Upgrade für mein elektrisches Ohr

Wer Cochlea-Implantate hat, kann grundsätzlich alle paar Jahre neue Prozessoren dafür beantragen. Bei meinen beiden Implantationen 2011 hatte ich das Nucleus N5 (CP810) von Cochlear bekommen. Mittlerweile bietet Hersteller den Nachfolger des Nachfolgers, also das N7 (CP1000), das mich unter anderem wegen der Möglichkeit, sich mit einem iPhone zu koppeln, interessierte. Um den Sprachprozessor zu wechseln, ist kein chirurgischer Eingriff nötig. Der auszutauschende Prozessor wird wie ein Hörgerät äußerlich getragen und versorgt das eigentliche Implantat, das nicht ausgetauscht wird, über eine Sendespule mit Signalen. Also machte ich letzten Herbst einen Termin mit meiner Klinik und durfte das neue Modell ein paar Wochen testen.

Nach der Testphase überprüften wir mein Sprachverständnis, wobei sich insbesondere das Hören in Störschall ein gutes Stück besserte. Mit den Messergebnissen stellte die Klinik einen Antrag auf Kostenübernahme. In der Wartezeit durfte ich auch noch das Vorgängermodell Nukleus N6 (CP910) testen. An das N7 lässt sich nämlich kein analoges Audiokabel mehr anschließen, weshalb ich unsicher war, ob ich wirklich direkt zum N7 oder doch erstmal nur zum N6 wechseln wollte, mit dem das noch geht. Denn das Implantat per Kabel mit einer analogen Klangquelle verbinden zu können, war mir schon sehr wichtig. Letztlich entschied ich mich dann aber doch für das N7.

Heute morgen kam das Paket per UPS zu mir nach Hause. Ich war etwas überrascht, dass ich gar nicht mehr in die Klinik musste, sondern die fertig programmierten Prozessoren direkt erhielt. Ein wenig war das wie ein Überraschungsei, denn in den Schachteln waren lauter Einzelteile, die ich erst einmal zusammenbauen musste. Das dauerte allerdings nur wenige Minuten, sodass ich an der Tagung, die heute auf dem Programm stand, gleich schon mit dem neuen Gehör teilnehmen konnte.

Das Ergebnis war großartig. Der Klang ist wesentlich plastischer, ich konnte den Vorträgen mühelos folgen und mich ebenso mühelos in den Vortragspausen verständingen, ohne ein einziges mal nachfragen zu müssen. An sich funktionierte das auch schon mit dem alten Prozessor ziemlich gut, allerdings nur bei sehr leisen und sehr lauten Störgeräuschen. Sprache aus mittellautem Stimmengewirr etwa in einem Restaurant heraushören war mit dem N5 eher schwierig und geht bei mir mit dem N7 erheblich besser.

Der Scan-Mode passt sich sehr gut an die Umgebung an, ohne ständig auf auffällig hörbare Weise die Lautstärke wegsacken zu lassen, kommt mir allerdings manchmal etwas zu leise vor. Besonders krass wirkt beim N7 der in allen Programmen zuschaltbare Forward-Focus, der radikal alle Geräusche wegschneidet, die von hinten kommen. Im Straßenverkehr womöglich gefährlich, auf Tagungen, in Kneipen und Restaurants ausgeprochen angenehm.

Der Nachteil des CP1000 ist wie gesagt, dass sich keine Audioquellen per Kabel mehr anschließen lassen. Dafür kann ich es drahtlos mit dem iPhone koppeln. Wann immer ich einen Anruf erhalte oder einen Podcast starte, höre ich einen kurzen Signalton und bekomme den Klang des Telefons für außenstehende unhörbar in meinen Hörnerv gestreamt. Die Qualität ist dabei allerdings minimal schlechter als bei einer analogen Kabelverbindung. Gelegentlich kommt es zu klanglichen Artefakten. Da ist also noch Luft nach oben, aber unterm Strich ist es dermaßen komfortabel, dass einem das Hantieren mit dem Audiokabel innerhalb kürzester Zeit als unglaublich fummelig und unpraktisch erscheint.

Ich kann mich also ohne weitere Hilfsmittel nur mit Smartphones oder Tablets verbinden, nicht jedoch mit PCs und analogen Klangquellen. Hierzu verwende ich das Minimic von Cochlear. Dessen Klangqualität lässt allerdings zu wünschen übrig. Gelegentlich rauscht es oder es kommt zu Störungen, die ähnlich klingen wie eingehende SMS in schlecht abgeschirmten Boxen. Außerdem ist der Frequenzbereich nochmal stark eingeschränkt, wie sich zum Beispiel auf Youtube leicht rausfinden lässt. Aber für den Schreibtisch reicht es. Eigentlich ist das schlecht, weil ich gelegentlich halt wirklich ein Audiokabel in guter Qualität benötige. Ich habe deshalb ein wenig damit gehadert, ob das CP1000 nicht ein Fortschritt mit eingebautem Rückschritt ist.

Allerdings war ich in der Testphase auch im Funkhaus und habe dort ganz normale Kopfhörer benutzt. Die verwende ich eigentlich nicht so gerne, weil sie nicht bequem sitzen, wenn sie statt der Ohrmuschel das Cochlea-Implantat beschallen sollen, dessen Mikrofone oberhalb des Ohres sitzen. Allerdings erwies sich die Klangqualität als so gut, dass ich dem Audiokabel nicht nachtrauern sondern mir große, weiche, gut klingende Kopfhörer besorgen werde, sobald ich sie für eine Audioproduktion benötige.

