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  • Liquid Feedback und das Wahlgeheimnis

    Als Liquid Feedback entwickelt wurde, stellte sich schnell die Frage, wie man verhindert, dass ein Wahlcomputer draus wird. Wir erinnern uns an die Wahl von George W. Bush im Jahr 2000, die heute noch von vielen angezweifelt wird und bei der Wahlmaschinen eine unrühmliche Rolle gespielt haben. Wahlcomputer sind extrem manipulationsanfällig. Der CCC hat das hier sehr gut zusammengefasst. Wenn es also darum geht, irgend eine Form von Wahlcomputern zu verwenden, kann die Antwort nur heißen:

    NO. FUCKING. WAY. 

    Nun besteht aber ein hoher Leidensdruck in der Piratenpartei, Basisdemokratie (oder wie ich lieber sage: Mitgliederdemokratie) umzusetzen. 1400 Seiten Antragsbuch für den nächsten Bundesparteitag sprechen für sich. In Bochum wird aus Zeitgründen wieder nur über einen kleinen Teil der Anträge abgestimmt und zwar von höchstens 2560 Personen. Direkte Demokratie stößt da schnell an ihre Grenzen. Versammlungen sind naturgemäß begrenzt, während eine Teilnahme an Abstimmungen über das Internet zeitlich und räumlich entzerrt eine breitestmögliche Beteiligung erlaubt. Liquid Feedback ist dafür hervorragend geeignet, zumal meine Stimme dank Delegation nicht verloren geht, wenn ich mal keine Zeit habe.

    Bauen wir damit nicht einen Wahl- bzw. Abstimmungscomputer? Genau das tun wir – aber es gibt eine Möglichkeit, das eingangs beschriebene Problem zu umgehen: Das Open-Source-Prinzip anwenden. Jeder Teilnehmer muss alles zu jeder Zeit kontrollieren können. Von der verwendeten Software über die Stimmberechtigung und Identität aller Teilnehmer bis hin zur Abstimmung muss jeder Einblick in sämtliche Details bekommen. Das System muss vollkommen offen betrieben werden. Das bedeutet auch, dass alle Teilnehmer von allen anderen identifiziert werden können. Dafür benutzen wir mangels besserer Alternativen den Namen, der im Personalausweis steht.

    Hier wenden Kritiker aber ein, das Demokratieprinzip sei verletzt. Wahlen und Abstimmungen müssten frei, gleich und geheim sein. Auf Versammlungen ist das kein Problem: Es ist allgemein akzeptiert, dass Abstimmungen offen durch Heben einer Stimmkarkte und nur in Ausnahmefällen auf Antrag geheim durchgeführt werden, wenn die Mehrheit der Versammlung dafür ist. Lediglich Personenwahlen werden grundsätzlich geheim durchgeführt. Es hat also Gründe, warum sämtliche Personaldiskussionen in Liquid Feedback verpönt und verboten sind. Es spricht aber nichts dagegen, Liquid Feedback als eine Form der ständigen Mitgliederversammlung mit offenen Abstimmungen zu benutzen.

    Trotzdem haben die Kritiker recht, wenn sie ein Wahlgeheimnis einfordern. Als Lösung wird die Verwendung von Pseudonymen angesehen, gerne kombiniert mit einer „Tresorlösung“, bei der die Feststellung der Identität von Teilnehmern nur durch wenige befugte Personen möglich ist. Eine solche Lösung ist nur ein Kompromiss: Die Nachvollziehbarkeit des System wird stark behindert, ohne dass ein Wahlgeheimnis hergestellt würde. Auch hier kann eine Person in ihrem Abstimmungsverhalten „überwacht“ werden, die Daten liegen ja im Tresor. Vereinfacht gesagt: Wenn jeder nachträglich doch rauskriegen kann, wer wie abgestimmt hat, verhindert das weder sozialen Druck noch von den „Nazis der Zukunft“ an die Wand gestellt zu werden. Aus diesem Grund werden auch im kommenden Liquid Feedback für Pankow die Abstimmungsdaten nach einem Jahr gelöscht.

