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Der elitäre Charakter der Literaturdebatte:
„Die Debatte darum, welche Voraussetzungen gute Literatur braucht, ist ein Scheingefecht. Viel wichtiger wäre eine Diskussion um neue Veröffentlichungswege jenseits der Macht der großen Verlage.“
Kategorie: Blog
Blogposts
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Wir werden alle sterben
tl;dr: Wir sind sowieso am Arsch, da können wir auch den Mars besiedeln.
Die NASA erregt gerade Aufsehen mit einer Studie, wonach alle Parameter in Simulationen auf den Untergang der Menscheit hindeuten – vielleicht nicht als Spezies, zumidest aber in Form der jetzt bestehenden Hochkulturen. Das ganze ist natürlich auch Marketing für bemannte Raumfahrt, aber genau darum geht es. Natürlich kann mensch den ökologischen Ansatz fahren und versuchen, hier auf der Erde das Ruder herumzureißen. Um die Menschheit auf diesem Planeten zu retten, bedarf es einer Utopie. Moderne Utopien wie Kommunismus usw. haben immer den Nachteil, dass sich dafür der Mensch ändern müsste. Der weigert sich aber hartnäckig und dass sich das mal ändert, ist ähh…. utopisch. Ob die Rente sicher ist, ist da gerade ein vergleichsweise untergeordnetes Problem. Wir werden das also alles erleben: Ressourcenknappheit, Zusammenbrüche, Kriege… Die Frage ist bloß: Schon wir oder erst unsere Kinder, mit Glück Enkel? Wenn der globale Krieg um Ressourcen und Wasser erst einmal richtig in Schwung kommt, werden wir das Gegenteil von Verständigung erleben: Wohlstandsinseln dürften sich nur noch mit militärischer Gewalt gegen den Rest der Welt halten lassen. Es geht dann wieder gegen „die Anderen“™ und eine Renaissance faschistischer Einstellungen steht uns bevor, ganz einfach weil Fressen schon immer vor Moral kam. Eigentlich beobachten wir all das bereits heute. Allein die Existenz gewaltiger Atomwaffenarsenale sollte zum Nachdenken darüber führen, wie wahrscheinlich langfristig ihr Einsatz sein dürfte. Ich denke: ziemlich wahrscheinlich, auch und gerade ohne kalten Krieg.
Vielleicht klappt es ja – vielleicht findet sich ja der große Guru, der es schafft, eine Menschheit in eine milliardenstarke Hippie-Kommune zu verwandeln. Ich habe so meine Zweifel, weil wir den Kapitalismus überwinden müssten, ohne so recht zu wissen, durch was er zu ersetzen wäre. Wenn wir irgendwas von unserer Kultur hinüberretten wollen, brauchen wir also ein Backup. Vielleicht richten es ja die transhumanistischen Visionen und unsere Kultur lebt nach Eintreten der Singularität auf Servern weiter, während wir biologisch in Slums, Zoos oder gar nicht mehr existieren. Vielleicht wäre das sogar nicht die dümmste die Idee, die Macht auf unserem herabgewirtschafteten Planeten einer intelligenteren Spezies zu übergeben. Allein, die muss erstmal kommen. Interstellare Raumfahrt ist zwar außerhalb unserer Reichweite, aber das muss nicht so bleiben, schließlich erleben wir gerade einen technologischen Durchbruch nach dem anderen und ich habe schon länger das Gefühl, in einer Science-Fiction-Welt zu leben. Der Mars hingegen liegt in Reichweite. Ob eine kleine Mars-Kolonie überlebensfähig sein kann, ist natürlich fraglich, da nicht nur allerlei technologische Probleme zu lösen wären sondern wir in einer solchen Kolonie auch wieder nur Menschen wären, der ganze Spaß also von vorne begönne. Es ist aber geradezu absurd, es nicht wenigstens zu versuchen.
