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protestwahl:
„klar gibt es neben den bürgerrechten andere wichtige themen. aber das misstrauen der parteien gegenüber ihren wählern und nicht-wählern, also gegenüber den bürgern, hat in den letzten 30 jahren so dermassen zugenommen und die rechte der schwächeren glieder im staatgefüge so enorm geschwächt, dass es mir unlogisch erscheint diesen menschen und parteien vertrauen zu schenken.“
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Gamechanger Hilflosigkeit:
„Die sich gerade abzeichnende Hilflosigkeit gegen Prism und co. ist der Gamechanger, der nicht unterschätzt werden darf. Alle Datenschutzerklärungen sind auf einen Schlag null und nichtig. Alle Datenschutzgesetze sehen ab nun an aus wie Hohn. Und wie will man den Bürgern in Zukunft erklären, dass es wichtig ist, gegen die Vorratsdatenspeicherung auf die Straße zu gehen, wenn jeder weiß, dass die NSA eh zuhört?“
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War was?:
„Die Kanzlerin bedient sich der bekannten Beschwichtigungstaktik. Interessant ist zunächst, dass sie von PRISM & Co. nichts gewusst haben will. Begründung: Für die Koordination der Geheimdienste gebe es einen eigenen Mitarbeiter im Kanzleramt. Das provoziert nun wirklich die Frage: Ist eine Kanzlerin up to date, die sich nicht mal ansatzweise damit zu beschäftigen scheint, was die Geheimdienste so machen – und wie die deutsch-amerikanische Freundschaft mittlerweile konkret ausgestaltet ist? Schwer vorstellbar, wo doch gerade Frau Merkel als pedantisch und interessiert gilt. Mir drängt sich eine ganz andere Erklärung auf: Die Kanzlerin lügt uns ins Gesicht, wenn sie sich unwissend stellt.“
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Wie Copyright Bücher und Musik verschwinden lässt: Studie von Paul Heald:
„Im März vergangenen Jahres veröffentlichte der US-amerikanische Copyright-Forscher Paul Heald Ergebnisse einer laufenden Untersuchung über die Verfügbarkeit von Büchern bei Amazon, die eindrucksvoll die sogenannte “Lücke des 20. Jahrhunderts” illustrieren: Die Länge urheberrechtlicher Schutzfristen von 70 Jahren nach dem Tod des Autors führt dazu, dass ein großer Teil der Werke schon bald gar nicht mehr verfügbar ist, weil sich deren kommerzielle Verwertung nicht mehr lohnt.“
Kategorie: Blog
Blogposts
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Links der Woche
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Mail verschlüsseln: Hier ist mein Key
tl;dr: Seine E-Mail nicht zu verschlüsseln, ist grob fahrlässig, schon ganz ohne Prism. Hier ist mein GPG Public Key.
GPG nutze ich schon lange. Vor Jahren habe ich meine Kollegen auf der Cebit damit genervt, doch bitte den Heise-Stand aufzusuchen, um sich Keys erzeugen zu lassen, um einen Keyserver aufzusetzen. Wirklich durchgesetzt hat es sich nie: GPG habe ich immer nur eingesetzt, wenn es um den Austausch vertraulicher Information ging, und selbst da selten durchgängig, weil die wenigsten meiner Gesprächspartner ihre Mails verschlüsseln, was gerade auch im geschäftlichen Verkehr erschreckend naiv erscheint. Das ist reine Bequemlichkeit, denn wenn es erstmal funktioniert, dann auch unproblematisch.
Dabei brauchen wir gar nicht die ganz große Kanone „Prism“ aufzufahren. Gerade auch im geschäftlichen Bereich reicht es, dass ein Mitarbeiter der beteiligten Firmen mit Zugriff auf die Mailserver Daten abfischt – zu welchem Zweck auch immer. Unverschlüsselte E-Mails gleichen immer schon einer Postkarte. Jeder, dessen Weg sie zufällig kreuzt, kann einen Blick drauf werfen. Auf Twitter schrieb ich gerade, nicht zu verschlüsseln sei damit vergleichbar, seine Haustür nicht abzuschließen, und bekam eine Reihe seltsamer Antworten. Dass es darum ginge, in einer Welt leben zu können, in der man seine Haustür nicht abzuschließen brauche. Dass immer noch diejenigen die Verbrecher seien, die einbrechen, und nicht diejenigen, bei denen eingebrochen wird. Ja bestreitet das denn jemand? Einer hat meinen Tweet sogar mit der Aussage verglichen, dass Frauen an Vergewaltigungen selbst schuld seien, wenn sie zu leicht bekleidet sind. Ja geht’s noch?
Es geht beim Verschlüsseln nicht darum, vor Prism zu resignieren (auch wenn uns wohl derzeit nicht viel anderes übrig bleibt), sondern darum, Privatsphäre in einem öffentlichen Raum zu schaffen. Dass das Internet ein öffentlicher Raum ist, scheinen viele immer noch nicht so recht begriffen zu haben. Wir hinterlassen permanent Datenspuren, die an verschiedenen Stellen zusammenlaufen und aggregiert sehr vieles über uns verraten. Daran können wir nichts ändern, es sei denn, wir verzichten auf die Segnungen des Internet. Das Internet ist jedoch eine einzige, riesige Datenkopiermaschine, eine Anti-Privatsphäre-Maschine. Das beginnt schon damit, dass wir Daten schriftlich hinterlassen, die uns später unter die Nase gerieben werden können, auch wenn wir sie auf Facebook als vermeintlich „privat“ posten. Es führt also kein Weg drum herum, sich im Internet wie in einem öffentlichen Raum zu verhalten. Ich finde es auch nicht besonders problematisch: Stichwort Post Privacy. Ich glaube immer noch, dass eine Gesellschaft, die es lernt, mit offenen Daten umzugehen, eine bessere wird, weil sie zur Toleranz gezwungen ist.
