Vorgestern war Winnenden. Heute meldete das Hamburger Abendblatt, dass ein Mann sich und seine Frau getötet hat. Äußerlich hat beides nichts miteinander zu tun, aber ein innerer Zusammenhang besteht.
Meldungen wie die letztere erreichen uns fast täglich, ohne dass sie noch besonders wahr genommen werden. Es passiert immer wieder, dass Menschen aus Rache, Verletztheit, Traumatisierung oder Hilflosigkeit sich und anderen das Leben nehmen. Ursachen sind immer wieder Perspektivenlosigkeit, verletzte Menschenwürde wie sie durch Hartz IV, Schulden, miese Chefs, kaputte Familien oder auch Mobbing in die Welt kommen. Wirklich verhindern wird man solche dramatischen Ereignisse wohl nie, und wenn dann nur in dem Maße, wie wir unsere Gesellschaft wieder menschlicher gestalten.
Tun wir aber nicht. Wir ziehen bei Arbeitslosen die Daumenschrauben an, machen aus Schule und Universität eine Tretmühle, propagieren überall unternehmerisches Handeln (also Konkurrenzkampf und gegenseitiges Ausstechen), wo menschliches Miteinander gefordert wäre. Passiert so ein Amoklauf, kriechen Interessenvertreter aller Couleur aus ihren Löchern und fordern strengere Waffengesetze, das Verbot von so genannten Killerspielen oder gewissen Musikrichtungen oder Filmen, egal wie sehr diese „Ursachen“ an den Haaren herbeigezogen sind. So kann man billige Lösungen anbieten, um unsere Gesellschaft nicht grundsätzlich kritisieren zu müssen. Die Öffentlichkeit ist beruhigt oder kann sich einmal mehr über Counter Strike statt über echte Missstände aufregen. Wir können weiter an der Menschwürde eines Teiles der Bevölkerung sägen und mobben wie bisher.
Wenn wieder jemand sich oder anderen das Leben genommen hat, ist das den Zeitungen nur ein Dreizeiler wert. Was zählt sind Sensation und Body-Count. BILD titelt in riesengroßen Lettern nur „Das Blutbad“ und zeigt ein Foto des minderjährigen Amokläufers. Auf Bild.de kann man die Ereignisse an der Albertville-Schule geradezu nachspielen. Die ZEIT hat nichts besseres zu tun, als die Diskussionen auf Twitter zu kritisieren, nur weil dort eine Twitterin aus Winnenden, die von Journalisten bestürmt wird, einfach nur sagt, nichts zu wissen. Warum verbreiten diese Medien, die dem „Web 2.0“ Irrelevanz vorwerfen, denn nun diese Nicht-Meldung?
Von wenigen Ausnahmen abgesehen: Wo gebloggt, gechattet, getwittert oder ein Mikrophon hingehalten wird, zeigen die Menschen ihre Bestürzung und ihr Mitgefühl. Politiker tun es auch, wenn auch etwas zu routiniert. Nur die großen Medien nicht: Kein Wort der Erschütterung, kein Wort des Mitgefühls mit den Opfern und Angehörigen, nur Sensationsgeilheit. Die Zeitungen laufen lieber medialen Amok. Ich rühre erstmal keine mehr an, sondern denke lieber an die armen Menschen, die dieses Drama miterleben mussten.
2 Antworten zu „Wenn Medien Amok laufen“