Die Wahl-O-Matisierung der Demokratie

Der Wahl-O-Mat ist mittlerweile eine Institution. Wenn er für eine Bundestagswahl freigeschaltet wird, ist die Nachfrage so groß, dass schon einmal der eine oder andere Server kurzzeitig unter der Last zusammenbricht. Es ist ja auch verlockend: Beantworte eine Reihe von Fragen und ich sage dir, wen du wählen sollst.

Bei näherem Hinsehen ist dieses Versprechen unhaltbar, was die Bundeszentrale für politische Bildung – die Herausgeberin des Wahl-O-Mat – auch in ihren FAQ schreibt: Das Tool dient der Orientierung und der Auseinandersetzung mit den Inhalten der Parteien und dem Nachdenken über den eigenen Standpunkt. Besonders wird empfohlen, die Begründungen der jeweiligen Parteien zu lesen.

Aber auch dann gibt es einiges zu kritisieren. Zum Beispiel die Auswahl der Fragen. Man kann sich streiten, ob der Punkt „Der Völkermord an den europäischen Juden soll weiterhin zentraler Bestandteil der deutschen Erinnerungskultur sein“ ein unerträglicher Tabubruch war oder leider notwendig, um sichtbar zu machen, dass einige Parteien derlei vertreten.

Weiterlesen im t3n-Magazin

die ennomane labert – Teil 1: Berliner, geht Wählen!

Ich wollte mal anwenden, was ich neulich auf dem Videocamp gelernt habe und habe heute ein kleines Wahlkampfvideo gedreht und geschnitten. Wie es sich für einen gestandendenen Prokrastinator gehört, am Abend vor der Wahl. Es zeigt mich beim Tee machen. Für die ganz Harten gibt’s Katzencontent.

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=aeAomwgKwPg[/youtube]

Zur Wählbarkeit der Piratenpartei

Ich hatte ja schon über die Unwählbarkeit der etablierten Parteien geschrieben und die einzige Alternative in der Piratenpartei gesehen. Nun gibt es sehr viele Leute, die die Piraten prinzipiell sympathisch finden, aber zu viele offene Fragen sehen. Ich versuche mal, diese Fragen zu beantworten, auch dort, wo ich mich nicht auf das feststehende Parteiprogramm stützen kann. Dieser Artikel ist meine Sicht, er entspricht meinen persönlichen Erfahrungen mit Piraten und ihren Wählern.

Vielen ist das Programm der Piratenpartei zu schmal. Bürgerrechte schön und gut, aber was ist mit Rente, Finanzkrise oder Afghanistan? Zu vielen wichtigen Politikfeldern gibt es keine offiziellen Aussagen, und das hat auch seine Richtigkeit so. Die Piratenpartei ist gerade erst 3 Jahre alt geworden. 8000 der insgesamt 9000 Mitglieder sind erst in den letzen 4 Monaten in die Partei eingetreten. Nun legt die Partei aber allergrößten Wert darauf, dass ihre Positionen demokratisch gefunden werden. Jeder kann und soll mitreden. Selbst Nicht-Mitglieder oder sogar Mitglieder anderer Parteien dürfen selbstverständlich an den Diskussionen und der Meinungsfindung teilnehmen. Das geschieht in Ortstreffen, in den Mailinglisten und auf dem Wiki. Gruppen können sich zusammenfinden, eine Forderung formulieren und diese dann auf dem nächsten Parteitag zur Abstimmung stellen. Dieses Prinzip ist den Piraten dermaßen wichtig, dass sie darauf verzichten, von der Spitze her das Programm zu erweitern. Unsere Amtsträger haben ihre Meinungen zu vielen Politikfeldern, aber sie werden sich hüten, diese als Parteimeinung hinzustellen, solange nicht klar ist, dass die Partei auch dahinter steht.

Eine solche Meinung soll fundiert sein. Zur Willensbildung gehört, Experten anzuhören. In Sachen Netzpolitik hat die große Koalition ein Veto fast sämtlicher Experten zum „Zugangserschwerungsgesetz“ einfach ignoriert und aus polittaktischen Gründen an der Entscheidung für „Zensursula“ festgehalten. Gerade dagegen wenden sich die Piraten und gerade deshalb werden sie keine unfundierten Forderungen stellen. Sitzen die Piraten im Bundestag, werden sie ihr Abstimmungsverhalten an ihrem Gewissen und ihren Grundsätzen orientieren und sich enthalten, wenn sie der Meinung sind, zu einer Sache vorerst keine Meinung haben zu dürfen.

Diese Grundsätze der Piraten sind übrigens eine solide Basis, um politische Entscheidungen zu treffen. Die Piratenpartei mag noch eine Ein-Themen-Partei sein, aber ihr Thema ist fundamental für fast alle Poltikfelder. Beispiele: In der Sozialpolitik werden die Piraten die unerträgliche Gängelung und Überwachung von Hartz-IV-Empfängern bekämpfen. In der Gesundheitspoltik gilt es, das für den Datenschutz extrem gefährliche, milliardenteure Datengrab Gesundsheitskarte zu verhindern. Bürgerrechte sind auch Arbeitnehmerrechte, das heißt: Piraten werden die Arbeitnehmern nicht nur vor dem Staat sondern auch vor ihren Chefs schützen, wenn es um Überwachung und Rechteabbau geht. Außenpolitisch sind die Piraten jetzt schon bestens vernetzt weil Teil einer internationalen Bewegung. Es ist ausdrückliches Ziel der Piraten, ihre Ziele langfristig auf EU-Ebene und international durchzusetzen. In der Wirtschaftspolitik richten sich die Piraten gegen Patente und (Quasi-)Monopole. Die Macht von Großkonzernen muss beschränkt werden zugunsten kleiner und mittlerer Unternehmen, regionaler Wirtschaft, dezentralen Strukturen. Piraten würden sich energiepolitisch gleichermaßen gegen Kohle- wie gegen Kernkraftwerke engagieren und stattdessen ein Netz von regionalen Kleinkraftwerken unterstützen. Diese Auflistung ließe sich beliebig fortsetzen. Die Forderungen werden nach und nach Eingang ins Parteiprogramm finden.