Trotzdem brauchen wir Privatsphäre. Bestimmte Dinge verraten wir eben nicht so gerne der Öffentlichkeit, und das aus ganz individuellen Gründen und Ängsten heraus. Der Postprivacy-Ansatz ist da durchaus richtig: Dass wir Angst davor haben, etwas öffentlich zu machen, ist ein Indikator für einen gesellschaftlichen Missstand, der diskutiert und behoben werden muss. Allein: Der „bessere Mensch“ erzieht sich nicht von heute auf morgen und wahrscheinlich nie. Das zeigt sich schon anhand von Daten, die man gar nicht effekt geheim halten kann, zum Beispiel Geschlecht und Hautfarbe. #Aufschrei ist nur ein Beispiel. Selbstverständlich gibt es Information, die besser vertraulich behandelt werden sollte und vor allem: Wir müssen respektieren, wenn unser Gegenüber eine Information als vertraulich ansieht, selbst wenn wir das – ganz post privacy – nicht so sehen.
Nicht jeder kann in den Dingen, die ihm oder ihr peinlich sind, immer Avantgarde sein. Das übersteigt unsere Kräfte. Aber auch Firmen, Behörden und Organisationen, die mit vertraulicher Information umgehen müssen, benötigen vertrauliche Kommunikation über das Internet: Sie operieren seit über 10 Jahren in abgetrennten und geschützten Intranets. Wer von außen rein will, benutzt einen VPN-Tunnel. In der Piratenpartei war ich sowieso gezwungen, meine Mails zu verschlüsseln, als ich mit Mitgliederdaten arbeiten musste, die in ebenso verschlüsselten Containern auf meinem Rechner liegen. Niemand wird bestreiten, dass diese Daten geschützt werden sollten.
Wir müssen uns also selber darum kümmern, im öffentlichen Raum Internet eine künstliche Privatsphäre nach unseren Bedürfnissen zu schaffen. Zum Beispiel können wir vertrauliche Mails verschlüsseln. Dann kommt die NSA zwar immer noch an die Meta-Daten („Wem habe ich wann gemailt?“), aber es geht hier auch nicht so sehr um Prism, Vorratsdatenspeicherung & Co., sondern um den Austausch privater Daten. GPG nutze ich schon lange und es hat den Vorteil, dass sich kein Anbieter wie z.B. Microsoft oder DE-Mail einklinken kann, wenn wir uns selber um die Verschlüsselung kümmern. Alles was du brauchst, ist Verschlüsselungssoftware und ein Private Key und einen Public Key. Mit dem öffentlichen Public Key können Leute Mails verschlüsseln, die nur du mit deinem Private Key entschlüsseln kannst. Unter Mac OS X ist es heute geradezu blödsinnig einfach, mit GPG Mail loszulegen.
Versäumt habe ich bisher, meinen Public Key zu veröffentlichen. Das sei hiermit nachgeholt. Und wer das alles für Raketentechnik hält, findet im Netz zuhauf Tutorials für sein Lieblingsbetriebssystem oder besucht eine der vielen Kryptopartys. 100%ige Sicherheit gibt es zwar nie, aber wir sollten wenigstens so emanzipiert mit dem Internet umgehen können, dass wir in der Lage sind, unsere virtuelle Haustür zu verschließen. (Der nächste Schritt wird sein, endlich Owncloud zu installieren und zu nutzen. Habe ich monatelang vor mir hergeschoben. Aus purer Faulheit.)
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#Prism – ein paar Lebenslügen
tl;dr: Prism deckt die Lebenslügen unserer Demokratie auf
Prism hat mich ratlos gemacht. Ich habe Tage gebraucht, um zu einer Haltung dazu zu finden. Bitte nicht falsch verstehen: Prism, Tempora & Co. sind der größte Internet-Skandal seit Bestehen des Netzes, und wir müssen etwas dagegen tun. Aber was genau, das scheint unklar. Ich glaube, das liegt daran, dass Prism mehrere Lebenslügen aufdeckt. Die müssen wir aufdröseln, um Antworten zu finden
Lebenslüge 1: Rechtsstaat Deutschland
Die DDR und die Stasi standen jahrzehntelang als Kontrastfolie da zur leuchtenden westdeutschen Demokratie – dabei wurde auch von Anfang an in der ehemaligen BRD kräftig überwacht. Und daran hat sich seit 1989 nichts geändert. Überwachungsskandale gibt es immer wieder, Rudi Dutschke oder Anne Roth sind nur Beispiele unter vielen. Berufsverbote und Rasterfahndung (durch die meines Wissens genau ein RAF-Terrorist aufgedeckt wurde) scheinen Beispiele aus dem letzten Jahrhundert zu sein, aber es hat sich wenig geändert. Prism brauchen wir gar nicht, um uns zu empören, da reichen Fälle wie die illegale Funkzellenabfrage in Sachsen oder die verschiedenen Versuche, einen Staatstrojaner an den Start zu bringen oder oder oder.
Lebenslüge 2: Freund Amerika
Die USA sind eine befreundete Nation. Das hindert sie aber nicht daran, den Internet-Traffic von Freund und Feind im ganz großen Stil zu überwachen – bis hin zu Botschaften, Institutionen und Regierungen. Dieser feindliche Akt eines Freundes ist irritierend, aber viel irritierender ist, dass die deutsche Regierung seltsam ruhig bleibt. Das liegt vor allem daran, dass sie selbst von der Überwachung profitiert, ohne sich die Finger schmutzig zu machen – die NSA arbeitet eng mit dem BND zusammen. Der „feindliche Akt“ ist also eigentlich keiner, sondern eher ein stilles Agreement unter Verbündeten. Dabei ist aus dem Musterland der Demokratie längst auch ein Musterland der Überwachung geworden. Prism mag zwar auf das Ausland gerichtet sein, aber die Homeland-Security arbeitet gezielt mit Denunziation und der komplette Briefverkehrs in den USA wird überwacht.
