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Urheberrecht: Lernt zu teilen! Bevor es zu spät ist:Die Internetgemeinschaft will teilen und kopieren und nicht wegen jeder Donald-Duck-Torte im Kindergeburtstagsvideo auf YouTube verklagt werden. Es könne nicht sein, sagt der Blogger Marcel Weiß, dass unsere Gesellschaft die heranwachsende Generation kriminalisiert, weil sie das im Netz macht, was wir alle früher auf dem Pausenhof gemacht haben: Kulturgüter tauschen. Die Verwerter wettern dagegen. Sie wollen nur teilen, wenn jemand bezahlt. Die Pausenhofmetapher hält Alexander Sikpis, Geschäftsführer des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, für eine romantisierende Verharmlosung: »Illegale Downloads sind ein Massenphänomen. Da steckt richtig kriminelle Energie dahinter«, sagt er im Vorfeld der Leipziger Buchmesse.
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Die Brille für die Beine:Das mag sich für Leute seltsam anhören, die beim Begiff “behindert” nur in Rollstuhldimensionen denken und alle paar Jahre durch die Paralympics zappen. Aber eigentlich ist der Ansatz, Einschränkungen als völlig normalen Teil des Lebens zu begreifen, sehr sinnvoll, vielleicht sogar der einzig sinnvolle.
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Die Netzgemeinde:Wie man leicht sieht, sind beliebige Ordnungssysteme frei definierbar und können von jedermann mit jedermann vereinbart werden. Wenn man dann noch die Perspektive definiert (medienpolitisch, juristisch, chemisch, philosophisch o.ä.) und sich anhand einiger Einzelbeispiele verständigt, was einvernehmlich als das verbindende Dritte aller Beispiele sein soll, so kann man einen Begriff wie „Netzgemeinde“ ohne weiteres täglich verwenden, zum Beispiel für rote und grüne einbalsamierte Milchschweine oder für drei unzählbare Fabeltiere, und wird daran allerlei Erkenntnisfortschritt haben.
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Menschen, Medien und Maschinen:
Warum die Gefahren der »Filter Bubble« überschätzt werden:Im Hinblick auf Neues ist die Theorie von der Filterbubble sogar fachlich falsch. Es kann daher auch gar nicht dazu kommen, dass – wie die Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel annimmt – »perfekte Algorithmen« dazu führen werden, dass »es keinen kritischen Diskurs mehr (gäbe)« und »unser System auseinanderfällt«. Aus vier Gründen scheinen solche apokalyptischen Szenarien abwegig: Erstens werden Algorithmen so programmiert, dass sie lernfähig sind; zweitens sorgt schon das ökonomische Interesse, Neuheiten zu verkaufen, für ständige Innovation; drittens verdrängt das Internet ja die alten Medien nicht, sondern bildet sie, wenn auch in anderen Formaten und Formen, in sich ab, wodurch ihre Inhalte weiter zugänglich bleiben. Und viertens verweisen Informationen, die der Verlinkungs- und Kommentierungslogik des Webs folgen, recht bald auf abweichende Meinungen, Sachverhalte und Perspektiven. -
Nachtrag: Berlins Brennende Autos:Hat sich eingentlich irgendwer von denen entschuldigt, die der todsicher linksradikal-terroristischen Autoanzünder wegen mehr Überwachung gefordert hatten? Mehr V-Leute in der linken Szene? Vorratsdatenspeicherung? Überhaupt wegen der ganzen Hetzerei? Und erst die Funkzellenabfragen – die sind ja schon völlig in Vergessenheit geraten, obwohl sie nullkommanix gebracht haben, außer eben schön viel Daten für die polizeilichen Datenbanken.
