tl;dr Here be triggers.
Der Chaos Computer Club mitsamt seinem jährlichen Kongress ist ja so eine klassische Jungsveranstaltung, auf der es gelegtlich auch Probleme mit Sexismus gibt, die vor allem deshalb nur selten ausarten, weil der typische CCC-Nerd für sich genommen meistens ein recht friedfertiges Wesen ist. Trotzdem gab es immer mal wieder Vorkommnisse, weshalb sich Feministen für einen Hack entschieden: So genannte Creeper Cards wurden verteilt. Wer der Meinung war, Opfer eines verbalen oder gar physischen Übergriffes geworden zu sein, überreicht dem „Täter“ einfach wortlos eine solche Karte, um das zu signalisieren. Weitere Diskussionen vor Ort sind nicht unbedingt nötig, die Handlung ist auch Personen möglich, die sonst vielleicht Schwierigkeiten haben, sich zu äußern. Eigentlich sollte das Konzept Hackern sehr entgegen kommen, arbeitet es doch wie eine Funktion in Programmiersprachen: Ein Input führt zu einem klaren Rückgabewert. Danach heißt es debuggen.
Komischerweise waren aber ein paar der Anwesenden nicht besonders begeistert von den Creeper Cards. Dass (teilweise sexistischer) Schabernack mit den Karten getrieben wurde, finde ich noch gar nicht mal so schlimm. Dinge mit (schwarzem) Humor zu nehmen, ist selten verkehrt. Aber zu leugnen, dass es das Problem überhaupt gibt oder sich gar bedroht und belästigt zu fühlen, nur weil Frauen darauf bestehen, nicht schlechter behandelt zu werden als Männer, weshalb sie versuchen, dieses mit einem Hack deutlich zu machen, hat mich dann doch gewundert. Zu behaupten, der CCC sei halt männlich-pubertär ist keine befriedigende Erklärung. Meine These ist, dass Hacker zwischen guten und bösen Hacks unterscheiden. Der gute Hack ist jeder Hack, den ein Hacker ausführt. Ein böser Hack, ist jeder andere Hack, der sich gegen selbigen Hacker richtet. Er ist also als Angriff zu sehen und muss unter allen umständen und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln abgewehrt werden.
Wie sehr sich manche Leute auf dem 29c3 offenbar von Feministen belästigt fühlen, zeigt ein Blogpost, der sich gegen so genannte „Extremfeministen“ wendet. Demzufolge haben Feministinnen auf dem 29c3 ihr Unwesen getrieben, indem sie zur Information gingen und die dort anwesenden Männer verwirrten, die sich besonders Leicht von Frauen um den Finger wickeln lassen, da es sich um männliche Nerds handele. Diese Feministinnen haben dies getan, schreibt die Autorin, weil sie eifersüchtig seien, dass ein paar bekiffte Coder trotz mangelnder Sozialkompetenz so etwas wie den 29c3 auf die Beine gestellt haben. Es könnte sich so zugetragen haben. Ich halte das trotzdem für eher unwahrscheinlich.
Der Text ist also ein eigentlich irrelevanter Blogpost, auf den ich mich aus einem anderen Grund beziehe: Die Autorin schreibt, dass ihre Sozialisation dazu geführt habe, dass sie es heute durchaus angenehm finde, wenn Männer ihr in den Mantel helfen. Die traurige Passage:
Ich bin auch unter dem Motto erzogen worde, lasse eine Frau im Dunkeln niemals allrin draussen herumlaufen. Uns wurde eingebläut, immer nur in Gruppen zu laufen oder uns aber eine männliche Begleitung zu suchen. Den Jungs wurde eingebläut, Mädels im Dunkeln zu begleiten.
Das ist Rape–Culture in Reinform. Ich bin auf Twitter kritisiert worden, dass ich es so nenne, weshalb ich das hier nochmal näher erklären möchte: Rape–Culture heißt nicht, dass alle Männer vergewaltigende Monster seien. Rape–Culture bedeutet, dass Frauen einen bestimmten Verhaltenscodex einhalten müssen, wie zum Beispiel nicht alleine im Dunkeln zu gehen und sich einen männlichen Begleiter zu suchen.
Kommt es wirklich zu einer Vergewaltigung, wird der Frau die Schuld gegeben, sobald sie diesen Kodex verletzt. (Und für manche Leute sind Frauen, die den Kodex verletzen, Schlampen und Freiwild, die ruhig belästigt werden dürfen.) Stößt einer Frau, die den Kodex nicht eingehalten hat, etwas zu, heißt es, sie habe sich nicht genug gewehrt. Sie sei selber Schuld gewesen, alleine diesen dunklen Weg gegangen zu sein. Warum habe sie überhaupt diesen Minirock und Fickmich-Schuhe getragen? Würde einem Mann ähnliches gesagt, wenn er Opfer einer Gewalttat wird – wir würden das absurd nennen und uns empören.
Bei Frauen tun wir das seltsamerweise nicht konsequent. Auch heute. Auch hier in Deutschland. Deswegen gehen übrigens Frauen jeden Sommer zum Slutwalk, auf die Straße und rufen „No means no“. Das finden wir gerne sympathisch, ohne weiter darüber nachzudenken, worum es den Frauen eigentlich geht. Sie haben die Schnauze voll davon, sich an einen Kodex halten zu müssen, der nur für Frauen gilt und bei Verletzung Übergriffe von Männern zur Folge haben kann. Mit latzhosigem 70er-Jahre-Emma-Feminismus hat das ganze nichts zu tun.
Leider gibt es furchtbar viele Männer, die sich selbst (meist zurecht) als Good Guy sehen und Frauen, welche die alte Rollenverteilung komfortabel finden. Sie meinen, nur weil sie selbst sie nicht wahrnehmen, existiere die Rape Culture gar nicht und der Begriff sei übertrieben. Hört einfach den Frauen zu, die anderes berichten. Und denkt bitte darüber nach, ob es einen Grund haben könnte, wenn ihr eine rote Creeper Card in die Hand gedrückt bekommt. Und ob der Grund wirklich zwangsläufig ist, euch zu ärgern.
Eine sehr gute Beschreibung, was Rape Culture eigentlich ist, gibt es hier.
Disclaimer: Ich war nicht auf dem 29c3 wie ich auch noch nie vorher auf einem der CCC-Kongresse war, weil ich den Termin zwischen den Jahren höchst unglücklich finde. Außerdem bin ich ein heterosexueller Mann und lasse mir allgemein eher nicht besonders gerne in den Mantel helfen. Ich weiß also nicht wovon ich schreibe, und habe gar kein Recht, diesen Blogpost zu veröffentlichen.
23 Antworten zu „Rape Culture“