Asylmissbrauch

tl;dr: Ein ekelhaftes Spiel.

asyl

Ich weiß nicht, was die „Zeit“ geritten hat, dem CSU-Scharfmacher Andreas Scheuer Platz für einen eigenen Kommentar einzuräumen (und überhaupt finde ich die Angewohnheit mancher Zeitungen, aktive Politiker Propaganda in ihren Blättern publizieren zu lassen fragwürdig und verbuche das unter „zu faul für ein Interview“) aber nun denn.

Scheuer will so genannten „Asylmissbrauch“ bekämpfen. Der erste Satz lautet: „Zum Grundrecht auf Asyl sage ich uneingeschränkt Ja.“ und das ist natürlich wie das übliche „Ich bin ja kein Nazi, aber…“ zu lesen, auf das unter Garantie Bullshit folgt. Asyl kann nicht missbraucht werden. Asyl ist ein Grundrecht – nicht nur nach dem stark eingeschränkten deutschen Grundgesetz sondern auch in der international festgelegten Charta der Menschenrechte. Wenn ich ein Recht in Anspruch nehmen will, muss ich einen Antrag stellen dürfen. Wenn ich im Sinne der Gesetze keinen Anspruch auf Asyl habe, wird mein Antrag eben abgelehnt. So einfach ist das.

Niemand käme auf die Idee, Zahlen zu veröffentlichen, wieviele Menschen einen Antrag auf Arbeitslosengeld, eine Kur oder einen Studienplatz stellen, der dann abgelehnt wird. Und niemand käme auf die Idee, das Stellen eines solchen Antrages als „Missbrauch“ zu bezeichnen. Dass dies nur bei Geflüchteten so gemacht wird, zeigt das rassistische Denken der geistigen Brandstifter, die Formulierungen wie „Asylmissbrauch“ in die Welt setzen. Wenn ein CSU-Generalsekretär dieses Wort benutzt, muss ja was dran sein, werden viele Menschen denken. Er treibt damit Nazis und Pegidioten vor die Asylbewerberunterkünfte und stellt den echten Brandstiftern schon den Benzinkanistern bereit.

Natürlich versucht Andreas Scheuer, sein ekelhaftes Spiel mit Fakten zu untermauern: Angeblich würden viele Menschen vom Balkan einen Antrag auf Asyl stellen, damit sie in Deutschland für ein paar Monate in Aufnahmelagern leben und 143 € Taschengeld kassieren können. Selbst wenn das so stimmt: Was wären die Alternativen? Asylanträge von Menschen vom Balkan grundsätzlich nicht mehr annehmen? Dann hätten diejenigen, die zu recht Asyl beantragen, keine Chance mehr, ihr Grundrecht wahrzunehmen. Oder ihnen das Leben in den Aufnahmelagern zur Hölle machen? Dann machen wir gleichzeitig auch das Leben derjenigen zur Hölle, die schon eine Hölle hinter sich haben. Gutscheine statt Geld verteilen? Besonders diese Forderung appelliert an die niedersten Instinkte neidbürgerlicher Gartenzwerg-Züchter – und übersieht völlig, dass das Einkaufen, Zusammenstellen und Verteilen von Naturalienpaketen wesentlich teurer ist, als das Geld einfach zu verteilen – ganz abgesehen von der Frage, dass Menschen ganz unterschiedliche Bedürfnisse haben. Siehe auch die unsägliche Diskussion um Smartphones.

Man muss sich klarmachen, dass Andreas Scheuer versucht, das Versagen des deutschen Verwaltungsapparates zu kaschieren, der die Zustände in Erstaufnahmelagern zu verantworten hat. Scheuer tut dies auf dem Rücken geflüchteter, die Bürgerkrieg und Verfolgung hinter sich haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihm nicht völlig klar ist, dass er damit auch Öl ins Feuer der nächsten brennenden Geflüchtetenunterkünfte gießt.

 

Das Märchen von der Zwangsabgabe

tl;dr: Es passiert auch linken Menschen und ausgewiesenen Anti-Rassisten, auf die Rhetorik-Tricks vom rechten Rand hereinzufallen.

geld

Zunächst möchte ich kurz um Entschuldigung bitten. Das folgende Stück liest sich wie ein Beitrag zur immergleichen Empörungskultur in den sozialen Medien. Das ist nicht meine Absicht. Ich möchte zeigen, wie leicht eins unabsichtlich auf rhetorische Tricks der Neurechten, Pegidioten und Nazis hereinfällt und diese übernimmt. Insbesondere sobald es um Geld und das eigene Portemonnaie geht, hört die Liebe nämlich ganz schnell auf – und rechte Rhetoriker wissen das.