Kopfhörer brauche ich auch aus einem anderen Grund. Spätestens mit dem drahtlosen Streaming vom Telefon aufs Cochlea-Implantat ist für meine Mitmenschen völlig unsichtbar, dass ich gerade Musik oder einen Podcast höre. Das führt immer wieder zu Verwirrung, wenn sie mich ansprechen – etwa um nach dem Weg zu fragen – und ich natürlich nichts verstehe, weil ich gerade was anderes höre. Ich spiele deshalb schon lange mit dem Gedanken, mir möglichst große, weithin sichtbare „Laber mich nicht an“-Kopfhörer zu beschaffen. Attrappen sozusagen.

Technik im Körper: Seitenwechsel per Implantation (Update)

Update: Der Talk ist jetzt bei Youtube online.

Bei Filterblasen denken wir an soziale Medien und Fakenews oder Hatespeech. Vielleicht hilft beim Entschlüsseln dieser Probleme ein Blick auf ganz andere, nicht digitale Filterblasen und die Erfahrungen, die ein Mensch macht, wenn er oder sie von einer Blase in die andere wechselt. Ein Beispiel sind Gehörlose und Schwerhörige. Während es für die meisten Menschen möglich ist, eine andere Kultur durch erlernen von Sprache und Codes zu „betreten“, ist dieses für Menschen der Gehörlosenkultur nicht möglich, schließlich sind sie von lautsprachlicher Kommunikation ausgeschlossen. Hierfür kennt die Digitalisierung eine technische Lösung: Das Cochlea-Implantat, eine elektronische Hörprothese. Ich trage so ein Implantat und habe die Implantation, das Wieder-Hören-Können, den Übertritt von einer Blase in die andere und den damit einhergehenden Perspektivenwechsel als großartige Zeit erlebt. Aber auch als Infragestellung meiner Identität. Es ist also keine Überraschung, dass das Cochlea-Implantat ähnlich wie viele andere digitale Errungenschaften als Bedrohung wahrgenommen und von Teilen der Gehörlosen-Community strikt abgelehnt wird. Das darf aber nicht mit Ignoranz und Technikfeindlichkeit verwechselt werden: Aus Perspektive der Gehörlosen gibt es legitime Gründe, das Cochlea-Implantat zu kritisieren. Gibt es wirklich technische Lösungen für soziale Probleme? Ist es Emanzipation oder eher die Normalisierung und Vereinheitlichung der Bevölkerung? Wer trägt die Verantwortung, etwa wenn Ärzte und Eltern entscheiden müssen, ob ihr Kind ein Implantat erhalten soll und unterschiedlicher Meinung sind? Und wie funktioniert hier der Austausch zwischen den verschiedenen Communities bzw. die Abgrenzung zwischen ihnen? In diesem Talk versuche ich, die Geschichte eines Konfliktes zu skizzieren, der seit mittlerweile Jahrzehnten fast unbemerkt von der Öffentlichkeit ausgetragen wird und zugleich als Folie für die aktuellen Probleme der Digitalisierung dienen kann.

Darüber werde ich am Donnerstag auf der re:publica reden.

Mein Vortrag auf der Open Mind 13: „Cyborg Politics“

Ich habe auf der Open Mind in Kassel einen Vortrag zum Thema „Cyborg Politics“ gehalten. Die Einführung „The Step into Cyborgism“ habe ich stark abgekürzt und bin vor allem auf die gesellschaftlichen und politischen Fragen eingegangen, die der Cyborgism aufwirft. Es sind Fragen, die sich angesichts von Cochlea-Implantat und Google Glass schon heute stellen.

Alles in allem war die Open Mind eine der besten Konferenzen, an denen ich die letzte Zeit teilgenommen habe. Am besten gefallen haben mir die beiden Vorträge „Deutschland – Ein ?[Bb]ildungsland“ von Juliana Goschler (die der Frage nachgeht, warum eigentlich Bildungspolitik in Deutschland so verkorkst ist) und „Wir haben nur eine Erde“ von Drahflow, der sich angesichts unserer ökologischen Probleme für die Wiederaufnahme der bemannten Raumfahrt und die Schaffung von Kolonien im Weltraum ausspricht. Das ist natürlich eine unvollständige Empfehlung: Ich hatte noch keine Zeit, mir die verpassten Vorträge auf Youtube anzusehen.

Update: Zwei weitere Vorträge: Anatol Stefanowitsch erklärt in „Macht, Meme und Metaphern“, wie Sprache das Denken beeinflusst. Die Faserpiratin stellte Äußerungen von Frauenfeinden, Antifeministen und Maskulisten unter dem Titel „Ihr gehoert nur mal ordentlich durchgevoegelt“ vor. Dieser Vortrag wurde bis auf weiteres von genannten Frauenfeinden, Antifeministen und Maskulisten aus dem offiziellen Piratenstreaming entfernt.

