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  • Qualitätsjournalismus

    tl;dr: Journalistische Debatten über Trolle kann ich nicht ernst nehmen, solange nicht auch mal die Trolle in den eigenen Redaktionen thematisiert werden.

    zeitungen

    Der Journalismus hat den Troll entdeckt. Nachdem in anderen Kontexten schon viele Menschen aus Foren, Twitter oder Facebook rausgemobbt wurden, wird es auch den den Redaktionen zu viel: Der Troll treibt sein Unwesen in ihren Kommentarspalten, die zunehmend dicht gemacht werden. Das Heise-Forum ist längst überall. Die Redaktionen reagieren darauf mit neuen Modellen: Strengeres Community-Management, Kommentare nur noch für Abonnenten, gelenkte Diskussionen. Gleichzeitig ist er spannend, dieser Troll. Wer sind eigentlich diese Leute, die Kommunikation zerstören, Menschen mit verbaler Gewalt in die Verzweiflung und aus dem Netz treiben? Darüber erschienen in den letzten Wochen etliche Geschichten. Und wie umgehen mit dem Troll? Offen bekämpfen, einfach löschen und rauswerfen oder – „Don’t feed the troll!“ – ihn ignorieren? Die jahrealte Netzdebatte ist im Mainstream angekommen. Der Troll wird als Objekt der Berichterstattung zu Hause besucht.

    Irgendwas jedoch fehlte mir an der ganzen Debatte, das ich zunächst nicht näher benennen konnte und mir erst gestern klar wurde. Was ist eigentlich mit Trollen in den Reihen der Redaktionen? Was denkt sich der Online-Redakteur bei „Spiegel Online“, der nach Artikeln über #Aufschrei oder Anita Sarkeesian den nächsten Fleischhauer freischaltet? Wie ist das so, sich bei der „Zeit“ immer wieder mit Rassismus und Frauenfeindlichkeit auseinander zu setzen, nur um dann Lesern, die sich für eine Welt mit weniger Diskriminierung einsetzen, den nächsten Martenstein reinzuwürgen? Und warum muss die F.A.Z. erst investigativ einen Bilderbuch-Troll irgendwo in der Provinz ausgraben, wo doch die Telefonnummer von Don Alphonso gereicht hätte?

    Die Antwort scheint ganz einfach: Trolle sorgen für Aufregung und Empörung. Sie bringen Traffic, Klicks und Umsatz. Die einen rufen „Endlich sagt’s mal einer!“, die anderen regen sich – meist zurecht – darüber auf, welche menschenverachtende Scheiße da wieder ins Netz gekippt wurde. Und das nicht auf irgendwelchen Blogs, in denen Trolle sowieso schreiben können, was sie wollen, sondern mitten im selbsternannten „Qualitätsjournalismus“. Der Troll, heißt es, genießt die Aufmerksamkeit. Er lebt geradezu davon, Unruhe zu stiften, Menschen zu verletzen und Hass zu verbreiten. Das ist natürlich auch ein Geschäftsmodell. Und Trolle sind halt immer die anderen.

  • Wir nennen es Buch

    Wie sollen Verlage damit umgehen, dass immer mehr Menschen Bücher vor allem im Internet lesen, wo eine kostenlose Version der Texte oft nur wenige Klicks entfernt ist? Die Plattform Sobooks versucht, eine Antwort zu geben.

    Weiterlesen in der Jungle World

  • Links der Woche

    • 5 Conspiracy Theories That Are So Dumb They’re Brilliant:

      „It would be nice to live in a world where there’s no such thing as random tragedy and where every terrible event could be linked back to a villainous puppet master via a chain of subtle but obvious clues. We don’t, though. Luckily, there is a fiercely insane contingent of people who are convinced that everything is a conspiracy, and reading their hilariously daffy theories about the exhausting web of deceit hiding behind recent events can occasionally make our indiscriminately destructive existence more bearable.“

    • Mama Leaks:

      „Und da wird es deutlich. Es geht bei Überwachung gar nicht um die tatsächlichen Geheimnisse, die man zu verbergen sucht sondern darum was andere durch Einzelbeobachtungen und deren Misinterpretation über das eigene Leben und Verhalten schließen.“

    • Die besten Ausreden für Misshandlungen von Flüchtlingen:

      „Die US-Soldaten in Abu Ghraib hatten noch richtige Ausreden für ihr Ausrasten: Krieg, 15 Monate Einsatz in der Wüste, Schusswechsel und Selbstmordattentäter sobald man den Stützpunkt verläßt. Damit kann das Wachpersonal in Nordrhein-Westfalen nicht mithalten, so anstrengend Einzelne die abendliche Heimfahrt auf der A 45 oder das schlechte Fernsehprogramm im Pausenraum auch empfinden mögen.“

    • »Stirb, Du Hure!« – Lasst uns endlich über Einschüchterungskultur statt abstrakter Netzpolitik reden:

