ZDF „Volle Kanne – ab ins Netz“ Folge 110 vom 13.08.2015
Blog
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Links der Woche
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Children Beating Up Robot Inspires New Escape Maneuver System:
“Now, a new study by a team of Japanese researchers shows that, in certain situations, children may not be as empathetic towards robots as we’d previously thought, with gangs of unsupervised tykes repeatedly punching, kicking, and shaking a robot in a Japanese mall.”
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Diese leidige Sache mit Adam:
“Der Kniff, der es der frauenfeindlichen Tradition ermöglicht hat, einen so grundlegenden Bibeltext praktisch in sein Gegenteil zu verkehren, war es, das Wort “Adam”, das hebräisch ist und einfach “Menschenwesen” (ohne geschlechtliche Bestimmung) bedeutet, als männlichen Eigennamen auszugeben und dann zu behaupten, alles, was von “Adam” gesagt wird, würde nur die Männer betreffen und die Frauen nicht.”
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Bericht: Warum immer mehr Kinder Google „wie Gott“ wahrnehmen – GWB:
“Selbst die kleinsten Kinder können heute schon unglaublich gut mit einem Tablet oder Smartphone umgehen und sich stundenlang damit beschäftigen. (…) Irgendwann entdecken sie dann auch unweigerlich die Sprachsuche von Google, die auf viele Fragen eine direkte Antwort hat. Egal was die Kinder die Suchmaschine fragen, so lange es sich um Fakten handelt kann diese meist kurz und knackig eine Antwort geben. Dadurch verwandelt sich das Tablet dann plötzlich vom Spielgerät zu einem Spielgefährten, der alle Fragen beantworten kann und das tut, was das Kind möchte.”
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Begattungsängste und homophobe Etymologie:
“Zu einem verschämten Euphemismus für den Geschlechtsverkehr, vor allem den zwischen Tieren (und hier besonders – kein Wortspiel – zwischen Vögeln), wurde begatten erst später (genau wie das Wort paaren, das zunächst „zusammenfügen“, dann „als Paar zusammentun“ und dann eben, auch vor allem bei den Tieren, wieder „Sex haben“ bedeutete). Und Tiere denken beim Sex natürlich nicht ans Kinderzeugen, sie tun es einfach, weil ihre Natur es ihnen nahelegt. Das tierisch-spontane, auf nichts als Lustgewinn gerichtete Sexualverhalten dürfte der Grund sein, warum begatten in der Anwendung auf Menschen einen etwas abfälligen, eben triebhaften Beiklang hat. “
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Associated Press Archiv, Simulator-Parodien, Trickshots kinderleicht
ZDF „Volle Kanne – ab ins Netz“ Folge 109 vom 06.08.2015
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Links der Woche
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The real reason some men still can’t handle the all-female ‚Ghostbusters‘:
“Part of the problem is, of course, straight-up misogyny (not to mention unfounded fears about Fake Geek Girls co-opting everything nerdy men love), but it’s also the fact that men are genuinely unaccustomed to seeing women in films. In a 2013 interview with NPR, Geena Davis discussed how the under-representation of women both onscreen and off leads men to have a skewed sense of what gender parity looks like. “
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Maccabi Chai!:
“Den Teilnehmern der Makkabiade wurde daher ein Katalog mit Verhaltensregeln in die Hände gedrückt. Darin heißt es unter anderem, die Athleten sollten »nicht als jüdische Gruppe erkennbar« durch »sensible Gebiete Berlins« laufen, keine Kippot tragen und am besten das Taxi benutzen.”
