Piratenpartei: Ein Jahr danach

tl;dr: Unwählbar.

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Es ist jetzt etwas mehr als ein Jahr her, dass ich aus der Piratenpartei ausgetreten bin. Grund war – wie bei zahllosen anderen Menschen auch – das Ergebnis des Parteitages in Halle, dessen Vorgeschichte Putsch-artige Züge trägt und bei dem sich der konservative (sich selbst sozial-liberal nennende) Flügel durchgesetzt hatte. Die Partei schrumpfte daraufhin von 34.000 auf 18.000 Mitglieder und verlor dabei nahezu vollständig ihren linksliberal-progessiven Flügel, der so etwas wie eine politische und gesellschaftliche Vision hatte und wesentlich für die Wahlerfolge 2011/2012 verantwortlich war. Beschönigend wird dieser AfD-artige Zerfallsprozess in der Partei auch als „Konsolidierung“ bezeichnet. Seitdem habe ich von der Piratenpartei mit Ausnahme der Berliner AGH-Fraktion, die einen tollen Job macht, nicht mehr besonders viel mitbekommen. Ein Freund, der noch Mitglied ist, sagt, dass das daran liegt, dass da nicht viel mitzubekommen gewesen sei.

Weil mich interessiert, wie es in der Partei ein Jahr danach so aussieht, habe ich mir große Teile des Parteitages als Stream angesehen. Die Ergebnisse sind ernüchternd bis gruselig.

Die beste Rede des Parteitages war ausgerechnet das Grußwort des Würzburger Bürgermeisters (CDU). Politische Reden gab es fast keine. Einziger Lichtblick war ein Projekt, das die AG Energiepolitik vorgestellt hatte. Bis auf die Kandidaten zur politischen Geschäftsführung ließ sich kaum ein Kandidat dazu herab, sich politisch zu äußern, insbesondere auch nicht der neue alte Vorsitzende Stefan Körner, der die Partei 2017 mit „besserer Öffentlichkeitsarbeit“ in den Bundestag bringen will, freilich ohne zu sagen, mit welchen politischen Inhalten. Der alte Vorstand, dessen Wahl Anlass für die Austrittswelle war, wurde fast vollständig wiedergewählt (lediglich zwei Stellvertreterpositionen wurden neu besetzt). Für mich persönlich wären alle Kandidaten bis auf eine Ausnahme völlig unwählbar gewesen. Dass der Vorstand zum Teil mit sehr hohen Zustimmungwerten bestätigt wurde, lag aber auch daran, dass es für die meisten Positionen von einigen Spaß-Kandidaturen abgesehen keine gewichtigen Gegenkandidaten gab. Nicht nur weil die Personaldecke mittlerweile äußerst dünn ist, sondern auch, weil der progressive Flügel, der Gegenkandidaten hätte stellen können, sich längst mit Grausen von der Partei abgewandt hatte. Mehrfach beschworen Körner und andere Kandidaten, sie seien für „alle“ Piraten da, was nach dem Herausekeln des progressiven Flügels zynisch klingt. Am Rande interessant war noch die Wahl des parteiinternen Schiedsgerichtes. Die höchste Zustimmung erhielt ein Kandidat, der kürzlich noch bei der auseinander brechenden AfD um Mitglieder werben wollte, die zweithöchste ein Jurist, der im Vorfeld eine Schmutzkampagne gegen seine Vorgänger gefahren hatte.

Gut, ich mag diese Leute nicht und weiß von etlichen, dass sie mich nicht mögen, fair enough dass ich weg bin. Was ich aber noch wäre: potenzieller Wähler. Da ist es interessant zu schauen, was die Piratenpartei inhaltlich zu bieten hat. Wer von einer politischen Partei so etwas wie Politik erwartet, wird enttäuscht. Kurz: Die Lage ist ernüchternd. Eine Aufarbeitung der verlorenen Bundestagswahl 2013 fand bis heute nicht statt. Die letzten drei (!) Parteitage verbrachte die Partei damit, neue Vorstände zu wählen, statt sich um Inhalte zu kümmern.

