FAZ löscht Blog: Eine andere Form von CTRL-Verlust

Vorweg: Ich kenne und schätze Michael Seemann schon sehr lange. Als es Twitter und FAZblog noch lange nicht gab, liebte ich schon seine sperrigen „Walls of Text“, die mühsam zu lesen aber äußerst nahrhaft und sättigend waren. Mit seiner These vom Kontrollverlust erregte er vor ein paar Monaten Aufmerksamkeit. Vereinfacht gesagt geht es um das Problem, dass wir alle längst einen permanenten Datenstrom produzieren, selbst wenn wir um Facebook oder gar das Internet als ganzes einen großen Bogen machen. Dass der Geist in sofern aus der Flasche ist, dass wir keine Kontrolle mehr über das Eigenleben haben, das unsere Daten jetzt und in Zukunft führen. So wie sich Tut-Ench-Amun nicht dagegen wehren kann, dass wir heute aus seinen sterblichen Überresten auf sein (Privat-)Leben schließen.

Das alles im Detail auszubreiten, führt hier zu weit. Eine gute und sehr verständliche Zusammenfassung gibt es in der aktuellen c’t auf S. 114. (Update: Mittlerweile ist der Artikel online kostenlos lesbar – danke an die c’t!) Die eigentlichen Beiträge standen im FAZblog. Dort häufte Michael Seemann Text auf Text und war dabei, ein Gesamtbild der Thematik zu schaffen. Vielleicht sogar den ideologischen Überbau einer Bewegung oder eben – darüber kann man streiten – eine Bestandsaufnahme dessen, was ist. Leider sind die Texte nicht mehr im Netz. Die Redaktion der FAZ hat das gesamte Blog gelöscht.

Was ist geschehen? Als Michael anfing, für die FAZ zu bloggen, bildete seine These vom Kontrollverlust einen sehr schönen Kontrapunkt zu Frank Schirrmachers Buch „Payback“. Das hat auch Schirrmacher erkannt und ihn zum bloggen eingeladen. Die Texte widersprachen zum Teil sehr dem, was die FAZ sonst als redaktionelle Linie fährt, was ich aber nur als äußerst lobenswerte Belebung der Debattenkultur empfinde. In seinem letzten Post schrieb Michael einen interessanten Artikel über das iPhone, den er mit Bildern hinterlegte, die zwar einer Creative-Commons-Lizenz unterlagen, aber kommerziell nicht hätten verwertet werden dürfen. Klar, ein Fehler, eine Panne. Was man in einem solchen Fall macht: Man nimmt die Bilder vom Netz. Was hier aber geschah: Man nahm den ganzen Artikel vom Netz. Was Michael tat: er stelle den Artikel nochmal ohne Bilder online – inhaltlich gab es schließlich am Text nichts zu beanstanden. Was die Redaktion daraufhin tat: Sie löschte mal eben das ganze Blog.

Das ist nicht nur für Michael Seemann bitter: All die Arbeit und Herzblut, die in diesen Texten stecken – verloren. Sein Vertrag mit der FAZ: In der Schwebe. (Nichts genaues weiß man nicht). Michael kommt mir ein wenig vor wie ein Rockstar, der bei einem Major-Label unterschrieben hat und dann dort verbrannt wurde. Aber genauso ärgerlich ist die ganze Affaire fürs Publikum: Die Texte sind verloren. Eine erneute Veröffentlichung dürfte aus rechtlichen Gründen höchst wahrscheinlich nicht möglich sein. Wer die Debatte um den Kontrollverlust heute recherchieren möchte, kommt an wesentliche Texte dazu nicht mehr heran. Daran zeigt sich nochmal deutlichst, dass das Urheberrecht in seiner heutigen Form eine Fehlkonstruktion ist. Die Texte hätten gar nicht erst bei der FAZ oder ähnlichen Publikationen erscheinen dürfen, wo offenbar über jedem Text und jedem Autor das Damoklesschwert der jederzeitigen und willkürlichen Löschung schwebt. Eine Zeitung aus Papier kriegt man nicht aus der Welt, man kann nur in der folgenden Ausgabe was dazu drucken. Im Netz führen die Daten nicht nur ein Eigenleben dahingehend, in unerwarteten Konstellationen wieder aufzutauchen, sondern auch mal eben ganz verloren zu gehen. Allein das erfordert kulturelle und gesetzgeberische Konsequenzen.

Über die Gründe der Löschung kann man nur spekulieren. Die Panne mit den Bildern reicht als Grund für die Löschung eines gesamten Blogs jedenfalls nicht im entferntesten aus. Ob irgendwer in der Redaktion Michael auf dem Kieker hatte, die Fehde mit Don Alphonso irgendwas damit zu tun hat oder Schirrmacher höchstselbst die Texte weghaben wollte – das weiß zur Zeit nicht einmal Michael selbst.

Ich hoffe jetzt sehr und wünsche ihm, dass in dieser Situation wenigstens eine Streisandiade draus wird. Mspro als Mensch und CTRLverlust als Blog verdienen es.

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