neuinfektionen und der Bettenbelegung. Und uns frustriere die Desillusionierung von dieser Vorstellung.
Ich halte diese These für falsch und auch problematisch.