Kategorie: Blog

Blogposts

  • Links der Woche

    • Rassismus: „Was willst du hier, Neger?“:»Was willst du hier, Neger?« Sie rücken immer näher und schließen einen Kreis um mich, sie schubsen und schlagen mich. Der Jüngste ist vielleicht drei Jahre älter als ich, er zielt mit seiner Stirn gegen meine Nase. Drei erwachsene Neonazis blockieren die Tür. Ich bewege mich nicht, spüre nichts. Der Waggon ist voll, aber niemand sagt etwas. Mein Gegenüber zieht sein Messer. Er flüstert: »Die nächste Station steigst du mit uns aus, und dann machen wir dich kalt, Neger.«

    • Die Nuklearkraft des Netzes:Die herkömmlichen Kulturmoleküle werden durch die Digitalisierung wieder in ihre Atome aufgespalten. Jeder kann – und muss – sich jetzt seinen individuellen Medienmix selbst zusammenstellen. Was vielen als Zumutung erscheint, sehen andere als große Chance.

    • Christopher Lauer zur Regierungserklärung von Klaus Woworeit:Aber da kann ich Sie beruhigen: Wir haben uns schon längst selbst abgeschafft. Denn was bedeutet ihre Regierungserklärung denn eigentlich Herr Wowereit? Sie haben heute verkündet, was in den nächsten fünf Jahren passieren soll. Wie wird es passieren? Durch Gesetze. Wer beschließt diese Gesetze? Dieses Haus. Aber: Wo werden diese Gesetze geschrieben? Wer von den hier anwesenden Abgeordneten ist denn Herr oder Frau Referentenentwurf? Wo sitzt denn der Referent? Der sitzt in der Verwaltung. Es ist traurige Realität, dass dieses Haus seiner Verfassungsmäßigen Aufgabe, Gesetze aus seiner Mitte entstehen zu lassen, nicht mehr nachkommt. Die traurige Realität wird es sein, dass jede Änderung in den nächsten fünf Jahren aus dem Senat kommen und in diesem Haus von Seiten der Koalition mal mehr, mal weniger Zähneknirschend abgenickt werden wird. Und die Opposition wird schreien. Und die Opposition wird Vorschläge machen und die Koalition wird schreien. Und hier spreche ich explizit die Hinterbänkler in den Fraktionen an: Habt ihr euch das so vorgestellt, ist es euch das Wert? Fünf Jahre lang das abzunicken was Herr oder Frau Referentenentwurf in irgendeiner Senatsverwaltung geschrieben haben?

    • Deutsche Vokabeln (III):Ein Wort, in das ich seit Jahren verliebt bin, heißt: schlaftrunken. Rhythmisch reizvoll ist es (als ein astreiner Daktylus nämlich) und semantisch nicht ohne Tiefe. Allein „trunken“ ist ja viel galanter als die modernen, von der Gosse geprägten Synonyme „besoffen“, „breit“ oder „hackedicht“. Trunkenheit hat etwas Leichtes, schwebend Beschwingtes, sanft schwankend Schwipsiges, als wäre der Schlaf nicht des Todes kleiner Bruder, sondern ein Kelch schäumenden Belustigungswassers.

    • Bezirksverordneter Martin Zierold: Das Experiment:Es ist ein kurzer, kehliger Ruf, lauter als das Stimmengewirr. Alle drehen ihre Köpfe in seine Richtung. Er gebärdet: „Halt! Lasst euch ausreden, das Durcheinander kann man nicht übersetzen!“ Das wirkt sofort. Augenblicklich kehrt die Gesprächsdisziplin zurück.

    • Das Bundesverfassungsgericht:In dieser Forschungseinrichtung können nach einer in der kernphysikalischen Wissenschaft diskutierten Theorie sogenannte Miniatur-Schwarze-Löcher erzeugt werden. Nach überwiegender wissenschaftlicher Meinung birgt dieser Versuchsaufbau am CERN kein Gefahrenpotential. Die Beschwerdeführerin befürchtet allerdings eine Zerstörung der Erde durch die geplante Versuchsreihe.

