Liquid Feedback: Es bleibt unübersichtlich

Die Liquid-Wars mitsamt Klarnamensdebatte sind wieder ausgebrochen. Die Befürworter und Gegner von Klarnamen liefern sich Scharzmützel auf Twitter und die Entwickler von Liquid Feedback distanzieren sich (erneut) von der Piratenpartei. Was ist passiert? Die Landesmitgliederversammlung hat am Sonntag beschlossen, den Liquid-Feedback-Systemen des Landesverbandes eine einheitliche „Geschäftsordnung“ zu verpassen, in der festgeschrieben wird, dass die Benutzer auch Pseudonyme benutzen dürfen sollen. Dieser Beschluss zu diesem Zeitpunkt ist sehr problematisch.

Das Problem hat zwei Ebenen: Erstens gilt grundsätzlich, dass Abstimmungen, die im Internet durchgeführt werden, von jedem nachvollziehbar offen stattfinden müssen, da anderenfalls Manipulation Tür und Tor geöffnet ist. So etwas wie geheime Abstimmungen und Wahlen per Internet ist nicht möglich. Wir würden damit einen Wahlcomputer schaffen, was wir aus Gründen ablehnen. Zweitens ist es derzeit möglich, im Landes- und Bundesliquid mehrere Accounts unter falschem Namen zu ergattern und auf diese Weise Abstimmungen zu manipulieren. Deshalb kommen wir leider nicht drum herum, die Personalausweis-Identität unserer Mitglieder abzufragen, unabhängig davon, was wir vom „aufgezwungenden bürgerlichen Namen“ halten oder ob wir mit verschiedenen Identitäten spielen möchten. Ohne Klarnamen-Akkreditierung ist Liquid Feedback so relevant wie das Heise-Forum. Eine solche Akkreditierung wurde auf der jetzt LMVB beschlossen, die Details müssen noch ausgearbeitet werden, am Ende werden wir vermutlich die Bundeskiste benutzen. So weit so gut.

Problematisch ist aber, dass die Mitglieder frei wählen können sollen, ob ihr bürgerlicher Name oder ein Pseudonym im System angezeigt wird. Katja Dathe hat prinzipiell recht damit, dass Menschen, die mit entscheiden wollen, auch die Verantwortung mittragen müssen, wozu gehört, für seine Entscheidung einzustehen. Sie erklärt das sehr gut in ihrem Blog, allerdings muss ich ihr in einem Punkt widersprechen: Wenn Beschlüsse in Liquid Feedback relevant sein sollen, können innerhalb der Partei nicht einfach einige vorgehen und die anderen nachkommen lassen, sondern müssen wir tatsächlich alle mitnehmen. Wir stehen für „Basisdemokratie“ (ich nenne es lieber Mitgliederdemokratie) und möglichst umfassende Beteiligung. Auch wenn Liquid Feedback-Beschlüsse nicht bindend sind, halten sich Mitglieder, Vorstände und Fraktionäre weitgehend an die Ergebnisse. Wer von Liquid Feedback ausgeschlossen ist, ist in seinen oder ihren Chancen zur Mitbestimmung innerhalb der Partei empfindlich eingeschränkt. Das müssen wir berücksichtigen und deshalb brauchen wir einen möglichst breiten Konsens, wie wir Liquid Feedback betreiben wollen.

Die Entscheidung von Sonntag, beim Akkreditieren die Personalien zu erfassen, im System aber selber nur Pseudonyme zuzulassen, kam zur Unzeit. Es handelt sich um einen möglichen Kompromiss, den ich mit Bauchschmerzen mittragen kann. Pseudonyme sind per se nicht schlimm: Ich bin ja auch als „die Ennomane“ bekannter als mit meinem bürgerlichen Namen und unser Datenschutzbeauftragter im Landesverband Berlin ist auch überall nur als „der Pupe“ bekannt. Allerdings bringt diese Entscheidung gerade die Gegner von Wahlcomputern auf die Barrikaden, vergrätzt ein weiteres mal die Entwickler von Liquid Feedback und schränkt die Zahl unserer Optionen ein, während wir gerade dabei waren, ein sinnvolles Konzept auszuarbeiten. Es gibt nämlich derzeit wegen des Pankower „Klarnamens-Liquid“ ein Verfahren und Gespräche mit den Datenschutzbeauftragten des Landes Berlin. Diese Gespräche sind noch nicht abgeschlossen und es gibt noch keine schriftliche Stellungnahme. Mündlich wurde uns aber schon mitgeteilt, dass „eine generelle Klarnamenspflicht für alle Benutzer im gesamten System mit Hinweis auf Persönlichkeits- und Minderheitenschutz sehr kritisch gesehen wird, die Nutzung des Systems mit eindeutiger Identifizierbarkeit aber als möglich erachtet wird, wobei genaue Bedingungen noch geklärt werden müssen. Genau das soll eigentlich gerade passieren.

Der Beschluss auf der LMV macht die Angelegenheit schwieriger und hätte besser am Ende der Gespräche gestanden. Dass die Angelegenheit über eine „Geschäftsordnung“ gelöst wird, statt einer Satzungsänderung, für die eine klare Zweidrittelmehrheit nötig gewesen wäre, wird die Diskussion nicht vereinfachen und die Wogen nicht glätten. Wir brauchen ein offenes, nachvollziehbares System. Als Black Box und Wahlcomputer können wir Liquid Feedback auch gleich wieder vergessen. Dann können wieder nur diejenigen an Abstimmungen teilnehmen, die Zeit und Geld haben, zu den vergleichsweise seltenen Parteitagen zu fahren, was dezentrale Parteitage wahrscheinlich auch nicht wirklich abmildern können.

Wie geht es jetzt weiter? Der Pupe und andere Mitglieder des Landesverbandes werden Gespräche mit den Landesdatenschutzbeauftragten führen, der Landesvorstand wird sich überlegen müssen, welchen Nutzungsbedingungen er zustimmen kann. Die nächste Gebietsversammlung in Pankow wird am 3. November wahrscheinlich neu debattieren und beschließen müssen, was für ein System sie möchte. Und ich fahre am 13. Oktober nach Stockdorf zum Liquid-Camp. Dort wollen wir überregional diskutieren, wie sich sich Akzeptanz bis hin zu einem Konsens schaffen ließe. Ich habe da eine Idee.


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