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  • Der Geiger vor der Eselsbrücke

    Wer mich und meine Meinung zum Thema Straßenmusikanten kennt, weiß um meinen inneren Amokläufer. Nur die Tatsache, dass ich mein Gehör bei Bedarf ausknipsen kann, hat bisher schlimmeres verhindert. Allerdings gibt es Ausnahmen. Dieser Geiger hier zum Beispiel. Ich glaube, es war das erste mal, dass ich gleich einen Schein ins Köfferchen legte. Wo ich doch sonst Geiger höchstens dafür bezahle, bitte nicht ausgerechnet an meinem Restauranttisch zu pollutieren.

    Aber der hier, mit dem ist das ganz was anderes. Dit is och Balin. Kleinerdrei! Seht selbst:

    [youtube]http://www.youtube.com/watch?v=pqQC2m5taUw&feature=player_embedded[/youtube]

    P.S.: Wenn ihr diesen Artikel flattrt, werde ich ihm die Summe, die dabei rumkommt, ins Köfferchen werfen, falls und sobald ich den Geiger wiedersehe.

  • Kognitive Einschränkungen

    Wer auf Twitter mitliest, hat es schon mitbekommen: Ein Brief meiner Krankenkasse hatte mir gestern völlig unerwartet die Laune verdorben. Statt das Cochlea-Implantat einfach zu genehmigen (wie das Usus ist), wollen die eine Prüfung seitens des MDK und Unterlagen von Pontius und Pilatus. Ich hatte schon mit monatelanger Verzögerung gerechnet, dabei stand der OP-Termin längst fest. Vorläufiges Happy End: Die Charité hält einfach cool am Zeitplan fest, da in meinem Fall die Indikation sonnenklar sei und die Kasse am Ende ja doch zahlen müsse.

    Aber darum geht es nicht. Es geht darum, was die BKK Mobil Oil für Unterlagen haben möchte: unter anderem eine Prüfung auf „kognitive Einschränkungen“. Auf Deutsch: Sie wollen wissen, ob ich geistig behindert bin. Schlimm ist dabei nicht, dass mir minderer IQ, Debilität oder ähnliches unterstellt wird. Schlimm ist, dass sie überhaupt danach fragen. Was wäre denn, wenn ich „kognitiv eingeschränkt“ wäre? Hätte ich damit das Recht auf ein Cochlea-Implantat verwirkt? Das Recht auf Chancengleichheit und Nicht-Diskriminierung? Die Chance auf Hören und gesellschaftliche Teilhabe?

    Könnte man eine solche Haltung seitens der Krankenkasse nicht schon für justiziabel halten? Ich finde es jedenfalls unwahrscheinlich, dass die BKK Mobil Oil fragt, weil sie kognitiv eingeschränkten Menschen die Luxusvariante mit roter Schleife drum spendiert nebst persönlichem Glückwunschreiben des Krankenkassendirektors.

  • Links der Woche

    • Das war die Frage. « wunderschoen aber selten (home is where your hotel is.):

      Es gibt im Internet einen Briefkasten für Briefe ohne Absender. Formspring heißt der, und die Fragen, die da ankommen, sind manchmal lustig („warum twitterst du andauernd über sex, anstatt ihn zu machen?“), manchmal naheliegend („wie alt bist du?“), und oft einfach schön („Fährst du mit mir ans Meer?“). Ich mag das.

    • Brauchen Daten Liebe?:

      Liefe also die konsequente Umsetzung dieser Datenliebe-Postulate letzten Endes nicht darauf hinaus, das Internet mit seinem Datenbestand zu einer Art heiligen Kuh zu erklären und deren Integrität höher zu achten als diverse menschliche und allzumenschliche Belange sowie rechtsstaatliche Prinzipien?

    • Douglas Adams: How to Stop Worrying and Learn to Love the Internet:

      We are natural villagers. For most of mankind’s history we have lived in very small communities in which we knew everybody and everybody knew us. But gradually there grew to be far too many of us, and our communities became too large and disparate for us to be able to feel a part of them, and our technologies were unequal to the task of drawing us together. But that is changing.