Eine andere Frage: Sind die Piraten nun links oder rechts? Sie wollen keines von beidem sein und diese Aussage hat durchaus ihre Berechtigung. Der Schutz der Bürgerrechte und freie Bildung sind aus heutiger Sicht konservatives Anliegen, während die Partei in Sachen Open Source, Open Access oder Urheberrecht sehr progressiv sind. In der Wirtschaftspoltik stehen die Piraten mittig: Ja zur sozialen Marktwirtschaft: Sozialistische Anflüge werden ebenso abgelehnt wie neoliberale Deregulierung. Dass sich die Piraten gegen Monopole und für Arbeitnehmerrechte wie zum Beispiel Whistleblower-Schutz und überwachsungsfreie Arbeitsplätze einsetzen, zeigt sehr schön, dass sie nicht Teil der neoliberalen Bewegung sind.

Eine Verortung im Links-Rechts-Schema ist durchaus möglich. Man kann sich im Wiki ein Bild über die Forderungen und Haltungen der Mitglieder machen. Viele Mitglieder füllen dabei gerne einen Fragebogen aus, mit dessen Hilfe die politische Orientierung in einem Koordinatensystem zwischen links und rechts einerseits und autoritär und liberal andererseits anzeigt. Die Fragen sind international formuliert und spiegeln die Geisteshaltung jenseits der deutschen Tagespolitik wider. (Hier ein Beispiel, wie das bei mir aussieht.) Soweit ich sehen konnte, ist die große Mehrheit der Piraten linksliberal eingestellt. Viele mit denen ich gesprochen habe, vermissen den linksliberalen Flügel der FDP, der 1982 verloren gegangen ist, und sehen sich dort in der Nähe. (Natürlich gibt es auch viele Piraten, die das ganz anders sehen, ich glaube aber, die Tendenz ist klar.)

Woher kommen die Piraten? Ganz überwiegend handelt es sich um junge Menschen, die zuvor politisch nicht aktiv waren. Viele standen in der Vergangenheit vor allem den Grünen oder (etwas seltener) der FDP nahe. Interessant ist, dass immer mehr Menschen mit SPD-Hintergrund zu den Piraten stoßen. Eher selten sind Leute aus dem Lager der Linkspartei oder der CDU, was nicht weiter verwunderlich ist, stehen doch beide Parteien für ein eher autoritäres und konservatives Millieu.

Wird das Wählen der Piraten also Schaden anrichten? Mit Sicherheit nicht. Vermutlich werden sie vor allem den Grünen und der FDP ein paar Stimmen kosten. Ziemlich sicher werden viele ehemalige SPD-Wähler dieses mal die Piraten wählen. Das sind allerdings Wähler, die sonst zähneknirschend die Linke oder eher noch: gar nicht mehr gewählt hätten. Überhaupt habe ich den Eindruck, dass die Piraten viele Protest- und Nichtwähler anziehen, also Stimmen für die Demokratie zurückgewinnen, die sonst verloren gegangen wären.

Wenn sie nun dem linken Lager stimmen kosten, hilft das nicht Schwarz-Gelb? Das ist zu kurz gedacht. Zum einen: Wenn Schwarzgelb die Mehrheit der Stimmen erhält, sollen sie auch regieren. Zum anderen: Erhalten die Piraten (wie ich vermute) Millionen Stimmen, wird das allen etablierten Parteien weh tun. Dies sind Stimmen, die sie hätten haben können, wenn sie eine vernünftige Poltik in Sachen Überwachung, Präventivstaat, Bildung, Internet usw. gemacht hätten. Meine Hoffnung ist, dass dieser Stimmenverlust den etablierten Parteien langfristig so weh tut, dass sie ihre Politik ändern werden – ganz ähnlich wie  die Grünen allein durch ihre Existenz eine halbwegs vernünftige Umweltpolitik der CDU erzwangen. Eine Stimme für die Piraten ist also, egal ob über oder unter der 5%-Hürde, keinesfalls verloren. Verloren ist wirklich nur eine nicht abgegebene Stimme. Sie kommt denen zu Gute, die sowieso schon stark sind.

Und wie war das mit dem braunen Rand? Wie ich schon schrieb: Piraten können gar nicht braun sein, da sie antiautoritär eingestellt sind. §1 der Bundessatzung lautet:

Die Piratenpartei Deutschland (PIRATEN) ist eine Partei im Sinne des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland und des Parteiengesetzes. Sie vereinigt Piraten ohne Unterschied der Staatsangehörigkeit, des Standes, der Herkunft, der ethnischen Zugehörigkeit, des Geschlechts, der sexuellen Orientierung und des Bekenntnisses, die beim Aufbau und Ausbau eines demokratischen Rechtsstaates und einer modernen freiheitlichen Gesellschaftsordnung geprägt vom Geiste sozialer Gerechtigkeit mitwirken wollen. Totalitäre, diktatorische und faschistische Bestrebungen jeder Art lehnt die Piratenpartei Deutschland entschieden ab.

Ich ende nicht mit einer Wahlempfehlung. Natürlich ist völlig klar, dass für mich morgen der Vote-like-a-Pirate-Day ist ;). Was Sie, liebe Leser, wählen, interessiert mich ehrlich gesagt nicht und es geht mich nichts an. Ich habe nur eine Bitte: Gehen Sie überhaupt zur Wahl. Verschenken Sie Ihre Stimme nicht.

