Kategorie: Blog

Blogposts

  • Links der Woche

    • Shoplifters of the World Unite:We are told again and again that we are living through a debt crisis, and that we all have to share the burden and tighten our belts. All, that is, except the (very) rich. The idea of taxing them more is taboo: if we did, the argument runs, the rich would have no incentive to invest, fewer jobs would be created and we would all suffer. The only way to save ourselves from hard times is for the poor to get poorer and the rich to get richer. What should the poor do? What can they do?

    • Krawalle und Moral – Wer überflüssig ist, braucht keine Moral:Er nannte die an den Riots beteiligten Jugendlichen die „Überflüssigen in der Gesellschaft“. Überflüssig als Arbeitskräfte, weil sie nichts gelernt haben. Überflüssig als Konsumenten, weil sie sich nichts leisten können. Und überflüssig als Wähler, weil sie kein Stimmrecht haben. Ausschreitung statt Revolution Wer überflüssig ist, der taugt nicht einmal mehr als Klassenkämpfer. Statt Revolution gibt’s eine Ausschreitung.

    • Freifahrt:Manchmal, in stillen Sekunden, wenn die Katzen auf Twitter schlafen, bei Facebook alle außer den Codern Mittagspause machen und sogar Robert Scoble Google abgeschaltet hat … dann frage ich mich, ob Teile der netzpolitischen Gemeinde mittlerweile ähnlich funktionieren wie die oben beschriebenen Autofahrer. Freies Netz für freie Bürger.

    • german angst?:ich habe beim thema internet auch lange geglaubt, dass sich das internet vorzüglich selbst reguliert. abgesehen davon, dass selbstregulierung natürlich auch eine form der regulierung ist, geraten selbstregulierungsmechanismen bei macht- oder markkonzentrationen auch schnell aus dem gleichgewicht. es geht nicht darum ob reguliert werden soll oder nicht, sondern um das wie. um die frage wie weit reguliert werden soll und wo überregulierung anfängt oder wo die regeln freiräume lassen müssen. regeln wollen wir alle, die frage ist, wo wir jeweils die grenzen ziehen und wie wir diese grenzen verhandeln.

    • Homöopathie ist ein Gradmesser der Gesellschaftsverblödung:Schaut man den Schwachsinn näher an, der Grundlage der Homöopathie ist und betrachtet anschließend die öffentliche und insbesondere (gesundheits)politische Wahrnehmung, verwundert es einen, dass nicht mindestens wöchentlich geleitartikelt wird. Verpfuschtes Gesundheitssystem, Sabotage des Wissensstandort, übelste Klientelpolitik und Volksverblödung, ich meine, wieviel Reizthemen auf einmal sollens denn bitte sein, damit da was beim Namen genannt wird?

    • Was heißt hier “politisch”?:Ich stelle mir einen Jugendlichen vor, der in Berlin wahllos Autos abfackelt – weil er’s kann. Weil er sich damit als wirkungsmächtig erlebt, weil das gerade in ist und scheinbar niemand erwischt wird. Der ist also politisch? Warum? Wenn einer, der die Nase voll hat von der Gängelung durch die Polizei und seiner Chancenlosigkeit, aufbegehrt und sich dabei nimmt, was ihm sonst vorenthalten bleibt, dann ist er unpolitisch? Warum?

    • Taubblinde in Deutschland: Es liegt keine Problemanzeige vor:Herr R. kann sich nicht hören, weshalb er sehr laut spricht. Tut er das im Aufenthaltsraum, verpasst ihm einer der Mitbewohner eine Kopfnuss, damit er ruhig ist. Der Schlag kommt jedes Mal aus heiterem Himmel. Er sieht den Angreifer nicht, aber der Angreifer sieht ihn, jeder sieht und hört Herrn R., aber keiner weiß, was mit ihm los ist. Die Menschen, die im Ebenezerhaus leben, sind geistig behindert. Alle, nur Herr R. nicht.

  • Das sind Veganer, die dürfen das

    Meine Leser wissen, dass ich vor allem Spaß daran habe, mich künstlich aufzuregen. Zum Beispiel über Veganer. Bitte nicht mit Vegetariern verwechseln: Ich spiele selbst manchmal mit dem Gedanken, mich nur noch ovolakto-vegetarisch zu ernähren, der dann aber immer vom nächsten Burger-Laden zunichte gemacht wird.