    • Aggressionen gegen „Zugezogene“ – Berlins neue Hasskultur:Wer fremd in Berlin ist und dem “Schinderhasen” begegnet, hat Pech gehabt – denn dieser kennt kein Pardon. Zwar existiert die Figur nur in einem neuen Buch. Doch immer häufiger wird Ausländern in den Clubs und Kneipen der Stadt der Zutritt verwehrt. Aus “Schwabenhass” werden sogar Kinderwagen abgefackelt – das alternative Berlin offenbart einen reaktionären Unterton.

    • 2012: Schreckensvision einer fernen Zukunft :Der folgende Bericht mag schockieren, doch er basiert auf Tatsachen. Alle mit Anführungszeichen und Seitenzahlen gekennzeichneten Zitate stammen aus dem Buch “Vorsicht Volkszählung! Erfaßt, vernetzt und ausgezählt.” herausgegeben von Roland Appel und Rainer Osnowski, erschienen im Kölner Volksblatt Verlag 1987

  • Links der Woche

    • Behinderung: Dass es dich gibt:Lotta ist kein »es«, das man wegmachen kann. Wir können doch nicht die kleine Schwester töten, die Bens Küsse auf meinen Bauch schon mit Tritten beantwortet. Es gibt noch Hoffnung, sagen andere Ärzte: »Sie hat eine gute Chance.« Daran klammern wir uns.

    • Was wäre echte Netzneutralität?:Von Netzneutralitätsbefürwortern wird gerne der Vergleich mit den Straßen angebracht: Die Straße entscheidet auch nicht, ob ein Auto auf ihr fahren darf, egal, ob ein Bankräuber oder ein Familienvater drin sitzt. Aber der Vergleich beginnt zu hinken, sobald wir intelligente Straßen annehmen. Sollten die Straßen eines Tages erkennen können, wer in dem Auto sitzt, wird auch die Politik von den Straßenbetreibern fordern, Bankräuber zum Halten zu zwingen. Und wenn sie grad dabei sind, auch gleich den Falschparker mit.

    • Gestatten, Hans-Peter Friedrich:„Meine wichtigste politische Aufgabe sehe ich darin, die Region Hof/Wunsiedel zu vertreten.“

    • Geschlecht im Netz: Hat die Piratenpartei Recht?:Postgender heißt, es seien keinerlei Diskussionen über Geschlechterverhältnisse mehr nötig, weil das Geschlecht keine Rolle mehr spiele, Frauen seien ergo auch nicht mehr benachteiligt. Und dieses Phänomen des Postgenderismus betreffe eben nicht nur die Partei selbst, in deren Geschäftsstelle es keine Herren und Damen-Toiletten gibt, sondern entsprechende Räume “mit und ohne Urinal”, die jedermann und jederfrau benutzen kann.

    • Erfolgreiche neue Socialmedia-Dienste – Make Love Not War:Alle vier der genannten Dienste haben aber noch ein weiteres Merkmal gemeinsam: sie fließen über vor Anerkennung, Lob, Smilies und manchmal sogar Mitgefühl und Liebe. Kann nicht sein? Doch. Wer sich die Streams von Instagram, Pinterest und Path ansieht, wird so gut wie keine Kritik, keine Widerworte, keinen Disput finden. Ähnliches gilt für Tumbler-Blogs – wo die Kommentare manchmal auch komplexer ausfallen können, aber fast immer das Lob vorherrscht. Typische Foren-Kommentare wie „Quatsch!“ oder „Was für ein Haufen Bullshit!“ wird man hier nicht finden. Das ist mit einer der Gründe, warum ich mich so gerne bei Instagram und Path „aufhalte“ – und mit mir Millionen andere.