Es sei denn, wir betrachten unser Überleben als nicht wünschenswert und die Infektion des Planeten mit Homo Sapiens als Krankheit. Ich gehe dann mal neue Blumen auf dem Balkon anpflanzen. Das Wetter ist heute so schön.
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Links der Woche
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Why Big Data Isn’t Necessarily Better Data:
„The mistake of many big data projects, the researchers note, is that they are not based on technology designed to produce valid and reliable data amenable for scientific analysis. The data comes from sources such as smartphones, search results and social networks rather than carefully vetted participants and scientific instruments.“
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Pareidolie:
„Menschen wollen Muster. Muster versprechen Regeln, geben Halt und vermitteln das beruhigende Gefühl, etwas zu sehen, das man nicht erst verstehen muss, weil es schon im Kopf abgelegt ist. Besonders musterfixierte Menschen nennt man deshalb auch gerne kleinkariert.“
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Unbehagen und Menschenfeindlichkeit:
„Die Feststellung, dass das Gesellschaftsbild des deutschen Feuilleton in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts hängen geblieben ist, ist eigentlich weder neu noch originell genug, um sie an dieser Stelle zu wiederholen. (…) es hängt nicht länger in den 1950ern fest, sondern bewegt sich zielstrebig auf die 1930er zu.“
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Die sozialen Auswirkungen von Mikrokrediten:
„Wenn zum Beispiel eine Familie in Bangladesh einen kleinen Acker und eine Kuh, aber kein Geld besitzt, gilt sie in ökonomischen Untersuchungen als absolut arm. Sie hat kein Geld und die Gebrauchsgüter, die sie mit dem Acker und der Kuh produziert, gelten als nichts. Bekommt die Familie aber 50 US-Dollar Kredit, wird sie als der schlimmsten Armut entkommen verbucht. (…) Wenn die Kleinkreditnehmer ihre Schulden nicht mehr bedienen können und in der Folge von den Schuldeneintreibern gezwungen werden, ihren kleinen Acker und die Kuh zu verkaufen, hat sie das in der Rechnung der Ökonomen nicht ärmer gemacht, weil sie nach deren Rechnung gar nicht mehr ärmer werden konnten.“
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Links der Woche
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Das Problem Don Alphonso:
„Aber nichts davon ist wahr. Keine einzige “Recherche” von Don Alphonso hält einem zweiten Blick stand. Und die Beweise dafür liegen klar für jeden offen zu Tage. Ich habe mir hier die Mühe gemacht, alles zusammenzutragen und nachzurecherchieren, nachzuhaken und alles aufzuschreiben.“
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Jobcenter macht keinen guten Job:
„Ohne Job scheint man im Jobcenter Pankow so gut aufgehoben zu sein wie mit Herzinfarkt in der Tierklinik. Falsche Bescheide, viele Klagen und interessant qualifizierte Mitarbeiter – ein Versuch, den Laden zu verstehen.“
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Bundesgerichtshof: Frauen können neben einer Vollzeittätigkeit noch Kinder betreuen, Männer nicht | die-alleinerziehenden.de:
„Aber das Urteil enthält noch eine überraschende Wertung des BGH: Unterhaltspflichtigen Vätern kann neben einer Vollzeittätigkeit zumindest an Werktagen keine Betreuung des gemeinsamen Kindes zugemutet werden, betreuenden Müttern zusätzlich zu einer Vollzeittätigkeit jedoch schon.“
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Warum ich als Journalist nur noch die Monster füttere:
„Mit 5.500 Followern auf Twitter gehöre ich in Deutschland unter den Journalisten schon zu den “Top-Marken” im Netz. Mit Blick auf die niedrige Anzahl ist das natürlich ein Witz (Twitter-Deutschland ist ein Dorf). Aber bezugnehmend auf all die anderen Journalisten mit durchschnittlich 300 Followern und wenig Luft nach oben, sind 5.500 Follower ein echtes Pfund. Völlig absurde Aufmerksamkeitsökonomie.“
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Fasten 2.0 – sechs zeitgemäße und innovative Strategien der Selbstkasteiung
tl;dr: Fasten ist nicht mehr zeitgemäß. Wir brauchen neue Fastenstrategien.