Postscriptum: Viele (Piraten-)Wähler haben ein Problem mit der Erststimme. Sie wissen nicht, wen sie wählen sollen. Zunächst mal: Der Wahlzettel ist auch dann gültig, wenn nur die Zweitstimme angekreuzt ist. Das halte ich aber für eine schlechte Idee. Es steht zu befürchten, dass CDU und FDP nicht auf genügend Stimmen kommen, aber dank der Überhangmandate trotzdem regieren können, weil massenhaft CDU-Kandidaten die Erststimme holen. Eine Praxis, die bereits vom Verfassungsgericht als verfassungswidrig eingestuft, aber noch nicht geändert wurde. Hier doch eine kleine Wahlempfehlung: Wählen Sie den aussichtsreichsten Nicht-CDU-Kandidaten. Vielleicht hilft es ein wenig, das ganze geradezurücken. Eine Art besserer Wahl-O-Mat, der auch die Kandidaten für die Erststimme berücksicht, finden Sie unter wen-waehlen.de.

Was ich nicht verstehe… (oder: Wen kann man noch wählen?)

Was ich nicht verstehe…

Liebe CDU, christlich seid Ihr schon seit langer Zeit nur noch dem Namen nach. Wollt Ihr auch noch das „D“ in Eurem Namen abschaffen? Oder was versteht Ihr unter Demokratie? Das Überwachen der eigenen Bürger bis hin zum Einsatz der Bundeswehr im innern gegen selbige? Das Stehlen und Überkleben von Wahlplakaten anderer Parteien? Wählertäuschung mittels gelogener Angaben beim Wahl-O-Mat? Eine Erststimmenkampagne um dank eigentlich illegaler verfassungswidriger Überhangmandate gegen den Wählerwillen zu regieren?

Liebe SPD: Lafontaine hin, SED her: Ihr habt ein Programm. Für dieses Programm sollen wir Euch wählen. Es deckt sich so im großen und ganzen mit den Programmen der Grünen und Linkspartei. Unterschiede gibt es eigentlich weniger qualitativ als eher quantitativ: x oder y Millionen Jobs. x oder y € Mindestlohn. Egal, ob ich dieses Programm nun gut finde, eine Frage an Euch: Wenn Ihr es ernst meint mit diesem Programm, warum manövriert Ihr Euch eigentlich in die Koalitionssackgasse? Warum habt ihr das nicht schon 2005 umgesetzt? War es in diesem Wahlkampf nicht doch von Anfang an Euer Plan, in der großen Koalition weiter zu wursteln? Und wenn ja: Was genau ist Euer Wahlprogramm dann eigentlich noch wert? Wäre Wählertäuschung nicht noch ein freundliches Wort für so etwas?

Liebe FDP, ich mag Euch nicht, weil „liberal“ für Euch vor allem die Freiheit der (finanziell) Starken und weniger die der Schwächeren bedeutet. Immerhin gebt Ihr das offen zu. Ihr behauptet aber auch, eine Bürgerrechtspartei zu sein. Wie kann das angehen, dass Ihr trotzdem in Nordrhein-Westfalen eine Internet-Zensur etabliert habt? Dass ihr in Bayern mittels „Bayerntrojaner“ die Computer der Bürger überwachen und kompromittieren wollt? Dass Ihr vor dem Verfassungsgericht gegen das „Zugangserschwerungsgesetz“ AKA „Zensursula“ klagen wollt – aber nur, falls Ihr nicht an die Macht kommen solltet? Dass Ihr jetzt schon schärfere Sicherheitsgesetze zusammen mit der CDU plant? Oder gerade in Sachsen anfangt, das Internet schärfer zu überwachen? Meint Ihr, da seien die Worte „liberal“ und „Bürgerrechte“ noch entfernt glaubwürdig? Ich bitte Euch!

Liebe Grüne: Ihr habt eigentlich ein ganz gutes Programm. Schade nur, dass alles jenseits der Umweltpoltik bei Euch klingt, als sei es von der SPD oder der Linkspartei abgeschrieben. Aber egal: Was ist das Programm wert, wenn Euch nichtmal Eure Kernforderungen heilig sind? Was sind Pazifisten wert, die auf Zuruf doch mal eben Soldaten in den Kosovo oder nach Asien schicken? Was sind Umweltschützer wert, denen Macht und Posten in Hamburg wichtiger sind als das Nein zum Kohlekraftwerk in Moorburg und das Nein zur Elbvertiefung – im Tausch gegen eine neue Straßenbahnlinie und eine verwässerte Schulreform, die keine zwei Legislaturperioden überleben wird?

Liebe Linkspartei: In welcher Realität lebt Ihr? Reichtum für alle und Reichtum besteuern zugleich? Und wenn Ihr dann doch regiert, wie in Berlin, weiß kein Mensch mehr, wofür Ihr eigentlich steht, weil ihr dort von der SPD nicht zu unterscheiden seid…

Alle ihr Parteien zusammen: Ich sehe Euch allesamt in einer Krise, in der uns die Demokratie um die Ohren fliegen könnte, wenn ihr so weitermacht. Wenn Ihr erneut den Wählerwillen ignoriert und eine schwarzgelbe De-facto-Minderheitsregierung oder eine erneute schwarz-rote Sowohl-als-auch-Koalition gründet. Ihr werdet erleben, wie die Wahlbeteiligung in ungeahnte Tiefen fällt. Ihr werdet erleben, wie sich noch viel mehr Bürger als sowieso schon von Euch abwenden werden. Bürger die frustriert wie freie Radikale agieren und nur noch daran denken werden, was für sie und ihresgleiches wichtig ist. Ich kann Euch alle miteinander nicht mehr wählen. So gerne ich möchte, aber es geht nicht. Wenn dann die Frage nur noch lautet: Nicht wählen, oder Piratenpartei, dann ist die Antwort ziemlich klar.

Websperren: Warum es sehr wohl um Zensur geht

Am 18. Juni verabschiedete der Bundestag ein Gesetz zur Sperrung kinderpornographischer Inhalte im Web. Dazu ein Text vor allem für Menschen, die sich mit dem Internet nicht so auskennen. Ausdrucken und weitergeben in jeder Hinsicht erwünscht.

Worum geht es bei den Internetsperren?