Lebenslüge 3: Demokratie
Merkel schweigt, Kanzleramtschef Pofalla, der für die Kontrolle der Geheimdienste zuständig ist, ebenfalls, und Innenminister Friedrich zeigt sich gewohnt dummdreist. Leider ist es nicht damit getan, im Herbst einfach die Regierung abzuwählen, schließlich wird in der SPD ähnlich herumgeeiert. Spitzenpolitiker aller im Bundestag vertretenen Parteien (außer der Linkspartei, auf deren Vergangenheit wir hier aber nicht näher eingehen müssen) tun überrascht. Dabei ist die derzeitige Lage einfach nichts neues. Bereits 1989 wussten wir, wie intensiv die NSA uns überwacht. Bereits seit Adenauer hatten die Besatzungsmächte in Deutschland weitgehend freie Hand. Überwachung ist ein kontinuierliches Problem der letzten Jahrzehnte. Es ist also nicht so, dass wir gerade eine „böse Regierung“ haben. Man kann natürlich im Herbst die Piratenpartei wählen, damit es in Fragen Überwachung wenigstens Opposition im Bundestag gibt. Das zu bohrende Brett ist aber – eben auch wegen der USA – sehr, sehr dick und kann nicht mal eben weggewählt werden. Heute ist Snowden eine heiße Kartoffel, Gauck nennt ihn Verräter und niemand will etwas gewusst haben – das fühlt sich für viele an wie damals im Osten. So etwas wie „gute und böse Staaten“ gibt es nicht, alle Regierungen vertreten mehr oder weniger skrupellos ihre Interessen.
Lebenslüge 4: Im Internet gibt es Privatsphäre
Der internet-affine Mensch wusste schon immer: E-Mails sind nicht geschützt, ihr Versand entspricht dem einer offenen Postkarte, die von jedem mitgelesen werden kann, der sich in den Versandweg einklinkt. Es galt schon immer: Wer Vertrauliches mitzuteilen hat, muss ein sicheres Medium wählen, also sich im Park treffen oder halt seine E-Mail verschlüsseln. Verschlüsselung als technische Lösung anzusehen, die ein soziales Problem nicht beheben könne, ist zu kurz gedacht: Wer von uns lässt denn permanent seine Haustür offen stehen, weil Einbruch und Diebstahl schließlich vor allem ein soziales Problem sind? Die Struktur des Internet ist eine offene. Private Räume kann man dort schaffen, aber man muss sie entsprechend sichern. Und darf offenbar nicht darauf vertrauen, dass Anbieter wie Facebook das zuverlässig tun. Das heißt nicht, dass man Facebook & Co nicht mehr benutzen kann. Das bedeutet nur, dass man Cloud-Dienste und Social-Media-Netzwerke immer in dem Bewusstsein benutzen muss, sich hier nicht mehr in seiner Privatsphäre zu bewegen. Der Kontrollverlust über die eigenen Daten ist nicht aufzuhalten – informationelle Selbstbestimmung verkommt angesichts des Internet vom Grundrecht zur Lebenslüge. Wie damals im Dorf. Da konnten wir auch nicht verhindern, dass unsere Nachbarn wissen, was wir so treiben. Tatsächlich ist hier der Ansatz der Postprivacy sogar sehr charmant: Wenn immer mehr (auch private oder gar intime) Daten frei verfügbar sind, verlieren diejenigen ihre Macht, die Datensilos bauen und Datenmonopole inne haben.
Lebenslüge 5: Datenschutz
Die deutschen Datenschutzgesetze sind broken beyond repair. Wir kämpfen mit Abmahungen, stellen Gutachten gegen Gutachten, wenn es um die Nutzung von Liquid Feedback geht, und hauen uns die Köppe ein, ob das Opt-In-Häkchen bei Newsletter-Anmeldungen richtig gesetzt ist oder ob ein Anbieter für seine Dienstleistungen ein permantes Cookie setzen darf. Filesharer bekommen regelmäßig Abmahnungen, aber es ist in Deutschland fast unmöglich, gegen Trolle oder Stalker vorzugehen, die dir gelegentlich das Leben zur Hölle machen können. Datenschutz funktioniert aber nicht denen gegenüber, die wirklich Macht über uns haben, die uns wirklich wehtun können. Das ist vor allem der Staat. Das deutsche Datenschutzrecht muss von Grund auf erneuert werden – weg vom Schutz von Daten hin zum Schutz von Menschen. Wir brauchen eine Stärkung der Grundrechte, bessere Gesetze gegen Diskriminerung, besseren Minderheitenschutz.
Hatten die Aluhüte die ganze Zeit recht?
Eigentlich ist das, was NSA mitschneidet, sowieso öffentlich einsehbarer Datenverkehr, der im Prinzip von jedem zumindest partitiell abgegriffen werden kann. Wenn es die USA nicht macht, macht es halt ein „Schurkenstaat“. Irgendwer findet sich immer. Die Ungeheuerlichkeit bei PRISM liegt von allem in er Geheimhaltung und Unkontrollierbarkeit der Datensammelei und der Tatsache, dass ein im Zweifel skrupelloser Machtapparat diese Daten monopolartig verwendet. Prism zeigt nicht, dass das Internet kaputt ist – anhand von Prism zeigt das Internet einmal mehr, wie kaputt unsere Gesellschaft und Demokratie ist und welche Lebenslügen wir mit uns herumtragen.