Aschermittwoch. Fastenzeit. Menschen versuchen wieder, für ein paar Wochen ein wenig heilig zu sein, damit sie es den Rest des Lebens nicht müssen. Beliebt ist das klassische Fasten: Wenig bis nichts essen und wenn dann nur Salat. Also was der durchschnittliche Mitte-Hipster sowieso schon die ganze Zeit tut. Der Verzicht auf Drogen aller Art ist hingegen gar keine gute Idee, oder wollen wir wirklich die nächsten sieben Wochen mit Nervenbündeln verbringen, die unter Entzugserscheinungen leiden? Eine relativ neue Idee ist, sieben Wochen aufs Handy bzw. Smartphone zu verzichten. Gar nicht mal soo dumm, vorausgesetzt, ich bekomme diese sieben Wochen frei. Allerdings frage ich mich dann auch, wieso nur aufs Mobiltelefon verzichten und nicht gleich ein Schweigegelübte ablegen und mit Oropax durch die Welt rennen?
Haut alles nicht so hin, passt nicht in unsere Zeit. Was wir brauchen, sind neue Fastenstrategien. Zum Beispiel:
- Sieben Wochen kein Sex. Das ist Fasten für Einsteiger. Fällt leicht, auf Dinge zu verzichten, die du sowieso nicht hast. Einziges Manko: Youporn-Verbot. Das ist schwer, aber nur die Harten kommen in den Garten.
- Berufsfasten: Sieben Wochen nicht zur Arbeit. Einfach so. Die befreienden Effekte werden dein ganzes Leben verändern. Nach spätestens sieben Wochen wirst du plötzlich sehr viel mehr Zeit für dich selbst haben und ein ganz neues Gefühl für die Relativität von Kontoständen entwickeln.
- Religionsfasten: Sieben Wochen keine Kirche, kein Yoga und keine Klangschalen. Scientologische Thetane operieren einfach mal nicht. Wer trotzdem betet, muss fünf Euro ins Bierschwein werfen.
- Fernsehfasten: Sieben Wochen ohne Markus Lanz und Günther Jauch. Paradisiesisch. Fasten kann auch lustvoll sein. Aber warum nur sieben Wochen?
- Veganisches Fasten: Veganer und Vegetarier ernähren sich sieben Wochen lang ausschließlich von Fleisch- und Milchprodukten sowie Honig. So gewinnen wir ein tieferes Empfinden für den Wert pflanzlicher Lebensmittel und werden Brot, Tofu und Soja ab Ostern genießen wie selten zuvor.
- Peristaltisches Fasten. Die Königsdisziplin. Wir verzichten sieben Wochen lang auf jegliche Verdauung. Und Ostern spüren wir dann eine gigantische Erleichterung. Schließlich hat auch Jesus damals drei Tage für die Wiederauferstehung gebraucht.
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Discordianische Konzile zu Kassel und Berlin
tl;dr: In Berlin macht Piratenpartei noch Spaß.
Die Piratenpartei stirbt, schreibt die „Zeit“. Tatsächlich steht die Partei im Bund und in den meisten Ländern desolat da. Die Partei hat im Streit um Links und Rechts vergessen, wo vorne und hinten ist. Während in Kassel ein paar diskordianische Gegenpäpste über Personen und Gossip streiten, werden in Berlin in sehr angenehmer und sachlicher Atmosphäre Themen diskutiert und umgesetzt.
Wir haben einen Vorstand mit ein paar ziemlich coolen und in ihren Bereichen kompetenten Leuten gewählt, der nicht gleich über jedes hingehaltene Stöckchen springt – wenn auch leider wieder ganz ohne Frauen. Wir haben endlich die „ständige Mitgliederversammlung“ beschlossen, die sicher stellt, dass wir Dinge auch ohne Parteitage beschließen können und zwar über das Internet auch von Leuten, die keine Zeit haben, auf Parteitagen herumzuhängen.