Die Geschichte beginnt mit der wohlmeindenden Äußerung des Schauspielers Walter Sittler, mehr Geld für Geflüchtete bereit zu stellen. (Facebook-Link). Er schlägt unter anderem vor, dass wir alle 0,5 % unseres Jahresgehaltes spenden – der etwas hilflose Versuch, angesichts des braunen Mobs, zu Solidarität aufzurufen. Sofort ist das Wort „Zwangsabgabe“ in der Welt. Darüber regen sich viele Menschen auf, ganz als hätte Angela Merkel höchstselbst die Einführung einer Zwangsabgabe zum 1. August angekündigt – und nicht irgend ein Schauspieler in einer Talkshow. Da frage ich mich natürlich: Wäre diese Empörung genauso groß ausgefallen, wenn Sittler zu – sagen wir mal – Spenden für den Tierschutz aufgerufen und Bilder von Robbenbabies gezeigt hätte?

Traurig an der Geschichte ist, dass auch Menschen, die sich selbst eher links verorten, ausgewiesene Antirassisten sind durchaus für Geflüchtete einsetzen, auf diesen Zug aufspringen. Das polemische Schlagwort einer vermeintlichen „Zwangsabgabe“ aus dem Mund eines Schauspielers scheint auszureichen, dass die Menschen ihre Gehirne ausschalten und ihren Geldbeutelschutzreflexen nachgeben. Die Argumente, die sie äußern, erinnern erschreckend an das, was sich sonst aus der braunen Ecke zu hören ist:

Erstes Argument: „Zwangsabgabe? Dann zahlen wieder nur die kleinen Leute.“ Es ist nur Millimeter entfernt von „Die geben unser Geld für Ausländer aus statt für die wirklich bedürftigen Deutschen“. Geflüchteten soll geholfen werden, aber bitteschön nicht auf meine Kosten.

Wenn jemand dann darauf hinweist, dass von einer Zwangsabgabe nicht die Rede sein kann und jemand gerne zu Spenden aufrufen möchte, folgt Argument 2: „Spenden sind doof, siehe Tafeln und Hartz IV, die helfen nur, dass sich der Staat aus der Verantwortung stehlen kann.“ Da ist sicher was dran. Wenn es um die Tafeln geht. Ansonsten: Ich stelle mir das gerade bildlich vor, wie ab jetzt Woche für Woche Hunderttausende auf die Straße gehen und mehr Geld für Geflüchtete fordern, bis der Staat endlich einlenkt seine Ausländerpolitik ändert. Ich glaube, dass denjenigen, die dieses Argument benutzen, gar nicht bewusst ist, wie zynisch ihre Reaktion klingt.

Im weiteren Verlauf der Diskussion kommt dann Argument Nummer drei: „Die Politiker, Nato und die bösen USA sind Schuld an den Zuständen in Ländern wie Syrien. Ohne diese hätten wir gar kein Flüchtlingsproblem.“ Das Argument kommt gerne auch in der Geschmacksrichtung: „Waffenhandel verbieten, ohne Waffen kein Bürgerkrieg und ergo keine Flüchtlinge.“ Ja, es ist richtig, dass die Konflikte in vielen Ländern auch Folge der westlichen Politik sind und ja, Geld mit Waffenhandel zu verdienen, ist in vielen Fällen unethisch. Das ändert aber nichts daran, dass selbst wenn diese politischen Forderungen eines fernen Tages tatsächlich  umgesetzt ist und der Waffenhandel global zu Erliegen gekommen ist, die Flüchtenden hier und heute vor unserer Tür stehen und Hilfe brauchen. Die Argumentation, „die da oben“ seien Schuld an der Misere, ist gerade auch bei Pegida, AfD und NPD sehr beliebt. Das Argument ist eng verwandt mit der Aussage, die Leute sollten ihr eigenes Land in Ordnung bringen, statt zu uns zu flüchten. Damit versucht die neue Rechte schon lange, ihr völkisches, nationalistisches und ausländerfeindliches Denken in der Mitte der Gesellschaft zu verankern. So zu denken ist ja auch äußerst angenehm: es entlastet einen selbst von jeglicher Verantwortung und kann so jede Forderung, Geflüchteten zu helfen weit von sich weisen: Warum fragt ihr mich, schließlich sind „die Politiker“ schuld!

Kommen wir am Ende noch zurück zur eigentlich gar nicht im Raum stehenden „Zwangsabgabe“ und zu Argument Nummer 4. Eine solche Zwangsabgabe sei unklug, da das die Abwehrhaltung in der Bevölkerung gegenüber Flüchtlingen verschlimmere. Der Haken: Deutschland gibt derzeit fast 3 Milliarden Euro Steuergelder für Geflüchtete und Asylbewerber aus. Die Zwangsabgabe besteht also längst, schließlich können wir uns nicht aussuchen, ob wir unsere Steuern zahlen wollen oder nicht. (Und das ist gut so.) Würde der Staat aus Angst vor Krawall von Rechts und nur um die Demonstranten und Brandstifter vor den Asylbewerberunterkünften diese Steuergelder nicht mehr ausgeben(*) – die Rechten von Pegida bis NPD hätten gewonnen. Mit freundlicher Unterstützung übrigens all derer, die sich gerade über einen Spendenaufruf eines Schauspielers aufregen, den irgendjemand „Zwangsabgabe“ genannt hat.

P.S.: (*) Der Staat versucht übrigens genau das.