    Veganer dürfen/wollen ja nicht nur kein Fleisch essen sondern überhaupt keine tierischen Produkte konsumieren. Leder und Pelze sind genauso tabu wie Naturseide und Schafswolle. Im Land, wo Milch und Honig fließen, wären sie ziemlich unglücklich. Schließlich ist Honig ernten unethisch gegenüber der  lieben fleißigen Biene, die wegen uns mit leeren Fühlern dasteht, und nicht mal Aphrodisaka aus Tigerpenissen können die Faunapathen angesichts solchen Bienenelends noch aufmuntern.

    Das ist für sich genommen alles sehr lobens- und ehrenwert, aber darf ich mal kritisch fragen, ob das Halten von Haustieren insgesamt dann nicht auch für Veganer tabu sein sollte? Wellensittiche und Zierfische zur eigenen Erbauung vegetieren lassen, ist ja im weitesten Sinne auch Tiernutzung und deren Unterlassung wäre doch nur konsequent: Darf ein blinder Veganer einen Führerhund nutzen? Was macht das veganische Lawinenopfer, wenn der Bernhardiner naht?

    Klar sein sollte die Frage bei karnivoren Haustieren. So ein Hund oder eine Katze würde das veganische Herrchen oder Frauchen ja zwingen, tote Tiere zu kaufen. Dachte ich jedenfalls, bis ich aus Neugierde mal im veganischen Supermarkt war, der auf der anderen Seite der Schönhauser Allee aufgemacht hat. Da gibt es veganisches Hunde- und Katzenfutter: rein pflanzliches Trockenfutter, und zwar ausdrücklich als Alleinfutter: „Wenn die Unverträglichkeitssymptome verschwunden sind, kann das Produkt endgültig angeboten werden.“

    Herr schmeiß Hirn, Glauben an die Menscheit…, gehört verboten, Kopf-Tisch, usw. usf. and all that.

  • Park’s Law

    Ich bin größenwahnsinnig geworden und trete hiermit in die Fußstapfen von Godwin, indem ich ein Gesetz aufstelle und es bei der Gelegenheit gleich mal nach mir benenne. Sollte Park’s Law schon woanders formuliert worden sein, bitte ich um Mitteilung: Ich konnte nichts finden. Es geht um ein Kommunikationsmuster, das mir schon lange auffällt, aber die letzten Wochen zum Beispiel rund um die Pseudonymdebatte oder auch den Tod von Amy Winehouse sehr ins Auge gestochen ist. Es handelt sich um eine Variante von Godwin’s Law:

    Mit zunehmender Länge einer Online-Diskussion nähert sich die Wahrscheinlichkeit für den Vorwurf, das Diskussionsthema sei irrelevant angesichts anderer viel wichtigerer Dinge, dem Wert Eins an.

    Auf den ersten Blick sieht es aus wie Godwin’s Law („Mit zunehmender Länge einer Online-Diskussion nähert sich die Wahrscheinlichkeit für einen Vergleich mit Hitler oder den Nazis dem Wert Eins an.“), funktioniert aber im Detail anders. Beispiele:

    • „Wie könnt ihr über den Tod von Amy Winehouse trauern, die ja schließlich selber schuld war, während in Norwegen 80 unschuldige Jugendliche ermordet wurden?“
    • „Was soll die Diskussion über die Klarnamenpflicht bei Google? Habt ihr keine echten Probleme?“
    • „Ihr diskutiert ernsthaft über Diäten, während in der 3. Welt Kinder verhungern?“
    • „Wie kannst du in deiner Situation von Diskriminierung reden angesichts Millionen ermordeter Juden?“
    • „Woher nimmst du die Frechheit, dich zu beklagen, wo doch der Herr für dich am Kreuze starb?“

    Im Gegensatz zu Godwin’s Law werden obige Äußerungen in der Regel nicht von Diskussionsteilnehmern gemacht, die „gewinnen“ wollen, sondern von „Diskussionspassanten“, die zum Beispiel via Facebook oder Google+ eher zufällig in eine Debatte geraten und offenbar ein Problem damit haben, dass andere Menschen angeregt ein Thema diskutieren oder einen Sachverhalt beklagen, den sie nicht für relevant halten (was sie nicht daran hindert, sich im folgenden in der Diskussion festzubeißen).

    Mit solchen Äußerungen verschafft sich der Störer eine Art moralische Instant-Überlegenheit. Dem liegt die Vorstellung zu Grunde, nur weil es irgendwo objektiv größeres Leid oder größere Probleme gibt oder mal gegeben hat, dürfe man sein eigenes mehr oder weniger kleines Problem nicht diskutieren oder gar öffentlich beklagen. Das gipfelt häufig in den typischen Ausspruch „Get a life!“ also der Unterstellung, man führe kein sinnvolles Leben, wenn man sich mit dem betreffenden Thema befasst (oder twittert oder ein iPhone besitzt). Es handelt sich also prinzipiell um ein Denk- und Fühlverbot.