    Das Wahlgeheimnis müssen wir also irgendwie anders sicherstellen, ohne vom System zu verlangen, was es nicht leisten kann. Eine geheime Abstimmung muss also komplett außerhalb des Systems stattfinden. Eine denkbare Lösung wäre, innerhalb von Liquid Feedback ein Regelwerk „Vertagen in geheime Abstimmung“ einzuführen. Damit kann jede Abstimmung für nichtig erklärt und auf die nächste Gebietsversammlung vertagt werden, wo sie automatisch geheim abgestimmt wird, sobald ein festzulegenden Quorum erfüllt ist. Das Quorum darf nicht zu niedrig sein, damit keine Einzelpersonen das ganze System trollen können, aber auch nicht zu hoch, um den Minderheitenschutz zu gewährleisten.

    Wichtig wäre noch, dass sich die entsprechende Mitgliederversammlung verpflichtet, die geheimen Abstimmungen auch durchzuführen. Das ist übrigens mit relativ wenig Aufwand möglich: Statt jeden Antrag nochmal durchzukauen, wird einfach zu Beginn der Versammlung ein Stimmzettel mit allen Streitfragen ausgeteilt, der wie ein Multiple-Choice-Test ausgefüllt werden kann. Die Stimmabgabe erfolgt in der ersten Versammlungspause, die Auszählung während oder nach der Versammlung. Natürlich öffentlich. Auch elegant an der Lösung ist, dass sie nachträglich auf bereits laufenden Systeme angewandt werden kann. Liquid Pankow kann trotzdem sofort starten.

    P.S.: Briefwahlmodelle sind natürlich auch denkbar. Wir brauchen ja sowieso noch einen Mechanismus für Urwahlen. Aber das ist ein anderes Kapitel und soll ein andermal erzählt werden.

  • Direkte Demokratie ist doof

    tl;dr Wirklich ausgewogen ist Demokratie nicht schon, wenn wir über alles abstimmen können, sondern erst wenn wir frei entscheiden können, worüber wir abstimmen möchten und in welchen Fällen wir unsere Stimme lieber delegieren.

    Direkte Demokratie ist doof. Ich meine gar nicht mal die klassischen Totschlagargumente. Direkte Demokratie hat einen ganzen Haufen weiterer Nachteile:

    1. Auf dem Wahlzettel habe ich in der Regel nur die Wahl zwischen zwei Varianten. Ich kann weder beide ablehnen noch eine dritte entwickeln. Wenn ich die Wahl habe zwischen „Nördlichen Mauerpark bebauen“ und „Nördlichen Mauerpark nicht bebauen“, kann ich nicht auf den Wahlzettel schreiben „Nördlichen Mauerpark bebauen, aber nur mit Sozialwohnungen.“ Und mit ein wenig Pech ist der Stimmzettel auch noch manipulativ verfasst wie bei der Abstimmung über Stuttgart 21.
    2. Ich brauche Zeit. Wenn ständig irgendwelche Abstimmungen sind, muss ich mir für diese Abstimmungen auch ständig Zeit nehmen. Bei Wahlen und Volksabstimmungen habe ich Pech gehabt, wenn ich am Wahlsonntag nicht kann. Möchte ich an einem Parteitag der Piratenpartei teilnehmen, muss ich dorthin reisen und eine Übernachtung klar machen. Schaffe ich das nicht, verfällt meine Stimme.
    3. Ich brauche Ahnung. Was hilft es mir, wenn ich über alle möglichen Dinge abstimmen kann, wenn ich keine Ahnung von ihnen habe? Wenn ich nicht einschätzen kann, ob Satzungsänderungsantrag Nummer 41 nun gut für uns ist oder nicht? Oder wenn mir das egal ist, aber nicht sein sollte?

    Die Anhänger der direkten Demokratie schwärmen noch heute von der altgriechischen Polis. Die hatte zwar etwa 6000 Mitglieder, Athen aber 40.000 Einwohner. Teilnehmen konnten nur Männer und zwar solche, die wirtschaftlich gut gestellt waren, weil sie Sklaven hielten und dementsprechend Zeit und finanzielle Unabhängigkeit für Politik hatten. Die Sklaven waren natürlich von der Polis ausgeschlossen, genauso wie übrigens auch die Frauen. Mit Demokratie, wie wir sie heute verstehen, hat das nicht mehr viel zu tun. Dennoch war das ganze Gebilde zu sperrig, Athen wählte sich zusätzlich den Rat der 500, schon damals fing man an zu delegieren.