Gehörlose, das Cochlea-Implantat und ein Genozid

tl;dr: Gehörlose haben eine ganz eigene Sicht auf das Cochlea-Implantat. Das ist mehr als verständlich, von einem „Genozid“ kann aber nicht einmal entfernt die Rede sein.

genozid

Wenn es um das Cochlea-Implantat geht, drehen die Gehörlosen gerne am Rad: Das Implantat sei „technischer Genozid“, und dieses Zitat hat sich die Aktivistin nicht selber ausgedacht: Das Wort macht schon länger unter Gehörlosen die Runde – international. Bleibt die Frage: Warum nur? Wer ein wenig die Geschichte der Gehörlosen in Europa kennt und die ganze Angelegenheit aus einer anderen Perspektive betrachtet, wird schnell verstehen.

Auf dem Mailänder Kongress von 1880 wurden pädagogische Leitlinien beschlossen, die dann über 100 Jahre lang in Deutschland und anderen europäischen Ländern galten. Da traf sich die die Zunft der Pädagogen und dachte sich Maßnahmen zur Bildung Gehörloser aus, die von völliger Ignoranz gegenüber ihrer Zielgruppe gekennzeichnet waren. Die These: Gehörlose sollen in einer hörenden, lautsprachlichen Welt klarkommen, weshalb man sie dazu erziehen wollte, selber sprechen zu lernen und per Lippenlesen zu verstehen, was gesprochen wird. In der deutschen Sprache sind aber nur etwa 15% der Wörter einwandfrei anhand des Mundbildes zu identifizieren. Lippenlesen, wie der Laie sich das vorstellt, gibt es nicht. Das Vorhaben war von Anfang an zum Scheitern verurteilt, auch wenn intelligente Gehörlose mit viel Gespür, Kontext und Gewitztheit da sehr weit mit kommen. So konnte ich die Tagesschau mit Dagmar Berghoff weitgehend auch ohne Ton verstehen, solange keine Einspieler kamen.

Die Gebärdensprache war bis in jüngste Vergangenheit von den meisten Linguisten und Fachleuten als primitive Zeichensprache abgetan. Kindern in Internaten für Gehörlosen drohte regelmäßig durchaus die Prügelstrafe, wenn sie beim Gebärden erwischt wurden. Wirklich unfassbar ist, dass sich diese Zustände bis Ende der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hielten. Wissensvermittlung in einer Sprache, die die Kinder mühelos verstehen, war völlig nachrangig. Gebärdensprache gehört oft bis heute nicht zur Qualifikation eines Gehörlosenlehrers.

Die Herangehensweise hatte zwar auch gute Seiten: Die allermeisten Gehörlosen können heute mehr oder weniger verständlich sprechen und das Wort „taubstumm“ gilt heute als verpönt, weil Gehörlose in aller Regel eben nicht stumm sind. Trotzdem hatte diese Art der Pädagogik fatale Auswirkungen. Gehörlose Kinder schlossen die Gehörlosenschulen mit einem Bildungsniveau ab, das oft kaum ihrer Intelligenz entsprach. Schlimmer: Sie waren bereits in ihrer Kindheit traumatisiert: Von ihnen wird verlangt, was selbst unter großen Anstrengungen nie ganz befriedigend zu leisten ist: In einer hörenden Welt ohne weitere Hilfen klarzukommen, während ihnen klargemacht wurde, dass ihre eigenen Kommunikationsmittel – die Gebärdensprache – gesellschaftlich unerwünscht war.

Der weitere Lebensweg ist für die meisten vorgezeichnet: Sehr schlechte Bildungsmöglichkeiten – wer beispielsweise studieren wollte, musste um jede kleine Hilfe kämpfen – in meinem Studium beispielsweise an der Uni Lüneburg gab es in den Nullerjahren durchaus noch Professoren, die sich einfach weigerten, ein Mikrofon zu tragen, damit ich – an Gehörlosigkeit grenzend schwerhörig – sie besser verstehen konnte. Meist standen oft nur die klassischen Gehörlosenberufe offen, oft weil viele Gehörlose sich kommunikativere Berufe sich selbst nicht zutrauen, schlimmer aber: Sie ihnen auch nicht von Ämtern, Bildungseinrichtungen und Arbeitgebern zugetraut wurden. Wer nichts hört, gilt auch heute noch oft als „doof“. Das hat sich tief in den Mindset gehörloser und schwerhöriger Menschen eingegraben.

Im Schatten dieser Zustände entwickelte sich eine Parallelkultur, die stark von der umgebenden Gesellschaft abgeschottet ist. Etwa 80.000 Menschen in Deutschland, ein Promille der Bevölkerung, spricht die Gebärdensprache. Sie haben ihre eigenen Treffs, ihre eigenen Sportvereine, ihre eigenen kulturellen Codes. Eine eigene Kultur hat sich herausgebildet, die durchaus reichhaltig ist, so gibt es zum Beispiel poetische Gebärdensprache und gebärdete Poetry-Slams, deren Witz und Poesie nur erahnt, wer wenigstens ein paar Einheiten Gebärdensprache gelernt hat. Dennoch ist die Gehörlosenkultur eng mit dem Mainstream verzahnt, schon sprachlich: Das Mundbild deutscher Wörter ist integraler Bestandteil der Gebärdensprache.

Diese Gehörlosenkultur hat aber einen wesentlichen Unterschied zu anderen Subkulturen: Sie ist fast hermetisch abgeriegelt. Ein Migrant in Deutschland kann mit etwas Mühe Deutsch lernen und sich damit verständigen und integrieren, ein Gehörloser kann das aus naheliegenden Gründen nicht, schließlich hört er nichts und ist auf Gebärden- oder Schriftsprache angewiesen. Umgekehrt lernt kaum jemand ohne besonderen Anlass die Gebärdensprache. Integration und Inklusion gestalten sich also mehr als schwierig. Vollkommen verständlich, dass Gehörlose ihre ganz eigene Sicht der Dinge haben und oft feindselig auf eine Gesellschaft reagieren, die sich ihnen gegenüber verschlossen und feindselig, ja unterdrückend gezeigt hat.

