Update: Der Talk ist jetzt bei Youtube online.
Bei Filterblasen denken wir an soziale Medien und Fakenews oder Hatespeech. Vielleicht hilft beim Entschlüsseln dieser Probleme ein Blick auf ganz andere, nicht digitale Filterblasen und die Erfahrungen, die ein Mensch macht, wenn er oder sie von einer Blase in die andere wechselt. Ein Beispiel sind Gehörlose und Schwerhörige. Während es für die meisten Menschen möglich ist, eine andere Kultur durch erlernen von Sprache und Codes zu „betreten“, ist dieses für Menschen der Gehörlosenkultur nicht möglich, schließlich sind sie von lautsprachlicher Kommunikation ausgeschlossen. Hierfür kennt die Digitalisierung eine technische Lösung: Das Cochlea-Implantat, eine elektronische Hörprothese. Ich trage so ein Implantat und habe die Implantation, das Wieder-Hören-Können, den Übertritt von einer Blase in die andere und den damit einhergehenden Perspektivenwechsel als großartige Zeit erlebt. Aber auch als Infragestellung meiner Identität. Es ist also keine Überraschung, dass das Cochlea-Implantat ähnlich wie viele andere digitale Errungenschaften als Bedrohung wahrgenommen und von Teilen der Gehörlosen-Community strikt abgelehnt wird. Das darf aber nicht mit Ignoranz und Technikfeindlichkeit verwechselt werden: Aus Perspektive der Gehörlosen gibt es legitime Gründe, das Cochlea-Implantat zu kritisieren. Gibt es wirklich technische Lösungen für soziale Probleme? Ist es Emanzipation oder eher die Normalisierung und Vereinheitlichung der Bevölkerung? Wer trägt die Verantwortung, etwa wenn Ärzte und Eltern entscheiden müssen, ob ihr Kind ein Implantat erhalten soll und unterschiedlicher Meinung sind? Und wie funktioniert hier der Austausch zwischen den verschiedenen Communities bzw. die Abgrenzung zwischen ihnen? In diesem Talk versuche ich, die Geschichte eines Konfliktes zu skizzieren, der seit mittlerweile Jahrzehnten fast unbemerkt von der Öffentlichkeit ausgetragen wird und zugleich als Folie für die aktuellen Probleme der Digitalisierung dienen kann.