Das Baby läuft

Ich habe jetzt mehrfach gelesen, die Piratenpartei mache dauernd Fehler und alles falsch. Ist das so? Natürlich läuft vieles noch chaotisch. Wie sollte es auch anders sein, wenn sich innerhalb weniger Wochen die Mitgliederzahl verdreifacht und alle mitreden wollen. Waren die Grünen vor 30 Jahren irgendwie besser? Die Grünen hatten Probleme mit Pädophilen, die freie Liebe mit Kindern forderten. Oder auch „grüne Rechtsradikale“. Wie schon jemand sagte: „Das rüttelt sich zurecht.“ Aber mal im einzelnen:

Neulich ist Jörg Tauss in die Partei eingetreten. Als Berufspolitiker mit viel Partei- und Parlamentserfahrung ist er ein hervorragender „Businessangel“ für die Partei. Dumm nur, dass wegen des Besitzes von Kinderpornographie gegen ihn ermittelt wird. Der Mann wurde aber nicht verurteilt. Es ist noch nicht einmal Anklage gegen ihn erhoben worden. Trotzdem glauben viele sich echauffieren zu müssen. Dabei gilt die Unschuldvermutung, und wer, wenn nicht die Piraten, sollten dieses Ideal hochhalten? Falls Jörg Tauss gerichtlich verurteilt wird, ist das ganze neu zu bewerten.

Dann das Parteipgrogramm: Viele fordern, die Piraten sollen ein Gesamtprogramm aufstellen, so richtig mit Rente und Stadtplanung und was weiß ich was noch. Wozu das bitte? Die Partei hat ihre Kernthemen. Außerhalb dieser Themen gibt es weder eine einheitliche Meinung noch das nötige Fachwissen. Auf dem Parteitag wurde dann auch recht schnell entschieden: Programmerweiterung ja, aber langsam und nicht ohne Expertise. Im Grunde genau dasselbe, was bei den Grünen über Jahre und Jahrzehnte auch lief.

Heftig gestritten wurde über die Frage nach dem Urheberrecht. Die Piraten haben noch einmal ganz deutlich gesagt, dass sie das Urheberrecht nicht abschaffen sondern reformieren wollen. Ziel ist dabei unter anderem, die Rechte der eigentlichen Urheber gegenüber Verlagen, Verwertungsgesellschaften usw. zu stärken. Im Programmentwurf stand zunächst drin, dass die Partei Pauschalabgaben ablehnt. Dieser Passus wurde gestrichen. Damit hat sie doch wirklich Realismus und Augenmaß bewiesen.

Vorläufig letzter Akt war die Affaire Bodo Thiesen, die ausführlich bei Spiegel und Focus breitgetreten wurde. Der hat vor einigen Jahren zum Holocaust und Nationalsozialismus ein paar vermutlich nicht strafbare aber mehr als grenzwertige Dinge gesagt. Er hat sich z.B. gefragt, ob Hitler wirklich Krieg wollte, oder den Holocaust gegenüber dem amerikanischen Genozid als „lächerliche 12 Jahre“ bezeichnet. Dafür ist er vom Vorstand gerügt worden. Leider hat er anschließend seine Äußerungen weder dementiert noch sich davon distanziert. Stattdessen hat er ein recht trotziges Rechtfertigungspamphlet geschrieben. Sehr vielen in der Partei war das ganze nicht oder nur obeflächlich bekannt. Ein ein Sturm der Entrüstung durchlief – leider erst nach dem Parteitag – die Partei, was nun dazu führte, dass der Vorstand ihn dazu aufgefordert hat, sich innerhalb von 24 Stunden unmissverständlich dazu zu äußern. Wie das ganze ausgeht, ist noch offen. Tut er es nicht zufriedensstellend, wird er wohl rausfliegen.

Geradezu krass ist aber, dass jetzt ein paar Leute  innerhalb und außerhalb der Partei laut „Zensur“ und „Meinungsfreiheit“ schreien. Ich glaube, manche haben das Konzept von Meinungsfreiheit und Zensur noch immer nicht verstanden. Wäre ein Parteiausschluss Zensur, dann wäre es auch Zensur, Kinderpornographie zu löschen. Ist aber keine Zensur. Es ist auch keine Zensur, wenn ich in m einem Blog Kommentare lösche. Keine Zensur, wenn ein Verleger entscheidet, was er drucken lässt.

Auch die Meinungsfreiheit wird nicht verletzt. Anders als Galilei erwartet Bodo Thiesen weder Knast noch Todesstrafe, sondern maximal der Parteiausschluss und das auch nur, wenn er seine Chance nicht nutzt. Außerhalb der Partei kann er seine Meinung soviel vertreten, wie er will. Sonst wäre es auch eine Einschränkung der Meinungsfreiheit, wenn ich eine Kneipe hätte und in der keine NPD-Versammlungen dulden würde. Zensur und Meinungsfreiheit sind immer auf den Staat bezogen. Der Staat darf uns nicht verbieten unsere Meinung zu sagen und er darf auch nicht zensieren. Privat darf ich sehr wohl selbst bestimmen, welche Meinungen ich persönlich für tolerabel halte. Wie jeder Mensch, jeder Kneipenwirt, jeder Zeitungsverleger und selbstverständlich auch jede Partei.

Die Reaktion von Basis und Vorstand waren also genau richtig. Die Piraten haben ihre Gretchenfrage richtig beantwortet. Ich stelle fest: Dafür dass im Moment alles ziemlich chaotisch ist, funktioniert die Partei hervorragend. Das Baby läuft. Ich bereue meinen Eintritt kein Stück.


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