Vor etwas mehr als 30 Jahren kamen die ersten Cochlea-Implante auf den Markt. Verglichen mit den heutigen Implantaten und Sprachprozessoren waren sie sehr primitiv. So primitiv, dass man sie nur gehörlosen Menschen einpflanzte – wer noch ein wenig Restgehör hatte, galt noch weit in die 90er Jahre mit einem Hörgerät als wesentlich besser versorgt. Ein erwachsener Gehörloser kann mit diesen Implantaten zwar hören, aber verstehen wird er trotzdem nicht viel. Dem Gehirn fehlt ein entwickeltes Hörzentrum. In den ersten Lebensmonaten und Jahren formt sich das Gehirn aus anhand des Inputs, den es bekommt. Wer in diesen Jahren nicht hören gelernt hat, wird das auch später nicht mehr tun. Was bleiben, sind Geräusche. Das ist mehr als nichts, aber eben nicht ausreichend für ein hinreichendes Sprachverständnis.

Jeder Gehörlose kann also entweder selber eine Geschichte davon erzählen, wie schlecht und enttäuschend diese Implantate sind, oder kennt jemand, der das kann. Das Implantat wird zu einem weiteren Unterdrückungsinstrument, die Fortsetzung der Mailänder Pädagogik mit technischen Mitteln. Damit wird auch verständlich, warum viele Gehörlose so empfindlich reagieren, wenn es um die Frage geht, das Cochlea-Implantat Kindern einzupflanzen: Welch eine Quälerei muss das sein, kleinste Kinder mit diesem Folterinstrument zu malträtieren!

Dabei ist das fatale, dass das Cochlea-Implantat Kleinkindern tatsächlich hilft, zu einem „normalen“ Gehör zu gelangen. Die Erfahrungen in der Berliner Charité sind dahingehend, dass etwa die Hälfte der Kinder mit Implantat später die Regelschule besuchen und in Sprachverständnistest nahezu 100% erreichen. Von einer „Kindheit beim Logopäden“ kann dabei nicht die Rede sein: Die wöchentlichen, später 14tätigen Besuche dort enden meistens im Alter von 3-4 Jahren. Und die andere Hälfte? Die ist auf vielfältige Weise mehrfach behindert, meistens auch geistig, mit mehrfachem Therapiebedarf. Hier versuchen Ärzte und Eltern oft zu retten, was zu retten ist, was durchaus in unnötige Quälerei ausarten kann und sehr kritisch zu sehen ist.

Rechnet man diese Fälle heraus, sind die Erfahrungen mit dem Cochlea-Implantat überwältigend positiv. Genau das wiederum macht den Gehörlosen angst: Wenn wir Kindern die Gehörlosigkeit austreiben, bedeutet das ein Versiegen von „Nachschub“ für die Gehörlosenkultur. Man könnte meinen, die stirbt dann aus. Die Polemiker der Gehörlosenverbände mit ihrer Genozidrhetorik hinterlassen hier verbrannte Erde. Vor allem aber begehen sie einen logischen Kurzschluss, denn entweder, das Cochlea-Implantat funktioniert nicht gut genug: Dann wäre aber auch die Gehörlosenkultur gar nicht in Gefahr. Oder aber es funktioniert, aber dann spricht wenig gegen eine Implantation im Kindesalter.

Mit dem Wissen um den Reichtum der Gehörlosenkultur kann ich diese Angst nur bedingt nachvollziehen. Weder von Genozid noch von Ethnozid kann die Rede sein, wenn gehörlose Kinder hören können. Viele werden nämlich in hörende Familien hineingeboren, die bis dato mit der Gehörlosenkultur nichts am Hut hatten. Anders herum werden oft hörende Kinder in gehörlose Familien geboren. Die führen ein normales Leben, kennen aber eben auch die Gebärdensprache und die Gehörlosenkultur. Daran müsste sich nichts ändern. Mich erinnert diese Haltung an Arbeiterfamilien vergangener Jahrzehnte, die der Meinung waren, der Sprössling müsse nicht aufs Gymnasium: Volksschule und Lehre wie bei Papa seien gut genug. Dahinter steht einfach nur Angst um die eigene Identität und der Wunsch, seine Kinder im Käfig der eigenen Lebensweise aufwachsen zu lassen – ein Phänomen, das freilich durch alle Schichten und Subkulturen stark verbreitet ist. Genau das Gegenteil von gesellschaftlicher Inklusion.

Die Gehörlosen nennen meine Haltung – dass hören wünschenswert ist, insbesondere wenn es um den Lebensweg von Kindern geht, gerne „Audismus“ und benutzen das als Schimpfwort – aus einer quasi-nationalistischen Haltung zur Gehörlosenkultur heraus. Auf die Zustände nach dem Mailänder Kongress bezogen ja auch äußerst berechtigt. Auf das Cochlea-Implantat bezogen ist dieses Denken schlicht Minimierung von Lebenschancen und Freiheitsgraden.