    Besonders beliebt ist auch die Verharmlosung psychischer Erkrankungen („Stell dich nicht so an“), das Leugnen mitmenschlicher und gesellschaftlicher Verantwortung („Du bist selbst für deine Gefühle verantwortlich.“),  die Unterstellung von Disziplinlosigkeit („Reiß dich zusammen.“) oder die Rechtfertigung von Unrecht mit anderem Unrecht („Anderen passiert sowas auch.“) und der Vorwurf der Instrumentalisierung („Du willst dich damit ja bloß profilieren.“).

    Während ein Nazivergleich eine Diskussion meistens beendet, fängt sie nach einem der oben genannten Einwürfe oft erst an, hitzig zu werden, wechselt aber das Thema hin zur Rechtfertigung der Diskussion als solcher, was dann allerdings meistens durch das Eintreten von Godwin’s Law endet. Es gibt gute Chancen, die Diskussion am Leben zu erhalten, wenn man der klassischen Regel „Don’t feed the troll“ folgt und Einwürfe dieser Art ignoriert, was zugegeben selten leicht fällt. Problematisch dabei ist, dass diese Trolle sich selbst nicht für welche halten.

    Ergänzung: Eine schöne Auflistung der „Internet-Gesetze“ gibt es bei Felix Schwenzel. Man könnte sich jetzt fragen, ob „Get a life“ nicht auch eine Abwandlung von Hartges zweitem Gesetz ist, aber ich glaube eher nicht. Auf G+ moniert jemand, man dürfe Gesetze nicht nach sich selbst benennen, sondern nur nach anderen. Hier mache ich von meinem Recht auf multiple Identitäten Gebrauch.

  • Aus einer anderen Zeit

    Ich schließe mich Häkelschwein und Opalkatze an und poste diesen Text aus einer anderen Zeit. Vielleicht nehmen ja ein paar weitere Blogger den Faden auf und eine kleine Welle wird draus? Wenn nicht, wird der Text den einen oder anderen Leser nachdenklich machen. Was nur ist seit 1969 eigentlich schief gegangen?

    „Wir wollen mehr Demokratie wagen. Wir werden unsere Arbeitsweise öffnen und dem kritischen Bedürfnis nach Information Genüge tun. Wir werden darauf hinwirken, daß durch Anhörungen im Bundestag, durch ständige Fühlungnahme mit den repräsentativen Gruppen unseres Volkes und durch eine umfassende Unterrichtung über die Regierungspolitik jeder Bürger die Möglichkeit erhält, an der Reform von Staat und Gesellschaft mitzuwirken. (…)

    Wenn wir leisten wollen, was geleistet werden muß, brauchen wir alle aktiven Kräfte unserer Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die allen weltanschaulichen und religiösen Überzeugungen offen sein will, ist auf ethische Impulse angewiesen, die sich im solidarischen Dienst am Nächsten beweisen. Es kann nicht darum gehen, lediglich hinzunehmen, was durch die Kirchen für die Familie, in der Jugendarbeit oder auf dem Sektor der Bildung geleistet wird. Wir sehen die gemeinsamen Aufgaben, besonders, wo Alte, Kranke, körperlich oder geistig Behinderte in ihrer Not nicht nur materielle Unterstützung, sondern auch menschliche Solidarität brauchen. (…)

    Der permanente wirtschaftliche und soziale Wandel ist eine Herausforderung an uns alle. Er kann ohne die Initiative des einzelnen nicht gemeistert werden. Die Eigeninitiative braucht jedoch die Unterstützung der Politik. Wir dürfen keine Gesellschaft der verkümmerten Talente werden. Jeder muß seine Fähigkeiten entwickeln können. Die betroffenen Menschen dürfen nicht einfach ihrem Schicksal überlassen werden. (…)

    Das Ziel ist die Erziehung eines kritischen, urteilsfähigen Bürgers, der imstande ist, durch einen permanenten Lernprozeß die Bedingungen seiner sozialen Existenz zu erkennen und sich ihnen entsprechend zu verhalten. Die Schule der Nation ist die Schule. (…)

    Die finanziellen Mittel für die Bildungspolitik müssen in den nächsten Jahren entsprechend gesteigert werden. Die Bundesregierung wird sich von der Erkenntnis leiten lassen, daß der zentrale Auftrag des Grundgesetzes, allen Bürgern gleiche Chancen zu geben, noch nicht annähernd erfüllt wurde. Die Bildungsplanung muß entscheidend dazu beitragen, die soziale Demokratie zu verwirklichen. (…)