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Links der Woche
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Sollten sich „anständige Bürger“ wegen der Überwachung sorgen? – Ein Erfahrungsbericht aus den Schattenkriegen:
„Während ich also noch völlig ahnungslos meinen Arbeitsbereich aufbaute, begannen “Kollegen“ der Sicherheit schon auf eigene Faust “belastendes“ On- und Offlinematerial (einschließlich eMails) zusammen zu tragen und schließlich Journalisten sowie Oppositionsabgeordnete damit „zu füttern“. Ich weiß bis heute nicht, auf welcher Rechtsgrundlage diese Leute überhaupt gegen einen unbescholtenen Mitarbeiter “ermittelten“ – und dann Auswahlen ihrer “Funde“ auch noch weitergaben! Nun, sie taten es einfach – und eröffneten damit die Jagd.“
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Generation Y: why young voters are backing the Conservatives:
„I spent a few days in and around the city a couple of months ago, and as well as all those issues, I was reminded of another very modern syndrome: the fact that as you progress down the age range, opinions about the job market and welfare state tend to harden, to the point that droves of twentysomethings sound like devout Thatcherites.“
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Garbo statt Klum. Ein paar Gedanken zur Mittelmäßigkeit.:
„Zumal heutzutage Mittelmäßigkeit ja nicht mehr erlaubt ist. Das zeigt sich zum Beispiel in einem veränderten Verhältnis der „normalen Leute“ zu den „Stars“. Früher waren Stars etwas zum Anhimmeln, zum „Vergöttern“ (die Garbo), aber nichts, was eins ernsthaft auf sich selbst bezog. Die Garbo war die Garbo, und meine Mutter eine ganz normale Hausfrau. Heute hingegen sind Stars „Benchmarks“ für alle.“
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Walk the Talk:
„Wenn die SPD das, was Sigmar Gabriel geschrieben hat tatsächlich ernst meinen sollte, dann muss sie sich von der Vorstellung verabschieden, es gäbe „Grundrechrtsschonende“ Eingriffe in Bürgerrechte.“
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Integration durch Lehnwortjagd:
„Die CDU/CSU Bundestagsfraktion begrüßt, dass die Deutschen Bahn künftig auf Anglizismen verzichtet. Grund: Menschen mit Migrationshintergrund werde das Erlernen der deutschen Sprache erschwert, weil die Alltagssprache mit Anglizismen durchsetzt sei. Für Prof. Goschler und Prof. Stefanowitsch ist das “Unsinn”.
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Gehörlose, das Cochlea-Implantat und ein Genozid
tl;dr: Gehörlose haben eine ganz eigene Sicht auf das Cochlea-Implantat. Das ist mehr als verständlich, von einem „Genozid“ kann aber nicht einmal entfernt die Rede sein.
Wenn es um das Cochlea-Implantat geht, drehen die Gehörlosen gerne am Rad: Das Implantat sei „technischer Genozid“, und dieses Zitat hat sich die Aktivistin nicht selber ausgedacht: Das Wort macht schon länger unter Gehörlosen die Runde – international. Bleibt die Frage: Warum nur? Wer ein wenig die Geschichte der Gehörlosen in Europa kennt und die ganze Angelegenheit aus einer anderen Perspektive betrachtet, wird schnell verstehen.
Auf dem Mailänder Kongress von 1880 wurden pädagogische Leitlinien beschlossen, die dann über 100 Jahre lang in Deutschland und anderen europäischen Ländern galten. Da traf sich die die Zunft der Pädagogen und dachte sich Maßnahmen zur Bildung Gehörloser aus, die von völliger Ignoranz gegenüber ihrer Zielgruppe gekennzeichnet waren. Die These: Gehörlose sollen in einer hörenden, lautsprachlichen Welt klarkommen, weshalb man sie dazu erziehen wollte, selber sprechen zu lernen und per Lippenlesen zu verstehen, was gesprochen wird. In der deutschen Sprache sind aber nur etwa 15% der Wörter einwandfrei anhand des Mundbildes zu identifizieren. Lippenlesen, wie der Laie sich das vorstellt, gibt es nicht. Das Vorhaben war von Anfang an zum Scheitern verurteilt, auch wenn intelligente Gehörlose mit viel Gespür, Kontext und Gewitztheit da sehr weit mit kommen. So konnte ich die Tagesschau mit Dagmar Berghoff weitgehend auch ohne Ton verstehen, solange keine Einspieler kamen.
Die Gebärdensprache war bis in jüngste Vergangenheit von den meisten Linguisten und Fachleuten als primitive Zeichensprache abgetan. Kindern in Internaten für Gehörlosen drohte regelmäßig durchaus die Prügelstrafe, wenn sie beim Gebärden erwischt wurden. Wirklich unfassbar ist, dass sich diese Zustände bis Ende der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hielten. Wissensvermittlung in einer Sprache, die die Kinder mühelos verstehen, war völlig nachrangig. Gebärdensprache gehört oft bis heute nicht zur Qualifikation eines Gehörlosenlehrers.
Die Herangehensweise hatte zwar auch gute Seiten: Die allermeisten Gehörlosen können heute mehr oder weniger verständlich sprechen und das Wort „taubstumm“ gilt heute als verpönt, weil Gehörlose in aller Regel eben nicht stumm sind. Trotzdem hatte diese Art der Pädagogik fatale Auswirkungen. Gehörlose Kinder schlossen die Gehörlosenschulen mit einem Bildungsniveau ab, das oft kaum ihrer Intelligenz entsprach. Schlimmer: Sie waren bereits in ihrer Kindheit traumatisiert: Von ihnen wird verlangt, was selbst unter großen Anstrengungen nie ganz befriedigend zu leisten ist: In einer hörenden Welt ohne weitere Hilfen klarzukommen, während ihnen klargemacht wurde, dass ihre eigenen Kommunikationsmittel – die Gebärdensprache – gesellschaftlich unerwünscht war.
Der weitere Lebensweg ist für die meisten vorgezeichnet: Sehr schlechte Bildungsmöglichkeiten – wer beispielsweise studieren wollte, musste um jede kleine Hilfe kämpfen – in meinem Studium beispielsweise an der Uni Lüneburg gab es in den Nullerjahren durchaus noch Professoren, die sich einfach weigerten, ein Mikrofon zu tragen, damit ich – an Gehörlosigkeit grenzend schwerhörig – sie besser verstehen konnte. Meist standen oft nur die klassischen Gehörlosenberufe offen, oft weil viele Gehörlose sich kommunikativere Berufe sich selbst nicht zutrauen, schlimmer aber: Sie ihnen auch nicht von Ämtern, Bildungseinrichtungen und Arbeitgebern zugetraut wurden. Wer nichts hört, gilt auch heute noch oft als „doof“. Das hat sich tief in den Mindset gehörloser und schwerhöriger Menschen eingegraben.