Fazit: Das Cochlea-Implantat hilft nicht jedem Gehörlosen. Speziell für taub geborene, erwachsene Gehörlose ist es irgendwas zwischen Quälerei oder der Möglichkeit, wenigstens Geräusche wahrnehmen zu können. Insbesondere können wir keinesfalls Inklusionsleistungen mit dem Hinweis aufs Cochlea-Implantat zurückfahren. Den Gebärdensprachedolmetscher zu verweigern mit dem Hinweis, man könne sich ja operieren lassen, ist ein No-Go, aber offenbar verbreitete Praxis in Ämtern. Die Entscheidung für oder gegen ein Implantat muss immer der Gehörlose frei und ohne Druck treffen können.

Kinder können das allerdings nicht. Für geistig und körperlich normal entwickelte Kleinstkinder ist das Cochlea-Implantat die sehr hohe Chance auf ein hörendes Leben. Es ihnen vorenthalten zu wollen ist meiner Meinung nach grob fahrlässig und ein Ausschluss von Bildungschancen im späteren Lebensweg. Entscheiden können das freilich nur die Eltern und niemand sonst, und eine Entscheidung gegen das CI müssen wir respektieren, ohne das Kind zu benachteiligen, auch wenn ich eine solche Entscheidung in den meisten Fällen nicht gutheißen mag. Am Ende bleibt: Jeder Mensch, jeder Fall, jeder Lebensweg ist individuell und wer am lautesten schreit, ist selten in der Position, eine individuelle Entscheidung wirklich beurteilen zu können.

Mein Cochlea-Implantat wird zwei

tl;dr: Leider geil.

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Vor fast exakt 2 Jahren wurde bei mir das rechte Cochlea-Implantat eingeschaltet. Damals bewegte ich mich zunächst akustisch in einer wabernden Wolke. Das hat sich geändert. Um das Ergebnis zu kontrollieren, wurde ich von einer Doktorandin eingeladen, mein Sprachverständnis messen zu lassen. Zunächst auf meinen Wunsch kurz beide Ohren mit dem klassischen Freiburger Wörtertest. Das Ergebnis war wie gehabt 95%. Normal hörende Menschen schaffen hier in der Regel 95% – 100%. Vor meiner Operation war ich bei 25% – mit Hörgeräten!

Dann ging’s nur mit dem rechten Ohr weiter, das Jubiläum hat: Wir machten wir den OLSA. Der Test ist in der Auswertung kompliziert. Gemessen wird, bei wieviel Störschall gerade so 50% verstanden wird. Normalhörende erreichen hier einen Wert von -5 und niedriger, das heißt, der Störschall darf sogar ein wenig lauter sein als der Sprecher. Ich habe einen Wert von  -1,2 erreicht, das heißt, dasselbe gilt auch im geringeren Maße für mich. Menschen mit Hörgeräten und CI erzielen in aller Regel einen positiven Wert, bei dem der Störschall also ein gutes Stück leiser sein muss.

Zuletzt haben wir noch den HSM Satztest gemacht, bei dem zufällig zusammengewürfelte, meist unsinnige Sätze nachgesprochen werden müssen. Der produziert ein handliches Ergebnis mit Prozentwerten. Ich kam auf 98,1%. Mit Störschall noch 78,3% (15 dB Rauschabstand). Das sind Werte, von denen ich als fast tauber Hörgeräteträger nur träumen konnte und das erreicht leider auch längst nicht jeder CI-Träger.

Das alles betrifft jetzt allein das Hören mit dem rechten Ohr. Zusammen mit dem linken wird alles nochmal viel besser und wenn man als Normalhörender einohrig durch die Welt geht, wird man auch hier und da Schwierigkeiten bekommen – besonders unter Störschall. Wie ist es nun, 2 Jahre danach? Ich telefoniere, gehe in Clubs und Konzerte, unterhalte mich da auch, nehme an Versammlungen teil, höre Musik, schaue Filme ohne Untertitel, höre Podcasts und all das auch gerne auf Englisch, gehe regelmäßig auf Lesebühnen, war im Landesvorstand der Piratenpartei, arbeite für eine TV-Produktionsfirma und schreibe hier und da Texte für verschiedene Medien. Ohne CI wäre ich wohl heute nicht, wo ich bin und das meiste davon wäre in meinem früheren Leben undenkbar gewesen. Allein Telefonieren: Das hatte ich die letzten 10 Jahre gar nicht mehr gemacht, weil es mir zu stressig war.

Natürlich habe ich weiterhin Nachteile, z.B. höre ich nichts, wenn das CI ausfällt, was meistens an leeren Batterien liegt, für die ich keinen Ersatz dabei habe. Der wohl wichtigste Nachteil: Im Sprachprozessor des Cochlea-Implantates ist zu einem guten Teil klassische Hörgeräte-Technik verbaut und bringt die üblichen Nachteile mit sich: Das Mikrofon liegt nicht in der Ohrmuschel sondern oberhalb des Ohres. Wenn Wind über das Gehäuse streicht, ist ganz schnell Ende mit Hören. Dann habe ich nur noch Krach, der klingt, als ob jemand auf ein Mikrofon pustet. Fernsehleute kleiden ihr Mikrofon für sowas ja in Pelze. Vielleicht sollte ich das auch machen, aber wie das wieder aussieht. Und manchmal aber selten, verstehe ich doch nicht so gut, wie ich sollte, was sich aber durch einfaches Nachfragen erledigt. Kommunikationskatastrophen wie früher gibt es eigentlich nicht mehr.

