Kategorie: Blog

Blogposts

  • Über, LeFloid, Merkel, Youtuber, Journalisten und Dünkel

    tl;dr: Das Interview, das Angela Merkel LeFloid gibt ist handwerklich schwach aber unter bestimmten Gesichtspunkten sehr interessant.

    lefloid

    Ein paar lose, noch nicht abgeschlossene Gedanken zum Angela-Merkel-Interview von LeFloid: Die Medien sind sich einig – handzahm und brav. Glaubt man Twitter oder Facebook, hätten ungefähr alle ein besseres Interview geführt. Es stimmt: Das Interview ist fade und schwer zu ertragen. Das liegt aber weniger an LeFloid als an Angela Merkel (wie Johnny Haeusler schön zusammenfasst), die es – natürlich – vor allem nutzt, um ihre politischen Positionen zu vertreten. Wenn man LeFloid einen Vorwurf machen kann, dann vor allem den dass er ihr diese Plattform überhaupt bereitstellt. Sonst tut er eigentlich was er immer tut.

    Ich glaube, dass dieses Video von einigen Journalisten so negativ kommentiert wurde, liegt vielleicht teilweise an beleidigter Eitelkeit, dass nicht sie eines der raren Merkel-Interview ergattert haben. Das ganze hat auch viel mit Erwartungshaltung zu tun: Von einem im Fernsehen gesendeten politischen Interview haben wir relativ klare Erwartungen, wie so etwas abzulaufen hat. Von Journalismus an sich auch. Bei Youtube-Channels gibt es diese klaren Regeln aber nicht, weil sich da gerade neue Regeln herausbilden, die im Fluss sind und sich ständig weiter entwickeln. Wer vom Interview enttäuscht war, hat schlicht etwas erwartet, was ein Youtuber wie LeFloid gar nicht leisten will. Was hier passiert, ist eine Art Generation Clash oder Culture Clash. Ein Journalist würde versuchen, Angela Merkel in Fallen zu locken oder sogar unabhängig von seiner eigenen Meinung. Youtuber wie LeFloid machen keinen solchen Journalismus. Vielleicht könnte man es „Pop-Journalismus“ nennen, und überhaupt ist Pop eine ganz okaye Metapher für das, was gerade auf Youtube passiert.

    Menschen, die über Youtube die Nase rümpfen, erinnern mich bisweilen ein wenig an die Hörer von E-Musik, die im Pop vor einigen Jahrzehnten den Untergang des Abendlandes sahen. Pop hat seine eigenen Strukturen, Mechanismen und Handwerklichkeiten. Die waren vor einigen Jahrzehnten für ausschließlich mit E-Musik aufgewachsenen Menschen schlicht unsichtbar und im Wortsinne ungenießbar. Heute hingegen sind die Beatles Bestandteil des Musikunterrichts.

    Wie im Pop gibt es Kommerz und Punk und lässt sich beides nicht immer auseinander halten. Wie im PopWie im Pop finden sich unter Bergen von Trash die Perlen. Um bei der Metapher zu bleiben: Lefloid erinnert mich ein wenig an Udo Lindenberg, als er Honecker eine Gitarre schenkte. Diese Mischung aus Respekt und Respektlosigkeit, Kritik und Anbiederei und vor allem: locker bleiben! Natürlich ist das Interview nicht das St. Pepper’s Lonely Hearts Club Band des Pop-Journalismus, ganz im Gegenteil. Allerdings ist mein Eindruck, dass in bestimmten Kreisen ein allgemeines Naserümpfen gegenüber Youtubern besteht. Ein solcher Dünkel ist gerade für Journalisten und Medienmacher gefährlich, weil sie den Anschluss an die Millionen Zuschauer verlieren, die das ganz offenbar sehen wollen.