Im Schatten dieser Zustände entwickelte sich eine Parallelkultur, die stark von der umgebenden Gesellschaft abgeschottet ist. Etwa 80.000 Menschen in Deutschland, ein Promille der Bevölkerung, spricht die Gebärdensprache. Sie haben ihre eigenen Treffs, ihre eigenen Sportvereine, ihre eigenen kulturellen Codes. Eine eigene Kultur hat sich herausgebildet, die durchaus reichhaltig ist, so gibt es zum Beispiel poetische Gebärdensprache und gebärdete Poetry-Slams, deren Witz und Poesie nur erahnt, wer wenigstens ein paar Einheiten Gebärdensprache gelernt hat. Dennoch ist die Gehörlosenkultur eng mit dem Mainstream verzahnt, schon sprachlich: Das Mundbild deutscher Wörter ist integraler Bestandteil der Gebärdensprache.
Diese Gehörlosenkultur hat aber einen wesentlichen Unterschied zu anderen Subkulturen: Sie ist fast hermetisch abgeriegelt. Ein Migrant in Deutschland kann mit etwas Mühe Deutsch lernen und sich damit verständigen und integrieren, ein Gehörloser kann das aus naheliegenden Gründen nicht, schließlich hört er nichts und ist auf Gebärden- oder Schriftsprache angewiesen. Umgekehrt lernt kaum jemand ohne besonderen Anlass die Gebärdensprache. Integration und Inklusion gestalten sich also mehr als schwierig. Vollkommen verständlich, dass Gehörlose ihre ganz eigene Sicht der Dinge haben und oft feindselig auf eine Gesellschaft reagieren, die sich ihnen gegenüber verschlossen und feindselig, ja unterdrückend gezeigt hat.
Vor etwas mehr als 30 Jahren kamen die ersten Cochlea-Implante auf den Markt. Verglichen mit den heutigen Implantaten und Sprachprozessoren waren sie sehr primitiv. So primitiv, dass man sie nur gehörlosen Menschen einpflanzte – wer noch ein wenig Restgehör hatte, galt noch weit in die 90er Jahre mit einem Hörgerät als wesentlich besser versorgt. Ein erwachsener Gehörloser kann mit diesen Implantaten zwar hören, aber verstehen wird er trotzdem nicht viel. Dem Gehirn fehlt ein entwickeltes Hörzentrum. In den ersten Lebensmonaten und Jahren formt sich das Gehirn aus anhand des Inputs, den es bekommt. Wer in diesen Jahren nicht hören gelernt hat, wird das auch später nicht mehr tun. Was bleiben, sind Geräusche. Das ist mehr als nichts, aber eben nicht ausreichend für ein hinreichendes Sprachverständnis.
Jeder Gehörlose kann also entweder selber eine Geschichte davon erzählen, wie schlecht und enttäuschend diese Implantate sind, oder kennt jemand, der das kann. Das Implantat wird zu einem weiteren Unterdrückungsinstrument, die Fortsetzung der Mailänder Pädagogik mit technischen Mitteln. Damit wird auch verständlich, warum viele Gehörlose so empfindlich reagieren, wenn es um die Frage geht, das Cochlea-Implantat Kindern einzupflanzen: Welch eine Quälerei muss das sein, kleinste Kinder mit diesem Folterinstrument zu malträtieren!
Dabei ist das fatale, dass das Cochlea-Implantat Kleinkindern tatsächlich hilft, zu einem „normalen“ Gehör zu gelangen. Die Erfahrungen in der Berliner Charité sind dahingehend, dass etwa die Hälfte der Kinder mit Implantat später die Regelschule besuchen und in Sprachverständnistest nahezu 100% erreichen. Von einer „Kindheit beim Logopäden“ kann dabei nicht die Rede sein: Die wöchentlichen, später 14tätigen Besuche dort enden meistens im Alter von 3-4 Jahren. Und die andere Hälfte? Die ist auf vielfältige Weise mehrfach behindert, meistens auch geistig, mit mehrfachem Therapiebedarf. Hier versuchen Ärzte und Eltern oft zu retten, was zu retten ist, was durchaus in unnötige Quälerei ausarten kann und sehr kritisch zu sehen ist.
Rechnet man diese Fälle heraus, sind die Erfahrungen mit dem Cochlea-Implantat überwältigend positiv. Genau das wiederum macht den Gehörlosen angst: Wenn wir Kindern die Gehörlosigkeit austreiben, bedeutet das ein Versiegen von „Nachschub“ für die Gehörlosenkultur. Man könnte meinen, die stirbt dann aus. Die Polemiker der Gehörlosenverbände mit ihrer Genozidrhetorik hinterlassen hier verbrannte Erde. Vor allem aber begehen sie einen logischen Kurzschluss, denn entweder, das Cochlea-Implantat funktioniert nicht gut genug: Dann wäre aber auch die Gehörlosenkultur gar nicht in Gefahr. Oder aber es funktioniert, aber dann spricht wenig gegen eine Implantation im Kindesalter.
Mit dem Wissen um den Reichtum der Gehörlosenkultur kann ich diese Angst nur bedingt nachvollziehen. Weder von Genozid noch von Ethnozid kann die Rede sein, wenn gehörlose Kinder hören können. Viele werden nämlich in hörende Familien hineingeboren, die bis dato mit der Gehörlosenkultur nichts am Hut hatten. Anders herum werden oft hörende Kinder in gehörlose Familien geboren. Die führen ein normales Leben, kennen aber eben auch die Gebärdensprache und die Gehörlosenkultur. Daran müsste sich nichts ändern. Mich erinnert diese Haltung an Arbeiterfamilien vergangener Jahrzehnte, die der Meinung waren, der Sprössling müsse nicht aufs Gymnasium: Volksschule und Lehre wie bei Papa seien gut genug. Dahinter steht einfach nur Angst um die eigene Identität und der Wunsch, seine Kinder im Käfig der eigenen Lebensweise aufwachsen zu lassen – ein Phänomen, das freilich durch alle Schichten und Subkulturen stark verbreitet ist. Genau das Gegenteil von gesellschaftlicher Inklusion.