Ich glaube mittlerweile, dass das Mikrofon und seine Qualität ein wesentlicher Engpass ist, ohne es durch übermäßiges technisches Wissen belegen zu können. Ich telefoniere nicht gerne mit dem Hörer am Ohr sondern verbinde das CI lieber direkt per Kabel mit dem Telefon. Dasselbe gilt beim Musikhören und Filmegucken. Etwas über einen Lautsprecher abzuspielen, damit es bei mir wieder von einem Mikrofon aufgenommen wird, sorgt für Qualitätsverlust. Ein wenig wie bei Luftaufnahmen – ältere Leser kennen das vielleicht noch. Ich vermute, dass der kleine Rest, der mir noch zum „Normalhören“ fehlt, ein wenig auch von diesen Mikros abhängt. Verkabelt habe ich mittlerweile das Gefühl, richtig gut zu hören. Auch und gerade bei Musik kommen dann ungeahnte Nuancen. Unmerklich hat sich das auch noch die letzten Monate weiter entwickelt. Und seit ich nun auch über 1 Jahr lang zwei CI trage, ist der Klang in jeder Beziehung für mich normal und natürlich geworden. Ich nehme keinerlei Künstlichkeit mehr wahr.

Ohne zu übertreiben, kann ich sagen, dass das CI hat mein Leben verändert und mir etwas zurückgegeben hat, das über 20 Jahre lang verloren war. Ohne das CI wäre ich heute nicht da, wo ich bin, und hätte überhaupt viel weniger Spaß. Ich bin wohl weiterhin „leicht schwerhörig“, wobei ich aber mit meinem heutigen Gehör gar keine Hörgeräte bekäme. Dafür habe ich ein paar zusätzliche Fähigkeiten: Ich kann absolute Stille herbeiführen, an schlechten Tagen allenfalls von einem Tinnitus unterbrochen. Ich kann die Lautstärke frei regeln und Programme wechseln. Ich kann Höhen hören, die Menschen in meinem Alter üblicherweise nicht mehr wahrnehmen können. (Das war ein Trugschluss.) Ich kann verschiedene Filter verwenden, die dazu dienen, Sprache in ruhiger oder lauter Umgebung besser zu verstehen und kann Musik völlig ungefiltert hereinlassen, indem ich einfach das Programm wechsele.

Ich könnte mich nur ärgern, dass ich diese Operation nicht schon viel eher gemacht habe. Mach ich aber nicht.

Prothetik und Inklusion sind kein Gegensatz

Vor zwei Tagen ergab sich eine heftige Debatte auf Twitter. Ich schrieb, die Zukunft gehöre der Prothetik, weshalb man mir unterstellte, ich sei gegen Inklusion. Beim Cochlea-Implantat denkt zum Beispiel Julia „@EinAugenschmaus“ Probst an Reparatur, die sie gefährlich findet, weil die Gesellschaft gleichgeschaltet werde.

Ich habe als Teenager mein Gehör fast vollständig verloren. Ja, ich war „kaputt“ und bin „repariert“ worden. Und dafür bin ich dankbar. 20 Jahre lang war ich stark schwerhörig bzw. nach heutiger Definition gehörlos mit Restgehör. Die Implantante, die ich heute trage, machen mich annähernd normalhörend.

„Behindert ist man nicht, behindert wird man.“, heißt der Kampfspruch der Behindertenverbände, und am Cochlea-Implantat zeigt sich, wie falsch er ist, denn die Gesellschaft hat mich nicht am Hören gehindert, sondern mir ein Gehör geschenkt. Die Gesellschaft hat per Krankenkasse mehr als 50.000 € dafür ausgegeben, dass mein Leben barrierefreier ist, indem eine Barriere an mir selbst überbrückt wurde. Die Operation war ein Akt der Emanzipation.

Das heißt nicht, dass das Cochlea-Implantat ein Allheilmittel ist. So erfolgreich ist es nur in ganz bestimmten Fällen. Der Hörnerv muss intakt sein. Das Hörzentrum im Gehirn sollte sich in der Kindheit normal ausgeprägt haben, sonst wird ein Gehörloser zwar hören, jedoch kaum verstehen. Und auch wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind, kann die Reparatur schief gehen.

Das ist aber kein Grund, Angst vor der „Reparatur“ zu haben, denn der Gehörlose kann nichts verlieren, sondern nur gewinnen. Ihm wird nichts genommen, sondern etwas geschenkt. Selbstverständlich bleibt die Entscheidung beim einzelnen Betroffenen. Dass die Gesellschaft Druck auf den einzelnen ausübt, zu funktionieren, ist kein Argument gegen Prothetik, sondern ein Argument gegen den Druck. Prothetik und Inklusion sind keine Gegensätze, sondern gehören zusammen: Prothetik beseitigt Barrieren.

Je nach Behinderung funktioniert das mehr oder weniger gut: Rollstuhlfahrer hatten schon immer andere Bedürfnisse als Blinde, die schon immer andere Bedürfnisse als Gehörlose hatten. Es wird immer Menschen geben, die nicht „repariert“ werden können.  Der Übergang zwischen zwischen „normal“ und „andersartig“ ist fließend. Es gibt keine Alternative zur Toleranz gegenüber Andersartigen – wir sind schließlich alle einzigartig. Es gibt keine Alternative zur Inklusion.