Kategorie: Blog
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Frauentag – Die Welt verändern:Ich sehe dir zwischen die Beine und finde es lächerlich und peinlich, wenn du mit einer Puppe spielst. Sozial sein, mütterlich kümmern, das ist etwas für Mädchen. Technik und bauen und Autos, das ist für Jungen. Und dann geht ein überraschter Aufschrei durch die Gesellschaft, wenn man feststellt, dass im Informatikstudium nur 10% der Studenten weiblich sind, im Psychologiestudium hingegen 90%. Fakt ist, dass wir bei Männern und Frauen gleichermaßen Potential töten.
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Von der kaum noch fassbaren Unbeliebtheit des US-Kongresses:Heute haben wir gute Nachrichten für die FDP — es gibt noch andere Politiker auf der Welt, die am unteren Ende der Beliebtheitsskala krebsen. Da wäre der ganze Kongress der USA, dessen Arbeit von den Amerikanern so mies bewertet wird, dass der Presse langsam die Vergleiche ausgehen. Und während die deutschen Liberalen noch mehr als ein Jahr Zeit haben, um es wieder zu richten, wird in den USA schon im November das ganze Repräsentantenhaus und ein Drittel des Senats neu gewählt.
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Automatisierte Profile in Online-Netzwerken: Ein Twitterbot zum Verlieben:Im ersten Fall erforschten Wissenschaftler der kanadischen University of British Columbia das Netzwerk Facebook, indem sie Programme schrieben, die gefälschte Konten auf Facebook führten. Mit Erfolg: Ein Fünftel der Freundschaftseinladungen der Botkonten auf Facebook wurde angenommen. Sie erhielten so innerhalb einer Woche Zugriff auf Tausende werberelevante Datenpunkte – Alter, Adressen und Telefonnummern. Auch das Abwehrsystem Facebooks versagte: Von 102 Botkonten wurden nur 20 gesperrt.
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Podcast mit Poppe: ACTA erklärbärt
Donnerstag Abend habe ich mit Thomas Poppe über das Thema ACTA telefoniert. Gibt ja kaum ein Thema, wo sich Gerüchte und Realität ähnlich stark vermischen. Gelernt: Einen Sachverhalt klar strukturiert rüberbringen ist mündlich wesentlich schwieriger als schriftlich. Ich glaube, aber, mein erster Podcast ist ganz brauchbar geworden. Anhören kann man das und noch etliche andere interessante Podcasts drüben beim Poppe.
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deutsche datenschutz paradox-paradoxien:in den kommentaren unter richard gutjahrs artikel wird schön herausgearbeitet wo das eigentlich problem liegt könnte. nämlich dass vielleicht nicht die gesammelten und gehandelten daten das problem darstellen, sondern unsere völlige unentschlossenheit was jetzt gutes datensammeln und was schlechtes datensammeln sein könnte.
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Welt Kompakt, Christoph Keese und das Recht am eigenen Tweet:Den Titelseiten-Tweet gibt es bei Welt Kompakt seit glaube ich fast zwei Jahren. Immer wieder habe ich in dieser Zeit Kritik dazu gehört: Leute ärgerten sich darüber, dass sie nicht gefragt wurden, ob ihr Tweet ins Blatt darf und Leute ärgerten sich darüber, dass sie, wenn das Blatt erschienen war, davon dann auch nichts erfuhren, es sei denn, jemand aus ihrem Umfeld informierte sie darüber. Ich selber war glaube ich noch nie auf der Titelseite, allerdings würde ich das vermutlich auch gar nicht mitbekommen, denn weder lese ich Welt Kompakt, noch tun das die Leute aus meinem direkten Umfeld. Und wenn doch, schämen sie sich hoffentlich so sehr dafür, dass sie es besser für sich behalten.
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Eigentum, geistiges:Der Ausdruck kommt so plausibel daher, dabei ist er eine Propagandavokabel, die lediglich Assoziationen wecken soll.