      „In diesem Zug werden wir auch über die Schattenseiten von Anonymisierungstechnologien reden müssen. Dienste wie Tor und Cypherpunk werden als wichtiges Gut für eine demokratische Gesellschaft hochgehalten. Dass viele Menschen in diesen Gesellschaften aber unter Missbrauch der Dienste leiden und in Angst leben, wird als Kollateralschaden kommentarlos akzeptiert. Es geht hier nicht darum, diese Dienste per se zu verteufeln. Sie erfüllen einen wichtigen Zweck. Aber sie sind auch kein Allheilmittel, dessen schädigende Folgen ignoriert werden dürfen.“

    • Virtuelle Realität. Der Friedenspreis für Jaron Lanier – und die Missverständnisse, auf denen er beruht:

      „Einen “der Pioniere in der Entwicklung des Internets” und “wichtigsten Konstrukteure der digitalen Welt”, der “als führender Wissenschaftler ein Projekt mehrerer Universitäten zur Erforschung des ‘Internets 2′” leitet, glaubt der Börsenverein des deutschen Buchhandels zu ehren. Frank Schirrmacher nennt ihn in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung den “Informatiker, der das Internet mitentwickelte”, Die Zeit einen einstigen “Evangelisten des Silicon Valley”, der wie ein moderner Saulus “gewissermaßen ein Dissident seiner selbst” geworden sei. Der Schönheitsfehler: Nichts davon stimmt.“

  • Kommt die Singularität und wenn ja, wieviele?

    Mein Vortrag „Singularität in der Nussschale“ auf der „Open Mind 2014“ ist jetzt bei YouTube online.

  • Links der Woche

    • Helden, die die Regeln brechen:

      „Die sehr flexible Haltung zu Regeln, die vielen “Helden” ihre “Heldentaten” erlaubt, macht es eben auch sehr einfach, sich über die Regeln sozialen Umgangs zu stellen.“

    • Why is it so hard to be good?:

      „Warum scheinen die Vernetzungs- und Partizipationsmöglichkeiten des Netzes so viel mehr den Hatern, Trollen und generell der Bösartigkeit zugutezukommen? Warum schützt Anonymität so viel häufiger die Stalker als die Verfolgten? Warum kommt bei dem Versuch neue politische Versuche mithilfe des Netzes zu unternehmen, die Piratenpartei heraus? Warum sieht es so aus, als sei das Online-Geschäftsmodell für Journalismus gefunden, und es heisst heftig.co?“

    • Gegen die Hilflosigkeit | Das Nuf Advanced:

      „Man muss nichts über Feminismus wissen, man muss nichts über diese Personen wissen, im Grunde reicht es einfach zuzuhören und sich dann zu fragen: Möchte ich Teil dieser Onlinekultur sein? Mehr nicht. Und für mich ist die Antwort glasklar: Nein. Ich möchte nicht. Nicht mal passiv.“

  • Links der Woche

    • Merkels versaute Raute:

      „Für die Deutsche Gebärdensprache lässt sich das recht unspektakulär verneinen. Die Gebärde für „Vagnia“ erinnert hier nicht einmal entfernt an Merkels Raute – sie besteht darin, die Hand von der im linken Bild gezeigten Handstellung zu der im rechten Bild gezeigten zu bewegen.“

  • Termine im Oktober

    Auch im Oktober werde ich wieder Vorträge zum Thema Cyborgism halten oder Schabernack auf Lesebühnen treiben:

    • 06.10.2014 um 15.45 Uhr Vortrag: Leben mit dem Cochlea-Implantat – was die Erweiterung meiner Sinne für mich und die Gesellschaft bedeutet. NERRI Konsortium, Uni Mainz
    • 16.10.2014 um 20.30 Uhr Lesebühne: Read on my Dear mit Frédéric Valin, Enno Park und Gästen, Z-Bar, Bergstr. 2, Berlin
    • 24.10.2014 um 20.00 Uhr Lesebühne: Read on my Dear zu Gast im KuZe, Potsdam
    • 25.-26.10.2014 Vortrag (Thema noch offen) auf dem HuMITec Barcamp im Zentrum für Kunst und Urbanistik, Siemensstr. 7, Berlin
  • Links der Woche

    • Zum antisemitischen Gehalt von Ungeziefer-Metaphern:

      „Aus dieser kollektiven Dimension der Ungeziefer-Metaphorik ist der Antisemitismus nicht herausredigierbar – und das gilt für alle Fälle, in denen sie verwendet wird, von den explizit antisemitischen Ungeziefer-Metaphern in arabischen Medien bis hin zur Heuschrecken-Metaphorik der Antiglobalisierungsbewegung. Denn der kollektive Symbolgehalt überlagert jede Form individueller Abweichung.“

  • Links der Woche

    • Auf Pilzen in einem Katzencafé:

      „Ich teilte mir ein Glas Wasser mit einem der sonnengebadeten Kätzchen. Es erzählte mir vom tragischen Tod von Joan Rivers. Es kam mir vor, als ob dieses Kätzchen die Zerbrechlichkeit des Lebens besser verstand als alle Menschen, die ich bis jetzt kennen gelernt hatte. Ich sah ihm tief in die Augen und mir wurde klar, dass es die Reinkarnation von Joan Rivers war. Diese große Dame des Entertainment lies mich ihr Fell streicheln, was sich zugleich seltsam und tröstlich anfühlte.“