    Heute haben wir die Wahl zwischen Parteien. Wählen kann ich nur das Gesamtpaket. Einmal gewählt, beugen sie sich Sach- und Koalitionszwängen. Im Berliner Abgeordnetenhaus wollen derzeit alle Parteien die Absenkung des Wahlalters auf 16. Alle bis auf eine: Die CDU will das nicht und verhindert ihre Minderheitsposition erfolgreich per Koalitionsvertrag. Abgestimmt wird darüber nicht und bis zur nächsten Wahl muss ich vier bis fünf Jahre warten. Dann sind die 16jähren von heute 20 und dürfen sowieso schon wählen… Die Mitbestimmung bei fast allen Fragen, die im Abgeordnetenhaus verhandelt werden, bleibt mir als Bürger defacto verwehrt, und wenn ich noch so pflichtbewusst wählen gehe.

    Das Antragsbuch für den Bundesparteitag 2012 der Piratenpartei in Bochum ist 1400 Seiten dick. Wirklich lesen kann das eigentlich keiner, jedenfalls nicht ernsthaft alle Anträge abwägen und sich eine fundierte Meinung bilden. Nur ein Bruchteil der Anträge wird überhaupt abgestimmt werden. Um die Antragsreihenfolge festzulegen, wird eine Umfrage per Limesurvey gemacht – eine Art Vorwahl mit einem Online-Tool, das gleich in mehrfacher Hinsicht völlig ungeignet und manipulationsanfällig ist.

    Wenn schließlich über die Anträge abgestimmt wird, werden nur etwa 1500 Piraten vor Ort sein – von etwa 34.000. Da es keine Delegierten gibt, ist das Stimmgewicht unter den einzelnen Landesverbänden ungleich verteilt. Auf dem Papier kann zwar jeder mitmachen, in der Praxis bestimmt aber eine kleine, aktive, gut organisierte, finanziell nicht allzu prekäre, Zeit habende und vor allem eine nicht gewählte Partei-Elite, wo es lang geht. Auf diesem Wege direkte Demokratie und allgemeine Mitbestimmung verwirklichen zu wollen, ist hoffnungslos. Daran sind zuletzt die Grünen gescheitert und verteilte Parteitage werden das nur graduell verbessern. Ein Delegiertensystem wäre demokratischer und gerechter als das, was wir derzeit in der Partei praktizieren.

    Wäre es nicht unglaublich großartig, wir hätten ein System, in dem wir abstimmen könnten, wann wir gerade Zeit haben und ohne reisen zu müssen, eigene Alternativ-Anträge stellen könnten, wenn wir die vorhandenen Anträge nicht ausreichend finden, frei entscheiden könnten, worüber wir abstimmen und was wir an an Personen unseres Vertrauens delegieren möchten, wenn wir von einem Thema keine Ahnung haben oder es uns nicht interessiert, und das auch für tausende von Teilnehmer geeignet ist… oh wait!

    P.S.: Was wir außerdem noch brauchen, ist die Urwahl von Vorständen. Aber das ist ein anderes Kapitel und soll ein andermal erzählt werden.

  • Katzencontent

    Christian Heller und ich erzählen in der der Sendung „Shift“ bei Deutsche Welle TV ein wenig über Katzencontent.

  • Links der Woche

    • Auf der Flucht:

      “Ich bin Kind eines Flüchtlingskinds. Meine Großmutter wurde in Essen ausgebombt und begab sich mit ihren drei kleinen Kindern (6, 5 und 4 Jahre) auf die Flucht; mein Großvater war gefallen. Zunächst ging es nach Bayern, später in die Lüneburger Heide. Sie hatten das Glück und das Pech, eine Familie von vielen zu sein, die im eigenen Land, der Not gehorchend, von jetzt auf sofort bei Fremden Unterkunft finden mussten und sich mit dem Versorgungsamt herumschlagen durften.”