    Die Regierung kann in der Demokratie nur erfolgreich wirken, wenn sie getragen wird vom demokratischen Engagement der Bürger. Wir haben so wenig Bedarf an blinder Zustimmung, wie unser Volk Bedarf hat an gespreizter Würde und hoheitsvoller Distanz. Wir suchen keine Bewunderer; wir brauchen Menschen, die kritisch mitdenken, mitentscheiden und mitverantworten. Das Selbstbewußtsein dieser Regierung wird sich als Toleranz zu erkennen geben. Sie wird daher auch jene Solidarität zu schätzen wissen, die sich in Kritik äußert. Wir sind keine Erwählten; wir sind Gewählte. Deshalb suchen wir das Gespräch mit allen, die sich um diese Demokratie mühen.“

    Aus der Regierungserklärung Willy Brandts vom 28.10.1969

  • Links der Woche

    • Plündern ist… :

      • wenn Investoren sich in Äthiopien 600.000 Hektar Land krallen und die lokalen Bauern vertrieben werden.
      • wenn immer mehr Menschen im Niedriglohnsektor arbeiten müssen. In Deutschland sind das fast 7 Millionen Leute.
      • wenn die Mieten in Berlin in drei Jahren um 12 Prozent steigen und in Stadtteilen wie Neukölln sogar um 23 Prozent.
    • Der Überwachungsgott ist tot:

      Der Maschinengott der Sicherheit ist hier ganz offensichtlich tot. Gehuldigt wird ihm allenfalls noch durch das Tragen einer Kapuze, aber niemand lässt sich davon abhalten, den Laden zu plündern, zuzuschauen, herumzustehen und das Spektaktel zu geniessen. Die schiere Menge der Straftaten und Vergehen und ihre Ausführung führt vor Augen, wie sicher und ungestört sich die Menge im überwachten Raum fühlt.

    • 50 Jahre Mauerbau: Die Mauer schweigt:

      Ein von sich selbst abgesperrtes Leben? Gemeint ist zum Beispiel dies: wenn man darauf bedacht sein muss, nur rasch zu heiraten, um sich als verheirateter Staatsbürger frühestmöglich für eine eigene Wohnung anmelden zu können, die auf anderem Wege als über die staatliche Wohnraumlenkung nicht zu erlangen ist und auf die man sich auch als Verheirateter wenig Hoffnung machen kann, solang man keine Kinder hat. Weshalb man also mit der allzu früh Angetrauten rasch Kinder zeugt, um einer Wohnungszuweisung doch immerhin in absehbarer Zeit würdig zu sein. Dies sind lebensplanerische Erwägungen, die eines freien Menschen absolut unwürdig sind.

    • Irrational:

      Warum nehmen die rationalen Wissenschaftstheoretiker nicht endlich einmal zur Kenntnis, daß die Praxis höchst irrational ist. Man findet dies in zahlreichen Texten von Einstein, Pauli, Planck, Maxwell, Heisenberg und vielen anderen. Da wird mit einer spezifischen Kristallstruktur als Mandala meditiert, da werden Träume gedeutet und archetypische Gegebenheiten beachtet, da werden freie Erfindungen aus ästhetischen Quellen gemacht, da werden innere Stimmen zitert, die Formel flüstern, und die Wissenschaftstheoretiker nehmen das alles nicht zur Kenntnis.

    • Von der Dienstleistung zum Machtmonopol:

      In meiner naiven Weltsicht dachte ich, dass Bürgeramt, Standesamt, Hausverwaltung und Finanzamt Dienstleister wären, die – wenn auch nicht direkt – aber eben immerhin indirekt von mir bezahlt werden, damit sie mir behilflich sind. Das ist natürlich Humbug! Solche Stellen sind dafür da, mein ansonsten perfekt harmonisches Leben aufzuwühlen und in mir lang vermisste Gefühle wiederzubeleben.

    • Wenn Twitter geht, verschwindet auch die Echtzeit-Gesellschaft:

      Twitter war vom ersten Tag an eine öffentliche Plattform, die sich eher als sichtbare Mikroblogosphäre denn als abgekapseltes Social Network verstand. Das erlaubte uns schon nach wenigen Jahren, die Welt in ihrer Ganzheit zu erfassen. Die Entwicklung führte zur Verschlagwortung der globalen Gefühlswelt. Heute werden weltweit 65 Millionen Tweets pro Tag publiziert: Keine Umfrage, keine Statistik und keine Analyse leistet für soviel für die Transparenz auf der Erde, wie Twitter es tut (und das zudem kostenlos und in Echtzeit). Wir wissen, wo es brennt, wo man protestiert, wo man liebt, wo man wählt und wo man sich unterhält.