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Raus aus der Defensive | Blätter für deutsche und internationale Politik:
“Ganz genauso sieht es eine weitere Gruppe von Akteuren, nämlich die Spötter – mehr Männer als Frauen. Sie nutzen den Umstand, dass radikale feministische Positionen quer zum gewohnten Denkrahmen des „gesunden Menschenverstandes“ stehen, um sich darüber lustig zu machen. „Professx, hahaha, Schenkelklopf!“ Meist ist es auch ihnen wichtig, darauf hinzuweisen, dass sie nicht prinzipiell etwas gegen emanzipierte Frauen hätten, ganz im Gegenteil. Aber es ist ihnen ein Anliegen, mal klarzustellen, dass eine Frau, die von ihnen ernst genommen werden will, den Rahmen dessen, was sie persönlich für diskutabel halten, keinesfalls verlassen darf.”
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Fundstück von 1973: Wie Frauen als Programmiererinnen verschwinden – und der Hinweis darauf gestrichen wird:
“In der Geschichte der Programmierung von Computern hat sich nach dem zweiten Weltkrieg ein Rollenwandel der Geschlechter vollzogen. Waren zu Kriegszeiten Frauen noch typisch in der Rolle der Programmiererin, übernahmen nach dem Krieg Männer diese Tätigkeit.“
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Sei negativ oder sei still – Gentechnik in den Medien:
“Entwarnende Stimmen haben es in den Medien viel schwieriger sich Gehör zu verschaffen, als welche die den Teufel an die Wand malen. Das macht eine vernünftige, öffentliche Diskussion sehr schwierig.”
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Das Märchen von der Zwangsabgabe
tl;dr: Es passiert auch linken Menschen und ausgewiesenen Anti-Rassisten, auf die Rhetorik-Tricks vom rechten Rand hereinzufallen.
Zunächst möchte ich kurz um Entschuldigung bitten. Das folgende Stück liest sich wie ein Beitrag zur immergleichen Empörungskultur in den sozialen Medien. Das ist nicht meine Absicht. Ich möchte zeigen, wie leicht eins unabsichtlich auf rhetorische Tricks der Neurechten, Pegidioten und Nazis hereinfällt und diese übernimmt. Insbesondere sobald es um Geld und das eigene Portemonnaie geht, hört die Liebe nämlich ganz schnell auf – und rechte Rhetoriker wissen das.
Die Geschichte beginnt mit der wohlmeindenden Äußerung des Schauspielers Walter Sittler, mehr Geld für Geflüchtete bereit zu stellen. (Facebook-Link). Er schlägt unter anderem vor, dass wir alle 0,5 % unseres Jahresgehaltes spenden – der etwas hilflose Versuch, angesichts des braunen Mobs, zu Solidarität aufzurufen. Sofort ist das Wort „Zwangsabgabe“ in der Welt. Darüber regen sich viele Menschen auf, ganz als hätte Angela Merkel höchstselbst die Einführung einer Zwangsabgabe zum 1. August angekündigt – und nicht irgend ein Schauspieler in einer Talkshow. Da frage ich mich natürlich: Wäre diese Empörung genauso groß ausgefallen, wenn Sittler zu – sagen wir mal – Spenden für den Tierschutz aufgerufen und Bilder von Robbenbabies gezeigt hätte?
Traurig an der Geschichte ist, dass auch Menschen, die sich selbst eher links verorten, ausgewiesene Antirassisten sind durchaus für Geflüchtete einsetzen, auf diesen Zug aufspringen. Das polemische Schlagwort einer vermeintlichen „Zwangsabgabe“ aus dem Mund eines Schauspielers scheint auszureichen, dass die Menschen ihre Gehirne ausschalten und ihren Geldbeutelschutzreflexen nachgeben. Die Argumente, die sie äußern, erinnern erschreckend an das, was sich sonst aus der braunen Ecke zu hören ist:
Erstes Argument: „Zwangsabgabe? Dann zahlen wieder nur die kleinen Leute.“ Es ist nur Millimeter entfernt von „Die geben unser Geld für Ausländer aus statt für die wirklich bedürftigen Deutschen“. Geflüchteten soll geholfen werden, aber bitteschön nicht auf meine Kosten.