Das Abrufen von Webseiten, die Kinderpornographie enthalten, wird auf ein Stoppschild umgeleitet. Hierfür soll eine geheime Liste vom BKA geführt und regelmäßig an die Internet-Provider weitergegeben werden.

Das klingt doch gut, warum seid Ihr dagegen?

Weil das Gesetz wirkungslos ist, aber viel Schaden anrichten wird. Wir haben Angst, dass es zu allgemeiner Zensur im Internet führt. Deshalb wurde eine Petition beim Bundestag gestartet. Sie fand 134.014 Unterzeichner, mehr als jede andere Petition zuvor. Leider wird sie von CDU und SPD ignoriert. Die wollen das Gesetz noch schnell vor der Sommerpause und der Bundestagswahl durchbringen.

Viele Politiker sagen, das Internet dürfe kein rechtsfreier Raum sein.

Ist es auch nicht. Anhand der IP-Adresse kann festgestellt werden, wer dort was getan hat. In den letzten Jahren gab es z.B. zehntausende von Abmahnungen wegen unerlaubter Kopien von Musik usw. Das zeigt deutlich, wie gut die Strafverfolgung auch im Internet funktioniert. Wer selber Texte und Bilder im Netz veröffentlicht, kann ziemlich schnell dingfest gemacht werden.

Aber Ursula von der Leyen schildert eindringlich das Leid der Kinder.

Ursula von der Leyen malt dazu ein Bild übelster Gräueltaten an die Wand, das so nicht der Realität entspricht. Kinderpornographie ist zumindest im WWW (um das es hier geht) eine äußerst seltene Randerscheinung. Das Familienministerium redet von einer Zunahme der Fälle und versucht, reine Verdachtsfälle, in denen niemand verurteilt wurde, mit in die Statistik zu mogeln. In Wirklichkeit werden die Fälle weniger.

Aber die Bilder sind doch im Netz? Man könnte sogar zufällig welche finden?

Dass jemand zufällig im Netz über solche Bilder stolpert, ist äußerst unwahrscheinlich. Eher haben Sie 6 Richtige im Lotto. Solche Webseiten sind sehr, sehr selten. Weil Kindesmissbrauch fast überall auf der Welt illegal ist, werden die Bilder unter Hand getauscht, z.B. auf CDs per Post aber fast gar nicht im WWW. Wir öffnen doch auch nicht sämtliche Briefe bei der Post, weil da Kinderpornographie drin sein könnte.

Selbst wenn es nur sehr wenige Bilder sind: Missbrauchsopfer wollen doch sicher, dass die Bilder aus dem Netz verschwinden. Sind die Euch etwa egal?

Nein, die sind uns gar nicht egal, im Gegenteil. Wir wollen, dass solche Inhalte gelöscht werden und die Urheber verfolgt werden. Das ist sogar relativ einfach. Beim Sperren werden die Bilder aber nicht gelöscht, sondern es wird nur ein Stoppschild davorgestellt. Nach Frau von der Leyens Gesetz bleiben die Bilder also im Netz.

Wenn die Server im Ausland stehen, dauert das Löschen vielleicht eine Weile. Sollte man nicht wenigstens dann so lange sperren?

Das ist keine gute Idee. Wer einen solchen Server betreibt, bekommt recht schnell mit, dass er gesperrt wird, und kann sich aus dem Staub machen. Netzsperren schützen also Kinderschänder vor Strafverfolgung.

Und warum sind die Sperren wirkungslos?

Weil jeder sie äußerst einfach umgehen kann.

Im Gesetz steht nichts zur Technik. Vielleicht erfindet jemand Sperren, die nicht umgangen werden können?

Sowas gibt es schon. Dafür müssten die Internet-Provider aber permanent alles überwachen, was wir im Internet tun. Jeden einzelnen Text den wir lesen, jedes einzelne Bild, das wir uns ansehen. Möchten Sie, dass ständig überwacht wird, welche Filme Sie ansehen und welche Bücher Sie lesen?

Aber die SPD hat doch in einem Kompromiss das schlimmste verhindert?

Nein, das war eigentlich nur Kosmetik. Einige Mitglieder wollten, dass der Parteitag über die Sperren abstimmt, wurden dort aber mundtot gemacht. Stattdessen hat SPD mit der CDU im Hinterzimmer nur leichte Änderungen ausgeklüngelt: Es wird ein Spezialgesetz wirklich ausschließlich gegen Kinderpornographie sein. Außerdem soll ein Kontrollgremium geschaffen werden, das die Listen überwacht.

Ist doch prima, warum jammert Ihr dann noch?

Weil das Gesetz mit oder ohne Kontrollgremium immer noch die Gewaltenteilung aushebelt. Eigentlich müsste in jedem Fall ein Richter über die Sperre entscheiden. Außerdem gehen viele Juristen davon aus, dass ein solches Gesetz gar nicht vom Bund, sondern nur von den Ländern erlassen werden darf. Das Gesetz ist ziemlich sicher grundgesetzwidrig.

Na gut, aber Kinder sind wichtiger als juristische Spitzfindigkeiten. Immerhin gibt es ein Kontrollgremium.

So ein Kontrollgremium kann vielleicht verhindern, dass Webseiten „aus Versehen“ auf die Sperrliste geraten. Es verhindert nicht, dass an sich zensiert wird.

Aber man kann doch nicht von Zensur reden, wenn es um Kinderpornographie geht?

Stimmt. Vorläufig geht es um Kinderpornographie. Haben wir aber erstmal diese Sperren, dann ist die Hemmschwelle für weitere zukünftig niedriger. Etliche Politiker von CDU und SPD fordern bereits jetzt, weitere Inhalte zu sperren, und zwar längst nicht nur illegale.

Außerdem werden laut Gesetz auch Seiten gesperrt, die keine Kinderpornographie enthalten, aber Links zu solchen Seiten. Wenn jemand auf eine Seite verlinkt, auf der dann später ohne sein Wissen Kinderpornographie veröffentlicht wird, wird er auch gesperrt, ohne etwas damit zu tun zu haben.