    • Kathrin Passing über die Kritik an Algorithmen:Seither ist kein Monat ohne großen Feuilletonbeitrag über das unbeaufsichtigte Treiben der Empfehlungs- und Filteralgorithmen vergangen, und seit dem Erscheinen von Eli Parisers Buch über die “Filter Bubble” Mitte 2011 ist “Algorithmus” auf dem besten Weg zum Schulhofschimpfwort. Zuletzt verdammte der Medientheoretiker Geert Lovink vor wenigen Wochen die “Arroganz” der “rücksichtslosen Algorithmen”. Diese schlechte Presse bedeutet aber auch: Die Algorithmen sind besser geworden, so viel besser, dass auch Geisteswissenschaftler sie ernst nehmen.

  • ennomane labert Teil 3: Zeitbombe Internet

    „Zeitbombe Internet“ von den Zeit-Journalisten Thomas Fischermann und Götz Hamann ist ein Buch, das mir zwecks Rezension im Sommer in die Hand gedrückt wurde. Erst mochte ich es nicht lesen, dann kam ich wegen des Wahlkampfes und der unerwarteten Folgen des Wahlerfolges in Berlin nicht dazu, drüber zu schreiben. Ein wenig habe ich das auch prokrastiniert. Die Unlust rührt daher, dass die Autoren zwar in den meisten Sachfragen rechthaben, das ganze aber zu einem tendenziösen Brei verrühren. Da steht genau das drin, was der Titel erwarten lässt. Ein Buch für die internetkritische Großelteria – scheint es doch die Vorurteile mancher Offliner mit Fakten zu untermauern. Eigentlich wollte ich es nur kurz in der geplanten Esoterik-Folge von „ennomane labert“ abhandeln, nun ist aber doch eine eigene Laberei draus geworden und die Esoterik auf demnächst verschoben. Viel Spaß.

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  • Prothetik und Inklusion sind kein Gegensatz

    Vor zwei Tagen ergab sich eine heftige Debatte auf Twitter. Ich schrieb, die Zukunft gehöre der Prothetik, weshalb man mir unterstellte, ich sei gegen Inklusion. Beim Cochlea-Implantat denkt zum Beispiel Julia „@EinAugenschmaus“ Probst an Reparatur, die sie gefährlich findet, weil die Gesellschaft gleichgeschaltet werde.

    Ich habe als Teenager mein Gehör fast vollständig verloren. Ja, ich war „kaputt“ und bin „repariert“ worden. Und dafür bin ich dankbar. 20 Jahre lang war ich stark schwerhörig bzw. nach heutiger Definition gehörlos mit Restgehör. Die Implantante, die ich heute trage, machen mich annähernd normalhörend.

    „Behindert ist man nicht, behindert wird man.“, heißt der Kampfspruch der Behindertenverbände, und am Cochlea-Implantat zeigt sich, wie falsch er ist, denn die Gesellschaft hat mich nicht am Hören gehindert, sondern mir ein Gehör geschenkt. Die Gesellschaft hat per Krankenkasse mehr als 50.000 € dafür ausgegeben, dass mein Leben barrierefreier ist, indem eine Barriere an mir selbst überbrückt wurde. Die Operation war ein Akt der Emanzipation.

    Das heißt nicht, dass das Cochlea-Implantat ein Allheilmittel ist. So erfolgreich ist es nur in ganz bestimmten Fällen. Der Hörnerv muss intakt sein. Das Hörzentrum im Gehirn sollte sich in der Kindheit normal ausgeprägt haben, sonst wird ein Gehörloser zwar hören, jedoch kaum verstehen. Und auch wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind, kann die Reparatur schief gehen.

    Das ist aber kein Grund, Angst vor der „Reparatur“ zu haben, denn der Gehörlose kann nichts verlieren, sondern nur gewinnen. Ihm wird nichts genommen, sondern etwas geschenkt. Selbstverständlich bleibt die Entscheidung beim einzelnen Betroffenen. Dass die Gesellschaft Druck auf den einzelnen ausübt, zu funktionieren, ist kein Argument gegen Prothetik, sondern ein Argument gegen den Druck. Prothetik und Inklusion sind keine Gegensätze, sondern gehören zusammen: Prothetik beseitigt Barrieren.