Es gab sehr klare Statements gegen die Mobbing-Kultur in Teilen der Partei und gegen den „Orgastreik“ und nach den ganzen Wahlen fanden wir noch die Zeit für eine Handvoll inhaltlicher Beschlüsse, die mir recht gut gefallen. Und in Gesprächen am Rande zeigen sich lauter sachpolitische Initiativen und Pläne für die nächsten Monate, Jahre und Wahlen. Die Berliner Piraten wissen, was sie wollen, sind kampagnenfähig und haben noch was vor.
Keine Ahnung, wie das mal ausgeht und wir aus dem Tief herauskommen, aber in Berlin macht Piratenpartei noch, wieder und weiterhin Spaß.
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Links der Woche
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Formlos, fristlos, fruchtlos – Strafanzeigen als politisches Werkzeug:
„Samt und sonders verliefen diese Anzeigen offenbar formlos, fristlos, und fruchtlos. Sie zu stellen war politischer Theaterdonner, eitle Gaukeleien ohne die ernsthafte Absicht, das so adressierte Problem einer tatsächlichen Lösung zuzuführen. Nicht mal der Fortgang der Anzeigen wird verfolgt. Strafanzeigen sind das “Comic Sans unter den politischen Methoden“, die “Fire and Forget”-Wunderwaffe der politisch Unzufriedenen dieser Gesellschaft, das Klicktivismus-Werkzeug für diejenigen, denen eine schnöde Petition nicht elitär genug ist.“
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Gezeugt, geboren und begraben:
„Ich kriege also mein totes Kind. Es dauert drei Tage. Drei Tage, die mein Mann und ich in der Frauenklinik sitzen. Wir versuchen, zu verstehen, was passiert ist, aber das geht nicht. Wir langweilen uns. Die wehenauslösenden Mittel machen mir heftigen Durchfall, sonst tut sich nichts. Das Personal ist unfähig und unsensibel, fragt mich fünfmal, welche Medikamente ich nehme, manche schreiben es sogar in die Akte und fragen dann doch noch ein sechstes Mal nach. Der Dialog bei der Anmeldung: „Warum sind Sie hier?“ „Zur Einleitung.“ „Oh, will das Baby nicht rauskommen?“ „Nein, es ist tot.“ Daraufhin schnappt die Sachbearbeiterin nach Luft, als wäre ihr was Schreckliches passiert.“
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Herkünfte und Milieus der Cyborgs:
„Die Cyborgs haben eine doppelte Herkunft in der Weltraumforschung und im Feminismus und haben sich in Milieus vermehrt, die so nicht für sie vorgesehen waren:In der Populärkultur und in der akademischen Welt.“
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Was kostet der Kirchenaustritt?:
„Besonders für angehende Eltern stellt der Kirchenaustritt eine schwerwiegende Entscheidung dar. Die Kirche übernimmt zahlreiche staatliche Aufgaben in der Bildung. Das Steuersystem begünstigt Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft, wodurch trotz sinkender Mitgliederzahlen der Kirchen der Anteil der kirchlichen Betreuungseinrichtungen hoch bleibt und sogar steigt. Auf meiner Grundschule hatten der katholische und evangelische Teil getrennt Pause.“
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Konsequent:
„Daher scheint auch die erste und einzige Reaktion, die einem in diesen Tagen wie digitaler Eiter entgegen gespien wird, die zu sein, ob man sich denn jetzt auch bei Facebook & Co. abmeldet, weil die ja schließlich auch!! super böse sind. Und natürlich – haha! – wie dumm die sind, die auf Facebook schreiben, dass sie jetzt nicht mehr WhatsApp benutzen.“
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Links der Woche
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Sicheres Instant Messaging:
„Facebook kauft WhatsApp für $19 Mrd., und jetzt suchen viele User nach Alternativen. Wie sinnvoll das ist, sei mal dahin gestellt – Facebook nutzen eh die meisten, und die zu WhatsApp hochgeladenen Adressbücher verschwinden ja auch nicht plötzlich, weil man einen anderen Messenger installiert. Jedenfalls aber gibt es gerade viel Unsicherheit und Halbwissen zum Thema sicheres Instant Messaging.“
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Tag der Muttersprache 2014:
„Von den sechs– bis siebentausend Sprachen, die derzeit auf der Welt gesprochen werden, werden mehr als die Hälfte in den nächsten hundert Jahren verschwinden. Deutsch (genauer: das Standarddeutsche) ist dabei übrigens nicht bedroht: Mit über 100 Millionen Muttersprachler/innen und noch einmal fast hundert Millionen Menschen, die es als Fremdsprache sprechen, gehört es zu den zehn meistgesprochenen Sprachen der Welt.“
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Eskalation – Polizeigewalt in Russland:
„Polizeigewalt ist ein unverzichtbarer Bestandteil des Regimes Putins. Seine Stützen – Polizisten, Militärs und Staatsanwälte – werden auch „Gewaltorgane“ genannt. Sie müssen gewalttätig und brutal sein, denn der Kreml will gefürchtet werden.“
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Laut der UN ist Nordkorea offiziell der schlimmste Ort auf dieser Erde:
„Sollte man auf die Idee kommen aus einem nordkoreanischen Gulag zu flüchten und zu versuchen einen der hohen Lagerzäune zu überwinden, wird man zwangsläufig zu einer lebenden Zielscheibe und einer weiteren Übungsaufgabe für die Wachen des Lagers. Wenn Hunger, Krankheit und Folter einen bis dahin noch nicht umgebracht haben, dann werden ihre Schüsse das sicher erledigen.“
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Nur durch Übereinkunft gibt es Leben und Tod › Graue Substanz:
„Die SZ berichtet heute, das Ärzte oft fälschlich Patienten für hirntot erklären. Auch auf facebook gab es dazu vor kurzem Debatten, in denen einiges durcheinander lief. Morgen wird es an der Charité zum Thema Hirntod einen Vortrag geben. Vorab ein paar Einwürfe aus der Physik zur spontanen Wiedergeburt unserer Gehirne.“
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Wenn Piraten Streik spielen
tl;dr: Admins der Piratenpartei missbrauchen ihre Macht, um Forderungen durchzusetzen. Nicht zum ersten mal.
Ich halte mich seit längerem konsequent aus allen Shitstorms heraus – meistens hat es ja doch keinen Sinn und macht die Situation nur noch schwieriger. Was da unter dem Label „Orgastreik“ in der Piratenpartei passierte, ist jedoch eine Klasse für sich. Gate für Gate und in vielen Monaten „Popcornpiraten“ habe ich noch nie so viele Nachrichten und besorgte Anfragen erhalten, wie die letzen beiden Tage. Sie kamen von Freunden, Wählern und Sympathisanten und etliche aus anderen Parteien, wo es immer noch viele Netzpolitiker gibt, die die Piratenpartei mit einem letzten Rest Wohlwollen betrachten.
Das interessante dabei: Fast niemand interessierte sich groß für die Ereignisse in Dresden und das so genannte „Bombergate“. Die Statements dazu variierten zwischen „Geile Aktion“, „sympathisch aber dumm und übers Ziel hinaus“ und „geht gar nicht, aber egal, gibt immer Leute, die Mist bauen.“ Die Anfragenden meldeten sich nicht wegen „Bombergate“ sondern wegen des darauf folgenden „Streiks“ der Parteiverwaltung und der Admins. Sie fragten, was zum Geier eigentlich bei uns los sei. Durch die Bank fand niemand diese Form der politischen Auseinandersetzung angemessen oder tolerabel. Leute aus anderen Parteien sind unter anderem der Meinung, dass die Piratenpartei aufhört, ein ernst zu nehmender Ansprechpartner zu sein, sollten sich die Streikenden in irgend einer Form durchsetzen.
