Glauben und glauben lassen

Gezänk um die Homöopathie wieder.  Ich habe mich auch dazu hinreißen lassen und schrieb schon: Homöopathie ist empirisch nicht belegt und also reine Glaubenssache. Ich habe nichts gegen Homöopathie-Gläubige. Wirklich nicht. Es ist wie mit Religion: Alles spricht für Atheismus, trotzdem bin ich kein Atheist, sondern habe mir mein irrelevantes Weltbild zurecht gelegt, das einen Glauben einschließt, auch wenn ich keiner Glaubensgemeinschaft angehöre. Glauben ist nämlich etwas, das wir brauchen. Wir können nicht alles wissen und selber empirisch überprüfen. Wir sind ständig darauf angewiesen, Menschen und Institutionen zu glauben. Wir übernehmen, was uns plausibel erscheint, sofern wir demjenigen vertrauen, der es propagiert. Wirklich wissen tun wir individuell nur sehr wenig, oder hat hier irgend jemand einen Teilchenbeschleuniger im Keller?

So gut wie alles, was wir zu wissen glauben, stammt aus Schulbüchern, von Lehrern, Professoren, Zeitungen und anderen Menschen – von Autoritäten. Wir versuchen, so viele Sicherungen wie möglich einzubauen, die diesen Mittlern eine Art objektive Glaubwürdigkeit verleihen – aber schon wenn wir ein paar Länder weiter reisen und uns mit der dortigen Kultur auseinandersetzen, werden wir feststellen, wie anders man die Dinge sehen kann und dass auch Wissen reine Interpretationssache sein kann, ohne deshalb gleich die Gravitation zu leugnen oder die Sonne um die Erde kreisen zu lassen.

Glaube ist verwandt mit Schubladendenken, Bauchgefühl und Intuition, die uns hilft, Entscheidungen zu treffen, ohne die volle Faktenlage zu analysieren, und das sogar sehr erfolgreich. Wir alle – auch die härtesten Rationalisten – tun wirklich sehr viele seltsame Sachen, nur weil wir mal die Erfahrung gemacht haben, dass sie scheinbar funktionieren. Daraus entstehen Rituale und diese Rituale helfen uns sehr häufig, uns in die mentale Stimmung zu versetzen, ähnliche Situationen zu überstehen. Wollten wir permanent und in allen Lebenslagen rational reagieren, wir wären nur noch mit der Analyse von Fakten beschäftigt. Also tun wir viele Dinge intuitiv, was bei positiven Resultaten auch zu positiver Rückkopplung führt. Auch in der heutigen Zeit funktioniert ein ganz großer Teil unseres Lebens so.

Ob jemand Traubenzucker oder Heilsteine während einer Prüfung dabei hat, ist nahezu irrelevant. (OK, der Zucker liefert Energie und hat eine messbare Wirkung, während der Heilstein Hokuspokus ist – in beiden Fällen behaupte ich aber mal, dass der Effekt ganz überwiegend ein psychologischer ist.) Ich glaube, die meisten von uns haben schon die Erfahrung gemacht, dass Rituale seelische Auswirkungen haben. (Seele ist ist hier als Psyche oder Geist gemeint, nicht als religiöses Konstrukt.) Auch die Empirie zeigt uns zum Beispiel im Placebo-Effekt und in der gesamten Psychosomatik, die nichts aber auch gar nichts mit eingebildeter Krankheit zu tun hat, dass der Mensch Effekten unterliegt, denen man mit Empirie nicht oder nur höchst mühsam beikommen kann.

Das wirklich gefährliche am Glauben ist, dass er zur Machtausübung missbraucht werden kann – weil wir die Glaubhaftigkeit von Informationen eben auch anhand der Autorität des Absenders bewerten, und Autorität wiederum etwas ist, das unseren Glauben und unser Vertrauen voraussetzt. Missbrauche ich meine Autorität, dann habe ich das Vertrauen von Menschen verletzt. Der Mullah, der eine untreue Ehefrau zur Steinigung verurteilt, verdient ebenso wenig Toleranz wie eine Schulbehörde, die kreationismuskritische Texte in Schulbüchern zensiert. Glaube ist etwas privates, das im öffentlichen Raum über einen Diskurs hinaus nichts zu suchen hat. Nicht an Schulen, nicht im Gesundheitssystem usw.

Es fällt uns aber sehr schwer, Glauben als Privatsache zu behandeln und Andersgläubigen gegenüber tolerant zu sein. Das Problem ist, dass beide Seiten sehr schnell glauben, sie seien die „Guten“, die die Wahrheit gepachtet hätten. Der Esoteriker, der einen Rationalisten als „spirituell unterentwickelt“ bezeichnet, ist genauso arrogant wie der Atheist, der einen Christen auslacht.

Man könnte auch sagen:

  • Jeder von uns hat das Recht, zu glauben, was er will, egal wie abgefahren es ist. Dabei ist es völlig unerheblich, ob es sich um komplette Religionen oder den kleinen Aberglauben für zwischendurch handelt.
  • Niemand von uns hat das Recht, einen Mitmenschen aufgrund seines Glaubens, und erscheine dieser noch so absurd, herabzuwürdigen. Zu sagen, wegen seines Glaubens „gehöre jemand therapiert„, ist selbstgerecht und anmaßend.
  • Aber umgekehrt gilt genauso: Ein Glaubender hat niemals das Recht, seinen Glauben für allgemein verbindlich zu erklären oder ihn anderen Menschen zu oktroyieren. Übrigens soweit das möglich ist auch nicht seinen Kindern.

Nein, liebe Glaubenden, das ist kein Text, der eure Weltsicht untermauert, sondern nur ein Plädoyer für Toleranz ganz allgemeiner Art, die schnell enden kann, sobald ein Homöopathie-Gläubiger andere als sich selbst mit seinen Mittelchen traktiert, ein Zeuge Jehovas seinen Kindern die Blutspende verweigert, ein Moslem von Frauen verlangt, die Burka zu tragen oder ein esoterisch angehauchter Chef seine Bewerber nach Sternzeichen und graphologischen Gutachten sortiert.

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