    Je nach Behinderung funktioniert das mehr oder weniger gut: Rollstuhlfahrer hatten schon immer andere Bedürfnisse als Blinde, die schon immer andere Bedürfnisse als Gehörlose hatten. Es wird immer Menschen geben, die nicht „repariert“ werden können.  Der Übergang zwischen zwischen „normal“ und „andersartig“ ist fließend. Es gibt keine Alternative zur Toleranz gegenüber Andersartigen – wir sind schließlich alle einzigartig. Es gibt keine Alternative zur Inklusion.

    Angst vor der Prothetik hilft uns allerdings nicht weiter. Robotik und Mikroelektronik werden sich dramatisch weiterentwickeln. Wir werden aufhören, Menschen nur zu „reparieren“, wir werden anfangen, sie zu erweitern. Die Menschen werden das selbst wollen und dabei ganz individuelle Bedürfnisse haben. Ich habe einige Nerds kennengelernt, die ein wenig neidisch auf mein Cyborg-Dasein sind, und sich am liebsten heute eine Gehirn-Internet-Schnittstelle implantieren würden, wenn es so etwas schon gebe. Man kann darin die Gefahr sehen, dass diejenigen abgehängt werden, die das nicht mitmachen wollen oder können. Das ist aber kein Argument.

    Der Mensch formt die Welt und sich selbst seit Tausenden von Jahren. Wer heute kein Internet nutzen kann oder will, ist ähnlich abgehängt wie jemand, der ein paar Jahre zuvor nicht lesen konnte und ich erwarte in einigen Jahrzehnten ähnliches bei der Prothetik. Durch Verbote werden solche Entwicklungen nicht aufgehalten sondern nur in die Illegalität verschoben. Die Antwort auf die Prothetik kann nicht die Warnung davor sein, die Antwort muss sein, weiterhin auch für Inklusion zu kämpfen und herauszustellen, dass Barrierefreiheit keine lästige Pflicht gegenüber Benachteiligten ist, sondern etwas, das allen nützt.

  • Links der Woche

    • Die ZEIT und Fremdschämen:Was ich in der ZEIT jedoch lesen muss, schlägt dem Fass den Boden aus. Ich schäme mich lesen zu müssen, dass das einzige Problem in diesem Schauspiel ist DASS MEIN RING ZU BILLIG IST. Es ist ein Problem, dass in diesem Land immer noch nicht alle Menschen eine voll akzeptierte Ehe mit allen Rechten schließen dürfen. Es ist ein Problem, dass wir überhaupt heiraten wollen und unsere Privilegien ausnutzen. Es ist ein Problem, dass die Journaille sich im 21. Jahrhundert an einer Verlobung ergötzt. Es ist ein Problem, dass sich viele Menschen selbst einen Verlobungsring für 79 € kaum leisten können. (Die dürfen aber ihrer Meinung schon heiraten, oder ist das auch zu peinlich?) Es ist jedoch KEIN Problem, dass mein Verlobungsring ein vergleichsweise günstiges Exemplar ist.

    • In Fäkalgewittern:Vor einiger Zeit etwa hatte ein bayerischer Ministerpräsident eine Geschichte mit Nachwuchs – das hat niemanden allzu sehr überrascht, auch wenn der Mann davor recht katholisch aufgetreten ist. Medien zürnten, das Internet nahm es als natürliche Sache hin. (…) Weniger erwartet hätte man die Trunkenheitsfahrt einer Bischöfin, aber sie zog schnell die Konsequenzen, bevor der Unterschied zwischen Anspruch und Realität zu sehr auffallen konnte. Bei all diesen Stürzen gab es eine gewisse Differenz zwischen zur Schau getragener Moral und gelebter Nichtsoganzethik, aber es war nichts, worüber man sich ereifert hätte. (…) Dagegen kann man sehr gut erklären, was Wulff und Guttenberg (…) aus dem Netz ins Gesicht explodiert ist: Der enorme Unterschied zwischen lauthals verkündeten Idealen und gelebter Bigotterie. Das allein reizt schon, das ist das Material, der sich nachher wieder über die Personen ergiesst.