Was da passiert ist, hat nämlich mit einem „Streik“ kaum etwas zu tun. Streik bedeutet – zumindest in Deutschland – die Arbeit demonstrativ niederzulegen. Was hier geschah, war jedoch viel mehr als eine eine Arbeitsniederlegung. Ein Streik zielt darauf ab, Rechte durchzusetzen, wo Strukturen nicht demokratisch sind. Streiks kann mal also in Unternehmen durchführen, in Diktaturen und überall dort, wo es keine demokratischen Strukturen gibt. Das ist in der Piratenpartei absurd: Es gibt einen gewählten Vorstand, an den alle Mitglieder sich wenden können und in harten Fällen gibt es Schiedsgerichte. Darüber hinaus gibt es seit Jahren Versuche, beispielsweise mittels Liquid Democracy mehr Mitsprachemöglichkeiten zu schaffen. Ein reiner Treppenwitz, dass (nicht alle aber) viele der „Streikenden“ zu denjenigen gehören, die Liquid Democracy bekämpfen, ohne bisher einen funktionierenden Ersatz geliefert zu haben.
All diese demokratischen Verfahren brauchen Zeit, Ruhe und Umsicht und sollen verhindern, dass diejenigen sich durchsetzen, die am lautesten schreien. Genau das haben die Verwaltungspiraten getan: Am lautesten geschrien – indem sie Verwaltungsstrukturen der Partei über Stunden und Tage lahmgelegt und das Partei-Wiki durch ein Statement ersetzt haben. Sie haben sich damit an genau der Shitstormerei beteiligt, die sie angeblich doch so sehr kritisieren. Ihr Statement hatte es nämlich in sich. Es enthielt nicht nur den Aufruf an die Mitglieder, mal klarzukommen, wofür ich Verständnis hätte, sondern darüber hinaus politische Forderungen an den Bundesvorstand, sich von diesem und jenem zu distanzieren und Maßnahmen gegen allerlei Parteimitglieder zu ergreifen. Zugleich waren allen anderen Mitgliedern Wiki, Mailinglisten, Mumble und Etherpads verschlossen. Sie konnten sich weder parteiintern dazu äußern noch sich raushalten und einfach ihrer politischen Arbeit nachgehen. Wer als Admin Macht über eine Infrastruktur hat, darf diese nicht für die eigenen Ziele missbrauchen. Genau das haben die Verwaltungspiraten aber getan.
Erinnert sich noch jemand an unser Plakat aus 2011? Netze in Nutzerhand? Infrastrukturen sollten neutral sein, niemanden bevorzugen und niemanden diskriminieren? Netzneutralität anyhow? Server aus politischen Gründen abschalten, das ist etwas, das wir sonst von wankenden Regimen im arabischen Frühling kannten. Meine Gesprächspartner sind alle mehr oder weniger netzpolitisch unterwegs. Ihre Fragen zeugen von Erstaunen und Fassungslosigkeit, dass nun ausgerechnet in der Piratenpartei Server abgeschaltet wurden, um politisch etwas durchzusetzen. Meine Gesprächspartner fanden Worte dafür. Ich zitiere: „Erpressung“, „Sabotage“, „Bruch der Netzneutralität“, „Machtmissbrauch der Admins“.
Diese Worte stammen nicht von mir. Mich erschrecken am „Orgastreik“ andere Dinge. Das ganze hatte sich anhand einer antifaschistischen Aktion entzündet, aber hat nur jemals irgend ein Admin gestreikt, als Nazis und Rechtsradikale versuchten, in der Partei Fuß zu fassen? Streikt irgend ein Admin, weil der Geschichtsrevisionist Bodo Thiesen noch immer fröhlich in der Partei herumgeistert?