    • Der rechte Abschied von der Politik:

      Es ist kein Zufall, dass die Finanzmärkte in den letzten 15 Jahren die Treiber der Politik sind. Vor der Krise wurden sie mit Gefälligkeiten aller Art umworben; nach der Krise mit tausenden Milliarden gerettet; heute sind sie auf der Jagd nach den verschuldeten Rettern. So dass die reichsten Staaten der Welt vor dem Bankrott stehen.

    • Persönlichkeitsrecht = Persönlichkeitspflicht:

      Aber auch Realnamenszwang ist Regelungswut gegenüber dem Kommunikationsfluss. Kommunikations-Akte nur noch zulassen, soweit sie auf bürgerliche Identitäten zurückgebunden werden können, ist Einschränkung der Kommunikations-Freiheit. Den Leuten vorschreiben, wie sie sich zu nennen haben, ist Einschränkung der Kommunikations-Freiheit.

  • Ein Manifest zur Daten(schutz)ethik

    Michael Vogel und Benjamin Siggel haben ein Manifest zur „Daten(schutz)ethik“ als pragmatischen Kompromiss zwischen Aluhüten und Spackeria skizziert, das ich für ein sehr brauchbares Gegenmodell zu Michael Seemanns „radikalem Recht des Anderen“ halte, (das vereinfacht besagt, dass alle Informationen über dich automatisch Michael Seemann gehören und es unethisch sei, sie ihm vorzuenthalten. ;)

    Das Manifest berücksichtigt, dass zwar nicht mehr aus der Welt zu bekommen ist, was einmal publiziert wurde, fordert aber ansonsten einen Ausgleich zwischen Sender und Empfänger in der Mikroöffentlichkeit. Unter anderem heißt es:

    Menschen sind unterschiedlich. Was du ohne mit der Wimper zu zucken veröffentlichen würdest, kann für einen anderen ein intimes Detail sein und umgekehrt. Du musst daher keine Daten von Personen schützen, die dies nicht wünschen – andererseits aber auf Wunsch persönliche Informationen auch dann vertraulich behandeln, wenn du es selbst nicht nachvollziehen kannst. Respektiere das Selbstbestimmungsrecht des einzelnen Individuums und setze nicht deine persönliche Sicht der Dinge an seine Stelle, denn auch deine Privatsphäre hängt von der Rücksichtnahme Anderer ab.

    Der komplette Text ist ein gutes Stück umfangreicher und sehr pragmatisch und verständlich formuliert. Mir gefällt, dass er der Datenschutzkritik der Spackeria, Wikileaks, Facebook-Realität, Google Streetview und der Postprivacy durchaus Platz einräumt, aber trotzdem die informationelle Selbstbestimmung des einzelnen betont. Der Filtersouveränität des Empfängers wird die Filtersouveränität des Senders gleichberechtigt gegenüber gestellt. Zwischen beiden ist ein Ausgleich vorzunehmen.

    Am besten ganz schnell ins Parteiprogramm damit, bevor sich Spackeria und Aluhüte in der Piratenpartei noch weiter zerfleischen. Bitte weiter verbreiten!

  • Links der Woche

    • Ich will gar keinen schönen Sommer:

      Ich mag Sommer nicht so gern wie andere. Mai ist für mich gerade noch okay. Und ab September geht’s dann langsam wieder. Insektenangst, Hautkrebsangst, Heuschnupfen, eine Temperaturtoleranz, die höchstens die Spanne von 22–25 Grad als erträglich einstuft.

    • Herr Müller hatte gestern wohl keinen so guten Tag:

      Der Staat soll als die Liebesbeziehungen seiner Bürger stabilisieren? Ähm, ja… Genau das wünsche ich mir: einen Haufen Politiker und Beamter, die mir mit Gesetzen und Dienstvorschriften helfen, meine Liebe lebendig zu halten. Keoni und ich wüssten gar nicht, wie wir es miteinander aushalten sollten, wenn der Staat nicht unsere stabile Beziehung schützen würde.

    • Die Privatisierung der Öffentlichkeit:

      Die Wände, die uns umgeben, werden durch das Netz immer durchlässiger und poröser, als würde sich das löchrige Gewebe, das ein Netz ja darstellt, nun auch auf die übrigen Teile der Welt übertragen. Was sich im Netz abspielt, fühlt sich inzwischen oft an wie Beichten ohne Sünde: Alle packen aus, alles öffnet sich. Der Hauptspaß besteht darin, sich selbst in die Welt hinauszuschütten und von durstigen, aufmerksamen Augen getrunken zu werden.