Im Sommer 2015 hat sich die Eurokrise zugespitzt, Griechenland ist an einem Grexit vorbeigeschrammt, die dortige Austeritätspolitik ist noch einmal verschärft worden. Die Bundesregierung hegt die Arbeit des NSA-Untersuchungsauschusses ein (Stichwort Selektoren-Listen). Julia Reda hat als Piratenabgeordnete mit ihrem Urheberrechtsbericht eine großartige Leistung vollbracht, allerdings droht, die Netzneutralität in einem Deal gegen freies Roaming draufzugehen. Die Pegida-Welle ist vorläufig verebbt, aber es gab bisher mehr als 200 Angriffe auf Asylbewerber-Unterkünfte, die Lage scheint schlimmer zu werden als Anfang der 90er Jahre. Gleichzeitig sterben zahllose Menschen auf der Flucht nach Europa, und es gab eine breite Debatte über die Aktion #dieTotenKommen. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Alles hochaktuelle Themen, um sie auf einem Parteitag zu thematisieren, die eines gemeinsam haben: Sie fanden einfach nicht statt. Immerhin gab es zwischen den einzelnen Wahlgängen ein paar Abstimmungen, die sich aber zu großen Teilen auf die Satzung bezogen und schon Parteitagsfolklore waren, die alle Jahre wieder in die Tagesordnung gehoben werden: ein Finanzrat, Zulassung von Gästen und Journalisten zum Parteitag usw.

Spannend wurde es, als die Piratenpartei über ein Positionspapier abstimmen sollte, das sich gegen Antisemitismus wandte. Das Ergebnis ist der absolute Tiefpunkt der Parteigeschichte: Das Positionspapier wurde zwar wegen einiger Enthaltungen knapp angenommen, aber nur 49,4 % der Piraten waren der Meinung, sich gegen Antisemitismus positionieren zu müssen. Wir müssen also davon ausgehen, dass ein großer Teil der Piratenpartei antisemitisch ist oder Antisemitismus toleriert. Die Debatte dazu war ein einziges Gruselkabinett: Von der Politik Israels in den besetzten Gebieten bis hin zur Klage, dass es ja wohl nicht sein könne, dass jedes mal so ein „Mist“ abgestimmt werden müsse, waren alle antisemitischen Plattidüden dabei und verliefen nach bewährten Pegida-Muster „…ich bin ja kein XXX aber…“. Einige fanden, dass der Antrag handwerklich schlecht war. Wenn es denn stimmen würde, wäre das ein Treppenwitz, nachdem der neue Vorstand als erste Amtshandlung vor einem Jahr das Liquid Feedback abgeschaltet hattet – die einzige Möglichkeit für die Basis, Anträge vorab per Internet zu diskutieren, zu modifizieren und rund zu machen. Vom Ersatz „BEO“, der vor immerhin zwei Jahren beschlossen worden war, gibt es noch immer keine Spur, was daran liegt, dass eine solche Basisbeteiligung von der verbliebenen Rumpfpiratenpartei schlicht nicht gewollt ist. Aber zurück zum Antisemitismus-Antrag: Einige der Redner entblödeten sich nicht, sich über „Denkverbote“ zu beschweren und weitere ambitionierte Hobby-Politiker störten sich am Wort „Antizionismus“. Die lesen am besten mal hier weiter. Und schließlich fanden einige noch, das Positionspapier sei überflüssig, weil das sowieso schon Beschlusslage sei. Stimmt, die Partei hat in ihrer Satzung stehen, dass sie jede Form von Diskriminierung ablehne. Und Nerds mögen oft keine Redundanz. Das hielt den Parteitag aber nicht davon ab, wenig später ein Positionspapier gegen die Diskriminierung von dicken Menschen zu verabschieden, ohne dass sich jemand beklagt hätte, warum denn nun schon wieder über so einen Unsinn abgestimmt werden müsse.