    Der wesentliche Unterschied zwischen Youtubern und LeFloid scheint mir darin zu bestehen, dass sie nicht mit dem Anspruch auftreten, Journalismus zu betreiben. Sie labern einfach in eine Kamera und klingen dabei wie ein Buddy, mit dem wir uns beiläufig über irgendwas unterhalten. LeFloid versucht gar nicht erst, den klassischen Riten des Journalismus zu genügen, sondern lässt Merkels Meinung einfach stehen, erlaubt sich ein „Agree to Disagree“, bleibt respektvoll und ist sich nicht zu schade, ihr in anderen Punkten zuzustimmen. Was im Kontext eines politischen Interviews unglaublich weichgespült klingt, ist das, was wir sonst im Alltagsleben als „Kinderstube“ bezeichnen, um einigermaßen erträglich miteinander klarzukommen. Ich glaube, genau darin liegt auch der Grund, warum sich junge Menschen von solchen Youtube-Channels angesprochen fühlen. Während in den großen Medien alles auf ein seriöses Äußeres und Dramatik und Pathos getrimmt ist, geben Youtube-Videos den Zuschauern das Gefühl, mitgemeint und angesprochen zu sein.

    Besonders deutlich wurde mir das anhand eines Schminkvideos. „Schminkvideo“ ist gerade das Schimpfwort für banalen Inhalt überhaupt und hat das Wort „Katzencontent“ abgelöst. Für die breite Masse der Schminkvideos gilt das auch, außer du interessierst dich gerade tatsächlich fürs Schminken. Spannend wird das Genre, wenn die sich Schminkenden anfangen, nebenher über andere Dinge zu reden. In dem Moment wird eine Art Feuilleton draus. Politische oder gesellschaftliche Fragen werden ganz nebenher verhandelt, ähnlich wie bei zwei Frauen, die nebenher aufs Klo gehen. Natürlich ist das vom Niveau her nicht mit klassischem Feuilleton zu vergleichen, allerdings erreicht eben dieses klassische Feuilleton mit seinen „Walls of Text“ eben nur ganz bestimmte Zielgruppen, die bereit sind, die ellenlangen Abhandlungen auch lesen zu wollen.

    LeFloid & Co. funktionieren für ihre Zielgruppe ganz ähnlich. Er verhandelt oft aber nicht immer politische Themen und er tut es so, dass Menschen, die sonst für klassische Medien nicht erreichbar sind, das angucken. Interessiert. Und darüber diskutieren. Menschen die vom üblichen Tagesthemen-Kommentar schneller wegzappen würden als vom „Wort zum Sonntag“ (wenn sie überhaupt noch klassisch fernsehen). Darin steckt ein großer Verdienst.

    Mit diesem Text möchte ich übrigens nicht das fade Interview verteidigen. LeFoid finde ich persönlich durchaus fragwürdig, wenn er zum Beispiel seine Fans als „Bros“ bezeichnet. Mir geht es vor allem darum, angesichts des Phänomens „Youtube-Star“ die Augen offen zu halten und sich ganz genau anzusehen, was diese Leute eigentlich machen und warum andere das sehen wollen. Wer das nicht tut, erklärt sich selbst für alt und borniert, ganz im Sinne des berühmten Douglas Adams-Zitat, dass alle alten Erfindungen selbstverständlich sind, alle neuen Erfindungen die Welt retten werden, außer du bist über 30, was bedeutet, dass alle neuen Erfindungen unseren Untergang bedeuten. Mir passiert das selbst oft genug, weshalb ich mir angewöhne, noch ein zweites mal hinzusehen, wenn „das Neue“(TM) bei mir eine Abwehrhaltung auslöst. Natürlich gibt es unter Youtubern ausgesprochen unschöne Entwicklungen wie Hauls pseudo-authentische Videos voller Schleichwerbung, mit denen die zuschauenden Teenies geradezu verarscht werden. Natürlich werden Unmengen von Pop-Trash produziert, den die Leute manchmal trotzdem toll finden. Ich bin aber ganz sicher, dass zwischen dem Trash ein paar ganz neue Stile/Formate entstehen, die hoch spannend sind.