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Die echte Facebookfalle und wie wir wieder herauskommen:Facebook ist der zentrale Identitätsprovider im Internet und das ist politisch brisant. Das Bereitsstellen von Identität war lange eine hoheitliche Aufgabe von zentraler Bedeutung. Doch warum sollte ausgerechnet der Staat für die Identität eines Nutzers bürgen, wenn das Internet von vornherein international funktioniert? Es muss eine internationale Struktur sein, die Identität im Internet providet. Facebook hat also schon gewonnen, die Frage ist nur: wie allumfassend? Welche Machtfülle ergäbe sich aus der Tatsache, dass Facebook zur allgemein anerkannten Infrastruktur zur Gewährleistung von Identitätsintegrität wird?
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Bürgerliquid:Da drängt sich doch der Gedanke auf: Warum macht die Fraktion kein Bürgerliquid, also eine LiquidFeedback-Instanz, an der jeder Berliner teilnehmen kann? Ich glaube, dass das möglich und wünschenswert ist.
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Links der Woche
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Wir, die Netz-Kinder:Wir “surfen” nicht im Internet und das Internet ist für uns kein “Ort” und kein “virtueller Raum”. Für uns ist das Internet keine externe Erweiterung unserer Wirklichkeit, sondern ein Teil von ihr: eine unsichtbare, aber jederzeit präsente Schicht, die mit der körperlichen Umgebung verflochten ist. Wir benutzen das Internet nicht, wir leben darin und damit.
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Die BILD der Netzgemeinde:Deutschlands Rant-Blogger Nummer eins, die polemische Volksfront des Chaos Computer Clubs, ist vom eigenen Erfolg offensichtlich endgültig überwältigt worden: Felix von Leitner, besser bekannt als Fefe. Es fing irgendwann mit T-Shirts an. “Was täte Fefe”, der Weise. Zuletzt hielten Plakate auf den Anti-ACTA-Demonstrationen seinen Namen hoch: “seht her, wir sind Fefes Block”, rufen sie. Fefe freut sich. Er hat jetzt einen aktiven Arm. Fefe mobilisiert. Wir sind Fefe! Aber was tut Fefe mit diesem Einfluss? Er fängt einen Feldzug gegen die Piratenpartei an.
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Das „geistige Eigentum“ ad-ACTA:Wenn sich Kommunikationsformen ändern, dann ändert sich das Fundament der Gesellschaft – und heute werden die Weichen gestellt, was auf diesem neuen Fundament erwachsen kann – oder auch nicht. Wohin es führt, wenn in einer Gesellschaft Minderheiten und Funktionäre darüber befinden, was an Kommunikation, was an Wissensaustausch erlaubt ist und was nicht, das sollte bekannt sein. Weil es um fundamentale Fragen gesellschaftlicher Entwicklung und nicht nur um die (organisierten) Interessen von Minderheiten geht, werden die Konflikte vermutlich noch erheblich an Schärfe zunehmen.
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Merkels Schmach oder Merkels Triumph? Quark!:Angela Merkel wollte Gauck nicht haben, und es gibt keinen Grund, das nicht zu glauben und ihr irgendwelche macchiavellistischen Strippenziehereien zu unterstellen. Dass Merkel Gauck nicht wollte, damals nicht und jetzt eigentlich auch noch nicht, gibt mir übrigens ziemlich zu denken. Denn ich halte Merkel für einen klugen Kopf, und sie kennt Gauck sicherlich besser als ich. Sie wird ihre Gründe haben, fürchte ich.
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Liebe “Deutsche Content Allianz”:Warum bekomme ich einen Knoten ins Hirn, wenn ich mit Vertretern abstruser Thesen im Netz über den Unterschied zwischen Verwertungsrechten und Urheberrechten diskutiere, und genau denselben Knoten, wenn ich beispielsweise solche Statements zu verstehen versuche? Warum spricht die Deutsche Content Allianz von Urheberrechten, und meint Verwertungsrechte?
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Klarsfeld oder Einheitsgauck?