Angst vor der Prothetik hilft uns allerdings nicht weiter. Robotik und Mikroelektronik werden sich dramatisch weiterentwickeln. Wir werden aufhören, Menschen nur zu „reparieren“, wir werden anfangen, sie zu erweitern. Die Menschen werden das selbst wollen und dabei ganz individuelle Bedürfnisse haben. Ich habe einige Nerds kennengelernt, die ein wenig neidisch auf mein Cyborg-Dasein sind, und sich am liebsten heute eine Gehirn-Internet-Schnittstelle implantieren würden, wenn es so etwas schon gebe. Man kann darin die Gefahr sehen, dass diejenigen abgehängt werden, die das nicht mitmachen wollen oder können. Das ist aber kein Argument.

Der Mensch formt die Welt und sich selbst seit Tausenden von Jahren. Wer heute kein Internet nutzen kann oder will, ist ähnlich abgehängt wie jemand, der ein paar Jahre zuvor nicht lesen konnte und ich erwarte in einigen Jahrzehnten ähnliches bei der Prothetik. Durch Verbote werden solche Entwicklungen nicht aufgehalten sondern nur in die Illegalität verschoben. Die Antwort auf die Prothetik kann nicht die Warnung davor sein, die Antwort muss sein, weiterhin auch für Inklusion zu kämpfen und herauszustellen, dass Barrierefreiheit keine lästige Pflicht gegenüber Benachteiligten ist, sondern etwas, das allen nützt.

Ohr 2 angeknipst: endlich wieder stereo

Heute wurde nach vier Wochen Stille mein linkes Ohr angeknipst. Auch dort also jetzt ein Cochlea-Implantat. Bevor es soweit war, haben wir mein rechtes Ohr getestet, auf dem ich seit einem halben Jahr ein CI trage. Eher enttäuschend: Beim Freiburger Sprachverständnistest erziele ich immer noch 65% wie vor vier Monaten. Es ist, als hätte ich seitdem keine Fortschritte gemacht, was nicht sein kann, da ich mittlerweile durchaus telefoniere. Eher ist es so, als ob die beiden letzten Anpassungen Verschlimmbesserungen waren. Wir haben das rechte Ohr dann auf den Stand von Juli programmiert und subjektiv hatte ich sofort das Gefühl, besser zu hören. To be continued.

Außerordentlich ermunternd hingegen das Ergebnis des Oldenburger Sprachverständnis-Test. Dabei muss man sinnlose Sätze in verschiedenen Lautstärken und teilweise unter Störschall nachsprechen. Gemessen wird, um wieviel etwas lauter sein muss, dass ich es verstehe. Auf einer Skala bis 100 dB erreiche ich sehr gute 2,8 dB. (Normalhörende erzielen Ergebnisse von -10 dB). Das ist ein für Cochlea-Implantate wirklich gutes Ergebnis.

Am Ende haben wir dann das linke Ohr „eingeschaltet“. Frappierend: Ich war sofort in der Lage, Sprache zu verstehen, wofür ich beim ersten Implantat noch Wochen gebraucht hatte. Allerdings ist auch das „Wling„-Geräusch wieder da und alles klingt seltsam. Das Telefon blubbert eher als dass es klingelt. Da heißt es jetzt wieder und weiterhin hin: Eingewöhnen, hören lernen. Im Frühjahr bis Sommer 2012 werde ich wohl das erzielbare Optimum erreichen.

Cochlea-Implantat: Die Operation

Ich habe schon so viel übers Cochlea-Implantat geschrieben, aber wie verläuft eigentlich die Operation? Vorab sind einige Voruntersuchungen nötig. Unter anderem werden ein CT und ein MRT gemacht. Verschiedene Hörtests werden durchgeführt – es muss klar sein, ob ein Implantat zum Hörschaden des Patienten passt und es keine Kontraindikation wie zum Beispiel eine Verknöcherung des Innenohres gibt.

Auch wenn man beim CI den Sprachprozessor wie ein Hörgerät hinter dem Ohr trägt: Das Kernstück ist ein Elektrodenbündel, das meinen Hörnerv elektrisch stimuliert. Ein Empfänger, der die Signale des Sprachprozessors drahtlos entgegen nimmt, sitzt hinter meinem Ohr unter der Haut. Eine Leitung wird von dort zum Innenohr gelegt. Dazu wird das Ohr von hinten an der Nahtstelle der Ohrmuschel geöffnet, sodass die Operation minimal invasiv durchgeführt werden kann.

Um einen Kanal für die Leitung zu schaffen, muss in den Schädelknochen gefräst werden. Man kann sich das vorstellen, wie Kabel und Steckdosen oder Lichtschalter unter Putz zu verlegen. Das Gehirn selber ist hierbei nicht betroffen, trotzdem kann es bei einer Operation am Schädel zu einem Trauma kommen. Insgesamt ist die Operation eher unkritisch und belastet den Organismus wenig. Man wird 2 Tage danach schon wieder entlassen, ist danach aber zur Erholung noch eine Weile krank geschrieben.

Die Operation selber ist eine ziemliche Fummelei, die etwa 3 Stunden dauert, schließlich muss nicht nur der Kanal gefräst werden, sondern auch das Implantat passgenau in die die spiralförmige, erbsengroße Cochlea eingeführt werden. Das „Millimeterarbeit“ nennen wäre schon viel zu grob. Noch während der Operation wird die Funktionsfähigkeit überprüft, indem Signale über das Implantat abgegeben werden und gemessen wird, ob die korrespondierenden Hirnströme auftreten.