Wenn jemand dann darauf hinweist, dass von einer Zwangsabgabe nicht die Rede sein kann und jemand gerne zu Spenden aufrufen möchte, folgt Argument 2: „Spenden sind doof, siehe Tafeln und Hartz IV, die helfen nur, dass sich der Staat aus der Verantwortung stehlen kann.“ Da ist sicher was dran. Wenn es um die Tafeln geht. Ansonsten: Ich stelle mir das gerade bildlich vor, wie ab jetzt Woche für Woche Hunderttausende auf die Straße gehen und mehr Geld für Geflüchtete fordern, bis der Staat endlich einlenkt seine Ausländerpolitik ändert. Ich glaube, dass denjenigen, die dieses Argument benutzen, gar nicht bewusst ist, wie zynisch ihre Reaktion klingt.
Im weiteren Verlauf der Diskussion kommt dann Argument Nummer drei: „Die Politiker, Nato und die bösen USA sind Schuld an den Zuständen in Ländern wie Syrien. Ohne diese hätten wir gar kein Flüchtlingsproblem.“ Das Argument kommt gerne auch in der Geschmacksrichtung: „Waffenhandel verbieten, ohne Waffen kein Bürgerkrieg und ergo keine Flüchtlinge.“ Ja, es ist richtig, dass die Konflikte in vielen Ländern auch Folge der westlichen Politik sind und ja, Geld mit Waffenhandel zu verdienen, ist in vielen Fällen unethisch. Das ändert aber nichts daran, dass selbst wenn diese politischen Forderungen eines fernen Tages tatsächlich umgesetzt ist und der Waffenhandel global zu Erliegen gekommen ist, die Flüchtenden hier und heute vor unserer Tür stehen und Hilfe brauchen. Die Argumentation, „die da oben“ seien Schuld an der Misere, ist gerade auch bei Pegida, AfD und NPD sehr beliebt. Das Argument ist eng verwandt mit der Aussage, die Leute sollten ihr eigenes Land in Ordnung bringen, statt zu uns zu flüchten. Damit versucht die neue Rechte schon lange, ihr völkisches, nationalistisches und ausländerfeindliches Denken in der Mitte der Gesellschaft zu verankern. So zu denken ist ja auch äußerst angenehm: es entlastet einen selbst von jeglicher Verantwortung und kann so jede Forderung, Geflüchteten zu helfen weit von sich weisen: Warum fragt ihr mich, schließlich sind „die Politiker“ schuld!
Kommen wir am Ende noch zurück zur eigentlich gar nicht im Raum stehenden „Zwangsabgabe“ und zu Argument Nummer 4. Eine solche Zwangsabgabe sei unklug, da das die Abwehrhaltung in der Bevölkerung gegenüber Flüchtlingen verschlimmere. Der Haken: Deutschland gibt derzeit fast 3 Milliarden Euro Steuergelder für Geflüchtete und Asylbewerber aus. Die Zwangsabgabe besteht also längst, schließlich können wir uns nicht aussuchen, ob wir unsere Steuern zahlen wollen oder nicht. (Und das ist gut so.) Würde der Staat aus Angst vor Krawall von Rechts und nur um die Demonstranten und Brandstifter vor den Asylbewerberunterkünften diese Steuergelder nicht mehr ausgeben(*) – die Rechten von Pegida bis NPD hätten gewonnen. Mit freundlicher Unterstützung übrigens all derer, die sich gerade über einen Spendenaufruf eines Schauspielers aufregen, den irgendjemand „Zwangsabgabe“ genannt hat.
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Zoobe, 30 Jahre Amiga, Drill Powered
ZDF „Volle Kanne – ab ins Netz“ Folge 108 vom 30.07.15
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Deutschland, ein Sommermärchen
tl;dr: „Ich bin ja kein Antisemit, aber…“
Es waren mal einige Millionen Juden in Deutschland, die wollten gerne Sport treiben. Leider ging das nicht, weil viele deutsche Sportvereine damals Juden ausschlossen. Also gründeten sie ihren eigenen und nannten ihn Makkabi.