    • Das „man“ ist Präsident:„Ihn jetzt noch schonen, wäre lächerlich! Zu lange mußte ich die Wut hinunterschlingen über des unverschämten Heuchlers Dreistigkeit, der alles hier im Hause durcheinanderbrachte.“

    • Das digitale Urheberrecht steht am Abgrund:Ich bin auch davon überzeugt, dass wir kein moralisches Problem haben, wie oft behauptet wird. Die Menschen sehen prinzipiell ein, dass der Künstler, dessen Werke sie herunterladen, von irgendetwas leben muss. Die Menschen sehen aber andererseits nicht, dass das Geld tatsächlich den Künstlern zugute kommt. Ich verstehe die Rechteinhaber, aber sie pokern zu hoch. Sie hoffen, dass die Abschreckungswirkung so stark ist, dass die Nutzer Angst bekommen und deswegen wieder in die Legalität kommen. Aber auch ängstliche Nutzer, die nur deswegen legal handeln, weil sie Angst vor Strafe haben, sind eigentlich nicht das, was wir mit einem verträglichen Rechtssystem erzeugen wollen.

    • Datenschutztheater: Die informierte Zustimmung:Das heißt natürlich, daß die Verarbeitung personenbezogener Daten nicht wirklich komplett verboten ist. Sie ist erlaubt, “soweit dieses Gesetz oder eine andere Rechtsvorschrift dies erlaubt oder anordnet”. Das heißt, das BDSG kann sich selber durchlöchern und jedes andere Gesetz kann das auch. Sich selbst erlaubt der Staat also die Verarbeitung personenbezogener Daten, gerne und großzügig, und schön verteilt über alle möglichen Gesetze, sodaß das nicht direkt sichtbar ist, in welchem Ausmaß das BDSG da mit Ausnahmetatbeständen durchlöchert wird.

    • Studie – Was Kinder lernen WOLLEN!:Kinder, die ich kenne, WOLLEN doch lernen! Darauf reagieren wir kaum. „Das kannst du noch nicht.“ – „Das verstehst du noch nicht.“ – „Internet ist böse und hält dich vom Lernen ab.“ – „Bitte fass mein Handy nicht an, sonst raste ich aus. Das ist nichts für dich. Wenn du da etwas verstellst, kann ich es nicht mehr benutzen, so schwierig ist die neue Technik. Kind, ich weiß, wovon ich rede.“ Wieso bestehen die abgebrochenen Hauptschüler alle die theoretische Führerscheinprüfung? Wieso gibt es mehr Experten für Dinosaurier als für Kartoffelsorten oder Maler des Mittelalters? Warum interessieren sich Kinder für Planeten und Sterne und nicht für Baumblätter? Warum lesen sie so viel, bis sie zur Schule kommen und Iphigenie treffen?

  • Verantwortung und Transparenz am Beispiel des Bundespräsidenten

    Es geht ja längst nicht mehr um einen Kredit: Bei der Frage nach dem Privatkredit zum Bau seines Hauses log Christian Wulff das Niedersächsische Parlament an – ein solcher Kredit verstößt wohl gegen das Ministergesetz, weil Vorteilsnahme im Spiel sein könnte. Juristisch wurde das bisher nicht aufgearbeitet und moralisch kann man drüber streiten: Selbstverständlich gewähren sich privat Freunde, Geschäftsleute oder auch Familienmitglieder untereinander Kredite und das sehr oft zu weniger als 4%. Außerdem machen Menschen Fehler und mir ist nicht bekannt, dass das Amt des Bundespräsidenten Heiligkeit voraussetzt.