Im Gesetz steht aber klar drin, dass nur Kinderpornographie gesperrt wird. Die Demokratie wird schon verhindern, dass weitere Inhalte ins Gesetz geschrieben werden.

Glauben wir nicht. Aber selbst wenn das Gesetz in alle Ewigkeit auf Kinderpornographie beschränkt bleibt und verlinkende Seiten außen vor bleiben, werden garantiert auch Seiten gesperrt werden, die damit gar nichts zu tun haben.

Wie soll das passieren?

Dazu muss ich etwas weiter ausholen, weil das juristisch ein wenig komplizierter ist. Nach deutschen Recht gibt es eine so genannte „Störerhaftung“. Danach kann ein Internet-Provider als „Mitstörer“ angesehen werden, auch wenn er für Inhalte einer Webseite gar nicht verantwortlich ist. In der Vergangenheit haben Leute immer wieder Internet-Provider darauf verklagt, als „Mit-Störer“ Webseiten zu sperren. Bisher haben Gerichte immer gegen das Sperren entschieden, allerdings nur, weil der technische Aufwand für den Provider unzumutbar sei. Mit dem neuen Gesetz müssen die Internet-Provider die Technik sowieso bereitstellen. Sie können also künftig vor Gericht gezwungen werden, auch Webseiten zu sperren, die absolut ganz und gar nichts mit Kinderpornographie zu tun haben, obwohl das nicht in dem Gesetz steht. Das ist so, als würden Sie Ihren Briefträger wegen des Inhalts Ihrer Post verklagen.

Aber das ist doch vor Gericht und nach Recht und Gesetz?

Nur formell. Nehmen wir an, ich verkaufe Waren über meine Webseite. Ein Konkurrent verklagt mich wegen irgend etwas und erwirkt eine einstweilige Verfügung. Meine Webseite wird also gesperrt, ich kann erstmal nichts verkaufen und der Prozess zieht sich über Monate hin. Selbst wenn ich unschuldig bin und den Prozess gewinne, bin ich zwischenzeitlich pleite gegangen und der Konkurrent hat gewonnen, selbst wenn er den Prozess selbst verliert.

Sobald Netzsperren also etabliert sind, kann jeder jedem zumindest zeitweise einen Maulkorb verpassen. Vor allem Leute mit viel Geld und teuren Anwälten anderen Leuten mit wenig Geld und schlechten Anwälten. Die Folge wäre so etwas wie ein allgemeines Zensur-Chaos. Deshalb haben wir Angst vor dem Zensurmechanismus, auch wenn die Politiker hoch und heilig versprechen, dass nur Kinderpornographie gesperrt wird.

Ach wissen Sie: Ich bin sowieso nicht im Internet. Eigentlich ist mir das alles egal.

Das Internet darf Ihnen persönlich gerne egal sein, aber denken Sie an Ihre Kinder. Die wachsen mit dem Internet auf. Für Ihre Kinder ist ein freies, unzensiertes Internet genauso wichtig, wie für Sie, dass keine Bücher, Zeitschriften, Filme oder Briefe zensiert werden dürfen. Und auch wenn Sie das im Alltag nicht so richtig merken: Das Internet ist längst zum Rückgrat unserer Wirtschaft (und bei den Jüngeren der Gesellschaft an sich) geworden.

Fazit: Das Gesetz richtet gar nichts gegen Kindesmissbrauch aus, gefährdet aber den Rechtsstaat, den Rechtsfrieden, die Internetwirtschaft und die Freiheit in Deutschland.

Diesen Text als PDF oder für OpenOffice herunterladen.

Angst essen Internet auf

Wir erleben mit Schrecken, wie die Berliner Politik laienhaft ins Web hineinregiert, schreien Zensur! Überwachung! 1984! Und da draußen sitzen die Menschen, die nie im Internet waren oder allenfalls im Büro Mails beantworten: Die halten uns für einen durchgeknallten Haufen hysterischer Spinner, die ihr Privatleben gegen den Computer eingetauscht haben.

lese auf ubahn-infoscreens, dass 50.000 leute gegen "das gesetz gegen kinderpornografie" votiert hätten. versetze mich in die mitreisenden.

Das Internet spaltet die Gesellschaft: Diejenigen, die nicht drin sind, können das Unbekannte nicht einschätzen und lesen in den Medien dauernd nur was von Viren, Zahlungsbetrug und Kinderpornos. Und als sei das nicht genug, vernichtet das Internet auch noch massenhaft klassische Jobs:

  • Die Musik-Umsätze sind stark eingebrochen, da man einen Song nicht mehr auf CD kaufen muss, den man auch (im zweifel umsonst und illegal) im Netz herunterladen kann.
  • Bei den unter 30-jährigen ist das Web längst zum Leitmedium avanciert. Die absoluten Zuschauerzahlen von Fernsehsendungen und damit auch deren Werbeerlöse gehen zurück.
  • Dasselbe passiert in viel stärkerem Ausmaß im Journalismus: In den USA sterben Tageszeitungen wie die Fliegen, da das Web eine Zeitung aus Papier vollkommen überflüssig gemacht hat. Mit dem Handy kann ich sie sogar in der U-Bahn lesen…
  • Viele von uns verzichten mittlerweile auf Auto, Reisen und Hotelübernachtungen, da wir einfach von Zuhause aus mit Freunden Kontakt halten und sogar unsere Arbeit erledigen können. Selbst im Außendienst nimmt die Reisetätigkeit ab.
  • Homebanking macht (wie zuvor schon der Geldautomat) viele „kleine“ Bankmitarbeiter überflüssig.
  • Die E-Mail hat das Postaufkommen stark verringert. Die Post versucht, mit Entlassungen und Arbeitszeitverlängerungen die Lohnkosten in den Griff zu bekommen.
  • Webservices automatisieren den Einkauf zwischen Firmen: Was früher ein Einkäufer per Brief und Telefon erledigt hat, regeln heute Computersysteme vollautmatisch, die direkt mit den Produktionsstraßen und Lagerstätten gekoppelt sind.