Die Gehörlosen nennen meine Haltung – dass hören wünschenswert ist, insbesondere wenn es um den Lebensweg von Kindern geht, gerne „Audismus“ und benutzen das als Schimpfwort – aus einer quasi-nationalistischen Haltung zur Gehörlosenkultur heraus. Auf die Zustände nach dem Mailänder Kongress bezogen ja auch äußerst berechtigt. Auf das Cochlea-Implantat bezogen ist dieses Denken schlicht Minimierung von Lebenschancen und Freiheitsgraden.
Fazit: Das Cochlea-Implantat hilft nicht jedem Gehörlosen. Speziell für taub geborene, erwachsene Gehörlose ist es irgendwas zwischen Quälerei oder der Möglichkeit, wenigstens Geräusche wahrnehmen zu können. Insbesondere können wir keinesfalls Inklusionsleistungen mit dem Hinweis aufs Cochlea-Implantat zurückfahren. Den Gebärdensprachedolmetscher zu verweigern mit dem Hinweis, man könne sich ja operieren lassen, ist ein No-Go, aber offenbar verbreitete Praxis in Ämtern. Die Entscheidung für oder gegen ein Implantat muss immer der Gehörlose frei und ohne Druck treffen können.
Kinder können das allerdings nicht. Für geistig und körperlich normal entwickelte Kleinstkinder ist das Cochlea-Implantat die sehr hohe Chance auf ein hörendes Leben. Es ihnen vorenthalten zu wollen ist meiner Meinung nach grob fahrlässig und ein Ausschluss von Bildungschancen im späteren Lebensweg. Entscheiden können das freilich nur die Eltern und niemand sonst, und eine Entscheidung gegen das CI müssen wir respektieren, ohne das Kind zu benachteiligen, auch wenn ich eine solche Entscheidung in den meisten Fällen nicht gutheißen mag. Am Ende bleibt: Jeder Mensch, jeder Fall, jeder Lebensweg ist individuell und wer am lautesten schreit, ist selten in der Position, eine individuelle Entscheidung wirklich beurteilen zu können.
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Links der Woche
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#Aufschrei – analog und politisch:
„Alles gute und wichtige Fragen, aber die Debatte um eine Energiewende zum Beispiel erschöpft sich ja auch nicht darin, dass wir uns gegenseitig über die Probleme austauschen, die wir dabei haben, die Heizung niedriger zu stellen.“
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Links der Woche
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All your data, in one place:
Join now!
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Rapiro Kit Robot For Raspberry Pi Gets Funded On Kickstarter In Two Days:
““We want to start a revolution in cute, cool, affordable, customizable, and programmable robots,” they say on the campaign page, adding that they plan to publish Rapiro’s 3D data (.stl) on their website so owners will be able to further customise the design using a 3D printer.”
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Für diesen Text bin ich aus der SPD ausgetreten :
“Ich möchte nicht, dass Peer Steinbrück Bundeskanzler wird – weil ich ihn wegen der zynischen, „der Zweck heiligt die Mittel“-pragmatischen, die sozialdemokratischen Tugenden verachtenden Entscheidungen, die er hier unter Druck trifft, für ungeeignet halte, das Land zu führen.”
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Der Tag, als ich in den Abgrund der deutschen Facebook-Kommentarkultur blickte:
“… und über 700 weitere Kommentare, sowie einige dutzend, die wegen eineindeutiger rassistischer Äußerungen, extremer Beleidigungen, Hass-Sprache, Aufruf zu Straftaten und so weiter gelöscht wurden. Was soll man damit anfangen als Journalist?* Und: Wenn noch einer eine Debatte über Klarnamen im Internet führen möchte, wozu genau?”
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Eine Fernbedienung für mein Gehör
tl;dr: Die Fernbedienung des Nukleus N5 von Cochlear ist ein schlechter Witz
Zu den angenehmen Dingen des Cyborg-Daseins gehört eine handliche Fernbedienung für mein Gehör. Damit kann ich Programme umschalten. Also jetzt nicht ARD, ZDF, RTL und SAT.1 sondern Einstellung des Implantates wechseln, wie man das auch von vielen digitalen Hörgeräten kennt. Ich hatte mich 2011 für Cochlear statt für Med-El entschieden, weil ich den Eindruck hatte, mein Gehör breiter manipulieren zu können. (Heute würde ich Med-El wählen, zu den Gründen aber ein Andermal mehr.) Der Nutzen der vier Programme liegt darin, mein Gehör an verschiedene Situationen anzupassen. Wie bei einem Equalizer könnte ich z.B. ein Programm mit extra viel oder extra wenig Bass verwenden. Verschiedene Parameter können eingestellt werden, unter anderem Kompression. Vereinfacht gesagt: Laute Geräusche werden automatisch in Sekundenbruchteil auf ein angenehmes Maß heruntergepegelt.
Bei mir sieht das so aus, dass auf Programm 1 das vom Audiologen ermittelte Profil mit leichter Kompression geschaltet ist. Dieses Programm sollte die Standard-Einstellung für den Alltag sein, ich benutze es jedoch selten. Programm 2 ist aus Programm 1 abgeleitet, hat keinerlei Kompression und ist insgesamt etwas lauter. Das nehme ich in ruhiger Umgebung, bei Meetings, zum Telefonieren, im Büro usw. Programm 3 hat eine starke Kompression mit Fokussierung und hilft gewaltig, auch in lauter Umgebung meinen Gesprächspartner zuhören zu können. Das funktioniert unterschiedlich gut. In mittellauter Kneipenatmosphäre, die nicht laut genug ist, damit Leute ihre Stimme heben, habe ich gelegentlich Schwierigkeiten, die sich aber fast immer mit einem einfachen „Wie bitte?“ beheben lassen. In einem Club mit sehr lauter Musik, wo man sich gegenseitig ins Ohr brüllt, kann es gut sein, dass ich mehr verstehe als du. Programm 4 ist die „reine Lehre“: Alles völlig ungefiltert, keinerlei Kompression, voller Dynamik-Umfang. Dieses Programm nutze ich, um Filme anzusehen und Musik zu hören. Es klingt am angenehmsten und oft behalte ich es auch in anderen Alltagssituationen bei, allerdings verstehe ich Sprache damit mess- und merkbar schlechter.