    Für Wulff hätte es so einfach sein können: Er hätte 2010 das Parlament nicht anlügen müssen. Er hätte die Verantwortung tragen können, indem er damals auf eine öffentliche Bank umgeschuldet, den Vorgang transparent gemacht, sich entschuldigt und ein juristisches Nachspiel in Kauf genommen hätte. Dasselbe im Herbst 2011: Auch hier hatte Wulff die Chance, den Fehler öffentlich einzugestehen und alles gerade zu biegen. Hat er aber nicht getan.

    Eine Affaire hat immer die Folge, dass hinterher mehr Menschen schlecht über einen Politiker denken als vorher. Der Umgang mit einer Affaire bietet aber immer auch die Chance, dass wenigstens ein Teil der Leute hinterher besser über diesen Politiker denken. Das geht durch Offenheit, Transparenz, Einsicht, die ehrliche Bitte um Verzeihung und das Übernehmen von Verantwortung – und zwar aus freien Stücken.

    Gerade das Wort „Verantwortung“ wird oftmals falsch verstanden und als Synomym für „Rücktritt“ benutzt, dabei sollte es beim Tragen von Verantwortung vor allem immer darum gehen, Schaden zu begrenzen und wieder gut zu machen. Der (meist finanziell abgefederte) Rücktritt ist ja vielmehr die Flucht aus der Öffentlichkeit und ein Drücken vor der Verantwortung. Fehler sind dazu da, sie zu machen und aus ihnen zu lernen. Um Schaden einzuschätzen und zu begrenzen, ist Transparenz nötig. Verwundbar macht diese Transparenz nur scheinbar – sie verringert zugleich drastisch die Angriffsmöglichkeiten.

    Bei der Affaire Wulff geht es also nur am Rande um Kredite. Wulff gesteht Schuld nur ein, wenn er muss. Er übernimmt keinerlei Verantwortung und ein eventueller Rücktritt wird daran nichts mehr ändern. Wulff gibt immer exakt genau soviel zu, wie ihm nachgewiesen werden kann. Er er belügt nachweislich die Öffentlichkeit und er bedroht und beschimpft Pressevertreter, die über die Affaire berichten wollen, was ihre Aufgabe ist. Kurz: Christian Wulff ist weder integer noch seriös.

    Wenn jemand das Amt des Bundespräsidenten beschädigt, dann der Präsident selbst und nicht seine Kritiker. Allerdings muss man sich fragen, welches Amt eigentlich. Schließlich sollten wir doch froh sein, dass Wulff auf dem Posten des politische Frühstücksdirektors der Nation keinen größeren Schaden anrichten kann.

  • Links der Woche

    • Ich kann nicht anders:Irgendwann, in einigen hundert Jahren wird die Shoa mit denselben Blicken betrachtet wie das Massaker Alexanders an den Thebanern, wie die Pogrome im Mittelalter. Als etwas unwirkliches in der Vergangenheit. Nebulös. Abstrakt. Etwas was unbekannten, namenlosen Gesichtern passierte. Auch dann wird man noch wissen, wer Adolf Hitler war. Doch niemand wird wissen, Wikipedia hin oder her, wer Mala Zimetbaum war. Wir tragen nicht die Schuld an der Shoa. Wir tragen lediglich die Schuld, dass die Menschen dahinter vergessen werden.