    • Armutsrisiko Scheidung: Arme Frau:

      “Es ist die Geschichte eines normalen Frauenlebens in einem reichen Land, das sich daran gewöhnt hat, dass Mutterwerden eines der großen Armutsrisiken ist. Vor allem weil es in der Regel die Mütter sind, die den Beruf unterbrechen, Hausfrau werden und merken, dass der Arbeitsmarkt diese Entscheidung später mit aller Härte bestraft.”

  • #RefugeeCamp, die Medien und die Relevanz

    Asylanten in Deutschland: Sie dürfen nicht arbeiten, ihren Landkreis ihr Bundesland nicht verlassen und leben unter unwürdigen Umständen in Notunterkünften, wo sie mehr schlecht als recht verwaltet werden und auf den Ausgang ihres kafkaesken Verfahrens warten, das zumeist bedeutet: Abschiebung. Ein verzweifeltes Häuflein Asylsuchender lehnt sich auf und beginnt einen mehrwöchigen Marsch von Würzburg nach Berlin.

    In Berlin angekommen treten sie auf dem Pariser Platz in einen Hungerstreik, um auf die Ausweglosigkeit ihrer Lage aufmerksam zu machen. Es kommt zur Räumungsversuchen. In der ersten Nacht soll es zu Polizeigewalt gekommen sein, aber auch die Polizei beklagt, ein Kollege sei gebissen worden. Das Häuflein wird geduldet, die Asylsuchenden kampieren weiter an Ort und Stelle. In der 5. Nacht versucht die Polizei um 3 Uhr morgens das Camp zu räumen, was nur misslingt, weil mittlerweile etliche Unterstützer vor Ort sind und auch die Nacht über bleiben.

    Die verantwortlichen Politiker lavieren herum: Der Senat und das Bezirksamt wollen natürlich klar machen, dass kampierende Asylanten vor dem Brandenburger Tor nicht willkommen sind. Sie wollen sich aber auch nichts zu Schulden kommen lassen, schon gar keinen Menschenrechtsverstoß. Vielleicht helfen ja schikanöse Auflagen.

    Mittlerweile haben sich Minusgrade eingestellt. Kampieren ist vor dem Brandenburger Tor verboten. Die Polizei sammelt alles ein, was als Unterlage und Schutz vor Kälte dienen könnte: Zelte, Schlafsäcke, Isomatten, Planen, Kissen. Die Demonstranten sollen lediglich dort herumstehen dürfen. Unterstützer Helfen mit mehr Kleidung. Heißes Wasser wird in Termoskannen herangeschafft. Am folgenden Tag müssen Demonstranten und Unterstützer zweitweise herumstehen und ihre Habe in Tüten hochhalten, damit die Polizei sie ihnen nicht wegnimmt. Zelte werden durch Regenschirme ersetzt, was natürlich nicht funktioniert.

    Die Zahl der Unterstützer steigt. Politiker verschiedener Parteien stellen sich ein, unter anderem Petra Pau von der Linken und der Altgrüne Hans-Christian Ströbele und viele, viele Piraten. Sie kommen aber ohne ihre Fahnen: Es soll nicht der Eindruck entstehen, man wolle auf dem Rücken der Asylbewerber Wahlkampf machen. Mittlerweile bilden sich über Twitter organisierte Mahnwachen in Hamburg, München und Düsseldorf. Gelegentlich taucht der eine oder andere Reporter auf. Es reicht nur zu einem Dreizeiler in der „Berliner Zeitung“.

    Erst als ein paar bekannte Piratinnen ankündigen, sich vor dem Camp auszuziehen, ändert sich das Bild. In Erwartung nackter Brüste stellt sich ein ganzer Trumm von Fotographen ein. Darunter mehrere TV-Kameras. Statt nackter Haut gibt es jedoch nur Parolen auf Unterwäsche: Die Medienvertreter sollen sich schämen, dass sie wegen sowas in Scharen aufkreuzen, während nebenan Menschen hungern. Aber Asylanten sind numal nicht „sexy“.