Da es Juden nicht nur in Deutschland gab und sie mit Hebräisch eine Kultur und eine Sprache teilten, das Land Israel aber lange noch nicht gegründet war, schlossen sie sich 1921 international zur Makkabi-Weltunion zusammen.
Fast 100 Jahre später und 6 Millionen Juden weniger feiern sie alle vier Jahre in aller Herren Länder ihr Sportfest, die Makkabiade. Und endlich, eines Tages, fanden diese Spiele auch 2011 in Wien und schließlich 2015 sogar in Deutschland statt.
Was für ein wunderschönes Happy End, nein eigentlich sogar ein Triumph: Juden können 2015 die Makkabiade nicht nur im Berliner Olympia-Stadion feiern, sie wollen es sogar! Ein Fest! Lasst uns darauf anstoßen! Shalom!
Deutschland wäre aber nicht Deutschland, wenn nicht ein paar besorgte Bürger ihre Kritik äußern würden, wie dieser freundliche junge Pirat:
Und diese nette Journalistin hat sogar ein wenig Phantasie über den Ablauf der Makkabiade:
Einstweilen machen sich schonmal ein paar Neonazis auf den Weg, um den Worten ein paar Taten folgen zu lassen:
Mittlerweile fühlt sich besagte Journalistin ungerecht behandelt. Messerscharf analysiert sie, dass ja auch Juden zwei Beine, zwei Arme und einen Kopf haben. Wer dieser bestechenden Logik nach sonst noch eine völlig unnötige Extrawurst bekommt: Schwule, Frauen und Behinderte.
P.S.: „In den Makkabi-Vereinen ist jeder Sportler willkommen – egal ob jung oder schon etwas älter, erfahren oder noch Anfänger und vor allem ganz egal welcher Religion, Nationalität und Hautfarbe. Bei Makkabi sind alle gleich und vereint in der Freude am Sport.“ Quelle
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Piratenpartei: Ein Jahr danach
tl;dr: Unwählbar.
Es ist jetzt etwas mehr als ein Jahr her, dass ich aus der Piratenpartei ausgetreten bin. Grund war – wie bei zahllosen anderen Menschen auch – das Ergebnis des Parteitages in Halle, dessen Vorgeschichte Putsch-artige Züge trägt und bei dem sich der konservative (sich selbst sozial-liberal nennende) Flügel durchgesetzt hatte. Die Partei schrumpfte daraufhin von 34.000 auf 18.000 Mitglieder und verlor dabei nahezu vollständig ihren linksliberal-progessiven Flügel, der so etwas wie eine politische und gesellschaftliche Vision hatte und wesentlich für die Wahlerfolge 2011/2012 verantwortlich war. Beschönigend wird dieser AfD-artige Zerfallsprozess in der Partei auch als „Konsolidierung“ bezeichnet. Seitdem habe ich von der Piratenpartei mit Ausnahme der Berliner AGH-Fraktion, die einen tollen Job macht, nicht mehr besonders viel mitbekommen. Ein Freund, der noch Mitglied ist, sagt, dass das daran liegt, dass da nicht viel mitzubekommen gewesen sei.
Weil mich interessiert, wie es in der Partei ein Jahr danach so aussieht, habe ich mir große Teile des Parteitages als Stream angesehen. Die Ergebnisse sind ernüchternd bis gruselig.