  • Twitter im Dezember

    Zum Nachfaven bitte draufklicken:

     

  • Wir haben nicht versagt

    Wir haben versagt„, schreibt Stephan Urbach und meint damit, dass die Netzpolitik in der Blase Internet operiert, ohne „die Menschen da draußen“ mitzunehmen. Die großen Debatten finden schließlich immer noch massenmedial in den großen Zeitungen und Fernsehen statt und weniger in der Netzöffentlichkeit. In gewisser Hinsicht hat er recht:

    Ich schrieb mal (wie ich da noch nicht wusste drei Tage vor meinem Eintritt in die Piratenpartei), dass alle Versuche, die Politik zu ändern, vergeblich sind, wenn wir nur Politik für und im Internet machen. Dass es nicht den geringsten Grund gibt, warum sich ein Offliner überhaupt nur ansatzweise für „unsere“ Themen interessieren sollte. Dass wir Begegnung herstellen müssen und den Offlinern etwas anbieten, statt sie als Ausdrucker zu beschimpfen: Das Internet als Instrument für Empowerment. Mein Gedanke war damals, Begegnung herzustellen z.B. indem wir ehrenamtlich Internet-Kurse für Senioren organisieren, bei der Gründung von netzbasierten Tauschringen für Alg2-Empfänger helfen oder Hacker-Camps für Jugendliche anbieten. Geschehen ist davon… nichts. Ich selber habe die Idee kaum vorangetrieben. Wenn jemand etwas vergleichbares getan hat, dann Stephan Urbach und Telecomix.

    Aber haben wir versagt? Nein. Als Piratenpartei haben wir den wichtigsten Schritt schon getan – aufgehört, nur Netzpolitik zu machen, und angefangen, die Metapher Internet auf das Leben zu übertragen und daraus Antworten zu ziehen. Unbewusst beantworten wir alle politischen Fragen anhand des Prinzips der Plattformneutralität – ein Prinzip, das zur heimlichen Ideologie einer Partei geworden ist, die nicht ideologisch sein will.

    Wenn wir das BGE, Mindestlohn und Reformen beim Alg2 fordern, Teilhabe an kulturellen Gütern und an Bildung, das Ende der Drogenprohibition, die Gleichbehandlung aller Religionsgemeinschaften und vollständige Integration von Migranten und dabei aus der einen Ecke als kommunistisch und aus der anderen Ecke als neoliberal beschimpft werden, während wir ja durchaus konservativ sind, was Bürgerrechte und das Grundgesetz angeht, wird klar, dass die Piraten keine Junior-Grünen und kein linker FDP-Flügel sind, sondern ein Denken vertreten, das sich selbst noch gar nicht richtig philosophisch durchdrungen und ausformuliert hat.

    Dieses Denken manifestiert sich auch nicht nur im Mem „Piratenpartei“. Seit wir es im Straßenwahlkampf so richtig schön offline vertreten und dank des Wahlerfolgs in Berlin auch in den klassischen Medien transportieren können, beschleunigt sich dessen Verbreitung. In dem Maße, wie piratisches Denken in Kontexten virulent wird, die mit dem Internet nichts zu tun haben, wird umgekehrt auch in der Bevölkerung das Verständnis dafür steigen, warum Netzneutralität im Internet so wichtig ist und es keine Netzzensur geben darf. Netzpolitik ist zum Teilaspekt einer größeren Sache geworden.

    Wahlkampf wird man mit Netzpolitik noch sehr lange nicht – vielleicht nie – machen können, auch wenn die Altparteien das jetzt hektisch versuchen und an ihren Varianten von Netzpolitik herumbasteln. Datenschutz und Internetzensur sind jedoch Themen, mit denen diese Parteien keinen Blumentopf gewinnen, sondern nur sich selbst beruhigen können: „Wir kümmern uns ja drum.“ Es kann auch nicht die Aufgabe der Piraten sein, jeden Hardcore-CDU-Wähler im letzten Winkel seines Weltbildes abzuholen; es muss Ziel der Piraten sein, ihr Denken in die Gesellschaft zu tragen und dafür alle Medien zu zu nutzen. Auch Parlamente und Parteien sind übrigens Medien, in die wir wir unsere Themen wie Transparenz und eine offene politische Kultur injizieren können, wie einst die Grünen das mit der Umweltpolitik taten.