  • Links der Woche

    • Weder links noch rechts! Wenn links wie rechts… | Kotzendes Einhorn:

      “Ich muss zugeben, ich kam mir früher auch besonders demokratisch, pfiffig und schlau vor, wenn ich sagte, dass man nicht in Kategorien wie links oder rechts denken solle.”

    • Eine bessere digitale Zukunft mit dem Grundeinkommen:

      “Um in Deutschland eine positivere Zukunft zu realisieren sollten sich Datenschützer, Sozialkritiker und die Befürworter digitaler Lösungen zur Verbesserung der individuellen menschlichen  Lebensqualität nicht gegenseitig behindern, sondern gemeinsam eine Reform für eine bessere Zukunft herbeiführen. In einer Gesellschaft mit einem Grundeinkommen bedeutet Selbstoptimierung die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit welche frei von Druck und im eigenen Tempo erfolgen kann. Dementsprechend liegt die Lösung zur Vermeidung eines zunehmenden Leistungsdrucks nicht in der Verhinderung von technischen Fortschritts und der Einschränkung der Möglichkeiten zur Verbesserung der Gesundheit und Lebensqualität von Menschen, sondern in einem Paradigmenwechsel des Wirtschaftssystems, welcher positive Anreize und Rahmenbedingungen schafft.”

  • Zwei Parteien

    tl;dr: Jede Tragödie wiederholt sich als Farce.

    zweiparteien

    Die eine kam scheinbar aus dem Nichts, wollte die gesellschaftlichen Umwälzungen des Internet in Politik umsetzen und bündelte die Unzufriedenheit in linksliberale Forderungen. Die andere wurde von Professoren und Wirtschaftsvertretern gegründet, um eine Politik rechts von der CxU und gegen den Euro zu betreiben.

    Die eine schaffte es in vier Landesparlamente, bis der Hype vorüber war und sie in internen Streitigkeiten versank, von denen sich die Wähler mit grausen abwendeten. Die Mitglieder der anderen haben offenbar auch keine Kinderstube – macht aber nichts, ihre Wähler nämlich auch nicht.

    Die eine wurde u.a. gegen staatliche Überwachung im Internet gegründet, spielt aber seit Beginn der Snowden-Enthüllungen politisch keine Rolle. Die andere wurde gegen Euro und Währungsunion gegründet, wahr aber ausgerechnet während der Griechenland-Krise nicht wahrzunehmen.

    In der einen Partei zahlen viele Mitglieder keine Beiträge. In der anderen auch nicht, aber sie bekommt umfassende Kredite von bekannten Wirtschaftsvertretern und verkauft zwischendurch auch mal Gold.

    Die eine führte einen außerordentlichen Parteitag in Halle an der Saale durch, weil viele Mitglieder es offenbar nicht ertragen konnten, dass andere Mitglieder sich gegen Rechtsradikale engagieren. Die andere hatte letztes Wochenende ihren Parteitag in Essen.

    Auf dem einen Parteitag steht es Zweidrittel gegen Eindrittel. Die Lager stehen sich weitgehend unversöhnlich gegenüber und wählen einen viel geschmähten Bundesvorstand ab, für den sie so ungefähr alle denkbaren Schimpfwörter und Verschwörungstheorien parat haben. Auf dem anderen Parteitag auch.

    Auf dem einen Parteitag wird ein Vorsitzender gewählt, der für die Minderheit nicht erträglich ist. Auf dem anderen Parteitag eine Vorsitzende.

    Auf dem einen Parteitag hält ein bis heute in der der Öffentlichkeit sehr bekannter damaliger Landesvorsitzender eine Rede, in der er kein Blatt vor den Mund nimmt, was den Zustand der Partei betrifft. Er wird ausgebuht und zeitweilig wird ihm das Mikrofon abgestellt. Auf dem anderen Parteitag passiert dasselbe mit den scheidenden Bundesvorsitzenden.

    Die eine Partei erlebte auf ihrem Parteitag einen Rechtsruck. Die andere auch.

