Ehe für alle – Ehe für niemand – Ehe für wen?

tl;dr: Wir müssen einmal grundlegend verhandeln, was „Ehe“ eigentlich sein soll.

ehefueralle

Die Debatte um die „Homo-Ehe“ hat ihren traurigen Höhepunkt mit der Äußerung der saarländischen Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), die gleichgeschlechtliche Ehe führe zu vermeintlich schlimmen Dingen: „…etwa eine Heirat unter engen Verwandten oder von mehr als zwei Menschen. Wollen wir das wirklich?“. Traurig ist das deshalb, weil sie die „Homoehe“ damit auf eine Stufe mit Dingen stellt, auf die der Deutsche Michel gerne mit Ekel und Empörung reagiert. Noch trauriger ist, dass tatsächlich darauf mit Ekel und Empörung reagiert wird und Verfechter der „Homoehe“ sich nun teilweise vom Thema Verwandten- und Mehrehe abgrenzen. Denn wir werden tatsächlich über diese Fragen reden müssen – und zwar vollkommen unabhängig von der „Homoehe“.

Um die deutsche Debatte verstehen zu können, muss man* zunächst einmal verstehen, dass wir verschiedene Konzepte von Ehe haben, die wir miteinander verrühren. Das führt teilweise zu widersprüchlichen Meinungen und Emotionen. Ein wenig Geschichte: Die Ehe, wie wir sie heute in den westlichen Gesellschaften kennen, ist religiösen Ursprungs und konnte bis ca. 1850 in Deutschland nur kirchlich geschlossen werden. Sie diente als Bündnis zwischen Mann und Frau und war vollkommen darauf ausgerichtet, Sexualität und Reproduktion zu regulieren. Eigentlich ging es auch nicht um die Beziehung zwischen den beiden Ehegatten sondern um die Beziehung zwischen den beiden Familien, die die Ehe arrangiert haben. Heiraten durften Männer jahrhundertelang nur, wenn sie nachweisen konnten, dass sie die nötigen Mittel haben, um eine Familie zu ernähren. Da zugleich Sex außerhalb der Ehe ein schweres Vergehen war, waren große Teile der Gesellschaft überhaupt von Ehe, Sex und eigenen Kindern ausgeschlossen. Um Liebe ging es dabei nicht – Ehen wurden meist arrangiert und wenn sich die Eheleute trotzdem mochten, hatten sie Glück. Eheleute hatten die Pflicht, einander für Sex bereitzuhalten. Oft wurde von der Gemeinschaft überprüft, ob das Ehepaar auch wirklich Sex in der Hochzeitsnacht hatte und die Ehe konnte bei Kinderlosigkeit annuliert werden. Uneheliche Kinder wiederum wurden an den Rand der Gesellschaft gedrängt und ihre Mütter lebten „in Schande“, und zwar in Deutschland noch bis vor wenigen Jahrzehnten und teilweise noch heute: Eine Frau, die Kinder allein erziehend durchbringen möchte, wird immer noch sozial und ökonomisch dafür bestraft. Die Frau war in der Ehe eine billige Arbeitskraft, die den Haushalt für den erwerbstätigen Mann aufrecht erhielt. Frauen mussten häufig heiraten, da ihre Herkunftsfamilien es sich nicht leisten konnten, sie längere Zeit durchzufüttern. Die einzige Alternative zur Ehe war für Frauen oft der Gang ins Kloster, während Männer leicht auch als Junggesellen in Freiheit alt werden konnten.

Diese Form der Ehe ist aus heutiger Sicht eine vergiftete Angelegenheit. Als Ende des 18. Jahrhunderts die Menschenrechte definiert wurden, wurde auch klar, dass die Ehe voller Menschenrechtsverstöße – insbesondere gegenüber Frauen – steckt. Aus diesem Grund wurde in den westlichen Ländern in den Jahrzehnten danach die Zivilehe eingeführt und die Ehegesetzgebung nach und nach angepasst. Die Zivilehe wurde nötig, weil die katholischen und Teile der evangelischen Kirchen sich weigerten, Menschen zu trauen, die weder katholisch noch evangelisch waren. Um diesen Bruch der Religionsfreiheit zu beheben, wurde um 1850 herum die Möglichkeit eingeführt, vor Standesämtern zu heiraten. 1876 wurde diese Zivilehe obligatorisch, als der Staat bemerkte, dass es praktisch und sinnvoll ist, eigene Ehe-Register zu führen.

