Griechenland: Ich hab da mal Fragen

tl;dr: Kaputter als Griechenland ist die EU.

tentakel

Die Bankenkrise ab 2007 hatte laut Wikipedia weltweit Verluste von etwa 3 Billionen Euro zur Folge. Davon betrafen 900 Milliarden Euro die EU. Am Ende haben wir die Banken gerettet, weil „systemrelevant“, obwohl es für Unternehmen in solchen Situationen ein geordnetes Verfahren gibt: die Insolvenz. Die Staatschulden Griechenlands beziffern sich derzeit auf rund 425 Milliarden Euro. Für Staaten gibt es keine geordnete Insolvenz, am Ende sind es Menschen, die in Arbeitslosigkeit, Armut und wegen mangelnder Infrastruktur und medizinischer Versorgung in Krankheit und Tod getrieben werden. Trotzdem soll das Hilfsprogramm morgen auslaufen. Frage: Sind 11 Millionen Griechen weniger „systemrelevant“? (Zusatzfrage: Auch unter dem Aspekt, dass gerade alle davon reden, wie gefährlich diese Krise sei, auch für den Euro und die EU als ganzes?).

Eine mögliche Antwort auf diese Frage: Sind halt nur Griechen, werfen wir sie halt aus der EU, solln sie sehen, wie sie klarkommen. Was mich direkt zur zweiten Frage führt. 2010 war Kalifornien infolge der Subprime-Krise zahlungsunfähig. Wurde angezweifelt, dass der Dollar in Gefahr sei? Wurde darüber nachgedacht, Kalifornien aus dem Dollar zu werfen? Nein? Warum tun wir das bei Griechenland?

Gut, diese Frage ist eine rhetorische. Sie hängt vom Weltbild ab. Wir tun das, weil wir immer noch in Nationalstaaten denken. Wäre ein deutsches Bundesland pleite, käme (außer einigen Bayern) niemand auf die Idee, dieses aus Deutschland rauszuwerfen. Es würde ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass Deutschland als ganzes eine solche Situation irgendwie auf die Kette kriegen müsste. In der EU haben wir diese Kultur nicht. Mit Griechen gehen wir anders um, und zwar weil wir nationalistisch und rassistisch denken, und das seit Jahrzehnten.

Nächste Frage: Warum genau hält uns eigentlich seit Monaten und Jahren die Griechenland-Krise in Atem, während es kaum jemanden zu stören scheint, dass im EU-Mitglied Ungarn Pressefreiheit und Menschenrechte immer weiter eingeschränkt werden? Warum kommt hier niemand auf die Idee, dies als „gefährlich für die EU“ einzustufen? Warum wird Griechenland wegen einer Staatspleite der Grexit nahegelegt, aber nicht einem Land, das gerade dabei ist, sich von europäischen Werten zu verabschieden? Vielleicht weil diese Werte nur in Sonntagsreden eine Rolle spielen?

Wir haben es nicht geschafft, die EU zu mehr als einer Wirtschaftsgemeinschaft zu machen. Die EU hat immer noch keine wirklich demokratischen Strukturen, keine eigene Regierung, keine Sozial- und Fiskal-Union. Genau das brauchen wir aber, denn selbst wenn wir Griechenland nicht als Teil von Europa betrachten (was ich nicht nur kulturell für äußerst gewagt halte) wird sich eine solche Krise mit der gegenwärtigen Wirtschaftsgemeinschaft ohne echte politische Union immer und immer wieder neu wiederholen. Die Krisenländer werden nur jedes mal andere Namen tragen. Das wird die EU langfristig nicht überleben und ein Europa ohne EU und den Frieden, den die EU durch ihr bloßes Vorhandensein gestiftet hat, macht mir Angst.

Weitere Frage: Einige Ökonomen behaupten, ein Grexit tue den Griechen nur gut und sei eine Chance. Im Lehrbuch fürs erste Semester VWL klingt das dann so: Griechenland bekommt eine eigene Währung und die würde sofort mal dramatisch an Wert verlieren. Das führt dazu, dass griechische Exporte fürs Ausland konkurrenzlos billig sind, was der griechischen Wirtschaft sehr nutzen würde. Aber welche Wirtschaft? Die wichtigsten Branchen in Griechenland sind Fischerei und Tourismus. Wie damit ein Land aufpäppeln? Für eine nachhaltig starke Wirtschaft muss ein Land hochwertige Dienstleistungen und Wahren mit Mehrwert produzieren, und zwar aus Rohstoffen, die es nicht hat, deren Import aber wegen der dramatisch abgewerteten Währung unbezahlbar teuer wird. Ein Grexit würde die griechische Wirtschaft endgültig in den Abgrund reißen und gleichzeitig die EU sehr teuer kommen, wenn sie humanitäre Hilfen bereitstellen muss, Griechenland keine Flüchtlingsströme mehr auffangen kann und nebenbei die neuerdings konkurrenzlos billigen Fischer dafür sorgen, dass die Fischerei anderer EU-Länder noch stärker subventioniert werden müsste, um mithalten zu können. Und von den Menschen und ihren Schicksalen haben wir da noch gar nicht geredet. Überhaupt:

Letzte Frage: Warum reden wir so viel über Zahlen (mich eingeschlossen) und so wenig über Menschen? Die hat aber Johnny Häusler schon gestellt.

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