    In einer Partei wurde vor dem Parteitag ein Verein namens „Weckruf“ gegründet, um das moderate Drittel zu sammeln. Parteiabspaltung nicht ausgeschlossen. Auf dem anderen Parteitag gründete sich eine Gruppe namens „Progressive Plattform“, um einen Flügel zu bilden. Parteiabspaltung nicht ausgeschlossen, aber aus Desinteresse bisher nicht umgesetzt.

    Aus der einen Partei tritt der ehemalige Vorsitzende aus. Aus der anderen Partei tritt der oben erwähnte Landeschef zurück und aus.

    Die eine Partei verliert draufhin in weniger als einer Woche 10% ihrer Mitglieder und nennt das „Befreiungsschlag“. Die andere Partei verliert in einem Jahr rund die Hälfte ihrer Mitglieder und nennt das „Konsolidierung“.

    Einige Leute in der eigenen Partei finden, sie seien der politische Arm von Pegida. In der anderen Partei gibt ein Landesvorsitzender sehr gerne Interviews bei „RT Deutsch“.

    Die eine Partei will sich jetzt auf ihre Kernthemen konzentrieren, das heißt in erster Linie Ausländer scheiße finden. Die andere Partei konzentriert sich auf ihr Kernthema Snowden-Verehrung und es ist ihr egal, wenn ihre Mitglieder nebenbei ein wenig Ausländer scheiße finden, solange sie nicht auf die Idee kommen, sich gegen Rechts zu engagieren.

    Die eine Partei hat keinerlei politische Forderung, die für Masse der Bevölkerung von Relevanz ist. Die andere Partei auch nicht, aber hey: Ausländer scheiße finden zieht immer!

    Eigentlich ist es egal, welche Partei welche ist. Man sollte sich nur bewusst sein, dass die Piratenpartei auch keine Alternative für Deutschland ist.

  • Links der Woche

    • »Der Status quo ist unglaublich sexistisch«:

      “Ich glaube, dass Männer eine ganze Menge vom Feminismus profitieren können. Im Feminismus werden auch die Männer vom Druck der Geschlechterrollen befreit.”

    • Das Medium [er]trägt die Botschaft:

      “Es ist keine Neuigkeit, dass nicht wenige dieses neue ‘Buch’ ablehnten. So wie Plato jede Art schriftlicher Aufzeichnung ablehnte. So wie alte Hethiter Papyrus ablehnten und Tontafeln bevorzugten. So wie sich deutsche und britische Kolumnisten fragten, was denn diese viel zu schnelle, neue Errungenschaft ‘Bahn’ bringen solle – zu Fuss ist den Menschen nicht schnell genug, wo wollen die hin, was soll das, das ist doch auch gefährlich, man holt sich beim Hinterherschauen Nackensteife!”

    • Politischer Tourismus – connected:

      “Mein sich zunehmend verfestigender Eindruck ist, dass die Zuwendung zu Politik anderer Regionen eine Ersatzhandlung ist. Eine Abwendung von einer politischen Debatte und ihren Strukturen, die mehr als nur eine leichte Unzufriedenheit ist. Menschen wollen sich politisch beteiligen und sich fühlen, als wären sie Teil der Veränderung (und hoffentlich Verbesserung) der Welt. Da das hier nicht möglich scheint, lebt man seine politische Aktivität aus in Debatten anderer Länder und Regionen.“

    • Fünfmal staunen in der fünften Klasse:

      “Ich dachte immer, das klassische Muster ist: Kinder geben leicht zu viel preis und Eltern müssen sie davor schützen. Stimmt aber gar nicht immer, mehrere Schüler haben vom umgekehrten Problem erzählt: “Meine Mutter postet Bilder von mir bei Facebook und ich will das nicht.” – “Meine Mutter hat ein Bild von mir gepostet und ich find doof, was sie da druntergeschrieben hat.””

