Den Höreindruck, den ich jetzt nach der dritten Anpassung und fast drei Wochen mit dem Cochlea-Implantat habe, kann man nur psychedelisch nennen. Während im linken Ohr weiterhin das altvertraute Hörgerät mit tollem Sound und mieser Dynamik werkelt, klingt es rechts immer unelektrischer aber auch immer alberner. Mein Hören ändert sich fast von Tag zu Tag. Das „Wling“ klingt jetzt wie ein Piepen und Pfeifen, ändert die Tonhöhe und und schmiegt sich an alle Geräusche an, welche ansonsten immer klarer hervortreten. Schwer zu beschreiben, wie das klingt. Ein wenig wie R2D2 auf Drogen oder die Witzpfeife im folgenden Monty-Pythonsketch:
Ich nenne es mal in Ermangelung besserer Worte „Wling 2.0“. Man kann sich vorstellen, wie nervig das ist, wenn jedes gottverdammte Geräusch von diesem Wling 2.0 begleitet wird, davon geprägt und verzerrt wird. Im Moment sind alle Stimmen quäkig. Alle Frauenstimmen klingen wie Wenke Myhre. Hören mit CI ist also also sehr „interessant“ auf ne Art, macht aber auch wahnsinnig. Wenigstens ist der Hall schon sehr viel weniger geworden und Stimmen klingen auch nicht mehr 20 Meter weit entfernt. Ich fand es nämlich sehr irritierend, mir auf diese Art selber beim Rülpsen zuzuhören.
Das Wling 2.0 überlagert Sprache und Geräusche – es ist aber nicht Sprache und Geräusche. Tatsächlich höre ich Sprache und Geräusche dahinter. Und was ich „dahinter“ höre, klingt durchaus natürlich und in keiner Weise „roboterhaft“ wie andere CI-Träger das schildern. Was aber evtl auch daran liegen könnte, dass ich das CI mit 22 statt 12 Elektroden implantiert bekommen habe und mittlerweile bis zu 12 davon gleichzeitig feuern – Standard-Einstellung ist eigentlich acht.
Musik ist weiterhin kein Spaß, aber es wird besser. Seit drei oder vier Tagen bin ich in der Lage, über das CI die Glocke aus Hells Bells von AC/DC zu hören. Gitarren und Schlagzeug waren vorher schon da, der Bass und Brian Johnson erschließen sich weiterhin nur über das Hörgerät im anderen Ohr. Was ich mit dem CI schon sehr gut höre, sind sehr hohe Töne und jede Form von Schlagzeug und Percussion. So war ich neulich im „Cake“ – Hörgerät aus, nur CI an! – in der Lage, zu „Kiss“ von Prince abzutanzen. Ich hoffe allerdings und darf auch erwarten, dass ich meinen Musikgeschmack künftig nicht auf derlei Falsett-Gefiepse beschränken muss.
Subjektiv habe ich das Gefühl, schlechter zu hören, objektiv sieht die Lage ganz offenbar anders aus: Der Audiologe spricht „Eindundzwanzig“ vor und ich verstehe nur mit CI und spreche nach, ohne ihn anzusehen. Er sagt, er sei beeindruckt, wie schnell ich Fortschritte mache. Enge Freunde behaupten schon seit Tagen, ich verstünde besser als früher. Ich dementiere einstweilen, schon um keine zu großen Erwartungen zu wecken – aber vorgestern ist es tatsächlich passiert: Ich lese etwas auf meinem iPhone, während mich Rachel von der Seite anspricht und ich antworte ohne aufzublicken – und völlig ohne zu merken, was ich da eigentlich tue. Ich habe sie verstanden, ohne sie anzusehen. Das konnte ich das letzte mal so ungefähr mit 14.
Als wir ihren Geburtstag in der (allerdings relativ ruhigen und leeren) Margarethe F. weiterfeierten, konnte ich mich tatsächlich erheblich besser als gedacht mit den Anwesenden unterhalten. Ich habe deutlich gemerkt, wie ich mehr zugehört und weniger selber geredet habe. Was mein Gehirn da macht, ist immer noch weit entfernt von normalem Hören und Verstehen, wie ich es aus meiner Kindheit kenne, und klingt auch lange nicht so „gut“ wie ein Hörgerät – aber es funktioniert. Ganz langsam immer besser.
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