Seitdem hat der Staat die Ehe immer weitergehend reformiert – in erster Linie um sie an (Menschen)Rechte und Menschenwürde anzupassen. Hier die westdeutsche Entwicklung, die in der DDR anders verlief: 1950 definiert der Staat die bürgerliche Ehe als „Vertrag auf Lebenszeit“ und „Zugewinngemeinschaft“. Dieser Logik folgend gab es zahlreiche Reformen, die meistens dazu dienten, Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann herzustellen. 1956 schaffte Baden-Württemberg als letztes Bundesland das „Lehrerinnenzölibat“ ab, wonach nur unverheiratete Frauen Lehrerin sein konnten und im Falle einer Heirat sämtliche Pensionsansprüche verloren. 1958 verlor der Ehemann das Recht, in allen Ehebelangen immer die letzte Entscheidung zu haben und beispielsweise den Job seiner Frau über ihren Kopf hinweg zu kündigen. Den Antritt einer neuen Stelle durfte er ihr jedoch weiterhin verbieten. Ebenfalls 1958 wurde der Begriff der eheähnlichen Gemeinschaft im Sozialrecht eingeführt, damit Paare, die in „wilder Ehe“ zusammenleben, nicht doppelt Sozialleistungen beziehen können. Das ist bemerkenswert, weil erst 1969 das „Kuppeleiverbot“ abgeschafft wurde. Es verbot Vermietern, Wohnungen an nicht verheiratete Paare zu vermieten. Außerdem ist seit 1969 „Ehebruch“, also Sex Verheirateter außerhalb der Ehe, keine Straftat mehr. 1977 werden Bindestrich-Namen eingeführt. Seitdem darf der Ehemann seiner Frau auch nicht mehr verbieten, eine berufliche Stellung anzutreten. Scheidung ist möglich, ohne dass einer der Eheleute noch „Schuld“ an der Scheidung tragen muss. Ehebruch kann nicht mehr dazu führen, dass der „schuldige“ Ehepartner Unterhaltsansprüche verliert. Zivilrechtlich spielt der Begriff „Ehebruch“ nur noch eine Rolle, wenn er in der gemeinsamen, ehelichen Wohnung stattfindet. 1979 wurden die letzten väterlichen Vorrechte bei Entscheidungen über Erziehungsfragen abgeschafft. 1980 schafft das Transsexuellengesetz die Möglichkeit, das Geschlecht zu ändern. Verheiratete Transsexuelle mussten sich allerdings vohrer scheiden lassen. 1997 wird Vergewaltigung in der Ehe strafbar – früher war sexuelle Verfügbarkeit noch als eheliche Pflicht angesehen worden. 2001 wurde die „Verpartnerung“ Homosexueller eingeführt, eine Art Ehe light ohne Ehegattensplitting und Adoptionsrecht (außer bei Stiefkindern) und zahlreichen weiteren Nachteilen gegenüber der Ehe. Seit 2009 ist es möglich, kirchlich zu heiraten, bevor das Standesamt aufgesucht wird. Rechtlich gesehen gelten solche Paare als unverheiratet, bis sie sich auch im Standesamt trauen lassen. Verheiratete Transsexuelle müssen sich vor einer geschlechtsangleichenden Operation nicht mehr scheiden lassen. Defacto ist auf diesem Wege eine vollwertige Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern heute schon möglich.

Dass die Debatte rund um „Homoehe“ und #ehefueralle so verquer ist, liegt daran, dass sich die Konzepte, die Menschen heute von Ehe haben, stark unterscheiden und gleichzeitig überschneiden. Zunächst das religiöse Konzept: Eheverbote, die religiös begründet sind, können kein Maßstab für die Allgemeinheit sein, da Menschen nunmal verschiedenen Glaubensrichtungen anhängen. Es geht die Allgemeinheit schlicht und ergreifend nichts an, ob Aspekte einer Ehe den Vorschriften einer Glaubensgemeinschaft zuwiderlaufen. Privilegien und religiös begründete Ehegesetze sind ein Eingriff in die Glaubsfreiheit der Bürger_innen. Gerade das war ein Grund, vor 150 Jahren die Zivilehe einzuführen. Ein säkularer Staat darf sich bei seiner Gesetzgebung nicht auf religiöse Argumente stützen. Leider ist Deutschland kein säkularer Staat.

Jenseits religöser Konzepte gibt es das Konzept von Ehe als Keimzelle der Familie und geschützten Raum für Nachwuchs. Böse ausgedrückt müssen wir ein solches Ehebild als Reproduktionsinkubator bezeichnen. Hier ist die aktuelle rechtliche Situation geradezu absurd, solange kinderlose Ehepaare vom Ehegattensplitting profitieren während die Eltern unehelicher Kinder und Alleinerziehende immer noch große Nachteile erfahren. Wer Familie als (potenzielles) Vorhandensein von Kindern definiert, muss solche Ungerechtigkeiten abschaffen und darf sie nicht vom Trauschein der Eltern abhängig machen – bis hin zum vollen Adoptionsrecht homosexueller Paare. Schließlich ist davon auszugehen, dass es Kindern in einer gleichgeschlechtlichen Familie besser geht als im Heim. Bei diesem Konzept stellt sich auch die Frage, welchen Sinn eine Eheschließung hat, schließlich beginnt Familie hier mit der Geburt von Nachwuchs und es gibt keinen Grund, sie eher beginnen zu lassen. Eine automatische Eheschließung bei Geburt wäre allerdings eine Zumutung für all die Paare, die Kinder bekommen haben, aber gar nicht zusammenleben wollen. Die Ehe an das potenzielle Vorhandensein von Kindern zu binden, ist aus der gesellschaftlichen Realität heraus ziemlich unsinnig.