  • Griechenland: Ich hab da mal Fragen

    tl;dr: Kaputter als Griechenland ist die EU.

    tentakel

    Die Bankenkrise ab 2007 hatte laut Wikipedia weltweit Verluste von etwa 3 Billionen Euro zur Folge. Davon betrafen 900 Milliarden Euro die EU. Am Ende haben wir die Banken gerettet, weil „systemrelevant“, obwohl es für Unternehmen in solchen Situationen ein geordnetes Verfahren gibt: die Insolvenz. Die Staatschulden Griechenlands beziffern sich derzeit auf rund 425 Milliarden Euro. Für Staaten gibt es keine geordnete Insolvenz, am Ende sind es Menschen, die in Arbeitslosigkeit, Armut und wegen mangelnder Infrastruktur und medizinischer Versorgung in Krankheit und Tod getrieben werden. Trotzdem soll das Hilfsprogramm morgen auslaufen. Frage: Sind 11 Millionen Griechen weniger „systemrelevant“? (Zusatzfrage: Auch unter dem Aspekt, dass gerade alle davon reden, wie gefährlich diese Krise sei, auch für den Euro und die EU als ganzes?).

    Eine mögliche Antwort auf diese Frage: Sind halt nur Griechen, werfen wir sie halt aus der EU, solln sie sehen, wie sie klarkommen. Was mich direkt zur zweiten Frage führt. 2010 war Kalifornien infolge der Subprime-Krise zahlungsunfähig. Wurde angezweifelt, dass der Dollar in Gefahr sei? Wurde darüber nachgedacht, Kalifornien aus dem Dollar zu werfen? Nein? Warum tun wir das bei Griechenland?

    Gut, diese Frage ist eine rhetorische. Sie hängt vom Weltbild ab. Wir tun das, weil wir immer noch in Nationalstaaten denken. Wäre ein deutsches Bundesland pleite, käme (außer einigen Bayern) niemand auf die Idee, dieses aus Deutschland rauszuwerfen. Es würde ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass Deutschland als ganzes eine solche Situation irgendwie auf die Kette kriegen müsste. In der EU haben wir diese Kultur nicht. Mit Griechen gehen wir anders um, und zwar weil wir nationalistisch und rassistisch denken, und das seit Jahrzehnten.

    Nächste Frage: Warum genau hält uns eigentlich seit Monaten und Jahren die Griechenland-Krise in Atem, während es kaum jemanden zu stören scheint, dass im EU-Mitglied Ungarn Pressefreiheit und Menschenrechte immer weiter eingeschränkt werden? Warum kommt hier niemand auf die Idee, dies als „gefährlich für die EU“ einzustufen? Warum wird Griechenland wegen einer Staatspleite der Grexit nahegelegt, aber nicht einem Land, das gerade dabei ist, sich von europäischen Werten zu verabschieden? Vielleicht weil diese Werte nur in Sonntagsreden eine Rolle spielen?

    Wir haben es nicht geschafft, die EU zu mehr als einer Wirtschaftsgemeinschaft zu machen. Die EU hat immer noch keine wirklich demokratischen Strukturen, keine eigene Regierung, keine Sozial- und Fiskal-Union. Genau das brauchen wir aber, denn selbst wenn wir Griechenland nicht als Teil von Europa betrachten (was ich nicht nur kulturell für äußerst gewagt halte) wird sich eine solche Krise mit der gegenwärtigen Wirtschaftsgemeinschaft ohne echte politische Union immer und immer wieder neu wiederholen. Die Krisenländer werden nur jedes mal andere Namen tragen. Das wird die EU langfristig nicht überleben und ein Europa ohne EU und den Frieden, den die EU durch ihr bloßes Vorhandensein gestiftet hat, macht mir Angst.

