tl;dr: Homöopathie ist jenseits des Placebo-Effektes wirkungslos. Aber sehr unterhaltsam.
Ich hocke gerade krank zu Hause rum und habe alle Verabredungen fürs Wochenende abgesagt. Was passt da besser als die tausendste Homöopathie-Debatte auf Facebook? Was ich dort zusammengeschrieben habe, ist es wert, auch mal hier festgehalten zu werden.
Homöopathen verwenden gerne den abwertenden Begriff „Schulmedizin“, wenn sie von evidenzbasierter Medizin sprechen. Das lustige am Begriff „Schulmedizin“ ist, dass er behauptet, dass Mediziner nur blind das tun, was ihnen ein Lehrer mal erzählt hat, obwohl die Medizin der permanenten wissenschaftlichen Revision unterliegt. Lustig ist das deshalb, weil eigentlich Homöopathie & Co. eine Schulmedizin sind, die sich blind auf das stützt, was ein Lehrer wie Samuel Hahnemann mal postuliert hat, und jede Kritik an ihren Grundlagen vehement ablehnt. Ein sehr schöner Brainfuck, den die Esos sich da ausgedacht haben.
Aber selbst wenn man statt „Schulmedizin“ den Begriff der „Allopathie“ verwendet und ihr eine „alternative Medizin“ gegenüberstellt, ist das ungut. Da wird ein künstlicher Dualismus erzeugt, vereinfacht gesagt eine „gute“ und eine „böse“ Medizin. Welche Seite jeweils gut und welche böse ist, ist dann nur noch eine Frage der eigenen Perspektive. Dabei ist Medizin einfach alles, was wir so unternehmen, um Krankheiten zu lindern oder zu heilen. Selbstverständlich gibt es in der so genannten „Schulmedizin“ wirkungslose Therapien und unter den alternativen Behandlungsmethoden wirkungsvolle. Die Homöopathie gehört allerdings nicht dazu.
Ich setze mich mit der Homöopathie auseinander, seit ich vor Jahrzehnten als Abiturient in einem homöopathischen Fachverlag mit Versandbuchhandlung gejobbt habe, darf also von mir behaupten, mich gut mit Homöopathie auszukennen und das aus einer zu Beginn positiven, unvoreingenommenen, „unverbildeten“ Haltung. Viele Menschen, die Homöopathika einnehmen, glauben, das sei eine Form von Naturheilkunde. Irgendwas mit Heilkräutern und vor allem: Sanft. Damit hat Homöopathie jedoch wenig zu tun. Sie basiert auf zwei Prinzipien: Der Simile und der Potenzierung.
Das Simile-Prinzip ist ein schöngeistiges, metaphysisches Konstrukt. Vermutlich weil Menschen Muster und Symmetrien lieben, wurde versucht, es in vielen verschiedenen Kontexten anzuwenden. Es besagt, dass gleiches mit gleichem zu heilen sei. Es lebt heute in der Homöopathie fort, genauso aber auch in der Impfung. Der wissenschaftliche Stand ist, dass es nur genau da funktioniert, wo das Immunsystem involviert ist, also bei einem Befall des Körper mit krankheitserregenden Mikroorganismen. Lustig ist in diesem Zusammenhang, dass so viele Homöopathie-Gläubige zugleich Impfgegner sind. Noch lustiger wird das ganze, wenn man weiß, wie die Homöopathie versucht, die Wirkungsweise der Mittelchen festzustellen: nämlich im Selbstversuch. Homöopathen stecken alles in den Mund, was nicht bei drei auf den Bäumen ist: von Heilkräutern und Chemikalien über Uran und Urin bis hin zu Hundekot und Menstruationsblut. Nach Einnahme dieser Sachen horchen sie in sich hinein und versuchen, die Symptome, die sich an sich wahrnehmen (oder wahrzunehmen glauben) den Symptomen typischer Erkrankungen zuzuordnen.