Und noch etwas erschreckt mich: „Orgastreik“ war nicht das erste mal, dass Admins versucht haben, ihre Macht über die Infrastruktur zu nutzen, politisch etwas durchzusetzen. Vergangenes Frühjahr baute ein Admin einen „Genderfilter“ ein, der Texte in unseren Foren und Mailinglisten von gendergerechter Sprache „reinigte“ – ein direkter Eingriff in die Kommunikation der Mitglieder verbunden mit der Aussage: Unsere Platform ist nicht neutral; wir manipulieren deine Inhalte, wenn uns etwas daran nicht passt.
Dass dieser „Genderfilter“ zunächst vom zuständigen Vorstandsmitglied gedeckt wurde, war Auslöser meines vorübergehenden Parteiaustrittes im Frühjahr 2013. „Orgastreik“ zeigt nun, dass Admins in der Partei weiterhin und wiederholt bereit sind, ihre Macht innerhalb der Partei zu missbrauchen. Als sei das nicht genug, nennen sie die Aktion auch noch „Warnstreik“. Warnstreik heißt soviel wie: „Das war jetzt nur ein Vorgeschmack auf das, was in Zukunft kommt, wenn ihr nicht auf unsere Forderungen eingeht.“ Nehmen wir die Verwaltungspiraten ernst, ist also bald mit weiteren Streiks zu rechnen.
Die ganze Aktion ist ein massiver Vertrauensbruch. Die Partei braucht dringend dezentrale Strukturen und/oder eingekaufte Dienstleistungen, die unabhängig von den Befindlichkeiten der Ehrenamtlichen funktionieren. Seit gestern ist Google Drive vertrauenswürdiger als ein Piratenpad.
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Links der Woche
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Privat ist die sehr nett:
„Frauen sind für die NPD aus zwei Gründen von Interesse. Zum einen, weil sie der vermeintlichen sozialen Ausrichtung der Partei Glaubwürdigkeit verleihen – soziale Belange gelten als Frauenthemen. Die lokale Verankerung, die die Partei anstrebt, erreicht sie zum anderen auch über Frauen, die im vorpolitischen Raum aktiv sind und Kontakte knüpfen. An den letzten Wahlen konnte man beobachten, dass die NPD vor allem dann erfolgreich ist, wenn die Wählerinnen und Wähler die KandidatInnen vor Ort kennen.“
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Read an anthropologist’s paper about the rituals of 1950s Americans:
„In the 1950s, Horace Miner became annoyed at the tone taken by anthropologists. They seemed to patronize and distance themselves from the culture they claimed to study. He decided to act on that annoyance by writing a paper on the tribe of the Nacirema – the American.“
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Privatheit neu lernen:
„Warum sollten denn ausgerechnet sensible Daten auf Facebook an den Personenkreis gegeben werden, der schon heute aus durchschnittlich 250 Kontakten besteht, zu denen überwiegend nur lose Bindungen (loose ties) bestehen? Privates, das nicht privat ist, kommuniziert an Freunde, die keine sind: Das wäre ein gutes Beispiel für eine soziale Reaktion auf Technik.“
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Willkommen bei den Gutmenschen:
„Es ist immer wieder amüsant zu beobachten, wie Leute, die gegen den Überwachungsstaat nichts einzuwenden haben und denen die Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger gar nicht hart genug sein können, den Gutmenschen in sich entdecken und Nachsicht fordern, wenn es um Steuerbetrug geht.“
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Hunger (2):
„Meine Essanfälle verliefen so, dass ich aß, erbrach und weiteraß, wieder erbrach, häufig zwischen 3.000 und 5.000, manchmal auch über 10.000 Kalorien. Essen, erbrechen, weiteressen, immer wieder. Bis der Kühlschrank leer und kein Essen mehr im Haus war. Dann zwang ich mich, den letzten Rest noch zu erbrechen, so lange, bis nur noch Magensäure herauskam.“
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