Weiterer Tiefpunkt war ein Positionspapier, das Asyl für Edward Snowden forderte. Abgesehen davon dass Snowden ausdrücklich kein Asyl in Deutschland will und er hier auch gar nicht sicher vor einem Zugriff durch die USA wäre: In einer Zeit, in der es in Deutschland in etwas mehr als einem halben Jahr über 200 Angriffe auf Asylbewerber-Unterkünfte gab, die sich teilweise nur noch als terroristisch bezeichnen lassen, schafft es die Piratenpartei, ein solches Papier zu verabschieden, ohne auf diesen größeren Zusammenhang einzugehen. Edward Snowden ist aus ihrer Sicht ein Held und „einer von uns“, während die sonstige Flüchtlingsproblematik der Partei am Arsch vorbei geht und sie erfolgreich all diejenigen herausgeekelt hat, die sich in Dresden und anderswo dem Nazi-Mob entgegen stellen.

Interessant waren eine weitere Gruppe von Anträgen. Angenommen wurde „Keine Kriegshandlungen ausländischer Truppen von deutschem Gebiet aus ohne Bundestagsmandat“. Aktueller Anlass ist der Drohnenkrieg, den die USA unter anderem von Ramstein aus führen. Der springende Punkt ist, dass dieser Antrag Kriegshandlungen von deutschem Boden aus nicht grundsätzlich ablehnt, aber dass das deutsche Parlament da mitreden muss. Es geht hier also nicht um Pazifismus oder wenigstens die Beschränkung auf Verteidigungshandlungen sondern um Nationalismus. Dazu passt, dass die Piratenpartei sich in zwei weiteren Anträgen weder dazu durchringen konnte, sich für eine Welt ohne Atomwaffen stark zu machen, noch dazu, Rüstungsexporte zu verbieten.

Angenommen wurden dann schließlich drei Anträge, die die Veröffentlichung von Sensor-Daten an öffentlichen und Privaten Gebäuden fordern, ein anonymes Zahlungsmittel im Internet (mit dessen Schaffung ausgerechnet die EZB beauftragt werden soll) sowie freies WLAN im öffentlichen Personen-Nahverkehr. Nicht falsch verstehen, das sind teilweise gute Anträge, wichtig ist jedoch das Gesamtbild: Klarer kann eine Partei nicht zeigen, dass sie sich für nichts außerhalb ihres eigenen Bauchnabels interessiert. Noch besteht das Programm zu großen Teilen aus linken Forderungen, die aus Zeiten stammten, als in der Piratenpartei noch Politik gemacht wurde. Daran liegt wohl auch, dass viele der verbliebenen Piraten immer noch glauben, sie seien „irgendwie links“, obwohl die spärlichen Beschlüsse der Partei seit fast zwei Jahren eine andere Sprache sprechen. Die sich selbst „sozial-liberal“ nennende Rumpf-Piratenpartei orientiert sich, was die Diskrepanz zwischen Programmatik und tatsächlichem Handeln betrifft, offenbar an ihrem großen Vorbild SPD.

Fazit: Die Piratenpartei, die schon immer ein Problem damit hatte, sich nach rechts abzugrenzen, hat nun zusätzlich ein Antisemitismus-Problem. Sie reduziert sich auf ihre Kernthemen, aber wo sie das ausnahmsweise nicht tut, denkt sie nationalistisch. Das allmählige Abrutschen der Partei nach rechts ist beim Blick von außen nicht zu übersehen. Leider lässt sich dieses Treiben der orangenen Kleinpartei nicht als irrelevant abtun, solange sie in Berlin bei 5% steht und nachdem dieser geschickt im Sommerloch platzierte Parteitag ein breites Medienecho à la „Die Piraten sind wieder da“ ohne genaueres Hinsehen erfuhr. Vor der Piratenpartei des Jahres 2015, jedenfalls, muss gewarnt werden.

P.S.: Ein kleines Grüppchen unentwegter Menschen, die ich sehr schätze, ist noch in der Partei. Ich weiß, dass ihr nur das beste wollt. Das hier richtet sich nicht gegen euch und ihr wisst schon, wenn ihr gemeint seid.

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