    • Zum besseren Verständnis der Kategorien “Links” und “Rechts” in der Polizei-Statistik:

      Die Zählweise, was jeweils linke oder rechte Straftaten, wahlweise linker oder rechter Extremismus ist, ist nicht immer einfach zu durchschauen. Der bayrische Verfassungsschutz möchte seit Oslo sogar einen neuen Extremismus einführen, denn rechts kann das ja nicht gewesen sein. Ob die Berliner Autos von linken oder anderen oder einfach Pyromanen angezündet werden, ändert sich je nach politischer Großwetterlage.

    • Studieren mit Tourette-Syndrom: Mit allen Tics:

      Erst im vergangenen Jahr hat ihn sein Tourette mit einem neuen Tic überrascht: sich den Finger ins Auge rammen. Mittlerweile sieht er auf der linken Seite fast nichts mehr.

    • Debatte über Online-Identität – Das Netz muss Anonymität zulassen:

      Ob die Todesdrohungen gegen Atheisten auf der Facebook-Präsenz von Fox News oder die Beleidigungen gegen Nationaltorwart Manuel Neuer auf dessen Facebook-Fanseite nach seinem Transfer: Klarnamen verhindern im Zweifelsfall keine verbalen Entgleisungen. Umgekehrt können Pseudonyme sogar Schutz bieten: Foren für Missbrauchsopfer oder Opfer seltener Krankheiten könnten nach der Zuckerberg-Logik dicht machen, Beamte und Angestellte in Foren jede berechtigte Kritik an ihrem Arbeitgeber unterlassen, regimekritische Blogger in Unrechtsstaaten sich gleich freiwillig bei der Polizei melden.

    • Filtern und Filter haben:

      Dass das nötige Filtern und Selektieren in sozialen Netzwerken das glatte Gegenteil dessen ist, was man eigentlich als sozial bezeichnet, ist vielleicht sogar ein Vorteil: Dann gibt es eventuell ja auch einen Markt für die Momente, in denen man nicht filtern und asozial sein will.

    • schönhauser- und pappelallee:

      heute früh einige eigenartige tattoos gesehen. eins sah aus, als ob einer frau wollfäden aus einem loch im oberarm quellen würden. ein anderes sah aus als ob ein hund seinem frauchen aufs bein gekotzt hätte – oder sie mit blutigem sprühstuhl defäkiert hätte. eben lief eine frau vorbei die aussah, als ob ihr knöterich auf der schulter wachsen würde.

    • Kulturkampf nach Breiviks Massenmord – Wehe, Sie sind #iminternetgeboren:

      Der aktuelle Kulturkampf ums Virtuelle, eröffnet durch die sehr reale Bluttat des Anders Behring Breivik, hat viel mit der Angst vor Fremdem zu tun und damit, wie Politiker diese Ängste schüren oder nutzen. Manche Diskussionsbeiträge sind so platt, dass man auf den Gedanken kommen könnte, die konservativen Vordenker in den Volksparteien probierten es nun mit Digitalphobie, nachdem Xenophobie beim Durchschnittswähler kaum noch verfängt. “Es ist Mode geworden, die Freiheitsrechte des Bürgers in den Vordergrund zu stellen”, sagt im ZDF Uhls Gesinnungsgenosse Siegfried Kauder von der CDU, als wäre Freiheit etwas Modisches.

    • Ich kann ja nicht überall sein:

      Oder man teilt auf. Endlich, es ist Feierabend steht ab jetzt in Google , mit einem Link auf das Bild in Facebook, das auf einen Eintrag in Twitter verlinkt, der da lautet #Feierabend.

    • Scheißtext:

      Nehmen Sie dieses Stück Scheiße und dann einfach fangen in der Übersetzungs-Engine. Hin und wieder zurück zu bringen einfach so, um einen Schlüssel. Bemühen Sie sich völlig frei Wörterbuch werden. Dies schafft den Klang von Lehrbüchern, die Schaffung der Poesie von Spam.

  • Elektrisches Ohr ist elektrisch

    Deshalb braucht es Strom, und zwar ziemlich viel davon. Da wurde ich natürlich ärgerlich, als sich Cochlear Deutschland bei mir meldete, meine Krankenkasse verweigere die Erstattung der Batteriekosten – immerhin ca 40-50 Euro im Monat, ganz genau kann ich das nicht sagen. Zum Glück scheint die Sache aber jetzt geklärt zu sein.