    Weitere Frage: Einige Ökonomen behaupten, ein Grexit tue den Griechen nur gut und sei eine Chance. Im Lehrbuch fürs erste Semester VWL klingt das dann so: Griechenland bekommt eine eigene Währung und die würde sofort mal dramatisch an Wert verlieren. Das führt dazu, dass griechische Exporte fürs Ausland konkurrenzlos billig sind, was der griechischen Wirtschaft sehr nutzen würde. Aber welche Wirtschaft? Die wichtigsten Branchen in Griechenland sind Fischerei und Tourismus. Wie damit ein Land aufpäppeln? Für eine nachhaltig starke Wirtschaft muss ein Land hochwertige Dienstleistungen und Wahren mit Mehrwert produzieren, und zwar aus Rohstoffen, die es nicht hat, deren Import aber wegen der dramatisch abgewerteten Währung unbezahlbar teuer wird. Ein Grexit würde die griechische Wirtschaft endgültig in den Abgrund reißen und gleichzeitig die EU sehr teuer kommen, wenn sie humanitäre Hilfen bereitstellen muss, Griechenland keine Flüchtlingsströme mehr auffangen kann und nebenbei die neuerdings konkurrenzlos billigen Fischer dafür sorgen, dass die Fischerei anderer EU-Länder noch stärker subventioniert werden müsste, um mithalten zu können. Und von den Menschen und ihren Schicksalen haben wir da noch gar nicht geredet. Überhaupt:

    Letzte Frage: Warum reden wir so viel über Zahlen (mich eingeschlossen) und so wenig über Menschen? Die hat aber Johnny Häusler schon gestellt.

  • Links der Woche

  • Links der Woche

    • “Das ist ja voll behindert!” // Von sprachlicher Diskriminierung:

      “Ich wohne, lebe und arbeite in Berlin-Kreuzberg, nah an der Grenze zu Neukölln. Auf der Straße – unter Kindern und Jugendlichen – geht es sprachlich nicht gerade zimperlich zu. Bei den Schimpfwörtern, die ich in Fetzen im Vorbeigehen mitbekomme, schlackern mir oft die Ohren. Was ich zur Zeit immer wieder und immer öfter in Gesprächen zwischen Jugendlichen höre: “Ey, bist du behindert?””

    • Kolumne Luft und Liebe: Hier, bitte, meine Problemliste:

      “Es gibt eine Frage, die man als Feministin mit sehr großer Wahrscheinlichkeit gestellt kriegt, sobald man etwas kritisiert hat. Es ist die Frage „Habt ihr keine anderen Probleme?“. Gerne auch in der Variante „Na wenn das dein einziges Problem ist, dann Glückwunsch“.
      Tja. Nein. Es ist nie mein einziges Problem. Aber wenn ihr es so dringend braucht, Freunde des offenen Diskurses, dann habt ihr hier, bitte gerne, meine aktuelle Problemliste.“

    • Ehe für alle – Lass uns einen Pakt schließen:

      “Frankreich kann auch in anderer Hinsicht ein Vorbild sein: Hier gibt es neben der Ehe den sogenannten PACS, den Pacte civil de solidarité, ein ziviler Solidaritätspakt. Ähnlich wie das Lebenspartnerschaftsgesetz in Deutschland war der PACS 1999 dafür gedacht, Homosexuellen eheähnliche Rechte einzuräumen. Doch heute werden 96 Prozent der PACS von Heteros geschlossen, sie lieben diesen Vertrag, den manche als „Ehe light“ bezeichnen.”

    • Inceptionism: Going Deeper into Neural Networks:

      “So here’s one surprise: neural networks that were trained to discriminate between different kinds of images have quite a bit of the information needed to generate images too. “

  • Links der Woche

    • Nicht die Emotion ist unprofessionell, sondern die Welt, in der sie existiert:

      “Eine Frage, die sich mir in Anknüpfung an die Sexismusvorwürfe gegen Tim Hunt dann stellte, ist die folgende: Wenn Emotionen als “weiblich” gelten, das Wissenschaftssystem genau diese Eigenschaften aber ablehnt – inwieweit ist ein solches System sexistisch? “

    • Geschlechtergerechte Sprache und Lebensentscheidungen:

      “Es ist nun eine interessante Frage, ob die Tatsache, dass wir bei einem generischen Maskulinum zunächst an Männer denken, nur im Versuchslabor messbar ist, oder ob sie auch eine Rolle in der echten Welt spielt. Und zur Beantwortung genau dieser Frage trägt eine Studie meiner FU-Kollegin Bettina Hannover und ihres ehemaligen Doktoranden Dries Vervecken bei, die vor einigen Monaten erschienen ist und nun dank einer Pressemeldung der Deutschen Gesellschaft für Psychologie öffentliche Aufmerksamkeit erhält.”

