Es vergeht kein Tag, an dem Spiegel Online nicht auf Westerwelle und die FDP eindrischt. Man kann sich geradezu vorstellen, welchen Spaß die Redakteure in ihren Büros gerade haben müssen. Ich selber habe das ja auch mit Genuss getan und finde Westerwelles Äußerungen zu Hartz IV unterirdisch. In der Debatte hat er sich vollkommen verrannt – und das nicht erst, seit er Arbeitslose Schnee schippen lassen will, also ob die etwas damit zu tun hätten, dass Hausbesitzer ihrer Pflicht zum Räumen nicht nachkamen.
Im Grunde muss einem die FDP schon ein wenig leid tun. Nehmen wir die Umsatzsteuersenkung für Hoteliers: Ich konnte es nicht glauben, aber sie wurde in den letzten Monaten auch von der CDU, der SPD, den Grünen und der Linkspartei gefordert. Kann natürlich sein, dass die anderen Parteien auch alle gemövenpickt worden sind, aber trotzdem rief das so genannte „Wachstumsbeschleunigungsgestz“ allgemeines Kopfschütteln hervor, noch bevor die Spende überhaupt bekannt wurde.
Die FDP steckt in einem Dileamma:
- Rot-Grün und Schwarz-Rot haben kaum etwas übrig gelassen, das man privatisieren kann
- Der Spitzensteuersatz ist schon von den vorherigen Regierungen drastisch gesenkt worden
- Basteleien am Steuerrecht sind angesichts der Folgen der Finanzkrise gerade kein Thema
- Für die Kopfpauschale in der Krankenversicherung müsste der Spitzensteuersatz auf 73% angehoben werden
- Mit ihrer Forderung nach „weniger Staat“ steht sie einer weitgehend staatsgläubigen, tendenziell autoritären CDU gegenüber
- Mit der CSU sitzt eine Quasi-SPD mit in der Koalition und gibt Kontra in der Sozialpolitik
- In der Familienpoltik hat Ursula von der Leyen einen guten Teil von FDP-Forderungen bereits umgesetzt.
Sicher, in ihrer Umsetzung entsprechen all diese Punkte nicht exakt den Forderungen der so genannten Liberalen, aber hätte die letzten Jahre Schwarz-Gelb regiert, man würde sich fragen, was denn heute anders wäre. Vieles, wogegen die FDP jetzt poltert, hätte sie uns in Koalitionsverhandlungen als Erfolg verkauft. In all diesen Politikfeldern hat die FDP kaum gestalterischen Spielfraum. Gab es so etwas wie ein neoliberales Projekt – es wurde schon von Schröder und Merkel umgesetzt.
Die FDP hat jetzt durchaus Chancen, sich in anderen Bereichen zu profilieren: Westerwelle hat als Außenminister den Posten, in dem ein fähiger Minister die besten Aussichten hat, sich langfristig zu profilieren und hohe Beliebtheitswerte einzufahren. Davon ist leider bisher nicht viel zu sehen, es erfordert allerdings auch einen Diplomaten.
Bleiben da noch die Bürgerrechte. Netzsperren nicht mittragen zu wollen, war nach der Bundestagswahl ja offensichtlich Dünnbrettbohrerei. An der Vorratsdatenspeicherung arbeiten sich FDPler weiterhin auf juristischem Wege ab, statt nun, wo sie an der Macht sitzen, etwas zu bewegen. Die FDP hätte anscheinend kaum Widerstand gegen das SWIFT-Abkommen geleistet, wenn es nicht auf anderem Wege zu Fall gebracht worden wäre. Die Gesundheitskarte wird einmal mehr verschoben, aber nicht abgelehnt. Zu Elena, dem neuen Jungendmedienschutzgesetz und Nacktscanner hört man von der FDP gar nichts. Oder auch nicht von den bürgerrechtlichen Einschränkungen, mit denen viele Hartz-IV-Empfänger leben müssen. Anstatt hier mal konsequent liberal zu sein, drischt Westerwelle lieber dämagogisch auf die schwächsten in der Gesellschaft ein. Anstatt intelligente Politik zu machen, wird der Stammtisch bedient. Sollte in der Partei auch etwas anderes laufen: Sichtbar ist es nicht. Man könnte fast Mitleid mit der FDP bekommen.
Update:
Interessanter Link: „Der wahre Geist der FDP“ Auch wenn das wohl nur ein Trollpost ist, freue ich mich auf die nötigen Dementis…