Bleibt das Konzept der Ehe als Lebensbündnis. Menschen leben zusammen und übernehmen Verantwortung füreinander. Das hat viel mit Liebe, Verantwortung und Selbstverpflichtung zu tun. Menschen dieses zu verbieten, beispielsweise weil sie gleichgeschlechtlich sind, verhöhnt diese Menschen und ihr Ansinnen. Dass den Staat oder die Allgemeinheit ein solches Lebensbündnis nichts angeht, ist zu kurz gedacht: Staat und Gesellschaft sollen nämlich wissen, dass es Menschen in meinem Leben geben könnte, die für mich über meine Angelegenheiten mitbestimmen – beispielsweise wenn ich dement bin oder eine Zeugenaussage über meinen Partner vor Gericht verweigern will. Die Ehe als Privileg für heterosexuelle Mann-Frau-Paare diskriminiert alle anderen Konstellationen.

Zurück zu Kramp-Karrenbauer: Natürlich müssen wir über Polygamie und Ehe unter Verwandten sprechen und werden das auch  bald tun, und zwar vollkommen unabhängig von der gerade laufenden Diskussion um die „Homoehe“. Zwei Beispiele:

Betrachten wir die Ehe als Lebensbündnis, bei dem Menschen Verantwortung füreinander übernehmen, spricht sowieso kein rationaler Grund gegen die Mehrehe. Aber selbst wer Ehe am Vorhandensein von Nachwuchs festmacht, muss umdenken. Biologisch ist es mittlerweile möglich, dass ein Kind drei Eltern hat. Wenn eine Frau keine eigenen Kinder bekommen kann, kann sie den Zellkern ihrer Eizellen in die Eizelle einer anderen Frau einsetzen lassen. Da diese Eizelle eigene Mitochondrien hat, vermischt sich das Ergbut dreier Menschen – das zweier Mütter und eines Vaters. Derlei ist beispielsweise im Derzeit-Noch-EU-Mitglied Groß-Britannien legal. Mit welchem Recht wollen wir einer solchen zu schützenden Familienkonstellation die Mehrehe samt aller Rechte für alle drei Ehepartner verwehren? Selbst wer die Ehe als Reproduktionsinkubator sieht, kann sich nur schwer gegen eine solche Argumentation sperren. Bleiben lediglich religiöse Gründe, die in einem säkularem Staat wie gesagt keine Rolle spielen dürfen.

