Telekom enteignen

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tldr: Eine trotz des Titels durchaus differenzierte Betrachtung über die Abschaffung der Flatrate und die Traffic-Drossel bei der Telekom

Die Telekom hat angekündigt, bei Neukunden ungefähr ab dem Jahr 2016 die Bandbreite zu drosseln, wenn Kunden ein bestimmtes Datenvolumen überschreiten. Seitdem steht das Netz Kopf und sogar die Bundesregierung hat sich in dieser Frage eingeschaltet. Aber es gibt auf weniger aufgeregte Stimmen. Alles Hysterie?

Abrechnung nach Volumen würde die Anbieter sogar antreiben, die Netze wieder weiter auszubauen, so eine These. Ein wenig ist das wie mit Strom-, Gas- und Wasseranbietern. Im Haus misst eine Uhr den Verbrauch, gezahlt wird nach Verbrauch, den jeder Nutzer ganz gut einschätzen kann. Wer nicht gerade seine private Hanfzucht im Keller mit 25.000 Lumen beleuchtet, wird nicht viel zu befürchten haben. Die „Bild“ kann einmal im Jahr neben steigenden Sprit-, Gas-, Wasser- und Strom-Preisen auch noch über gestiegene (oder gesunkene) Internet-Preise berichten.

Ist dem wirklich so? Auch wenn nicht alles, was hinkt, ein Vergleich ist, finde ich die klassische Auto-Metapher viel passender: Man stelle sich eine Straße vor, auf der nach 75 gefahrenen Kilometern statt 100 km/h nur noch 2,34 km/h gefahren werden kann. Das Internet von dieser Seite zu betrachten, ist gar nicht so absurd, wie es auf den ersten Blick wirkt. Bei Strom, Gas und Wasser verbrauchen wir einen konkreten Rohstoff und dieser Verbrauch hat einen Preis. Im Internet verbrauchen wir keine Ressourcen, wir nutzen nur Leitungen, wie wir Straßen nutzen. Nur so konnte sich im Netz eine Kultur herausbilden, in der wir ohne Sorge vor Engpässen die Cloud nutzen oder Videos anschauen können. Drosseln wir den Traffic begründen wir eine Mangelkultur der Traffic-Sparsamkeit, dürfte das die deutsche Internetwirtschaft noch weiter zurückwerfen als sowieso schon.

Vorratsdatenspeicherung

Aber auch wenn man das anders sieht als ich, bleiben gewaltige Nachteile. Eine Drosselung des Traffics bedeutet auch, dass der Traffic kontrolliert werden muss. Die Telekom muss schließlich Rechnungen schreiben und ggf. auch beweisen, dass ein Teilnehmer zuviel Traffic verbraucht hat. Die gerade erst überwunden geglaubte Vorratsdatenspeicherung müsste durch die Hintertür wieder eingeführt werden einschließlich aller damit einhergehenden Probleme was staatliche Überwachung und das Abmahnunwesen betrifft (und es gibt sicherlich etliche Politiker, denen das durchaus passen würde.)

Netzneutralität

Ähnlich schwer wiegt der Eingriff in die – sorry, sperriges Wort – Netzneutralität. Warum das ein Problem ist: Die Telekom bietet mit „Entertain“ Fernsehen über das Internet an. Dieser Traffic wird nicht mit auf das verbrauchte Datenvolumen angerechnet und funktioniert auch nach Drosselung mit voller Bandbreite. Dummerweise enthält das Angebot einen Video-on-Demand-Dienst. Alle anderen Video-on-Demand-Dienste haben jetzt ein Problem. Wenn ich als Telekom-Kunde nämlich einen Film aus Apple iTunes, Amazon Lovefilm oder Maxdome von ProSiebenSat.1 ansehen will, kostet mich das meinen Inklusiv-Traffic. Die Telekom verschafft also seinem hauseigenen Dienst einen unlauteren Wettbewerbsvorteil. Auf die Dauer wird das dazu führen, dass nur noch große Konzerne mit eigenen Leitungen oder viel Geld in der Lage sein werden, trafficlastige Anwendungen anzubieten.

Netzneutralität bedeutet im Endeffekt nur: Jeder kann im Netz gleichermaßen publizieren und Dienste anbieten, und das ist geil. Deshalb steckt auch hinter „Telekom enteignen“ mehr als platter Populismus. Bis auf kleine Ausnahmen bei den Kabelnetzen und einigen Stadtnetzen besitzt die Telekom die einst aus Steuergeldern mitfinanzierten Leitungen, auf denen sie dieselben Dienstleitungen anbietet wie ihre Konkurrenten, die keine eigenen Leitungen haben. Die einzig sinnvolle Möglichkeit, hier einen echten Markt mit Wahlmöglichkeit für die Endkunden zu schaffen, wäre eine vollständige Trennung von Netz und Diensten/Inhalten. Das Problem steckt weniger in der Drossel als in der Verquickung dieser beiden Geschäftsbereiche. Natürlich möchte ich den Fehler vermeiden, einen neuen staatlichen oder privaten Netzmonopolisten zu schaffen: Das Netz sollte meiner Meinung nach in mehrere Teilnetze zerlegt werden, die genossenschaftlich organisiert werden könnten und miteinander kooperieren sollten. Gleichzeitig ist es hier Aufgabe der Regierung und Parlamente, für Rahmenrichtlinien zu sorgen wie zum Beispiel Ausbauziele im ländlichen Raum, die dann auch in Kooperation mit Initiativen wie Freifunk umgesetzt werden könnten.

Und nun?

Bleibt die Frage, was schneller passiert: Dass die Telekom ihre Pläne durchführt und damit eine Kettenreaktion auch bei den anderen Providern auslöst, an deren Ende die Netzneutralität großflächig verloren geht, oder dass die Netzneutralität in Deutschland gesetzlich verankert wird. Vielleicht findet sich ja die eine oder andere Partei, die das fordert. Die Bundesregierung beschränkt sich derzeit auf Drohungen an die Telekom, allerdings ist das Machtverhältnis wohl ein anderes: Die Telekom leitet einen guten Teil ihrer Gewinne in den Staatshaushalt. Allein die Behauptung, die Drossel sei nötig, damit sie auch weiterhin einzahlt, dürfte genügen, um die Regierung von echten Konsequenzen absehen zu lassen. Am Ende wiederholt sich wohl nur, was noch jedem Medium passiert ist: Nach einer anarchistischen Phase in den ersten Jahren und Jahrzehnten begannen Konzerne (und gelegentlich Staaten oder öffentlich-rechtliche Anstalten) die Kontrolle über das Medium zu übernehmen. Es gibt starke Anzeichen dafür, dass es dem Internet ähnlich ergehen wird.


3 Antworten zu „Telekom enteignen“