Das sind nur wenige Beispiele, wie das Internet die Wirtschaft rationalisiert. Hat im letzten Jahrhundert vor allem die Maschine den klassischen Arbeiter verdrängt, so verdrängen heute vernetzte Anwendungen den klassischen Büroangestellten. Und das Rad lässt sich nicht zurückdrehen, sonst würden wir wie die Amish leben und am Taxistand stünden immer noch Postkutschen. All das passiert auch noch gleichzeitig mit der Globalisierung, Wohlstandsverlusten, höherem Lohngefälle… Das spüren die Bürger und entwickeln ein sehr ungutes Gefühl im Bauch: Angst vor einer Technik, die sie nicht verstehen und kontrollieren können, die aber ihr Leben  und die Gesellschaft verändert. Abwehrhaltung gegenüber einer Technik, die unsere Kultur verändert.

Denn ja, einen Computer zu bedienen und sich im Web zu bewegen ist längst zu einer unverzichtbaren Kulturtechnik geworden. Der Offliner des Jahres 2009 entspricht einem Arbeiter des Jahres 1909, der nicht vernünftig lesen und schreiben konnte und nur entsprechende Knochenjobs fand.

Wir Onliner tanzen auf dem Vulkan, wenn wir frivol die neue Kultur feiern und die Offliner als „Internet-Ausdrucker“ abwerten. Wir müssen ein Gefühl dafür bewahren, wie weit wir uns von denen da draußen entfernen. Es ist tatsächlich, wie noch in jeder Umwälzung in der Geschichte, eine Frage von Bildung und Aufklärung.

Petitionen und  Piratenpartei schön und gut, sie helfen nur bedingt, die breite Masse zu erreichen. Wir können uns die Finger wund bloggen, und werden nichts erreichen, so lange wir nicht auf die Menschen zugehen, und ihnen dabei helfen, ihre Probleme zu lösen. Wenn immobile Menschen lernen, über das Web einzukaufen, Arbeitslose im Netz nach Jobs suchen, Hartz-IV-Empfänger in den Foren Tipps zum Umgang mit den Behörden diskutieren, Obdachlose im Netz mit anderen Menschen unbefangen chatten können, Rentner ihre Enkel auf Facebook entdecken, Eltern über das Web Betreuungszirkel für ihre Kinder organisieren, Schulkinder sich gezielt untereinander Nachhilfe geben, Arbeitnehmer ohne Versammlung einen Streik organisieren und Stadtteile Nachbarschaftshilfe – erst dann ist das Web wirklich in der Gesellschaft angekommen. Stellen wir uns vor, welchen politischen Gegenwind Schäuble, von der Leyen & Co. dann wohl hätten…

P.S.: Als ich den Artikel „Hier läuft was falsch! (Für einen neuen Ansatz in der Politik)“ online stellte, hätte ich im Traum nicht erwartet, wieviel Resonanz er hervorrufen würde. Viele Leute haben sich bei mir gemeldet und wollen „mitmachen“, dabei gibt es keinerlei Organisation – nur die Idee. Ich werde alle, die sich gemeldet haben, in der nächsten Zeit anschreiben, damit wir gemeinsam etwas auf die Beine stellen können.

Hier läuft was falsch! (Für einen neuen Ansatz in der Politik)

Wir haben eine lange Agenda: Vorratsdatenspeicherung, Zensursula,  Filesharer, Patent- und Urheberrecht, Netzneutralität, Datenschutz, KillerspieleEgoshooter, Inkompatibilität klassischer Gesetze und moderner Arbeitswelten – das sind nur die wichtigsten Punkte, die mir spontan einfallen. Als ich neulich bei einem Glas Wein mit meiner Liebsten darüber diskutierte, hatte sie einen Gedanken, den ich einfach nur frappierend finde. Dazu muss ich ein klein wenig ausholen:

Lieber Leser, schließen Sie einmal kurz die Augen und denken Sie zurück an das Jahr 1994. Fragen Sie sich auch manchmal, wie Sie ohne das Web (egal in welcher Versionsnummer) überhaupt leben konnten? Wie Fernsehen und Printmedien im Mittelpunkt standen? Wie Sie jemandem noch einen Brief schreiben mussten, wenn Sie ihn nicht einfach anriefen? Wie Sie die Nummer im Telefonbuch aus Papier nachschlagen mussten? Wie Sie am Telefon mit einem Sachbearbeiter und nicht einem Callcenter-Agent verbunden wurden? Oder sich mit ihren Freunden regelmäßig in der Kneipe zu treffen hatten, um „dabei“ zu sein? Versetzen Sie sich einmal in diese Zeit zurück und betrachten Sie die eingangs erwähnten politischen Probleme aus dieser Distanz. Welche Relevanz haben diese dann noch? Könnten Sie sie überhaupt verstehen?

Und jetzt denken Sie daran, dass die ganz große Mehrheit der Deutschen noch in dieser Welt lebt, in die Sie sich gerade versetzt haben. Wenn 55 Mio online sind, sind 35 Mio es nicht. Ein sehr großer Teil nutzt das Internet nur beruflich, aber nicht privat. Und wie viele von den 33 Mio Menschen, die auch privat online sind, machen nur Homebanking, lesen ein wenig SPON und schreiben ab und zu mal eine Mail? Wieviele sind echte Netizens, die bloggen, twittern oder anders das Social Web nutzen? Für wieviele ist das Internet tatsächlich ein Lebensraum geworden? Wir Netizens sind sicher nicht wenige, aber wir sind weit in der Minderheit und die Leute da draußen haben ihre eigenen Sorgen; sie wissen und verstehen nicht, was wir hier eigentlich tun. Und warum sie das groß interessieren sollte.

Der zentrale Gedanke: Wir bloggen und twittern im Elfenbeinturm und sind dabei ganz mit uns selbst beschäftigt . Wir müssten Begegnungen mit den Menschen da draußen herbeiführen, und genau das geschieht momentan nicht.