Ebenfalls müssen wir die Ehe unter Verwandten diskutieren. Auch hier gilt: Betrachten wir die Ehe als reinen Lebensbund, der losgelöst von jeder Sexualität und Reproduktion funktionieren kann, darf sowieso nichts gegen eine solche Ehe sprechen. Wenn wir hingegen die Ehe als Keimzelle für Kinder betrachten, ist die Lage ebenfalls alles andere als klar. Der deutsche Ethikrat hat genau das kürzlich verhandelt, beispielsweise anhand des Falles zweier Halbgeschwister, die getrennt aufwuchsen und sich später ineinander verliebt haben. Sexuelle Handlungen zwischen solchen Partnern stehen unter Strafe. Dies hat zwei Begründungen. Die biologische Begründung ist die Angst vor möglichen Erbkrankheiten. Stand der Wissenschaft ist jedoch, dass die Gefahr von Erbkrankheiten nicht mit vom Verwandtschaftsgrad sondern vom individuellen Risiko abhängt. Wenn wir Menschen das Recht auf einvernehmlichen Sex unter Erwachsenen aus biologischen Gründen absprechen, müssen wir das ohne Ansehen des Verwandtschaftsgrades tun. Beispielsweise wie in Ghana: Dort gab es ein Dorfgesetz, dass gehörlosen Menschen verbietet, andere Gehörlose zu heiraten. In der Folge gab es tatsächlich weniger gehörlose Kinder aber eben auch mehr nicht funktionierende Ehen. Bei uns gibt es in keinem andren gesellschaftlichen Bereich ein Sex- oder Eherverbot wegen möglicher Erbkrankheiten außer im Falle einer Verwandtschaft. So etwas biologisch an der „Reinheit des Erbgutes“ festzumachen, führt uns direkt in die Logik einiger Gesetze aus der Nazizeit. Dementsprechend empfiehlt auch der Ethikrat die Legalisierung von Sex unter Verwandten in bestimmten Konstellationen. Wenn der legal ist und sich gar Nachwuchs einstellt, bleibt die Frage, welchen Sinn dann noch ein Eheverbot haben soll. Von einer gesetzlichen Regelung in dieser Frage sind wir allerdings weit entfernt – an diesem Thema möchte sich lieber kein Politiker die Finger schmutzig machen. Der zweite Grund eines Verbotes der Ehe unter Verwandten ist ein psychologischer. „Waren deine Eltern Geschwister?“ ist ein beliebtes wie ekelhaftes Schimpfwort. Die Ehe unter Verwandten stößt an ein Tabu, das inernational höchst unterschiedlich geregelt ist: von der völligen Legalisierung bis hin zum Eheverbot, wenn zwei Menschen auch nur den gleichen Nachnamen tragen, ohne biologisch miteinander verwandt zu sein, was auf die Vorstellung von Ehe als Beziehung zwischen zwei Familien zurückgeht. Tatsächlich dürfte es zumindest in der heutigen Gesellschaft für Familien schwerwiegende psychologische Folgen haben, wenn miteinander aufgewachsene Familienmitglieder untereinander heiraten. Bei getrennt aufgewachsenen Geschwistern hingegen, die vielleicht nicht einmal was voneinander wussten, sieht das durchaus anders aus. Lieber Leser, bevor du jetzt empört im Blog kommentieren willst, bitte ich dich, die Argumentation des Ethikrates einmal genau nachzulesen.

Annegret Kramp-Karrenbauer hat also – wahrscheinlich ohne das zu wollen – eine Tür aufgestoßen, einmal wirklich grundlegend über Ehe und ihre Bedeutung und die gängigen Eheverbote zu diskutieren. Wäre das nicht der Versuch gewesen, die gleichgeschlechtliche Ehe zu diskreditieren, wäre das eine gute Sache gewesen. Hier wird auch klar, dass die Vertreterin einer Partei, welche ein „C“ im Namen trägt, geradezu gegen die gleichgeschlechtliche Ehe sein muss. In dieser Debatte muss man* sich klar machen: Wer „Homoehe“ durch #ehefueralle ersetzt, meint damit (vielleicht ohne es zu wollen?) auch weitere Konstellationen wie Mehrehe und Ehe unter Verwandten. Wer gegen die „Homoehe“ oder #ehefueralle ist, sollte zunächst einmal über die eigene Haltung zur Ehe nachdenken – religiöses Sakrament, Reproduktionsinkubator oder Lebensbund? Und je nach Ergebnis noch einmal darüber nachdenken, wie die eigene Ablehnung von „Homoehe“ oder #ehefueralle dazu passt.

Meiner Meinung nach wäre es tatsächlich am besten, die Zivilehe einfach abzuschaffen. Auf Kinder bezogene Privilegien der Ehe sollten auf tatsächliche Eltern übergehen und automatisch ab Geburt eintreten. Einvernehmliche Lebensbündnisse unter Erwachsenen sollten alle Menschen egal in welchen Konstellationen eingehen dürfen und dieses dem Staat anzeigen, damit solche Lebensbündnisse unter rechtlichen Schutz gestellt werden können. Der Begriff „Ehe“ ist zu missverständlich und sollte jenseits aller staatlichen Regelungen eine private Angelegenheit sein. Die Ehe als Ritus oder Sankrament kann weiterhin von den Anhängern verschiedener Religionen und Weltanschauungen mit ihrem bevorzugten Riten öffentlich oder privat eingegangen werden. Von der pompösen Hochzeit in Weiß vor dem Domaltar bis zum stillen Versprechen ohne störende Zeugen, das sich zwei Atheisten gegenseitig unterm Sternenhimmel geben, mit oder ohne Monogamie sind viele Formen von Ehe möglich – sollten aber keinerlei rechtliche Folgen mehr haben.

P.S.: Und irgendwann reden wir dann nochmal darüber, ob eine Scheidung, die für alle beteiligten emotional schon Strafe genug ist, wirklich eine Gerichtsverhandlung mit Kosten in vierstelliger Höhe sein muss, statt sie einfach genauso wie eine Zivilehe vor dem Standesamt zu erklären.

Update: Bitte lest auch ergänzend den unten stehenden Kommentar von Antje Schrupp, die das ganze um Aspekte erweitert, die ich nicht auf dem Radar hatte.


16 Antworten zu „Ehe für alle – Ehe für niemand – Ehe für wen?“