Piraten und Linke stecken in einem Dilemma: Gegen den großen Einheits-Gauck will niemand antreten. Die meisten Kandidaten kommen wegen ihres Parteibuches bei CxU, SPD, Grüne und FDP nicht in Frage oder winken ab. Wer will schon ohne Aussicht auf Erfolg kandidieren? Wenn es aber albern wird, gegen den Favoriten anzutreten – wird damit nicht die ganze Wahl zur Farce? So sehr ich mir eine Persönlichkeit wie Hans-Jürgen Papier oder Jutta Limbach wünschen würde – in dieser Situation bleibt eigentlich nur die Enthaltung oder eine PR-Aktion, die der Öffentlichkeit zeigt, was für eine Shownummer diese Wahl ohne Auswahl für das höchste Staatsamt ist.
Ich finde es im kleinen selbst ziemlich ärgerlich, dass ich morgen wohl keinen Gegenkandidaten haben werde. Konkurrenz und Wahlkämpfe sind wichtig, weil sich die Kandidaten mit den Standpunkten und Argumenten ihrer Kontrahenden auseinander setzen müssen. Ein von den Spitzen so vieler Parteien ausgeklüngelter Kandidat fühlt sich oktroyiert an. Wulff konnte von sich sagen, dass er eine Wahl gewonnen hat. Bei Gauck müsste man fragen: Gegen wen?
Bleibt der kleinen Opposition also nur noch eine PR-Aktion nach dem Muster: „Ich habe keine Chance, aber ich nutze sie.“ Georg Schramm hat sich selbst zum Maulhelden gemacht. Die wundervolle Chance auf ein einmaliges Stück ((Sur)Real)Satire ist vertan und die Dombrowski-Nummer wird über Nacht fade.
In dieser Situation kommt die Linkspartei mit Beate Klarsfeld. Wie @tarzun sagt: „Bei den Linken sitzen offenbar Leute, die wissen wie man *richtig* trollt.“ Diese Nominierung ist ein genialer Hack und eine herrliche Provokation. Leider weiß ich zu wenig über ihre an Selbstjustiz grenzenden Aktionen und ihre Ansichten, um mir ein wirkliches Urteil zu bilden. Im Gegensatz zu Gauck ist das Web bei ihr nicht voller Interviews, Aufsätze und Videos mit ihren Äußerungen. Letztlich steht sie für die Ohrfeige, die sie einst verabreichte. Ob sie das präsidiabel macht? Wahrscheinlich nicht, was die Wahl nicht leichter macht. Menschlich verdient sie jede Hochachtung.
Aber eigentlich ist das alles unwichtig. Deshalb lest ihr jetzt bitte alle diesen Artikel und geht morgen wieder gegen ACTA auf die Straße. Danke.
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ACTA erklärbärt
Glaubt man den Gegnern des Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommens, kurz ACTA (Anti-Counterfeiting Trade Agreement), droht das Ende des Internet, wie wir es kennen. Stehen erst alle Unterschriften unter dem Vertrag, werden, so die Kritik, Internet-Provider für die Verbreitung unerlaubter Inhalte über ihre Netze in Haftung genommen. Als illegal eingestuftes Material aus dem Ausland würde mit Netzsperren versehen – also STOPP-Schildern, wie die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) 2009 noch für Kinderpornografie forderte. Nutzer unterlägen der »Three-Strikes-Regelung«: Wer bei Urheberrechtsverletzungen wie dem Download eines Musikstückes aus einer Tauschbörse ertappt wird, bekommt eine erste und zweite Warnung, bevor beim dritten Verstoß die Leitung gänzlich gekappt wird. Und natürlich würde per Vorratsdatenspeicherung unser Online-Verhalten überwacht werden, um illegale Nutzung nachträglich feststellen und bestrafen zu können.
