Drei Thesen zu Prothetik, Inklusion und Barrierefreiheit

Auf der vergangenen re:publica haben Alexander Görsdorf, Julia Probst und ich über Barrierefreiheit und Inklusion im Internet diskutiert.

Ich wollte schon lange ausführlicher dazu bloggen, kriege das aber aus Zeitgründen nicht gebacken. Dieser kleine Talk und die (teilweise unwahren) Behauptungen über mich sind jetzt aber mal dringender Anlass, zusammenzufassen, wie ich über das Thema denke.

1. Prothetik wird Alltag

Wir bauen immer bessere Prothesen, die nicht nur helfen, Behinderungen auszugleichen, sondern auch die ursprünglichen Fähigkeiten des Menschen in den Schatten stellen. Schon sehr bald werden auch nicht-behinderte Menschen sich freiwillig Elektronik in ihren Körper implantieren lassen. Prothesen zur Optimierung des eigenen Körpers werfen politische Fragen auf: Wollen wir sie verbieten? Können wir das überhaupt? Betrachten wir die Erfolge von Oscar Pistorius, wird klar, dass der Transhumanismus an der Tür klopft und Antworten auf Fragen erwartet, die die meisten von uns noch gar nicht gestellt haben.

2. Barrierefreiheit nützt allen

Das Thema Barrierefreiheit muss endlich aus der Ecke der „Behindertenpolitik“ raus. Eine barrierefrei in HTML kodierte Webseite hilft nicht nur Blinden mit ihren Screenreadern und Braille-Zeilen, sie kann auch besser maschinell ausgewertet werden zum Beispiel für Suchmaschinen. Untertitel helfen nicht nur Gehörlosen, sondern auch Analphabeten und Legasthenikern. Stehen sie noch in mehreren Sprachen zur Verfügung, dienen sie Migranten und helfen, die europäische Einigung voranzutreiben. Wer schonmal im Zug seinen Koffer mit auf die Toilette genommen hat, wird die große Extra-Toilette für Rollstuhlfahrer sehr schätzen. Der Abbau von Barrieren nützt allen.

3. Inklusion: Der Mensch zählt

Menschen, die die Schriftsprache nicht einigermaßen sauber und eloquent beherrschen, bleiben auch im Internet benachteiligt. Barrierefreiheit hat Grenzen: Der barrierefreie Umbau beispielsweise des Prenzlauer Berges mit seinen Gründerzeithäusern ist eine Jahrhundertaufgabe. Die Forderung, die Türme des Kölner Doms mit einem rollstuhlgerechten Außenfahrstuhl auszustatten, dürfte keine Mehrheit finden.

Auch eine Prothese kann niemals perfekt sein. Gerade das Cochlea-Implantat ist ein sehr gutes Beispiel, da es Menschen, die in der Kindheit ihr Hörzentrum nicht ausbilden konnten, oft mehr Qual als Hilfe ist. Es wird immer Krankheiten und Behinderungen geben, die nicht per Prothese ausgeglichen werden können.

Zugleich ist zu befürchten, dass Menschen, die ihren Körper freiwillig prothetisch „verbessern“ selbst diskriminiert werden. Am Ende hängt deshalb alles davon ab, wie wir miteinander umgehen. Ob wir Inklusion nicht nur politisch verordnen, sondern auch leben. Das wird schwer, wenn behinderte Menschen im Alltag nicht für uns sichtbar sind. Als erstes müssen wir aufhören, unsere Kinder zu sortieren und Behinderte in Sonderschulen, Werkstätten und Wohngruppen abzuschotten.

Wichtig ist, was hinten rauskommt. Und rauskommen, wird am meisten, wenn wir Prothetik, Barrierefreiheit und Inklusion als drei Säulen eines Gebäudes betrachten, das am Ende so vielen Menschen wie möglich mehr Teilhabe und Lebensqualität bietet.

Dementi: Die obigen Aussagen sind meine persönlichen Ansichten und stellen keine Beschlusslage der Piratenpartei dar.

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