    Ich habe jetzt ziemlich lange nicht mehr zum Thema Cochlea-Implantat gebloggt. Das liegt vor allem daran, dass sich mein elektrisches Gehör ganz langsam weiterentwickelt, aber im Gegensatz zu den ersten Wochen nur noch unmerklich. Nach acht Wochen habe ich den ersten Hörtest gemacht. Mein Sprachverständnis (Freiburger Einsilbertest) ging auf dem rechten Ohr hoch von 25% auf 65%. Die Operation war also definitiv ein voller Erfolg.

    Ich muss dazu sagen, dass die Ärzte eigentlich nach acht Wochen noch nicht messen – für viele Patienten ist das noch zu früh und ein maues Testergebnis könnte sie unnötig verunsichern. Ich hatte aber darauf bestanden. Der Test hatte noch ein anderes interessantes Resultat: Das Sprachverständnis ist auf meinen linken Ohr mit Hörgerät zurückgegangen von 25% auf 10%. Mein Gehirn scheint alles, was über das Hörgerät reinkommt, nur noch als irrelevante Zumutung zu empfinden und orientiert sich am rechten Ohr, auf dem ich das CI trage.

    Gestern war ich auf dem Sommerfest unserer Firma und musste die Story natürlich 1000fach erzählen. Häufigste Frage war, wie es klingt: Nein nicht metallisch, sondern elektrisch. Anders kann ich es nicht beschreiben… Bei den Gesprächen im lauten Bierzelt habe ich irgendwann das Hörgerät herausgenommen und eingesteckt und nur noch einseitig mit dem CI zugehört, weil es für mich ohne den Krach von links einfacher war, die Leute zu verstehen. Ich ertappe mich sowieso schon dabei, das Hörgerät oft gar nicht zu tragen. Ich glaube, ich werde links auch noch ein CI haben wollen…

    Stand der Dinge nach 10 Wochen: Das Wling ist noch da und verschwindet nur sehr langsam. Ob ich es höre oder nicht und wie stark die Überlagerung ist, scheint aber stark von meinem Gehirn abzuhängen. Oft vergesse ich dieses Geräusch einfach und höre es dann auch nicht mehr – ähnlich wie ein Tinnitus ist es aber sofort da, wenn ich an es denke. Filme ohne Untertitel verstehe ich mittlerweile fast vollständig, allerdings nur, wenn ich das CI direkt an den Computer anschließe, auf dem ich die DVD sehe.

    Im Kino verstehe ich gefühlte Dreiviertel der Dialoge – noch gehe ich nicht wirklich gerne in Filme ohne Untertitel. Bei englischen Inhalten kann man das je nach Akzent nochmal halbieren. (BE geht besser als AE.) Ein versuchtes Telefonat (Arzttermin vereinbaren) endete allerdings im Chaos. Ansonsten schwankt mein Hören stark nach Tagesform. Während es gestern ganz prima lief, habe ich vor ein paar Tagen, als ich mit Freunden essen war, den ganzen Abend so gut wie nichts verstanden.

    Musik hören ist noch sehr durchwachsen: Genießbaren „Sound“ gibt es nur mit dem Hörgerät, dafür gibt mir das Implantat viele neue „akustische Informationen“, die aber klanglich mit Musik eher wenig zu tun haben. Immerhin muss ich mich nicht mehr auf Stehblues beschränken, sondern kann dazu tadellos so etwas wie eine Discofox-Simulation improvisieren, wie ich gestern zu fortgeschrittener Stunde bemerkt habe. Das war so ziemlich das erste mal seit… äh ja, überhaupt?

