Nazis, Trolle und Sexisten: Warum „Keine Kekse!“ nicht ausreicht und alles eher noch schlimmer macht

tl;dr: Die Forderung, Trolle einfach sozial zu ächten, ist wirkungslos und erzeugt im Zweifel nur noch mehr Mobbing, Shitstorms und Verlierer. Das PAV ist nur der verzweifelte Versuch, Trollen endlich die Keksdose wegzunehmen.

Selten gab es so viele Rufe nach Parteiausschlussverfahren in der Piratenpartei wie jetzt gerade. Heute betrifft es weniger das klassische Ex-NPD-Mitglied, welches das mit der Meinungsfreiheit nicht ganz verstanden hat und bräunliche Sprüche absondert, als vielmehr Trolle und Sexisten, die Journalistinnen als „Prostituierte“ beschimpfen oder bar jeder Ironie frauenfeindlichen Müll reden wie die Forderung nach einer Zwangsverabreichung der „Pille danach“ im Fällen von Samenraub als Reaktion auf die #Aufschrei-Debatte. Hier geht es auch nicht mehr um Einzelfälle sondern um Piraten, die seit Jahren allen anderen mit ihren Trollereien auf die Nerven fallen.

Da ist es nicht weiter verwunderlich, wenn andere Mitglieder nach Parteiausschlussverfahren rufen, besonders wenn sie auf Twitter oder Mailinglisten von Trollen angegriffen und diffamiert werden. Mitlesende Nichtpiraten wenden sich auch schon kopfschüttelnd ab: Diese Kleinkriege seien doch Sandkasten. Und fragen, warum wir nicht „klare Kante“ zeigen und diese Leute einfach rauswerfen. Das ist leider juristisch nicht so einfach. Hat die SPD mit Sarrazin auch nicht hinbekommen.

Dass Gegenmodell „gebt ihnen einfach keine Kekse“ hilft aber nicht weiter. Im Heise-Forum funktioniert die Regel „Don’t feed the troll“ noch ganz gut, wenn der Troll eben trollt und die anderen das einfach ignorieren. In dem Moment, wo es um das Bild einer Partei in der Öffentlichkeit geht, sieht die Lage schon anders aus, vor allem auch, wenn ein Mitglied sein Recht auf Teilhabe nicht mehr ohne Beeinträchtigungen ausüben kann, weil es immer wieder diffamiert und angegriffen wird – egal ob auf Versammlung oder auf der Mailingliste. Für weniger gut vernetzte Mitglieder bleibt da nur noch der Rückzug und damit der Verzicht auf Teilhabe.

„Don’t feed the troll“ und „Kein Fußbreit“ sind nunmal völlig unvereinbare Strategien.

Das Problem ist nämlich: Trolle haben Freunde. Trolle werden gewählt. Trolle kriegen Kekse. Und das mit vollem Wissen um ihre Trollereien.

Zum Beispiel gibt es eine Person im Bezirk Pankow, die regelmäßig gegen mich agitiert und dabei wüste Beschimpfungen und Verleumdungen verwendet, die ich durchaus für justiziabel halte. Diese Person wird von den dortigen Piraten aber keinesfalls „geächtet“, sondern besucht regelmäßig die Crew „Bjarne Stroustroup„, was dazu geführt hat, dass ich und andere Leute da nicht mehr hingehen. Nicht weil ich mich einer Auseinandersetzung mit dieser Person nicht gewachsen fühle, sondern vor allem weil ich darauf keinen Bock habe und ihre Anwesenheit mittlerweile als schwere Beeinträchtigung meiner Lebensqualität ansehe.

Trolle halten sich natürlich gerne dort auf, wo sie noch toleriert werden. Sozial ächten kann man sie also nur noch außerhalb ihrer Biotope, das heißt in aller Öffentlichkeit. Das ist kürzlich auf Twitter passiert, als gleich mehrere Leute (mich eingeschlossen) einen Piraten aufforderten, doch bitte die Partei zu verlassen. Das wiederum wird sehr schnell als Mobbing wahrgenommen. Für den Außenstehenden ist tatsächlich nicht zu unterscheiden, ob es sich um ein Mobbingopfer handelt oder einen Troll, der viele Menschen über einen längeren Zeitraum zur Weißglut gebracht hat. Von außen sieht man nur einen „weiteren Shitstorm“ der besonders widerlichen Sorte, der dann die Piratenpartei noch ein Stückchen unwählbarer macht.