    Jedenfalls haben die Medien nun ihre Story, die Aufmerksamkeit ist endlich da. Ein Beispiel: Dominik Rzepka von der ZDF-Heute-Redaktion. Er hielt die die Ereignisse rund um das #RefugeeCamp zunächst nicht für berichtenswert. Begründung:

    Journalismus ist ein Handwerk. Es gelten nachrichtliche Kriterien. Relevanz, Betroffenheit, Prominenz – das sind einige der Kriterien, nach der wir Ereignisse abzuklopfen haben. Bitte bekommt jetzt keinen Schaum vor den Mund. Aber: Eine Demonstration von 20 Menschen erfüllt diese Kriterien eigentlich nicht. Damit will ich überhaupt nicht sagen, dass die Demo unwichtig ist. Aber die Relevanz überschreitet meiner Meinung nach eine gewisse Schwelle nicht.

    Ja, ich weiß, wir neigen dazu, völlig zu überschätzen, was in unserer Filterblase passiert und uns für den Nabel der Welt zu halten, weil viele der Ereignisse irgendwo zwischen Piraten und „Netzgemeinde“ eben nicht relevant genug sind für Tagesschau & Co. Ich habe selber oft genug mit einem versprengten Häuflein Demonstranten am Neptunbrunnen gegen ACTA oder INDECT demonstriert und weiß, dass 20 Demonstranten bei weitem nicht die Relevanz für die Abendnachrichten hat.

    Weiter unten in seinem Text führt Rzepka allerdings aus, das schließlich doch berichtet wurde, weil „das Web“ darüber rede. Wenn tausende Tweets durch die Timeline-Rauschen und das Hashtag #RefugeeCamp auf Platz 1 der Trending Topics steht, lässt sich eine Angelegenheit medial nur noch schwer ignorieren. Genauso wenig, wie sich die nackten Brüste von ein paar Piratinnen ignorieren lassen. Herr Rzepka hat indirekt zugegeben, dass das ZDF nichts anderes tut als RTL und „Bild“: Nur senden, was die Leute aufregt. Sowas nennt man Boulevard-Journalismus – Gebürengelder hin, Bildungsauftrag her.

    Seit Jahren herrschen untragbare Zustände in Asylbewerberheimen, während unsere Asylgesetzgebung die Menschenrechte mit Füßen tritt. Ein wochenlanger Marsch und ein Hungerstreik vor dem Pariser Platz, wo nur eingefordert wird, dass die unveräußerbaren Rechte im Grundgesetz und die Menschenrechte bitte schön für alle Menschen gleichermaßen gelten müssen – das ist nicht relevant. Das ist für sich genommen nicht berichtenswert, auch wenn es mitten in Deutschland passiert.

    Eigentlich erbärmlich. Nein. Uneigentlich.

  • Links der Woche

    • Umgang mit Intersexualität: Aus der Haut gefahren:

      “Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit werde ignoriert, sagt Veith. Wer macht sich – ein Beispiel – klar, was es für ein intersexuelles Kind bedeutet, wenn es eine „Neovagina“ bekommt, wenn es „penetrationsfähig gemacht wird“? Sie weiß es: „Die Neovagina muss bougiert werden, also geweitet.“ Wie? „Die Eltern müssen jeden Tag mit dem Finger in die Vagina gehen und ein Phantom einführen. Das Kind muss damit schlafen.”

    • Bundesregierung will Auskunft über IP-Adressen neu regeln:

      “Im heise online vorliegenden Entwurf wird betont, dass die Auskunftspflicht auch für Daten wie PIN-Codes und Passwörter gilt, mit denen der Zugriff auf Endgeräte oder damit verknüpfte Speichereinrichtungen geschützt wird. Dies könnte sich etwa auf Mailboxen oder in der Cloud vorgehaltene Informationen beziehen.”

    • Rainer Brüderles total irres Inflationspapier:

      “Rainer Brüderle hat noch nie eine Gelegenheit ausgelassen, mit einem populären Thema in die Schlagzeilen zu kommen – sein “Programm zum Inflationsschutz”, wie es heute vom Handelsblatt zitiert wird, ist allerdings eine Klasse für sich.”