    • Shitstorm Politics:

      “Dass Shitstorms Frauen ganz anders als Männer treffen, hat einige Frauen, die sich schon in der Illusion eingerichtet hatten, Geschlecht sei keine gesellschaftlich wirkmächtige Kategorie mehr, zum Feminismus gebracht: Lernen durch Schmerz.“

    • Warum das Vorgehen des Generalbundesanwalts korrekt ist:

      “Der Generalbundesanwalt hat die Ermittlungen wegen des Verdachts, dass das Handy der Bundeskanzlerin abgehört wurde, eingestellt. Und das ist so vollkommen richtig.“

    • This is what happened when Iceland imprisoned bankers and let banks go bust:

      “This year the International Monetary Fund declared that Iceland had achieved economic recovery ‘without compromising its welfare model’ of universal healthcare and education.“

  • Zur Shitstorm- und Empörungskultur

    tl;dr: Empörung ist wichtig. Sich drüber lustig machen, ist doof. Nach einer Entschuldigung weiterempören ist aber mindestens genauso doof.

    empoerung

    Folgender Fall wabert gerade durch meine englische Bubble: Ein kleiner Junge wird aufgefordert, seine Hörhilfe für das Schulfoto abzulegen und wollte sie dann nicht mehr tragen, weil er sich damit abgelehnt fühlt. Das ist natürlich ein starkes Stück Diskriminierung. Allerdings geht die Geschichte weiter: Die Eltern haben protestiert, die Beteiligten haben’s eingesehen, der Schulleiter entschuldigt sich mehrmals, das nächstjährige Foto wird selbstverständlich mit Hörhilfe gemacht. Menschen, die vorher unreflektiert dumm gehandelt haben, haben was gelernt. Quasi ein Happy End. Das ist doch toll! Stattdessen rollt ausschließlich weiterhin eine getriggerte Empörungswelle durch die Kommentare…

    Empörung ist wichtig. Ich ärgere mich ja gerne über Leute, die sich darüber empören oder lustig machen, dass andere sich empören. Da geht jegliche Möglichkeit der Kritik verloren und manchmal ist es nötig, Scheiße deutlich als solche zu benennen (geht mir aktuell gerade in der ganzen Don-Alphonso-von-Rönne-Sache so). Aber wenn wir schon Shitstorms fabrizieren, müssen wir den Beschuldigten auch die Chance für Entschuldigung, Reue und Besser machen geben. Wenn wir das nicht tun, sind wir halt irgendwie selber scheiße.

  • Links der Woche

    • Warum ich die Resolution von @digitalcourage zur EU-Datenschutzverordnung für falsch halte:

      “Der Effekt für US-Unternehmen wäre also grob: höheres Datenschutz-Niveau für Digital-Unternehmen, die in der EU ansässig sind (mit ihrem Haupt-Sitz), und gleichbleibend lasche Regeln für US-Unternehmen. Warum sollte man dagegen anlaufen? “

    • Bodyhacking: „Der Körper wird digital stimuliert“:

      “Wenn Sie die Realität dekonstruieren wollen, wie es Hacker tun sollten, müssen Sie bei sich selbst anfangen. Sie müssen den Begriff hinterfragen, der Sie beschreibt. Und Sie müssen hinterfragen, was Sie in elementarer Weise ausmacht. Das ist der Körper. “

    • Demokratisch denunziert:

      “Wikileaks hat sich das Aufdecken von Skandalen und das investigative Zusammenführen von Daten zur Schaffung ­vollkommener Transparenz auf die Fahnen geschrieben. Das Vorgehen bei der Veröffentlichung von Belangslosigkeiten und gefährlichen Informationen löst jedoch allmählich Erschrecken aus. “