Die Piratenpartei hat zu etlichen Themen keine Positionen und bis die wirklich in alle Verästelungen und Politikbereiche ausgedacht, ausformuliert und auf Parteitagen verabschiedet sind, wird noch sehr viel Zeit vergehen. Bloß was tun wir bis dahin? Die Frage zum Beispiel, wie im Falle einer Regierungsbeteiligung eigentlich die Außenpolitik der Piraten aussähe, ist ja nun mehr als berechtigt, vor allem wenn gewisse Parteimitglieder laut über solche Optionen nachdenken.
Nehmen wir ein akutes Problem, die Schuldenkrise. Im Handelsblatt erschien ein Interview mit Piraten-Vorstand Matthias Schrade. Darin sagt er vieles, was ich so unterschreiben würde, und vieles, was ich für falsch halte – unter anderem dass Griechenland und andere Länder unter Umständen die Währungsunion verlassen müssen.
Fabio Reinhardt hat in seinem Blog geantwortet. Inhaltlich nimmt er in der Griechenland-Frage die Gegenposition ein – da bin ich übrigens ganz bei Fabio – kritisiert aber vor allem, dass da ein Piratenvorstand seine „Privatmeinung“ kund tut, was derzeit kontraproduktiv sei, weil diese „Privatmeinung“ nicht nur falsch sei, sondern auch die FDP in Berlin und Gauweiler in der CSU damit auf die Schnauze geflogen seien. Stattdessen lobt er Sebastian Nerz:
Gerade beim Thema Eurokrise hat er sich sehr vorbildlich verhalten. Sebastian gab an, eine eigene, wohldurchdachte Meinung zu dem Thema zu haben und lehnte es aber – trotz mehrmaliger Nachfrage – ab, diese zu äußern, da sie natürlich in einer öffentlichen Gesprächssituation als Parteimeinung verstanden werden könnte.
Wie bitte? Sebastian ist Bundesvorsitzender der Piratenpartei. Er wird sich sehr wahrscheinlich irgendwann zur Wiederwahl stellen. Und ich würde mich wundern, wenn er nicht auch für ein Mandat kandidiert. Aber selbstverständlich möchte ich wissen, wie er über dieses Thema denkt – gerade auch weil es hierzu noch keine Parteibeschlüsse gibt, die er nachbeten kann.
Wie leicht bei einem solchen Stil die Kommunikation krepiert, sieht man schön an diesem Interview im Deutschlandradio, wo Sebastian sich zunächst wacker schlägt, sich dann aber im Konflikt zwischen Transparenz und Privatmeinung verheddert und am Ende recht unsympathisch rüberkommt.
Überhaupt, „Privatmeinung“, was für ein Unwort! Korrigiert mich, aber die Piratenpartei ist unter anderem angetreten, um Politik wieder menschlicher zu gestalten. Dazu gehört auch, die öffentliche Inszenierung „Politiker“ und den Alltagsmenschen wieder mehr zur Deckung zu bringen. Für offizielle Sprecher gilt natürlich etwas anderes, aber von Amts- und Mandatsträgern erwarte ich einfach, dass sie sagen, was sie denken. „Privatmeinung“ ist das Gegenteil von Transparenz. Wer seine Meinung nicht sagen will, sollte gar nicht erst für den Vorsitz einer Partei kandidieren. Immerhin werden unsere Spitzenleute in den Interviews zu aktuellen politischen Themen befragt und nicht zu ihren sexuellen Vorlieben.
Aber es gibt zwischen „Dazu hat die Piratenpartei noch nichts entschieden und ich will meine Privatmeinung nicht sagen.“ einerseits und „Dazu hat die Piratenpartei noch nichts entschieden, aber ich persönlich habe keine Meinung dazu oder finde, dass Carthago zerstört werden muss“ andererseits noch einen dritten Weg: „Dazu hat die Piratenpartei noch nichts entschieden, aber wenn Sie sich unsere anderen politischen Forderungen wie Netzneutralität, Abschaffung von Studiengebühren oder bedingungsloses Grundeinkommen ansehen, können Sie davon ausgehen, dass die Piraten für Solidarität mit Carthago plädieren werden.“
Wir müssen noch viel lernen. Besonders wenn wir den anderen nicht alles nachmachen wollen.
9 Antworten zu „Wenn Politiker ihre Meinung nicht sagen sollen… oder wollen“