Es bleibt uns nichts anderes übrig, als einen Weg zu finden, in einem sachlichen und wohlgeordneten Verfahren Trolle in ihre Schranken zu weisen und sie notfalls aus der Partei zu werfen. Die bekannten Ordnungsmaßnamen sind dabei sehr unbefriedigend, da viele Trolle eine Rüge oder Verwarnung des Vorstandes als Trophäe begreifen. Derlei Ordungsmaßnahmen werden oft ausgesprochen, ohne öffentlich Namen zu nennen und sind später in den Protokollen nicht auffindbar sind, sodass der Effekt, wenigstens ein Zeichen zu setzen, völlig verpufft. Sinnvoller kann unter Umständen eine Amtsenthebung sein oder das Aberkennen der Befähigung zum Parteiamt. Den echten Troll schreckt das aber nicht, der bleibt ja Parteimitglied und kann auch weiterhin im Parteikontext seinen Müll verbreiten. Er kann in der Regel darauf vertrauen, dass etwaige Haus- bzw. Crewverbote nach kurzer Zeit wieder aufgehoben werden und die Mailinglisten-Admins auch nach fortgesetzten Pöbeleien und etlichen Beschwerden nicht einschreiten. Die Aufmerksamkeit wird dem Troll weiterhin Gewiss sein.

Das einzige wirklich klare Signal nach jahrelangen Trollereien und vergeblichen Klärungsversuchen kann daher nur der Parteiauschluss sein.

Das Parteigesetz sagt: „Ein Mitglied kann nur dann aus der Partei ausgeschlossen werden, wenn es vorsätzlich gegen die Satzung oder erheblich gegen Grundsätze oder Ordnung der Partei verstößt und ihr damit schweren Schaden zufügt.“ Der Vorsatz ist nur bei Satzungsverstößen notwendig, bei Verstößen gegen Grundsätze und Ordnung der Partei reicht auch Dummdreistigkeit. Schwieriger ist es, den erheblichen Schaden nachzuweisen. Der muss nämlich in irgend einer Form bezifferbar sein. Dass Leute z.B. aufgrund von Trollereien die Piraten als unwählbar bezeichnen, ist nicht relevant, weil man die Partei ja auch wegen ihrer Politik unwählbar finden kann. Auch die Drohung, wegen einer bestimmten Person auszutreten, kann kaum als Schaden gewertet werden sondern wirkt eher passiv-aggressiv.

Mehr Aussicht auf Erfolg haben sicherlich Austritte in relevanter Zahl, die ausdrücklich und öffentlich mit dem Verhalten bestimmter Piraten begründet werden. Ansonsten gibt es wohl nur den einen Weg: Die konkret betroffenen sollten eine Art „Trolling-Tagebuch“ analog zum Mobbing-Tagebuch führen, sich mit mehreren Personen zusammen tun und ihre gesammelten Belege beim zuständigen Landesvorstand einreichen, der dann ein Parteiausschlussverfahren über den Bundesvorstand anstrengen kann. Es empfiehlt sich, dazu juristischen Rat einzuholen. Die Vorstände auf Twitter aufzurufen, gegen eine Person tätig zu werden, bringt eher nichts. Ein Vorstandsmitglied hat in seiner ehrenamtlichen Zeit sicherlich anderes zu tun, als die Parteimitglieder zu überwachen. Ein Briefumschlag mit einschlägigen Screenshots dürfte da schon eher helfen.

Update und P.S.: Wo kein Schaden für die Partei entstanden ist es aber um justiziable Dinge wie Beleidigungen geht, kann es sinnvoll sein, außerhalb der Partei einen Anwalt aufzusuchen. Allerdings ist auch das ein Weg, der vielen Fällen nach hinten losgehen und in einem PR-Desaster enden könnte, wie Alexander Morlang beim Versuch der außerparteilichen Trollbekämpfung feststellen musste.


6 Antworten zu „Nazis, Trolle und Sexisten: Warum „Keine Kekse!“ nicht ausreicht und alles eher noch schlimmer macht“