Die beste Rede des Parteitages war ausgerechnet das Grußwort des Würzburger Bürgermeisters (CDU). Politische Reden gab es fast keine. Einziger Lichtblick war ein Projekt, das die AG Energiepolitik vorgestellt hatte. Bis auf die Kandidaten zur politischen Geschäftsführung ließ sich kaum ein Kandidat dazu herab, sich politisch zu äußern, insbesondere auch nicht der neue alte Vorsitzende Stefan Körner, der die Partei 2017 mit „besserer Öffentlichkeitsarbeit“ in den Bundestag bringen will, freilich ohne zu sagen, mit welchen politischen Inhalten. Der alte Vorstand, dessen Wahl Anlass für die Austrittswelle war, wurde fast vollständig wiedergewählt (lediglich zwei Stellvertreterpositionen wurden neu besetzt). Für mich persönlich wären alle Kandidaten bis auf eine Ausnahme völlig unwählbar gewesen. Dass der Vorstand zum Teil mit sehr hohen Zustimmungwerten bestätigt wurde, lag aber auch daran, dass es für die meisten Positionen von einigen Spaß-Kandidaturen abgesehen keine gewichtigen Gegenkandidaten gab. Nicht nur weil die Personaldecke mittlerweile äußerst dünn ist, sondern auch, weil der progressive Flügel, der Gegenkandidaten hätte stellen können, sich längst mit Grausen von der Partei abgewandt hatte. Mehrfach beschworen Körner und andere Kandidaten, sie seien für „alle“ Piraten da, was nach dem Herausekeln des progressiven Flügels zynisch klingt. Am Rande interessant war noch die Wahl des parteiinternen Schiedsgerichtes. Die höchste Zustimmung erhielt ein Kandidat, der kürzlich noch bei der auseinander brechenden AfD um Mitglieder werben wollte, die zweithöchste ein Jurist, der im Vorfeld eine Schmutzkampagne gegen seine Vorgänger gefahren hatte.
Gut, ich mag diese Leute nicht und weiß von etlichen, dass sie mich nicht mögen, fair enough dass ich weg bin. Was ich aber noch wäre: potenzieller Wähler. Da ist es interessant zu schauen, was die Piratenpartei inhaltlich zu bieten hat. Wer von einer politischen Partei so etwas wie Politik erwartet, wird enttäuscht. Kurz: Die Lage ist ernüchternd. Eine Aufarbeitung der verlorenen Bundestagswahl 2013 fand bis heute nicht statt. Die letzten drei (!) Parteitage verbrachte die Partei damit, neue Vorstände zu wählen, statt sich um Inhalte zu kümmern.
Im Sommer 2015 hat sich die Eurokrise zugespitzt, Griechenland ist an einem Grexit vorbeigeschrammt, die dortige Austeritätspolitik ist noch einmal verschärft worden. Die Bundesregierung hegt die Arbeit des NSA-Untersuchungsauschusses ein (Stichwort Selektoren-Listen). Julia Reda hat als Piratenabgeordnete mit ihrem Urheberrechtsbericht eine großartige Leistung vollbracht, allerdings droht, die Netzneutralität in einem Deal gegen freies Roaming draufzugehen. Die Pegida-Welle ist vorläufig verebbt, aber es gab bisher mehr als 200 Angriffe auf Asylbewerber-Unterkünfte, die Lage scheint schlimmer zu werden als Anfang der 90er Jahre. Gleichzeitig sterben zahllose Menschen auf der Flucht nach Europa, und es gab eine breite Debatte über die Aktion #dieTotenKommen. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Alles hochaktuelle Themen, um sie auf einem Parteitag zu thematisieren, die eines gemeinsam haben: Sie fanden einfach nicht statt. Immerhin gab es zwischen den einzelnen Wahlgängen ein paar Abstimmungen, die sich aber zu großen Teilen auf die Satzung bezogen und schon Parteitagsfolklore waren, die alle Jahre wieder in die Tagesordnung gehoben werden: ein Finanzrat, Zulassung von Gästen und Journalisten zum Parteitag usw.