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„Habt ihr auch mal gelesen, was in ACTA eigentlich drinsteht?“
Glaubt man den Gegnern des Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommens, kurz ACTA (Anti-Counterfeiting Trade Agreement), droht das Ende des Internet, wie wir es kennen. Stehen erst alle Unterschriften unter dem Vertrag, werden, so die Kritik, Internet-Provider für die Verbreitung unerlaubter Inhalte über ihre Netze in Haftung genommen. Als illegal eingestuftes Material aus dem Ausland würde mit Netzsperren versehen – also STOPP-Schildern, wie die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) 2009 noch für Kinderpornografie forderte. Nutzer unterlägen der »Three-Strikes-Regelung«: Wer bei Urheberrechtsverletzungen wie dem Download eines Musikstückes aus einer Tauschbörse ertappt wird, bekommt eine erste und zweite Warnung, bevor beim dritten Verstoß die Leitung gänzlich gekappt wird. Und natürlich würde per Vorratsdatenspeicherung unser Online-Verhalten überwacht werden, um illegale Nutzung nachträglich feststellen und bestrafen zu können.
Dieses Szenario jedenfalls wird auf zahllosen Webseiten, Blogs und in Videos an die Wand gemalt. Die Sache hat nur einen Schönheitsfehler: Keine der eingangs genannten Horrormaßnahmen stehen im ACTA-Vertrag. Wer das Abkommen genauer unter die Lupe nimmt, wird feststellen, dass das ACTA eigentlich nur international festschreibt, was in Deutschland sowieso schon Recht und Gesetz ist…
Der vollständige Text erschien in der heutigen Ausgabe des „Neuen Deutschland“.
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Kein Präsident für Piraten
Ja klar, 2010 habe ich Joachim Gauck unterstützt. Er erschien mir als integre und präsidiable Persönlichkeit, vor allem auch im Kontrast zu Christian Wulff. Bürgerrechtler und Regime-Gegner zu DDR-Zeiten, redet meistens Klartext, Demokrat und liberal, Verantwortung und Initiative der Bürger unterstreichend – das muss ein Pirat doch gut finden! Leider gibt es da ein paar Punkte…
- In dem Interview beispielsweise, in dem Gauck dem Rassisten Sarrazin Mut attestiert, distanziert der Gauck sich zwar von Sarrazins Biologismus und legt der SPD verklausuliert nahe, ihn rauszuwerfen. Das hindert Gauck aber nicht daran, ähnliche Thesen an anderer Stelle zu vertreten. Die Piratenpartei fordert Integration und lehnt die Ausgrenzung von Mitmenschen aufgrund ihrer Herkunft ab.
- Gauck bezeichnet die Kapitalismus-Kritik und Occupy-Proteste der letzten Monate als „albern“. In der Piratenpartei gibt es keine Beschlüsse zu dem Thema, aber viel Sympathie für Occupy. Noch wichtiger: Die Piratenpartei steht dafür, genau hinzuhören, wenn Bürger auf die Straße gehen. Eigentlich sollte Joachim Gauck mit seiner DDR-Biographie das auch tun, anstatt die Kritiker verächtlich zu machen.
- Ganz ähnlich sieht es mit Hartz IV aus. Joachim Gauck erscheint geradezu beleidigt, dass sich die Bewegung gegen Hartz-IV den Namen „Montagsdemonstrationen“ gab und nennt sie kindisch. In der Piratenpartei hingegen gibt es mittlerweile den Beschluss, Hartz IV zu humanisieren.
- Zentraler Punkt für die Piratenpartei ist jedoch, dass Gauck ein Befürworter der mitterweile vom Verfassungsgericht kassierten Vorratsdatenspeicherung ist. Man könnte glatt meinen, Gauck halte staatliche Überwachung für weniger schlimm, sobald sie nicht mehr durch einen sozialistischen Staat ausgeübt wird.