Die Operation wird unter Vollnarkose durchgeführt. Übrigens sollte man keine Angst vor Horrorgeschichten à la „Coma“ haben: Die Mortalität liegt laut Wikipedia bei 5 von 100.000 Narkosen. Regelmäßiges Autofahren ist gefährlicher. Nach der Operation trägt man einige Tage einen Druckverband und später einen einfachen Verband in einer Kopfbinde. Am Tag danach wird eine Röntgenaufnahme gemacht, um sicher zu gehen, dass das Implantat auch korrekt sitzt. Nach etwa 2 Wochen werden die Fäden gezogen, nach vier Wochen ist alles verheilt und der Sprachprozessor kann angepasst werden. Während dieser Zeit ist es nicht möglich, ein Hörgerät zu tragen.

Ob und wie stark die Operation das meist noch vorhandene Restgehör mindert, ist unterschiedlich. Bei mir wurde es noch nicht gemessen. Wie es dann weitergeht, ist sehr unterschiedlich. Manche brauchen Tage, um Geräusche auseinander zu halten, andere verstehen von der ersten Minute an Sprache. Auf jeden Fall folgt ein mehrmonatiger Prozess, in dem sich das Gehirn nach und nach an das neue, elektrische Hören anpasst, welches mit der Zeit immer natürlicher klingt.

Funfact am Rande (ich dachte erst, die Ärzte veräppeln mich): Es ist für die Dauer der Heilung verboten, sich die Nase zu putzen. Man sollte also einen Schnupfen vermeiden. Wer die Nase voll hat, muss hochziehen. Niesen kann in den ersten 1-2 Wochen schonmal ziemlich weh tun, ist aber ungefährlich. Von gelegentlich sehr lautem Tinnitus abgesehen, hatte ich in den ersten Wochen eine unangenehme Nebenwirkung: heftige Migräne-Attacken, zu denen ich sonst nie neige. Ich hoffe, dass das nach der zweiten OP nicht wieder passiert.

All das war die drastische Verbesserung meines kaum noch vorhandenen Gehörs mehr als wert. Das einzige, was mich ärgert ist, dass ich mich nicht schon viel eher habe operieren lassen. Die folgenden Videos zeigen die Operation zusammgenfasst. Achtung, das ist nichts für schwache Nerven oder Mägen und könnte Angst machen!

Der Trend zum Zweitohr

Lange habe ich hier nichts mehr zum Cochlea-Implantat geschrieben: Der Alltag hat mich zwischenzeitlich völlig aufgesogen. Ich machte Erfahrungen wie andere vor mir – ich bin immer noch schwerhörig und fliege manchmal vom Karussell, wie „Not quite like Beethoven“ das nennt. Der Unterschied zu früher: Wo kommunikativ gar nichts mehr ging, tut es heute meist ein einfaches Wiebitte. Ich hatte viele Gespräche auf Partys und in lauter Umgebung, die so früher nicht möglich gewesen wären. Ich habe getanzt, geflirtet und Wahlkampf gemacht, schaue YouTube-Filme ohne Untertitel (auch englische) und jetzt werde ich langsam das „Projekt Telefon“ in Angriff nehmen. Das CI hat mir sehr viel Leben zurückgegeben, das ich so schon gar nicht mehr (oder noch nicht) kannte.

Oft hatte ich Glücksgefühle, manchmal war ich down, wenn es das Hören dann doch nicht perfekt war; aber rauschhaft muss man das deswegen nicht nennen. Ich höre ja ganz objektiv um Längen besser als früher. Immer neue Leute sagen mir, wie viel besser man heute mit mir reden könne, und wer mich gut kennt, sagt mir dazu oft noch, dass meine Stimme heute lebendiger und akzentuierter klinge.

Gelegentlich gibt es Rückschläge, wenn ich müde bin oder einen schlechten Tag habe. Bei der letzten Anpassung trat eine ziemliche Verschlechterung ein – ich verstand plötzlich kaum noch etwas – , die sich aber leicht wieder rückgängig machen ließ.Da merke ich dann, dass mein Gehirn immer noch eine gegenüber dem natürlichen Gehör erhöhte Dekodierleistung erbringen muss. Zu viele gleichzeitige Klangeindrücke vermatschen immer noch gerne mal im berüchtigten „Wling„-Geräusch und Musik macht nur sehr bedingt Spaß. Sprachverständnis und auch Musikgenuss gehen besser, wenn ich nicht über Lautsprecher höre, sondern das CI direkt per Klinke an die Klangquelle anschließe.

Spannend ist, was seither mit meinem linken Ohr passiert. Alles außer Musikhören ist nur noch Krach, der meistens mehr stört als hilft, besonders wenn man sich mit Menschen verständigen will. Das Sprachverständnis per Hörgerät ist massiv zurückgegangen auf einen kläglichen Rest – mein Gehirn akzeptiert den Akustik-Schrott der Maximal-Verstärkung nicht mehr. Gleichzeitig komme ich immer wieder in Situationen, wo ich etwas verstehe, wenn es von rechts kommt (CI-Seite), aber nicht oder nur schwer, wenn es von links kommt.

Der Mensch hat zwei Ohren – ich schreibe diesen Blogpost schon im Krankenhaus. Morgen Vormittag wird operiert. Dann geht erstmal alles wieder von vorne los.