Spannend wurde es, als die Piratenpartei über ein Positionspapier abstimmen sollte, das sich gegen Antisemitismus wandte. Das Ergebnis ist der absolute Tiefpunkt der Parteigeschichte: Das Positionspapier wurde zwar wegen einiger Enthaltungen knapp angenommen, aber nur 49,4 % der Piraten waren der Meinung, sich gegen Antisemitismus positionieren zu müssen. Wir müssen also davon ausgehen, dass ein großer Teil der Piratenpartei antisemitisch ist oder Antisemitismus toleriert. Die Debatte dazu war ein einziges Gruselkabinett: Von der Politik Israels in den besetzten Gebieten bis hin zur Klage, dass es ja wohl nicht sein könne, dass jedes mal so ein „Mist“ abgestimmt werden müsse, waren alle antisemitischen Plattidüden dabei und verliefen nach bewährten Pegida-Muster „…ich bin ja kein XXX aber…“. Einige fanden, dass der Antrag handwerklich schlecht war. Wenn es denn stimmen würde, wäre das ein Treppenwitz, nachdem der neue Vorstand als erste Amtshandlung vor einem Jahr das Liquid Feedback abgeschaltet hattet – die einzige Möglichkeit für die Basis, Anträge vorab per Internet zu diskutieren, zu modifizieren und rund zu machen. Vom Ersatz „BEO“, der vor immerhin zwei Jahren beschlossen worden war, gibt es noch immer keine Spur, was daran liegt, dass eine solche Basisbeteiligung von der verbliebenen Rumpfpiratenpartei schlicht nicht gewollt ist. Aber zurück zum Antisemitismus-Antrag: Einige der Redner entblödeten sich nicht, sich über „Denkverbote“ zu beschweren und weitere ambitionierte Hobby-Politiker störten sich am Wort „Antizionismus“. Die lesen am besten mal hier weiter. Und schließlich fanden einige noch, das Positionspapier sei überflüssig, weil das sowieso schon Beschlusslage sei. Stimmt, die Partei hat in ihrer Satzung stehen, dass sie jede Form von Diskriminierung ablehne. Und Nerds mögen oft keine Redundanz. Das hielt den Parteitag aber nicht davon ab, wenig später ein Positionspapier gegen die Diskriminierung von dicken Menschen zu verabschieden, ohne dass sich jemand beklagt hätte, warum denn nun schon wieder über so einen Unsinn abgestimmt werden müsse.
Weiterer Tiefpunkt war ein Positionspapier, das Asyl für Edward Snowden forderte. Abgesehen davon dass Snowden ausdrücklich kein Asyl in Deutschland will und er hier auch gar nicht sicher vor einem Zugriff durch die USA wäre: In einer Zeit, in der es in Deutschland in etwas mehr als einem halben Jahr über 200 Angriffe auf Asylbewerber-Unterkünfte gab, die sich teilweise nur noch als terroristisch bezeichnen lassen, schafft es die Piratenpartei, ein solches Papier zu verabschieden, ohne auf diesen größeren Zusammenhang einzugehen. Edward Snowden ist aus ihrer Sicht ein Held und „einer von uns“, während die sonstige Flüchtlingsproblematik der Partei am Arsch vorbei geht und sie erfolgreich all diejenigen herausgeekelt hat, die sich in Dresden und anderswo dem Nazi-Mob entgegen stellen.
Interessant waren eine weitere Gruppe von Anträgen. Angenommen wurde „Keine Kriegshandlungen ausländischer Truppen von deutschem Gebiet aus ohne Bundestagsmandat“. Aktueller Anlass ist der Drohnenkrieg, den die USA unter anderem von Ramstein aus führen. Der springende Punkt ist, dass dieser Antrag Kriegshandlungen von deutschem Boden aus nicht grundsätzlich ablehnt, aber dass das deutsche Parlament da mitreden muss. Es geht hier also nicht um Pazifismus oder wenigstens die Beschränkung auf Verteidigungshandlungen sondern um Nationalismus. Dazu passt, dass die Piratenpartei sich in zwei weiteren Anträgen weder dazu durchringen konnte, sich für eine Welt ohne Atomwaffen stark zu machen, noch dazu, Rüstungsexporte zu verbieten.