    • Festnahme wegen der Bezeichnung von Scientology als Sekte:

      “In der Vergangenheit führte dieser Abschnitt 5 im Public Order Act von 1986 unter anderem zu Festnahmen eines Teenagers, der die Scientology-Organisation auf einem Protestplakat als “gefährliche Sekte” bezeichnete, eines Oxforders, der fragte, ob ein Polizeipferd schwul sei, und eines Kaffeehausbesitzers, der in seinem Lokal Zitate aus der Bibel zeigte. Atkinson fühlt sich anhand solcher Fälle an seine Serie Constable Savage erinnert (in der ein Polizist einen ihm nicht genehmen Schwarzen wegen völlig haarsträubender Vorwürfe festnimmt) und konstatiert, dass die Realität die Parodie mittlerweile eingeholt hat.”

    • Weltuntergang 2012: Ein Leitfaden für Journalisten – Astrodicticum Simplex:

      “Es geht schon langsam wieder los; die Medienanfragen häufen sich und immer mehr Journalisten machen sich daran, den einen oder anderen Weltuntergangsartikel zu schreiben oder zu planen. Leider schwirrt bei diesem Thema so wahnsinnig viel Unsinn durch die Gegend, dass es oft schwer ist, brauchbare von bescheuerter Information zu trennen. Als kleinen Service für die Journalisten – und weil ich es nicht aushalte, noch einen weiteren Artikel zu lesen der mit “Am 21. Dezember endet der Maya-Kalender” anfängt – möchte ich hier noch einmal die wichtigsten Fakten wiederholen und vor allem die häufigsten Fehler und falschen Vorstellungen richtig stellen, die im Zusammenhang mit dem 2012-Kram in der Berichterstattung immer wieder auftauchen.”

    • Outlawed by Amazon DRM:

      “A couple of days a go, my friend Linn sent me an e-mail, being very frustrated: Amazon just closed her account and wiped her Kindle. Without notice. Without explanation. This is DRM at it’s worst.”

    • Warum Nicht-Wählen in den USA nicht so problematisch ist (rechnerisch zumindest):

      “Deutsche sind entsetzt, mit welcher Nonchalance Amerikaner nicht zur Wahl gehen. Hier prallen unterschiedliche Weltansichten aufeinander: Während der US-Bürger nicht einsieht, seine Stimme abzugeben, wenn ihm beide alle Kandidaten nicht gefallen und es schon mal mit einem Spruch wie Don’t vote, it only encourages the bastards abtut, lernen Bundesbürger schon als Kinder: “Nicht zu wählen ist die schlechteste Wahl.” Da werden düstere Warnungen über die Zukunft der Demokratie ausgesprochen, die Amerikaner wiederum nach 200 Jahren Erfahrung mit der ganzen Sache irgendwie nicht ernst nehmen.”

    • „Der Staat verzerrt den gesamten Arbeitsmarkt“ | Telepolis:

      Hinter der Diskussion über das Existenzminimum wird die Debatte um die Entrechtung der Arbeitslosen, den Abbau ihrer Gestaltungsspielräumen, Mitsprachemöglichkeiten und die Demütigung durch Verwaltungsprozeduren und “Helfer”, denen sie völlig ausgeliefert sind, oft vergessen.”

  • Themen, Köpfe, whatever – politische Arbeit braucht Kompetenz

    Ein Gastbeitrag von @astefanowitsch

    Die Piratenpartei hat einen Schlachtruf: „Themen statt Köpfe“. Es ist ein richtiger Schlachtruf. Ein kluger Schlachtruf. Ein würdiger Schlachtruf. Leider ist es aber auch nur das: Ein Schlachtruf.

    Um den Satz von einem Schlachtruf in ein Prinzip politischen Handelns zu überführen, dürfen wir zwei Dinge nicht übersehen. Erstens: Ideen werden nur durch harte Arbeit zu Themen. Zweitens: Themen müssen in politische Entscheidungsprozesse hineintragen und dort vertreten werden.

    Für beides braucht es Köpfe.

    Damit Leitideen der Piratenpartei wie Teilhabe und Transparenz zu Themen werden, auf deren Grundlage wir verschiedene Politikfelder und die politischen Prozesse selbst gestalten können, braucht es Köpfe, die sich mit viel Geduld und Wissbegierde in die verschiedenen Politikfelder und politischen Prozesse einarbeiten und konkrete Vorschläge entwickeln. Das geschieht in Arbeitsgemeinschaften aber vor allem auch in informellen Gruppen, die sich themenbezogen zusammenfinden.

