tl;dr: Irgendwer muss den Abwasch halt machen.
Dass einige Unternehmen keinen Bock haben, den Mindestlohn zu bezahlen, ist keine große Überraschung. Wie groß ihr Mimimi ist und mit welchem Ernst es vorgetragen wird, überrascht dann doch. Gerade bin ich zum Beispiel über den Artikel „Generation Kein Praktikum“ von Florian Nöll gestoßen, der offenbar ziemlich sauer auf die Bundesregierung ist. Abgesehen davon, dass der gute Mann wohl glaubt, wir leben in einer Diktatur, in der Gesetze mal eben so von der Regierung erlassen werden statt vom Parlament beschlossen, erstaunt mich doch das Ausmaß der Asozialität seiner Argumentation.
Zunächst: Wenn du eine Firma hast und deinen Mitarbeitern nichtmal den Mindestlohn von 8,50 € die Stunde zahlen kannst, ist dein Businessmodell kaputt. Tipp: Wenn der nächste Unternehmer ankommt euch da was vorjammert, einfach antworten: „Oh, so schlecht läuft dein Laden?“ Gründer klagen gerne über die „Zustände“ in Deutschland. Wenn sie gehegt, gepflegt und privilegiert werden wollen, weil sie Jobs schaffen, dann dürfen wir sie bei letzterem auch beim Wort nehmen.
Aber um fair zu bleiben: Nöll geht es ja nicht um den Mindestlohn an sich sondern um Praktikant*en. Den Artikel beginnt er damit, dass er ein paar bekanntere Startup-Gründer nennt, die alle mal mit schlecht- oder unbezahlten Praktika angefangen haben. Dabei ist genau das doch die Botschaft solcher Praktika: Wenn du nicht für deine Arbeit bezahlt wirst, dann lass deinen Chef den Scheiß doch selbst machen, nimm die Beine in die Hand, lauf so weit du kannst und mach deinen eigenen Laden auf. (Wichtig dabei nur: Glaube nicht, Firmen als Kunden gewinnen zu können, die dich schon als Praktikant nicht bezahlen wollten.)
Im weiteren Verlauf des Artikels folgt dann ein langes Mimimi, dass nicht anerkannt würde, welche Ausbildungsleistung so eine Agentur/Startup/Klitsche erbringt. Ausbildungsleistung my ass. Hat eine Praktikant*in Glück, darf sie arbeiten, wie alle anderen auch – nur halt ohne ordentliche Bezahlung. Hat sie Pech, geht es nur um unbezahltes Kaffeekochen. Wenn ihr ausbilden wollt, dann stellt halt Auszubildende ein. Die bekommen dann einen Tariflohn, der meist unter dem Mindestlohn liegt. Ach, Auszubildende sind teuer, weil die dauernd in der Berufsschule sind und man* einen Ausbilder einstellen müsste? Dann frage ich mal umgekehrt: Warum genau sollte ich länger als drei Monate bei dir arbeiten, wenn du mich weder angemessen bezahlen noch mir eine qualifizierte Ausbildung bieten kannst?
Und die Uni-Absolventen, so Nöll weiter, die seien ja gar nicht für bestimmte Berufe qualifiziert. Komisch nur, warum sich Unternehmen, die wirklich daran interessiert sind, nachhaltig Mitarbeiter auszubilden und in ihr „Humankapital“ (welch Wort…) investieren, für solche Fälle Trainee-Programme anbieten – mit dem Ziel, diese Mitarbeiter langfristig aufzubauen und in der Firma zu halten. Mies- bis unbezahlte Praktika sind das Gegenteil einer solchen Qualifizierung: Praktikanten geben sich alle paar Monate die Klinke in die Hand. Wenn du dich auf ein Praktikum bewirbst, mach dir keine Illusionen: In 90% aller Fälle wird dein Chef dich später nicht weiterbeschäftigen, egal was er Dir jetzt verspricht. Wenn jemand wirklich an dir interessiert ist, wirst du auch bezahlt – spätestens nach drei Monaten Einarbeitung.
Wobei wir beim nächsten Punkt wären: Praktika dienen der Orientierung und der Einarbeitung. Wer einfach mal einen Blick auf die Gesetzeslage wirft, wird feststellen, dass Praktika unterhalb des Mindestlohnes sehr wohl weiterhin möglich sind: Wenn sie nicht länger als drei Monate dauern, wenn es sich um Pflichtpraktika z.B. im Rahmen eines Studiums handelt, wenn es eine Berufsausbildungsvorbereitung nach SGB III ist oder die Bewerber*in eine Langzeitarbeitslose.
Firmen haben also genug Möglichkeiten, eine Person, die erstmal eingearbeitet werden muss, nicht zu bezahlen. Chefs, die trotzdem jammern, wollen in Wirklichkeit was anderes: Arbeitskraft für lau abstauben. Deshalb ist es gut, dass es den Mindestlohn gibt. Irgendwer muss den Abwasch erledigen, wofür jemand eingestellt werden muss. Ein Laden, der sich das nicht leisten kann, ist halt pleite.
P.S.: Liebe Praktikanten. Manche von euch nehmen unbezahlte Praktika trotzdem an, weil es interessant ist. Das ist völlig ok, solange ihr euch nicht ausbeuten lasst. Bitte macht das aber nicht zu lange: Ihr macht damit anderen Menschen und euch selbst die Preise kaputt. Und macht das bitte nicht aus Angst vor der Lücke im Lebenslauf. Es gibt wirklich genug andere Möglichkeiten, etwas sinnvolles zu tun: Teilzeitjobs, ehrenamtliches Engagement in einer NGO, für einen Euro ne UG gründen und offiziell selbstständig sein usw. usw. usw. Vieles davon geht sogar in Kombination mit Hartz IV, was den Vorteil hat, dass ihr wenigstens wisst, woher die Miete kommt.
4 Antworten zu „Mimimi…Mindestlohn!“