Um diese Programm umzuschalten, benötige ich die Fernbedienung, mit der ich auch lauter/leiser machen kann, die Mikrofonempfindlichkeit einstellen sowie die FM-Spule (auch bekannt als Telefonspule) aktivieren. Also könnte ich theoretisch. In der Praxis ist diese Fernbedienung leider vollkommen unpraktikabel. Das fängt schon damit an, dass ich sie immer dabei haben muss und ein weiterer Gegenstand in meiner Tasche herumfliegt. Leider ist die Fernbedienung auch noch sehr unzuverlässig: Häufig wird nur ein Ohr umgeschaltet, sodass ich mehrfach drücken muss.
Das wäre nicht so schlimm, wenn Fernbedinung und Sprachprozessor nicht so laaaangsam wären. Wenn ich eine Taste drücke, schaltet sich das CI für etwa eine Sekunde ab. Immer wenn ich umschalte, bekomme ich als akustisches Feedback ein „Pling!“ in mein Gehör. „Pling! Pling! Pling!“ heißt dann, dass ich gerade in Programm 3 gewechselt bin. Das Umschalten kann also Gespräche empfindlich unterbrechen, ich verpasse Teile des Gesagten und bei Vorträgen, Filmen usw. ist ein kleines Stück unwiederholbar verloren.
Einfacher ist es, die Programm direkt am Ohr umzuschalten. Dazu muss ich die Leiser-Taste am Sprachprozessor hinter meinem Ohr ca. eine Sekunde lang drücken, damit das Gerät ein Programm weiterschaltet. Möchte ich von Programm 4 in Programm 3 wechseln, ist dieser Vorgang dreimal zu wiederholen. Das klingt zwar nervig, ist aber immer noch praktischer, als mit der Fernbedienung zu hantieren, zumal ich meine Ohren nacheinander umschalten kann, sodass ich immer noch mit dem jeweils anderen Ohr höre, was gerade passiert. Wer schonmal mit mir in der Kneipe saß, kennt auch diese „Sekunde, ich muss mal umschalten, damit ich dir besser zuhören kann“-Momente.
Das olle Stück Plastik mit einem Display, das aussieht, als hätte man es aus einem antiken Siemens-Mobiltelefon ausgebaut, verstaubt also bei mir in einer Schublade. Mein einziger richtiger Einsatzzweck war, sie neulich bei einem Vortrag ins Publikum zu geben mit dem Hinweis „Knöppe drücken erlaubt“ und „Wer es schafft, mein Gehör auszuschalten, kriegt einen Snickers.“ Das geht nämlich aus Gründen damit nicht. Aber vielleicht findet sich ja auf der SIGINT jemand, der das hinkriegt. Das Angebot steht.
Hausaufgaben an Cochlear: Bitte baut eine bessere Fernbedienung, die sicher funktioniert und kriegt diese elende Umschalte-Latenz weg! Oder nein, baut lieber eine eine Smartphone-App. Das Telefon habe ich sowieso immer dabei. Das ginge über Bluetooth oder Funk-Adapter für den Dock-Connector/USB-Anschluss. Eine solche Remote-App zu bauen, wäre ein wunderschönes Projekt für die Cyborg Society. Dafür müsste ich aber den technischen Aufbau und die Funkstandards der Fernbedienung erst einmal kennen. Vielleicht findet sich ja ein Hacker, der etwas Lust auf Tüftlei hat und die per Remote Engineering herausbekommt.
Last not least sehe ich nur bedingt ein, warum ich nur zwischen 4 Programm wechseln kann. Ich würde den „Equalizer“ gerne selber mal anpassen und mit einem wenig genutzten Programm meines CI experimentieren. Derlei „Self-Tuning“ geht natürlich auch nicht. Die nötigen Adapter zum PC und die Windows-Software ist für Normalsterbliche nicht erhältlich. Da sich das Gehör monatelang an das CI gewöhnen muss, ist es auch keine gute Idee, wenn frisch Implantierte mit den Einstellungen herumspielen. Ich will das aber können.
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#Neuland: die Arroganz der Digital Natives
tl;dr: #Neuland ist auch 2013 eine gute Metapher und wir sind ziemlich arrogant.
Auf meiner Twitter-Timeline orgasmieren gerade sehr viele Menschen darüber, dass Angela Merkel in ihrer Rede den Begriff „Neuland“ benutzt hat als Metapher für das Internet. „Neuland“, nach 40 Jahren Internet und nach mehr als 20 Jahren WWW. Wie gestrig kann man eigentlich sein? Diese künstliche wie genüssliche Aufregung derjenigen, die eine Tastatur und einen Twitter-Account haben, nervt. Ja, die Formulierung „Das Internet ist für uns alle Neuland“ ist dumm und anmaßend. Sie tut so, als gebe es kaum Menschen, für die das Netz kein Neuland mehr ist. Aber wir Netzbewohner, wir sind keinen Deut besser.
Ich weiß nicht, wie gut sich Angela Merkel mit dem Netz auskennt. Wahrscheinlich besser, als wir denken, schließlich dürfte sie als Pyhsikerin schon früh mit Computern in Berührung gekommen sein – als Politikerin nach 1989 aber eher weniger. Was mich extrem stört an die Reaktionen auf das Wort „Neuland“: In Deutschland gibt es ca. 50 Millionen Internet-Nutzer, das heißt etwa 30 Millionen Menschen haben keinen bewussten Kontakt zum Internet (unbewusster wie der Besuch des nächsten Geldautomaten zählt nicht). Von diesen 50 Millionen Menschen sind noch sehr, sehr viele abzuziehen, für die das Internet lediglich aus „Spiegel Online“ und Homebanking besteht – und das ist weder eine Altersfrage, noch liegt es daran, dass die irgendwie doof oder ignorant seien.