    Je mehr Köpfe sich hier einbringen, aus desto mehr Themen kann die Piratenpartei bei Gestaltung ihrer Wahlprogramme oder sogar bei der Gestaltung von Gesetzesvorhaben in den Parlamenten schöpfen.

    Damit die Themen nicht nur in die öffentliche Diskussion, sondern auch in konkrete Gesetzgebungsprozesse eingebracht werden, braucht es Köpfe, die diese Themen innerhalb des politischen Systems effektiv vertreten können. Diese Köpfe müssen Sachverstand und Glaubwürdigkeit für ihre Themenbereiche mitbringen, und sie müssen die Fähigkeit zur politischen Vernetzung haben. Nur so können sie in parlamentarischen Ausschüssen inhaltliche, auf einzelne Themen bezogene Allianzen mit anderen Parteien eingehen. Das ist notwendig, weil es auf absehbare Zeit keinen anderen Weg geben wird, wenigstens einen Teil unserer Inhalte umzusetzen.

    Leider verfolgen große Teile der Basis die Entstehung konkreter Themen nur am Rande, und leider haben noch größere Teile der Basis eine Abneigung gegen alles, was sie als Zeichen etablierter politischer Professionalität wahrnehmen – etwa Medienpräsenz oder eine gute Vernetzung über Parteigrenzen hinweg.

    Deshalb werden unsere Parlamentarier in den Landesparlamenten für ihre Arbeit nicht nur kaum gewürdigt, sondern bekommen im Gegenteil bei jeder Gelegenheit mit voller Wucht die Verachtung der „Basis“ für das „politische Etablissement“ zu spüren.

    Und deshalb werden auf Aufstellungsversammlungen bevorzugt Menschen auf die vorderen Listenplätze gewählt, die sich bestenfalls durch Fleiß in Parteigremien hervorgetan haben — also kurioserweise genau die Kriterien erfüllen, die auch in den „etablierten“ Parteien eine politische Karriere sichern. Menschen die innerhalb und außerhalb der Partei seit Jahren an zentralen Leitthemen der Piratenpartei arbeiten, werden dagegen mit Misstrauen behandelt – sei es, weil ihre thematische Kompetenz außerhalb des Kanons der Netz- und Urheberrechtspolitik liegt, sei es, weil sie in der Partei noch relativ neu sind.

    Dabei wird übersehen, dass nur ein kleiner Teil der parlamentarischen Arbeit mit den kanonischen Themen zu tun hat, und dass wir Expert/innen für soziale, wirtschaftliche und politische Themen dringend benötigen werden. Es wird auch übersehen, dass Menschen, die bereits vor ihrer Zeit bei der Piratenpartei an Themen wie Teilhabe oder Transparenz gearbeitet haben, eine wertvolle Ressource für die Partei sind, weil sie ihren Sachverstand, ihre Glaubwürdigkeit und ihre Vernetzung bereits mitbringen.

    Wir brauchen auf den vorderen Plätzen unserer Landeslisten für die Landtags- und Bundestagswahlen mehr von diesen Leuten. Ich hoffe sehr, dass ich nicht der einzige bin, der das so sieht, sondern, dass es auch die Mitglieder auf den vielen uns noch bevorstehenden Aufstellungsversammlungen erkennen. Denn bei allem, was mich an der Piratenpartei stört — und das ist viel — wünsche ich mir nicht nur, dass wir den Sprung in den Bundestag schaffen, sondern auch, dass wir dort dann den Politkwandel einleiten können, von dem wir träumen.

    Und das geht nur mit Themen UND Köpfen.

  • Links der Woche

    • Cannabis vs. NSU:

      “Wenn Du neun Marihuana-Pflanzen im Garten stehen hast kommt die Polizei mit einem Durchsuchungsbeschluss vorbei. Wenn Du Nazi-Terrorist bist und von sämtlichen Verfassungsschutzbehörden und Landeskriminalämtern von Berlin bis Bishkek beobachtet wirst passiert nichts.”

