Bin ich ein Cyborg?

tl;dr: Cyborgs werden wahr und wir stehen damit an der Schwelle zu einem Bewusstseinswandel.

http://www.youtube.com/watch?v=JxNN86c4OoM

Cyborgs kennen wir aus Science-Fiction-Filmen. Terminator. Ghost in the Shell. Robocop. Der Sechs-Millionen-Dollar-Mann. Inspector Gadget. Aber bin ich ein Cyborg? Ich trage ein Gerät hinter dem Ohr, das Schall in elektronische Impulse verwandelt und über ein Implantat direkt an meinen Hörnerv weiterleitet: das Cochlea-Implantat. Die Frage, ob mich das zu einem Cyborg macht, ist nicht so ganz einfach zu beantworten.

Nach Neil Harbisson kommt es darauf an, dass Körper und Technik eine unauflösliche Einheit bilden. Das ist allerdings auch beim Herzschrittmacher der Fall. Es kommt nicht nur darauf an, eine körperliche Beeinträchtigung auszugleichen, sondern die menschlichen Fähigkeiten über das natürliche Maß hinaus zu erweitern. So trägt der farbenblinde Neil ein Gerät, mit dem er Farben hören kann – allerdings nicht nur das sichtbare Spektrum, sondern auch Infrarot und Ultraviolett. Die allermeisten Prothesen leisten das nicht. Beispielhafte Ausnahmen sind die künstlichen Füße, mit denen Oskar Pistorius nahe zu allen Menschen davonlaufen kann.

Tatsächlich ist das Cochlea-Implantat zunächst mal „nur“ ein künstliches Gehör. Allerdings erweitert es durchaus meine Fähigkeiten. So kann ich am Gerät verschiedene Programme auswählen, die den aufgenommenen Schall unterschiedlich verarbeiten. Mit dem einen Pogramm kann ich möglichst klar Musik hören, ein anderes senkt Umgebungsgeräusche weitgehend ab, sodass ich in lauter Umgebung meinem Gesprächspartner besser folgen kann. Wenn ich Musik höre, verbinde ich die Cochlea-Implante per Kabel und Klinkenstecker mit einem Kopfhörerausgang. Das Ergebnis ist, dass die Musik direkt in meinem Gehirn landet, ohne dass an irgend einer Stelle Schall erzeugt wurde. Durch die Koppellung mit dem Hörnerv habe ich also tatsächlich eine Art „brain interface“, wenn auch auf akustische Reize beschränkt und „write only“ – ein künstlicher Sinn.

An dieser Stelle lädt das Cochlea-Implantat zum Spielen ein. Zu gerne würde ich es so programmieren, dass auch Infra- und Ultraschall für mich Hörbar werden. Es spricht nichts dagegen, es an andere Geräte zu koppeln, die Umweltreize in akustische Eindrücke umwandeln und auf meinen Hörnerv weiterleiten. Beispielsweise einen Geigerzähler. Oder ein Bluetooth-Interface zu meinem Telefon, am besten noch gekoppelt mit einer Datenbrille. Dafür erst noch Kabel zusammenstecken zu müssen, kommt mir wie Technik aus dem vergangenen Jahrhundert vor, (was das Cochlea-Implantat ja auch ist). Leider ist es ohne erhebliche Hürden nicht möglich, das CI zu hacken, um es selber zu programmieren. Immerhin riskiere ich dabei mein Gehör. Trotzdem muss ich das früher oder später probieren. Für Ersatzgeräte und die zugehörige Technik fehlt mir das nötige Kleingeld, aber vielleicht findet sich ja ein Sponsor.

Auch so bleibt das Cochlea-Implantat faszinierend. Wer eines trägt, steht tatsächlich an der Schwelle zum Cyborg und hat die Linie zumindest mit dem großen Zeh überschritten. Selbst wenn es nur ein Magnet in der Fingerkuppe ist: Wenn wir die Möglichkeiten unserer Sinne erweitern, verändert sich unser Bild von der Welt und damit auch zwangsläufig unser Bild von uns selbst. Hier scheint sich tatsächlich die Tür zu einer Bewusstseinsveränderung zu öffnen – ganz ohne Esoterik und Drogen. Das klingt jetzt drastisch, ist aber eigentlich nichts neues in der Menschheitsgeschichte. Schon die Tatsache, dass wir ständig Smartphones und das Internet mit uns herumtragen (ohne das wir uns sofort aufgeschmissen fühlen), hat den gleichen Effekt. Etwas ähnliches ist passiert, als der erste Homo Erectus einen Faustkeil in die Hand nahm.

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