Welchen Eindruck wird ein normaler Mensch haben, wenn ein nerdiger Typ „Zensur!“ schreit, während Frau von der Leyen scheinbar gegen Kindesmissbrauch kämpft? Wie reagiert ein Fließbandarbeiter bei Opel auf Sascha Lobo, der im Fernsehen erzählt, dass ohne Social Web bald nichts mehr geht, man auch prima mit dem Laptop im Café arbeiten kann und warum er trotz Aufschieberitis produktiv ist? Glaubt jemand, ein Arbeitsloser mit massiven Selbstzweifeln und Angst, nicht mehr dazuzugehören, fühlt sich angesprochen, den Kampf gegen die Vorratsdatenspeicherung zu unterstützen? Meinen Sie, Tante Hedwig von nebenan wird die Anliegen einer Partei, die sich Piratenpartei nennt, auch nur entfernt seriös finden können? Und wie sollen wir aufklären, wenn die großen Medien gegen uns sind, die selber Angst vor dem Web haben und ihrerseits nicht nur mitten im Kulturkampf sondern in einer handfesten Krise stecken?

Die Parteien in ihrer jetzigen Form sind keine Lösung, sondern Teil des Problems: Das Ansehen der Politiker ist im Keller, das gummiweiche Politikerdeutsch kann niemand mehr ertragen, und die Meinung, dass die Volksvertreter seit langem zunächst mal ihre Partei und dann – vielleicht – noch das Volk vertreten, ist äußerst weit verbreitet. Die Politikverdrossenheit war von Anfang an eine Parteienverdrossenheit, und da werden wir nur selber hineingezogen, wenn wir Parteien gründen oder ihnen beitreten oder versuchen auf dem Marktplatz der Meinungen genauso laut zu brüllen wie die anderen.

Ja, wir brauchen Organisation, ja, wir brauchen Intellektuelle, ja, wir brauchen theoretischen und programmatischen Überbau und all das. Aber wenn wir die Menschen erreichen wollen, müssen wir sie dort abholen, wo sie sind. Wir dürfen nicht erwarten, dass sie zu uns kommen, sondern müssen Ihnen entgegen gehen.

Ausgerechnet die braune NPD macht es vor und organisiert Jugendlager, Stadtteilfeste, Einkaufshilfen usw. Warum macht eigentlich von der Linken bis zur CDU keine etablierte Partei, ja nicht einmal Attac etwas ähnliches? Warum erlauben wir eigentlich den Nazis einen auf Gutmensch zu machen und überlassen ihnen derart widerstandlos das Feld?

Dabei könnte es so einfach sein: Fremdenfeindlichkeit beispielsweise lässt sich durch Integration bekämpfen. Wo ich dem Fremden begegne und in ihm den sympathischen Menschen erkenne, höre ich auf, meine Ängste auf ihn zu projezieren.

Auf unsere Politikfelder übertragen heißt das: holen wir die Leute ins Netz, aber hören wir auf, ihnen „unsere“ Probleme aufzudrängen, sondern helfen wir ihnen, ihre eigenen zu lösen. Schließlich ist das Internet ein einmaliges Werkzeug zum Empowerment. Warum nicht kostenlose Internet-Seminare in Pflegeheimen veranstalten? Warum nicht Hartz-IV-Empfänger helfen, im Netz nach Jobs zu suchen oder sie wenigstens im Umgang mit den Ämtern beraten und unterstützen? Oder für jugendliche LAN-Parties und Programmiercamps organisieren? Immobilen Menschen zeigen, wie sie ihren Wocheneinkauf via Web bestellen und liefern lassen können? Wer sponsort DSL-Anschlüsse in Obdachlosen-Cafés? Das sind nur einige erste Ideen, weitaus mehr wäre denkbar.

Hören wir auf die Leute vollzulabern, sondern hören wir ihnen auch zu! Versuchen wir, sie nicht als Ewiggestrige, Internetausdrucker oder Unterschicht abzuwerten. Wenn wir ihnen als Menschen begegnen und Zusammenhalt schaffen, können wir einen großen Teil unserer Probleme ganz ohne politischen Kampf lösen. Und für die restlichen Aufgaben eine enorme Anhängerschar gewinnen. Vielleicht erledigt sich das auch von alleine, wenn sowieso irgendwann alle im Netz sind. Aber so lange will ich nicht warten und unserer angeschlagenen Demokratie hilft es nicht weiter.

Die WahlWettlokale sind eröffnet

Noch ein gutes halbes Jahr bis zur Bundestagswahl. Vier Jahre ist es bald her, dass Schröder sich in der Elefantenrunde daneben benommen hat und Merkel/Münte zur großen Koalition kamen wie die Jungfrauen zum Kind.

In Deutschland pflegen wir, dem Zeitgeist rund 10 Jahre hinterher zu wählen. Rot-Grün war schon in den 90ern gesellschaftlicher Common Sense, kam aber erst 1998 an die Macht. Zu der Zeit wäre eine große Koalition durchaus sinnvoll gewesen (Stichwort Reformstau). Die Politik, die Schröder und Fischer dann betrieben haben, war durchaus nicht die, die man sich 16 Kohl-Jahre lang von Rot-Grün erhofft hätte. De facto regierte ein seltsamer Hybrid aus Rot-Grün und Großer Koalition (via Bundesrat) und schenkte uns so schöne Gesetze wie Hartz IV.

Mit den Nullerjahren kam der Flashback: 20jährige schämten sich nicht mehr, beim Kiffen bereitwillig zu erzählen, dass sie die CDU wählen, und niemand hätte sie dafür noch aus der WG schmeißen wollen. 2002 und 2005 wäre eigentlich eine CDU-FDP-Koalition an der Reihe gewesen. Es scheiterte zunächst an Stoibers Unbebeliebtheit und dann an Merkels Schwäche. Ihr Wahlergebnis blieb weit hinter den Umfragen zurück, nachdem die CDU in den Ländern jahrelang und reihenweise Siege einfuhr.