    • Master of Hartz:

      “Ich bedank’ mich jeden Tag bei Vater Staat, dafür dass ich hier auf seine Kosten leben darf” – wegen dieser Textzeile aus einem seiner Songs bekam der Berliner Rapper Tapete vor einem halben Jahr Ärger mit dem Jobcenter. Das forderte eine Stellungnahme und drohte mit Kürzungen seiner Hartz IV-Bezüge. Der Vorgang verschaffte Tapete bundesweit mediale Aufmerksamkeit – und trug so dazu bei, dass er jetzt von seiner Kunst leben kann.”

    • Neue Zelltherapien: Stammzellen auf der Schnellstraße?:

      “Den Tieren waren ins Innenohr Zellen eingepflanzt worden, die aus menschlichen embryonalen Stammzellen erzeugt worden. Durch Zugabe zweier Fibroblasten-Wachstumsfaktoren – FGF3 und FGF10 – haben sich die Stammzellen in der Petrischale zu zwei unterschiedlichen Vorläuferzellen weiterentwickelt: solche von epithelartigen Haarzellen, die im Innenohr die Sinneszellen bilden, sowie Nervenzellvorläufer, die peripher davon die Nervenleitbahnen zum Gehirn bilden.”

  • Links der Woche

    • Homöopathie in der Pharmazie – eine Bestandsaufnahme:

      “Wenige Wochen später hielt ich ein Skript in den Händen, in welchem es darum ging, was Homöopathie, Anthroposophie und Spagyrik sind, welches ihre Prinzipien sind und wie man Verdünnungen berechnet – mit dem freundlichen Befehl, all das bis zur Klausur auswendig zu lernen. Diese Irrlehren seien ja schließlich Teil meines Lernzielkatalogs. Diesen wiederum bestimmt der Gegenstandskatalog der IMPP (Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen), der in der Approbationsordnung für Apotheker festgelegt ist. Und wer wiederum legt diese fest? Richtig. Das Gesundheitsministerium.”

    • Die Kirche klagt, die Allgemeinheit zahlt:

      “Warum zieht die Diözese Regensburg trotz anhaltender Erfolglosigkeit eigentlich so gern vor Gericht? Vielleicht liegt es daran, dass ein Gutteil der Kosten vom Steuerzahler übernommen werden muss.”

    • Altmaiers Hartz-IV-Menü:

      “Anstatt die Privatkunden durch eine gerechte Aufteilung der Kosten auf alle Stromverbraucher zu entlasten, sind jetzt zwei neue Vorschläge im Gespräch: eine Stromsparberatung von Hartz-IV-Empängern für Hartz-IV-Empänger und mittelfritig auch alle übrigen Privathaushalte und zweitens ein Quotenmodell, das den Preis für den Stromgrundbedarf begrenzt, damit die privaten Stromkunden das Stromsparen lernen und so mit steigenden Strompreisen fertig werden.”

    • Eine Jobcenter-Mitarbeiterin klagt Hartz IV an:

      “Die getötete Kollegin ist nicht die erste Tote aus der Maschine. Und die Ursache liegt in der Struktur der Gewalt, die gegen Hartz IV Leistungsberechtigte wie gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern täglich, stündlich, ja minütig ausgeübt wird.”

    • Christopher Lauer: Warum ich den Scheiß mache:

      “Wir fordern darüber hinaus so viele vernünftige Dinge, dass es mir fast egal sein könnte, ob wir mit 3% oder 50% in den Umfragen stehen.”

  • Links der Woche

    • Rundfunkgebühren der GEZ: Die Bürokratie macht keine Fehler:

      “Dirk Müller ist geistig behindert und wohnt in einem Pflegeheim der Lebenshilfe. Er bekommt 100 Euro Taschengeld im Monat. Am 4. Juni 2012 erhielt Müller eine Zahlungsaufforderung der GEZ, der Gebühreneinzugszentrale der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten: Er soll 467,48 Euro Rundfunkgebühren bezahlen, obwohl er aufgrund eines Behinderungsgrads von 100 Prozent befreit sein müsste. Sein Vater und Vormund Günter Müller hatte zwei Jahre zuvor einen Formfehler begangen.”