Angenommen wurden dann schließlich drei Anträge, die die Veröffentlichung von Sensor-Daten an öffentlichen und Privaten Gebäuden fordern, ein anonymes Zahlungsmittel im Internet (mit dessen Schaffung ausgerechnet die EZB beauftragt werden soll) sowie freies WLAN im öffentlichen Personen-Nahverkehr. Nicht falsch verstehen, das sind teilweise gute Anträge, wichtig ist jedoch das Gesamtbild: Klarer kann eine Partei nicht zeigen, dass sie sich für nichts außerhalb ihres eigenen Bauchnabels interessiert. Noch besteht das Programm zu großen Teilen aus linken Forderungen, die aus Zeiten stammten, als in der Piratenpartei noch Politik gemacht wurde. Daran liegt wohl auch, dass viele der verbliebenen Piraten immer noch glauben, sie seien „irgendwie links“, obwohl die spärlichen Beschlüsse der Partei seit fast zwei Jahren eine andere Sprache sprechen. Die sich selbst „sozial-liberal“ nennende Rumpf-Piratenpartei orientiert sich, was die Diskrepanz zwischen Programmatik und tatsächlichem Handeln betrifft, offenbar an ihrem großen Vorbild SPD.
Fazit: Die Piratenpartei, die schon immer ein Problem damit hatte, sich nach rechts abzugrenzen, hat nun zusätzlich ein Antisemitismus-Problem. Sie reduziert sich auf ihre Kernthemen, aber wo sie das ausnahmsweise nicht tut, denkt sie nationalistisch. Das allmählige Abrutschen der Partei nach rechts ist beim Blick von außen nicht zu übersehen. Leider lässt sich dieses Treiben der orangenen Kleinpartei nicht als irrelevant abtun, solange sie in Berlin bei 5% steht und nachdem dieser geschickt im Sommerloch platzierte Parteitag ein breites Medienecho à la „Die Piraten sind wieder da“ ohne genaueres Hinsehen erfuhr. Vor der Piratenpartei des Jahres 2015, jedenfalls, muss gewarnt werden.
P.S.: Ein kleines Grüppchen unentwegter Menschen, die ich sehr schätze, ist noch in der Partei. Ich weiß, dass ihr nur das beste wollt. Das hier richtet sich nicht gegen euch und ihr wisst schon, wenn ihr gemeint seid.
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Links der Woche
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Ehe nach Bedarf:
“Die gegenwärtige Ehe entfernt sich somit zunehmend von ihrem ursprünglichen Sinn: Viele Familienkonstellationen, die verbindliche Sorgegemeinschaften mit Kindern bilden, bleiben vom Genuss ehelicher Privilegien ausgeschlossen, während andererseits der Wunsch zu heiraten nicht unbedingt mit dem Bedürfnis einhergeht, Kinder zu haben und langfristig eine echte Wirtschaftsgemeinschaft zu bilden.”
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Alles verkehrt:
“Was für eine sagenhafte Frechheit. Per Ferndiagnose anzuerkennen, dass es Lierhaus scheiße geht, um dann direkt hinterherzuschieben: Aber hey, selber schuld irgendwie. Andere habens schwerer. Die Geschäftsführerin des Landesverbands für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderungen in Baden-Württemberg, die Pagel-Steidl ist, betreibt quasi aktiv Behindertendesolidarisierung. “
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Sprachliche Verdrehungen rund um das Thema Arbeitsmarkt:
“Da ist von einem “Angebot an Arbeitsplätzen” die Rede, das von “Arbeitssuchenden” “nachgefragt” werde. Das muss man sich mal vorstellen: die Seite, die gegen Geld etwas einkauft, nämlich Arbeitskraft, soll plötzlich etwas herzugeben haben.”
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Instarama, Madeline Stuart, 100 years of Beaty
ZDF „Volle Kanne – ab ins Netz“ Folge 107 vom 23.07.2015