Ich behaupte: Gemessen an der Bevölkerung sind die Digtial Natives und die Digital Immigrants – also diejenigen Menschen, die das Internet intensiv nutzen, andere Arbeitsweisen pflegen und einen anderen, vernetzten, offenen Mindset haben – immer noch eine Minderheit. Sicherlich eine große Minderheit, mehrere Millionen Menschen, aber immer noch eine Minderheit. Wer weiß, wie Mitarbeiter einer Firma auf die Einführung einer neuen Software reagieren oder schonmal versucht hat, seinen (Groß-)Eltern Twitter zu erklären, versteht was ich meine.
Wir Digital Natives und frühen Digital Immigrants sind tatsächlich die ersten Siedler eines Neulandes. Wir machen das Neuland urbar, wir schaffen Strukturen und Zivilisation. Wir sind die Pioniere. Ich könnte diesen Text genauso gut 1997 geschrieben haben, aber er ist weiterhin aktuell. Nur weil die meisten von uns seit ca 10-20 Jahren in diesem Netz leben, heißt das noch lange nicht, dass wir diesen Status als Pioniere verloren haben. Gesellschaftliche Veränderungen brauchen viel länger, als wir in der Filterbubble der Berliner digitalen Boheme so glauben. Vielmehr sind wir mit dafür verantwortlich, diejenigen zu begrüßen, die ebenfalls dieses Neuland betreten wollen. Wir müssen erklären, helfen, offen sein. Wir müssen es verteidigen gegen diejenigen, die aus dem Neuland eine Fortsetzung ihrer alten Welt machen wollen. Das geht am besten, wenn diejenigen verstehen, warum das Neuland ein Neuland ist, in dem die alten Regeln nur begrenzt gelten. Und das können sie nur, wenn sie das Neuland betreten und eigene Erfahrungen sammeln. Wenn sie merken, dass das Neuland ein Raum voller großartiger Möglichkeiten ist und nicht etwas, das man nicht versteht und vor dem man Angst haben muss.
Statt offen zu sein, reagieren wir jedoch arrogant. Wir nennen sie „Internetausdrucker“ und „alte Menschen mit Kugelschreiber“. Die heftige Reaktion auf den Begriff Neuland zeigt deutlich, wie tief der digitale Graben ist, wir sehr wir die „Analogen“ ablehnen und in welchem Ausmaß wir Netzmenschen mit daran verantwortlich sind. Wir graben uns ein in die sprachliche Abgrenzung unserer Subkulturen voller Nerdspeak, der genau diesen Zweck hat: von Außenseitern nicht verstanden werden. Was erwartet ihr eigentlich, wie die Außenseiter auf uns da reagieren sollen? Wann ladet ihr einfach jemanden aus der alten Welt ins Neuland ein?
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Links der Woche
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wanted: fat positive debatten:
“dicke_fette menschen sind das schlechte beispiel, an dem mensch sich auf keinen fall orientieren darf. deswegen erleben auch so viele schlanke menschen body shaming: sie sollen ja davor bewahrt werden, fett zu werden. bloß nicht ‘wie die’ werden. jedes kilo auf der waage heisst nämlich ein kilo näher an ‘den dicken_fetten’ zu sein. in dieser gesellschaft will das niemand, weil wir alle wissen, welche sanktionen dies nach sich zieht. dick ist so untrennbar und unhinterfragt mit hässlich_unattraktiv_weniger wert verbunden, dass selbst schönheitsnormen-kritische feminist_innen häufig in die falle tappen und diese unhinterfragten annahmen/verhaltensweisen einfach reproduzieren.”
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Sie sind wahrscheinlich etwas hässlich:
“Allerdings ist das kein Problem, denn Schönheit hat mit der Liebe nichts zu tun, es ist unmöglich, so hässlich zu sein, dass man nicht glücklich werden kann. (…) Es führt zu nichts, sich mit seinem Aussehen zu beschäftigen. Ein niedriger Körperfettanteil macht nicht glücklich.”
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Lebe wohl!:
“Mit zwanzig war ich als Au-Pair in Rom, kompensierte Heimweh und Unzufriedenheit mit Essen, nahm in dieser Zeit zehn Kilo zu und kam als ‘die Fette’ wieder zurück nach Deutschland. Ich fühlte mich furchtbar, obwohl ich mit 1,74m Köpergröße gerade mal 70 Kilogramm wog. Mein Gewicht wurde natürlich überall kommentiert und so nahm ich – es war ja meine erste Diät – ziemlich schnell wieder ab und schwor mir, nie wieder ‘dick’ zu werden.”
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Erfolgreiche Frauen im Internet – keine Liebesgeschichte:
“Die Weiblichkeit bietet eine weitere besonders offensichtliche Angriffsfläche, von der sich ein Großteil der Nutzer bewusst oder unbewusst motiviert fühlt anzugreifen.”
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What do Edward Snowden, Bradley Manning and the Steubenville hacker have in common?:
“Edward Snowden. Bradley Manning. Deric Lostutter. These young people are on the frontlines of a different war, a war of the old world of violence enforced by secrecy against the new logic of information transparency.”
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Zum drölfzigsten Mal zu #Aufschrei und w. Bezeichnungen:
“Denn FAKT ist: Es gibt Diskriminierung. Sie existiert. Egal, ob Du sie selbst nicht erlebt hast, ob Du niemanden kennst, bei dem/der das so war, egal ob Du die Diskriminierung wahrhaben willst oder nicht, oder Dich an so Sachen klammerst wie “Damals in in sowieso war das aber anders”.”
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