Heute ist wohl genügend Zeit vergangen, dass sich dieser schon fast verwehte neokonservative Zeitgeist auch im Wahlergebnis niederschlagen müsste, aber die CDU ist schwächer denn je. Nachdem die SPD ihre Quittung für ihre asozialdemokratische Politik bekommen hat, ist es jetzt die CDU, die dafür bestraft wird, in der Großen Koalition nicht mehr von der SPD unterscheidbar zu sein. Beiden ist gemein, dass sie weiterhin neoliberale Politik betreiben, gerne mal die Bürgerrechte beschneiden, den Umweltschutz angesichts der Krise hinten an stellen und knurrig vor sich hin reformieren, wenn sie nicht gerade Opposition in der Regierung spielen und sich gegenseitig die Köppe einschlagen. Zuschauen ist da schon schmerzhaft. Klar, dass das die Bürger zu den kleinen Parteien treibt.

Als da wären:

  • Die Linke. Die einzige Partei, deren Politik man noch als „sozial“ bezeichnen kann. Dass sie trotz des sozialen Kahlschlags kaum über die 10% Hürde kommen wird, liegt an der SED-Vergangenheit, am Gottseibeiuns-Lafontaine, der kommunistischen Plattform, am dilettantisch wirkenden Personal und nicht zuletzt daran, dass sie von den großen Medien einhellig und permanent verteufelt wird.
  • Weiterhin die FDP, die massenhaft Zulauf von enttäuschten bürgerlichen Wählern hat und besoffen ist von den derzeitigen 15%, ohne zu kapieren, dass der Neoliberalismus vollkommen am Ende ist.
  • Und natürlich die Grünen: Einerseits sind sie weiterhin attraktiv für linksliberale Wähler, andererseits verlieren sie Stammwähler, die wegen Schwarz-Grün in Hamburg und der Schröder-Fischer-Politik enttäuscht sind. Ungefähr ein Nullsummenspiel: Die Grünen verlieren nicht dramatisch, gewinnen aber auch nicht hinzu.
  • (Und die NPD zerlegt sich gerade selbst so nachhaltig, dass sie weiterhin brav unter der 5%-Hürde bleiben wird. Die Piratenpartei und alle anderen werden vom breiten Wahlvolk nicht ernst genommen werden. Wie gehabt.)

Die Sonntagsfrage spuckt derzeit eine wackelige Mehrheit für Schwarz-Gelb aus. Ich glaube nicht, dass sie es schaffen. Die CDU wird weiterhin schwächeln, während die FDP ein immer noch sehr gutes Ergebnis einfahren wird, das aber hinter den derzeitigen 15% zurück bleibt.  Unterm Strich wird es auf ein Patt zwischen Schwarz-Gelb auf der einen und Rot-Rot-Grün auf der anderen Seite hinauslaufen. Da die SPD weiterhin nicht mit der Linken koalieren will und die Ampel von der FDP abgelehnt wird, bliebe noch die Große Koalition, die nun wirklich niemand mehr will.

Ich glaube, die Grünen werden sich einen Ruck geben und es wird zu einer Jamaika-Koalition kommen. Dafür spricht, dass Schwarz-Grün in Hamburg existiert und die Grünen momentan in Richtung FDP sondieren. Wohl wissend, dass es weder zu einer Ampel noch einer Rot-Rot-Grünen Koalition kommen wird, wäre es ihre einzige Machtperspektive. Neuerdings spielen argumentativ ja auch programmatische und weltanschauliche Schnittmengen zwischen den Parteien keine Rolle mehr, sondern wie sie sich gegenseitig ergänzen. Diese Idee ist zugleich dumm und bestechend. Man darf nicht vergessen: Grüne sind traditionell liberal (solange es nicht der Umwelt schadet), der Umweltschutz ist ein wertkonservatives Anliegen und ein großer Teil der grünen Klientel stammt aus bügerlichen und akademischen Kreisen.

Die Grünen sind von CDU und FDP nicht so weit entfernt, wie es scheinen mag. Natürlich stehen sich SPD und Linke näher, können aber bis auf weiteres nicht unvoreingenommen miteinander umgehen.

Was wäre von der Schwampel zu erwarten?

  • Keine nennenswerte Sozialpolitik. Hartz IV bleibt erhalten, die Daumenschrauben werden aber je nach Kassenlage weiter angezogen.
  • Neoliberale Politik wie gehabt. Sobald die Krise einigermaßen gemeistert ist, wird die nächste Privatisierungswelle rollen.
  • Eine große Steuerreform mit einer drastischen Vereinfachung des Systems. Spitzensteuersätze werden sinken, gleichzeitig bekommen die Grünen ein ökologisches Korrektiv (z.B. weiterer Anstieg der Mineralölsteuer gegen Abschaffung der Kfz-Steuer.)
  • Der Gesundheitsfonds wird zu einer Kopfpauschale umgebaut.
  • Schäuble könnte weiter Innenminister bleiben, wird sich aber gegen starke FDP- und Grünen-Flanken nicht mehr damit durchsetzen können, die Bürgerrechte weiter zu beschneiden.
  • Das Bürgergeld ist ein in links- wie rechtsliberalen Kreisen beliebtes Modell, wenn auch nicht zwingend bedingungslos und schon gar nicht in der Höhe, wie es von der Linken und einigen Bürgerrechtlern gefordert wird. Trotzdem könnte ein Einstieg in ein solches Modell kommen. Dazu reicht aber die Parteienkonstellation alleine nicht aus: Es muss erst wieder mehr Druck auf den Sozialausgaben lasten. Die Krise könnte dafür sorgen, dass uns Bafög,  Renten, Unterstützung für Arbeitslose und selbst Hartz IV wieder als unbezahlbar verkauft werden.

Das wäre mein kleiner Ausblick auf die Bundestagswahl und die Jahre 2009-2013. Die Wettlokale sind eröffnet. Einzige noch offene Frage: Was nur, was soll man da noch wählen?