    Angesichts der allgemeinen Krisenstimmung (die gefühlt nur in den Medien und kaum im Privatleben stattzufinden scheint) hat niemand eine Antwort, aber die Leute scheinen mir genervt von denen zu sein, die Antworten simulieren, und offen für Visionen und Utopien. Ich wünsche mir noch immer auch so etwas wie eine breite soziale Bewegung wie eingangs skizziert. Mit mittlerweile 20.000 Mitgliedern rückt das in die Nähe des möglichen, aber ich bekomme zunehmend das Gefühl, dass sich unser Sozialleben unmerklich über das Internet neu organisiert und was wir derzeit erleben nur die üblichen Konflikte und Verwerfungen einer Wendezeit sind, in der es trotzdem gilt, so viele Menschen wie möglich abzuholen und mitzunehmen. Wenn ich beobachte, wie gerade in der Piratenpartei über die „Unnormalität“ all derer hinweggesehen wird, die freiwillig oder unfreiwillig irgendwelche gesellschaftlichen Normen nicht erfüllen, habe ich das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein.

    Wir haben nicht versagt, sondern stehen noch immer Anfang, denn das, was wir vorhaben, dauert Jahre und Jahrzehnte. Gemessen daran sind wir sogar ziemlich erfolgreich. Nur wenn wir jetzt nichts daraus machen, werden wir versagen.

  • Links der Woche

    • Ein Weihnachtsalbtraum:Weit oben, jenseits der sumpfig-dunstigen Schwellpolsterauen, verstieg ich mich einst hoch im Schrankwand-Gebirge. Ein hartes, ein reiches Land! Hoch ragten die Buchattrappen, furnierbestandene Plateaus äugten fremdelnd, wie von Munch gemalt, in stummem Schrei, und Schluchten aus eitel purem Resopal gähnten verstohlen!

    • Esoterik an deutschen Hochschulen – Lasst die Nymphen tanzen!:“Bei der geomantischen Begehung und Analyse im Projektteam erkannten wir die Präsenz von Nymphen auf dem Grundstück. Daher empfiehlt es sich, das Neubaugebiet in Bauabschnitten zu erschließen, um ausreichende Rückzugsmöglichkeiten für die Naturwesen zu ermöglichen.”

    • Die Panzerknackerbande:Ich erinnere, wie mir, als ich in Ihrem Alter war, ein Unternehmer erzählte, er hätte von seinem Vater gelernt: „Wenn Du einen kleinen Kredit aufnimmst, dann hat Dich die Bank in der Hand. Wenn der Kredit eine bestimmte Größe erreicht, dann hast Du die Bank in der Hand.“

    • Bildsprache: Die Piraten und das Meer:Mit dem Internet sind erstaunlich viele Wasser-Metaphern verbunden. Es begann schon ganz früh und technisch mit dem „Port“, also dem Hafen, den man ansteuern muss, um bei einem Server anlegen zu können. Dann kam die wahrscheinlich bekannteste Metapher – das Surfen. Heute sehen wir im Netz einen Video-Stream, und man spürt direkt das Vorbeirauschen des Stromes. Neuer ist die Cloud, die Wolke, in der alles Mögliche verschwinden kann, und natürlich der Pirat. Das Internet ist ein Ozean von Daten und Informationen, auf deren Wellen wir reiten, aus denen wir Ströme abzapfen. Und dieser Ozean ist die Heimat des Piraten.

    • Das Dilemma des offenen Politikers:Es scheint so zu sein, dass zu einer gewissem Bekanntheit ganz automatisch ein paar Leute mitgeliefert werden, die einen ohne Grund hassen, die beleidigen, die meinen, einen zu kennen und zu durchschauen, ohne einem je begegnet zu sein. Es ist völlig egal, was man tut, diese Personen sind immer da und sie sind laut. Und wenn man sie aufmerksam liest, verletzen sie einen einfach, ohne irgendwas Besseres zu hinterlassen.