Das zweite Prinzip ist Potenzierung, die Verdünnung in Wasser bis hin zur Abwesenheit eines Wirkstoffes. Bei Potenzen wie D3 (1:1000) sind durchaus noch Wirkstoffe im Milligrammbereich im homöopathischen Mittel zu finden und können ggf. auch wirken. Bei (ganz überwiegend verabreichten) höheren Potenzierungen ist aber kein Wirkstoff mehr im Mittel enthalten. Wirken soll das trotzdem, indem Information irgendwie feinstofflich aus dem Wirkstoff auf das Wasser übertragen werden soll. Dann traut sich natürlich keiner mehr, gewöhnliches Leitungswasser zu trinken, weshalb diese Informationsübertragung natürlich nicht einfach so passiert, sondern nur, wenn man die Verdünnung mit rituellem Verreiben und/oder Schütteln verbindet. Anders gesagt: Es handelt sich um eine Form von Magie, weshalb es auch völlig korrekt ist, die Homöopathie der Esoterik zuzurechnen. Derlei magisches Denken ist reine Glaubenssache. Daran zu glauben ist nicht verwerflich, schließlich glauben wir viele Dinge, ohne sie zu wissen.
Der einzig wissenschaftlich nachweisbare Wirkmechanismus in der Homöopathie bleibt der Placebo-Effekt. Der wird immer gerne abgetan, ist aber sehr wichtig in der Medizin und funktioniert gut (übrigens auch bei Tieren). Die besondere Hinwendung des Heilpraktikers zum Patienten kann ebenfalls heilende Wirkung haben, ist aber heute jedoch immer weniger gegeben, da heute Homöopathika am häufigsten von normalen niedergelassen Ärzten ohne tiefere Anamnese verschrieben oder gleich ohne jeden Arztbesuch vom Patienten in der Apotheke gekauft werden.
Trotzdem wird immer wieder um die Wirkungsweise gestritten. Beliebt ist die Story von den „bösen Pharmakonzernen“, die Studien manipulieren. Dass hinter der Homöopathie heute ebenfalls ein Milliardenmarkt mit großen Konzernen steckt, wird dabei gerne übersehen. Homöopathie-Gläubige streiten wahlweise ab, dass die klassische Doppelblind-Studie Aussagekraft hat oder führen eigene Studien ins Feld. (Oft beides von den gleichen Personen.) Derlei Studien sind dann oft von Laien schon sehr leicht zu widerlegen. Zum Beispiel diese Pressemitteilung der Homöopathie-Union, dass ein bestimmtes homöopathisches Medikament innerhalb von 7 Tagen bei 90% der Probanden half, Erkältungskrankheiten zu heilen. Das klingt in der Tat eindrucksvoll. Aber nur solange, bis man sich klar macht, dass der übliche grippale Infekt unbehandelt üblicherweise 7-10 Tage dauert. Es ist eigentlich erstaunlich, dass am Ende der Studie nur 90% wieder gesund waren.
Genau aus diesem Trugschluss stammt auch der Grund, warum so viele (einschließlich mir früher) das Gefühl haben, Homöopathie helfe ihnen. Das ist ein subtiler psychologischer Effekt: Die rote Ampel. Wir haben oft das Gefühl, viel mehr roten als grünen Ampeln zu begegnen. Das liegt daran, dass wir die roten Ampeln als Störung wahrnehmen, während die grünen sofort aus unserem Bewusstsein streichen. Wenn du krank bist, hast du eine 99,9%ige Chance, von alleine wieder gesund zu werden. Du nimmst dann Medikamente (egal ob homöopathisch oder andere) und dir geht es irgendwann besser. Dir wäre auch so wieder besser gegangen, aber das Gefühl „Homöopathie hat mir geholfen“ hat sich als Erfahrung abgespeichert. Daher der verbreitete Glaube an die Wirkung der Homöopathie. Untersuchen wir sie wissenschaftlich, finden wir aber nur gleichverteilte rote und grüne Ampeln. Homöopathie wäre eigentlich harmlos bis hilfreich, wenn manche Leute nicht auf die Idee kämen, sie auch bei ernsten und schweren Erkrankungen einzusetzen und damit sich oder gar andere (z.B. ihre Kinder) zu gefährden.
Natürlich gibt es bornierte Ärzte und bornierte Wissenschaftler und vielleicht auch sinistre Pharmakonzerne, die ebenfalls unwissenschafltichen Bullshit in die Welt blasen. Sobald das genug Leute sehen und rufen: Der Kaiser ist nackt, verschwindet der Quatsch aber wieder in der Versenkung. Der Kaiser „Homöopathie“ läuft seit 200 Jahren nackt herum, aber statt zu rufen, „der ist ja nackt“ erzählen sich einige lieber Gerüchte über sein schönes Gemächt.