Generali-Versicherung: Brave new world

tl;dr: Boni für „Wohlverhalten“ in Sozialversicherungen müssen grundsätzlich verboten werden.

medis

Die Generali-Versicherung will sein so genanntes „Vitality-Programm“ in Deutschland starten. Dabei wird individuell überwacht, wer nach Meinung der Versicherung einen gesunden Lebenswandel pflegt. Als Belohnung gibt’s Boni und Rabatte. „Überwachen“ ist hier das richtige Wort: Generali möchte erheben, wie regelmäßig die Versicherten ins Fitnessstudio gehen oder welche Produkte sie im Supermarkt einkaufen. Das ganze sei natürlich nur „freiwillig“ – die Frage ist, wie freiwillig das in Zukunft bleibt, wenn sich das als Trend verstetigt. Klar ist: Die Rabatte auf der einen Seite bedeuten zwangsläufig auch höhere Kosten auf der anderen Seite.

Das läuft dem Grundgedanken einer Sozialversicherung zuwider. Die basiert auf dem Prinzip der Solidarität: Alle müssen einzahlen und denjenigen, die in Not geraten, wird geholfen. Bei reinen Risiko-Versicherungen, die freiwillig abgeschlossen werden, bin ich ohne weiteres bereit, solche Risiko-getriebenen Tarife zu akzeptieren und dort sind sie auch schon lange üblich. Das Problem liegt darin, in der Sozialversicherung eine „Versicherung“ zu sehen. Renten-, Pflege-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung sind keine Versicherungen im klassischen Sinne, sondern solidarisch finanzierte Sozialleistungen, die dazu dienen, die Gesellschaft zusammen zu halten.

Gefährlich ist der Schritt, den Generali geht, auch aus anderen Gründen: Die Korrelationen zwischen Ernährung oder Sport ist eine statistische, das heißt, dass eine Gruppe von Menschen, die Sport treibt oder sich gut ernährt, in ihrer Summe gesünder ist, die Daten aber keinerlei Aufschluss über das einzelne Individuum zulassen. Das Prinzip „Schuld“ funktioniert bei Gesundheit schlicht und ergreifend nicht. Schon alleine weil sich die Ansichten der Medizin darüber, was in welchem Maße gesund oder ungesund ist, alle drei Tage ändert. Aber selbst wenn sich diese individuelle „Schuld“ zweifelsfrei feststellen ließe, zeigt ein Blick auf andere Versicherungen, wie absurd der Gedanke ist. So sind viele Behinderte wie beispielsweise Raul Krauthausen körperlich oft gar nicht in der Lage, ein klassisches Fitnessstudio zu besuchen und würden so diskriminiert.

Das Beispiel zeigt auch, dass es sich hierbei nicht wirklich um eine Frage des Datenschutzes handelt. Die Daten an sich sind nicht das Problem und könnten für die medizinische Forschung sogar ausgesprochen hilfreich sein. Das Problem ist hier die Verwendung der Daten zu Zwecken der Diskriminierung. Für Nerds: Hier handelt es sich um eine Verletzung der Netzneutralität. Träger öffentlicher Aufgaben müssten grundsätzlich einem Diskriminierungsverbot unterliegen – so ist es seit einigen Jahren den privaten Krankenversicherungen verboten, höhere Tarife von Frauen zu verlangen, die statistisch gesehen im Laufe des Lebens höhere Kosten verursachen, weil sie Kinder bekommen könnten und länger leben. Das hieße für die Generali: Sammelt von mir aus, was ihr wollt, solange das freiwillig geschieht, erforscht bitte gerne weiter die medizinischen Zusammenhänge und setzt anhand der Daten gerne Präventionsprogramme auf – aber Rabatte und Boni sind tabu. Ich tendiere selten dazu, nach gesetzlichen Verboten zu rufen, aber hier wäre eines angebracht.

Diese Versuche, eine Mehr-Klassen-Medizin zu schaffen, sind auch nicht neu, und ich meine damit nicht die ohnehin schon schlimme Zwei-Klassen-Medizin wegen der Existenz  der privaten Krankenversicherung: Meine gesetzliche Krankenversicherung wirtschaftet gut. Das heißt, ihr ist in den Schoß gefallen, dass sie überwiegend junge, gesunde und wohlhabende Versicherte hat, und überweist mir deshalb 80 € im Jahr als eine Art „Rendite“. Schon das ist vor dem Hintergrund, dass Menschen manchmal größte Probleme haben, dringend nötige medizinische Hilfe finanziert zu bekommen (Beispiele: Hilfsmittel für Behinderte, Übernahme psychologischer Behandlungen…) für sich schon ein Skandal.

Was Generali tut, ist ein Schritt in Richtung einer ungerechteren Gesellschaft in einem Bereich, der die Grundrechte der Bürger gleich doppelt tangiert: Gesundheit und zunehmender Druck, den eigenen Lebenswandel überwachen zu lassen. Sollte Generalis Strategie ein ökonomischer Erfolg werden, sehe ich schon die ersten Gesundheitspolitiker verschiedener Parteien, derlei Überwachung auch im Rahmen der ewig klammen gesetzlichen Krankenkassen zu fordern. Dann ist schnell auch Schluss mit „freiwillig“.

Kommentare sind geschlossen.