  • Mondverschwörung

    Es ist jetzt bestimmt 10 Jahre her, dass ich das letzte mal geradewegs aus dem Kino kommend über einen Film bloggen musste. Es geht um mein vernachlässigtes Steckenpferd: Esoterik in Verbindung mit Verschwörungstheorien. Der amerikanische Journalist Dennis R.D. Mascarenas vom deutschsprachigen TV-Sender DDCTV reist kreuz und quer durch Deutschland, um mit Menschen zu sprechen, die ein besonderes Verhältnis zum Mond haben. Merkbefreite, Freaks und Denkabstinenzler aller Couleur kommen zu Wort. Sie erzählen zum Beispiel von Mineralwasser, welches vom Mond beschienen beim Gefrieren wohlgeformtere Kristalle entwickele, weil es sich freier entfalten könne als das brutal in Rohre gezwängte Leitungswasser – besonders wenn man ihm klassische Musik vorspielt. Weder Chemtrails noch die Zahl 666 in Barcodes oder Rudolf Steiner werden ausgelassen. Konsequenterweise landet der Film irgendwann beim Thema Nazi-Raumbasis auf der Rückseite des Mondes, wo die Reichsdeutschen das jüngste Gericht vorbereiten und die US-Amerikaner an der Raumfahrt hindern, weshalb letztere damals die Mondlandung fälschen mussten, zumal man für Raumfahrt ja auch Flugscheiben brauche, da sie mit Raketen nicht funktioniere, die nach dem Rückstoß-Prinzip arbeiten, was im Vakuum ja unmöglich sei. Ich weiß nicht, was faszinierender ist: all diese Leute, die bar jeder Ironie ihre Logorrhö vortragen, oder die vielen furchtbaren Provinzhotelzimmer. Der Film endet in der Nähe der Antarktis unter Pinguinen – auf der Suche nach Neuschwabenland oder wenigstens dem Eingang (oder Ausgang) der Hohlwelt. Beim einsetzenden Abspann schwöre ich mir, nie, nie, niemals wieder voreingenommen gegenüber US-Amerikanern zu sein, bloß weil sie den Bible Belt, Scientology und Sarah Palin hervorgebracht haben. Dass wir Deutschen in Sachen Hirnverbrannz kein Stück besser sind, beweist jede Waldorfschule. Vielen Dank an Florian Freistätter fürs Draufaufmerksammachen. Wer kann, sehe sich den Film an. Eine DVD gibt es noch nicht. Derzeit läuft die Mondverschwörung im Berliner Sputnik am Südstern.

    (Außerdem kommt Guido Westerwelle drin vor.)

  • Links der Woche

    • Das neurotische Pferd im Fahrstuhl:

      Die Menschen hier im Haus haben nun diverse Lösungen ersonnen, um den stockenden Fahrstuhl wieder anzuwerfen. Ein Nachbar geht, wenn der Fahrstuhl hängt, ganz nach vorne an die Tür und hüpft dort dreimal auf und ab, er sagt, der Fahrstuhl ginge dann wieder. Ein anderer geht ebenfalls zur Tür, wedelt aber mit der Hand am oberen Rand herum.

    • Digitalisierter Erinnerungsverlust:

      Das Gedächtnis entsteht nicht nur in, sondern vor allem zwischen den Menschen. Daraus folgt der Schluss, das Identität nur im Austausch mit dem Gegenüber entstehen kann. Und hier kommt in Bakhtin ins Spiel: “Only when there is an Other can you know who you are… and there is no identity… without the dialogic relationship to the Other. The Other is not outside, but also inside the Self.”

    • Einzeltäter:

      Die SPD muss sich schämen, einen Vordenker wie Sarrazin in ihren Reihen zu haben, uund man sollte den deutschen Sozis in Berlin ins Gesicht spucken dafür, dass sie nicht den Mut hatten, diese Figur davonzujagen. Die Vorstellung, dass es tatsächlich so etwas wie eine geplante Übernahme des Westens gibt, wurde von all jenen dauerventiliert, die sich im Wettkampf um Aufmerksamkeit stets überbieten mussten, und nach Sarrazin haben sich diese Theorien fast schon in den normalen Politikbetrieb hinein verselbstständigt.

    • Elefantenbeerdigung. Schweigen oder Schreien?:

      Heute wird von Print, TV und Internet auch jede noch so winzige Denkpause mit einem übel riechenden, klebrigen, hirnzersetzenden Geschwätz vollgekübelt. Voll aufgedreht sind die Phrasophone und Trivialtrompeten und ergießen routiniert und gnadenlos ihre Plapperkaskaden, in Livetickern und Leid-Artikeln, ihren würgenden Brei aus Tränensülze und zähem Worthülsenstroh, der nichts offenbart als die sinistre Geistesferne, Gemütskälte und Herzensleere eines sich um sich selbst drehenden Apparates.

    • Halbnackte Fettnutten:

      Wenn ich von der Schule kam und es im Haus nach Urin roch hatte Mutti entweder Nierchen zubereitet oder Oma war zu Besuch. Großmutter war ebenfalls für ihre deftigen Leckerbissen bekannt. Während sie selbst am liebsten Entenfüße kochte um sie zu einer seichten Unterhaltungssendung abzuknappern, gehörte es zum guten Ton, dass bei Familienfesten Zunge serviert wurde. Während sich die Erwachsenen am genoppten Sinnesorgan labten aß ich am Kindertisch, kaute geduldig auf einem adrigen Stück Leber herum und beobachtete meine Schwester und Cousine dabei wie sie sorgfältig Zunge, Bäckchen und Gehirn aus ihren Hasenköpfen pulten.