- Natürlich findet es Gauck als DDR-Bürgerrechtler gut, dass Abgeordnete der Linkspartei vom Verfassungsschutz bespitzelt werden. Zum Versagen in Sachen Rechtsterrorismus und offenbar gar gezieltem Wegsehen der Ermittlungsbehörden und Geheimdienste hingegen ist keine Äußerung von Gauck überliefert – stattdessen aber die Ansicht, die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze sei grobes Unrecht gewesen.
Man sieht: Gauck ist ein zutiefst konservativer Mensch, für den die Zeit 1989 stehen geblieben sein muss. Er ist der Kandidat für den Neoliberalismus vergangener Jahre, aber keiner für die Probleme der Gegenwart. Natürlich kann man Gauck trotz allem noch gut finden, allerdings sollte man sich klar gemacht haben, wofür er steht. Gauck wäre nicht der erste Rechtsaußen-Präsident in der Geschichte und vermutlich auch nicht der schlechteste. Für Piraten ist er schlicht und ergreifend nicht wählbar.
Nun ist relativ egal, was die Piraten denken, da sie ja sowieso nur 2 von über 1200 Sitzen in der Bundesversammlung haben. Trotzdem sollte es Aufgabe der Piraten sein, daran zu erinnern, dass hier ein Demokratieversagen großen Ausmaßes stattfindet. Die Präsidentschaftskandidaten sollen eigentlich von den Wahlleuten oder Fraktionen aufgestellt und gewählt werden. Hier jedoch wird ein Einheitskandidat von einer größtmöglichen Einheitskoalition präsentiert, was den Wahlleuten jede Chance zur Wahl nimmt und sie zu bloßen Abnickern macht. In der DDR nannte man sowas Blockflöten.
In dieser Situation wäre es gut, die Wahlleute der Piraten schlügen – enventuell auch in Zusammenarbeit mit der Linken – eine konsensfähige und integre Persönlichkeit vor, die von (nahezu) allen Parteien wählbar ist, eine echte Alternative zu Joachim Gauck darstellt und Wahlleuten sämtlicher anderer Parteien die Gelegenheit gibt, gegen einen oktroyierten Einheitskandidaten zu stimmen. Meiner Meinung nach wäre Hans-Jürgen Papier ein hervorragender Kandidat (der Gerüchten zufolge nicht abgeneigt sei). Das wäre dann jemand, bei dem sich wenigstens ein Teil der Bundesversammlung fragen muss: „Warum genau wähle ich den Gauck jetzt eigentlich?“.
Update: Oder – ebenfalls eine hervorragende Idee – Christian Führer.
Update: Es gibt noch ein Problem: Laut Wikipedia hatte Gauck November 1988 Besuch von der Stasi, worauf hin diese auf weitere Maßnahmen gegen ihn verzichtete, nachdem sie ihn jahrelang oberserviert hatte. Offenbar wird Gauck verdächtigt, irgend eine Form von Deal mit der Stasi geschlossen zu haben. Laut Gießener Zeitung genoss Gauck in der DDR eine Reihe von Privilegien. Im Sommer 1991 konnte er sich stundenlang mit seiner Akte im Rostocker Bezirksarchiv einschließen, was rechtswidrig war. Auch wenn der Artikel in der Gießener Zeitung in eine absurde Verharmlosung der Stasi gipfelt, sind das Verdächtiungen, die besser vor der Wahl erschöpfend geklärt werden sollten. Wäre doof, wenn wir in ein bis zwei Jahren schon wieder einen Nachfolger für ihn wählen müssten…
Update: Anatol Stefanowitsch anaylsiert sehr schön, warum die Gauck-Zitate zwar verkürzt sein mögen, sie unterm Strich aber sehr wohl aussagen, was ihnen zunächst untestellt wurde.
Update: Ich habe das ganze nochmal für den „European“ zusammengefasst. Dort gehe ich auch nochmal auf den Vorwurf ein, die Zitate seien aus dem Kontext gerissen.