    • Allgemeine Geschäftsbedinungen:

      „Und natürlich liest die niemand durch. Wie auch? Sie bestehen in der deutschen Fassung aus 14.339 Wörtern, beziehungsweise 105.700 Zeichen. Zum Vergleich: Ein Buch mit ungefähr 180 “Standardseiten”, wie sie im Verlagsgeschäft heißen, hat 320.000 Zeichen.“

    • Anmerkung zur Rechtschreibung:

      „Mir geht es ohnehin auf den Wecker, wie schnell gerade alle Meinungen zu allem haben. Ich gucke mir das erst einmal an. Sohn I ist seit drei Wochen in der Schule, er hat seinen ersten Satz geschrieben und kann auf Zuruf den Einkaufszettel wunschgemäß erweitern. Das finde ich so schlecht nicht. Da er gemerkt hat, dass bei vielen Begriffen verschiedene Schreibweisen denkbar sind (Laks, Lax, Lags, Lachs), hat er mich gebeten, die Erwachsenenschreibweise neben seine Variante zu schreiben. Das guckt er sich dann beides an – und das finde ich auch nicht schlecht.“

    • Wie AfD vertreiben? Das Problem löst sich mit Links.:

      „Wie AfD vertreiben? Die aktuelle politische Debatte um den Erfolg der AfD geht in eine völlig falsche Richtung und missachtet die traurige politische Wirklichkeit. Eine Meinung.“

    • Die Sache mit dem Inhalt |:

      „Regener (Jahrgang 1961) und Bono (Jahrgang 1960) trennt inhaltlich vielleicht weniger als die 902 Tage, die zwischen beiden Zitaten liegen. In dieser Zeit ist aber Realität geworden, was schon länger im Raum steht: ein veränderter Umgang mit Inhalt im digitalen Raum.“

  • Warum ich der DVD und meiner Videothek weiterhin treu bleibe

    netflix

    Ich hab mich auf Netflix gefreut und wollte das Angebot mit Fargo mal testen. Da wird nun nichts draus – ihr Marktstart in Deutschland gerät dermaßen unsympathisch, dass ich einfach keine Lust habe, denen Geld zu geben. Schade um Fargo, aber warten wir halt auf die DVD. Ich komme sowieso mit Gucken nicht hinterher und werde der ollen Scheibe noch eine Weile treu bleiben. Weil:

    Streaming fand ich immer schon spannend. Information at your fingertips und so. Eigentlich genau das, wofür das Internet gut sein sollte. Leider gibt es auch im Jahr 2014 keine guten Angebote. Wer sich erst einmal daran gewöhnt hat, Serien im Original zu schauen, empfindet jede Synchro als akustische Zumutung. Und weil das oft anstrengend ist, braucht es Untertitel und zwar bei englischsprachigen Serien auch englische Untertitel. Das bieten die bestehenden Streaming-Dienste derzeit gar nicht oder höchstens sporadisch an.

    Aber auch beim Programm ist jede Videothek einem herkömmlichen Streaming-Dienst überlegen. Gestern kam auf SPON ein Vergleich der Streaming-Plattformen: Der Markt ist zu zersplittert und für ein *gutes* Angebot müsste ich mich gleich bei mehreren Streaming-Diensten anmelden, was bis zu 50€ im Monat kosten würde, und würde dann immer noch eine Videothek brauchen. Wozu also als fürs Streaming bezahlen?

    Von illegalen Plattformen abgesehen ist eine gut sortierte (Programm-)Videothek weiterhin jedem Streaming-Dienst überlegen. Um das Problem aufzulösen, brauchen wir eigentlich einen plattformneutralen Hub, der alle Filme/Serien bereitstellt. Das wäre doch die Aufgabe für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Internetzeitalter, für den wir sowieso schon eine Art Flatrate abdrücken (müssen). ARD, ZDF, übernehmen Sie!

    Ok, kommt die soziale Komponente hinzu. Meine Herzensvideothek (ich krieg nix für den Link, ich mag den Laden) ist eine kleine und äußerst feine Programm-Videothek, in der ich meistens länger verweile als gedacht, weil ich mich mit dem Inhaber verquatsche. Er ist bisher noch jedem Algorithmus überlegen, wenn es darum geht, mir interessante Filme und Serien vorzuschlagen, und hat ein offenes Ohr, Kundenwünsche zu bestellen. Ich mag es, ihm Einsfuffzich auf den Tresen zu legen und einen schönen Kiezladen damit am Leben zu erhalten. Ok, Großstadtidylle. Auf dem Land gibt es keinen 5-Minuten-Fußweg zur nächsten Videothek. Aber hey! Auf dem Land gibt es in Deutschland auch kein ausreichendes Internet für akzeptables Streaming.

    Ok, das wird sich alles ändern und Videotheken werden aussterben. So wie der Markt derzeit aussieht, wird das aber dann aber doch noch ein Weilchen dauern…