    • Selbstverschuldete Unmündigkeit? – Oder: vom Sägen am Ast, auf dem man sitzt:

      Es ist ein stärker werdender Trend zu zahlreichen “New Age”-, esoterischen oder “schamanistischen” Annäherungsweisen an die Wirklichkeit festzustellen und immer weniger Zweifel, Skepsis und Neigung zur Überprüfung von Behauptungen. Wie wäre sonst der enorme Erfolg von Astrologie, Wahrsagerei, Kreationismus, Impfverweigerung, Homöopathie, Akkupunktur, Chiropraktik, Bach-Blüten, Osteopathie und sonstigem Jahrmarkts-Klimbim und Kurpfuschertum zu erklären?

  • Links der Woche

    • Kölsche Nummernsuche | law blog:

      Die Erklärung ist viel simpler. Verfahren werden bei der Staatsanwaltschaft Köln (auch) nach dem Alphabet aufgeteilt. Und zur Abgrenzung der Buchstaben hat man anscheinend der Einfachheit halber die Nachnamen der Beschuldigten genommen, deren Akte bei Erstellung des Verzeichnisses gerade auf dem passenden Häufchen oben oder unten lag.

    • Feynsinn » Mein Parteiprogramm:

      “Liberal” als Grundsatz bedeutet, ein Höchstmaß an Freiheit zu ermöglichen. Eine liberale Gesinnung, eine liberale Gesellschaft sorgt sich darum, dass allen Menschen ein Leben in Würde und frei von Unterdrückung gewährt wird. Niemand darf zu Tätigkeiten gezwungen oder in seiner Bewegungsfreiheit beeinträchtigt werden. Dies verweist unmittelbar auf eine Gesinnung und Gesellschaft, die “sozial” sein muss, in dem Sinne, dass niemand Not zu leiden hat. Die erste Aufgabe des Wirtschaftens muss darin bestehen, alle Menschen mit Unterkunft, Nahrung und Energie zu versorgen, ohne dass ihnen daraus eine Schuld erwächst.

    • Herbert Rusche Blog: Die meisten hießen „Rolf“:

      Auffälliger Weise hießen viele Männer damals Rolf, der ein oder andere Thomas oder Dieter. Eine Telefonnummer oder gar eine Adresse gab es nicht, und ich stellte bald fest, dass der Name meist erfunden war. Erwachsene Männer wurden für sexuelle Kontakte mit anderen erwachsenen Männern in dieser Zeit mit bis zu 5 Jahren Haft “bestraft”.

    • Egoismus in der Popmusik – Me, Myself and I | The European:

      Ein amerikanischer Psychologe hat die Songtexte von Charts-Hits der vergangenen Jahre analysiert. Sie spiegeln unseren Wandel zu hoffnungslosen Egoisten. Und unsere Unfähigkeit, nachhaltig zu leben.

    • Julia Probst: Der Monitor-Bericht und meine Gedanken dazu:

      Ich erinnere mich noch gut an den Beginn meiner Schulzeit, denn davor stand die Frage lange im Raum, ob ich auf eine Schwerhörigen oder Gehörlosenschule gehen sollte und nach einigen Tests durch “Fachleute” empfohl man mir den Besuch des B-Zug einer Schwerhörigenschule.

  • „Guter Wille“ ist keine politische Lösung sondern Sonntagsrede 2.0

    Beim Streit um den fiktiven gehörlosen Parteivorsitzenden, um behindertenpolitische Forderungung und Themen wie Barrierefreiheit stößt man immer wieder auf einen Punkt: Den guten Willen. So arbeitet auch Not quite like Beethoven heraus, dass die gehörlose Abgeordnete Helene Jarmer auf den den guten Willen ihrer Umgebung angewiesen ist. Dieser gute Wille ist aber nichts, auf das sich Politik aufsetzen ließe. „Das klappt schon, wenn ihr einfach mal alle ganz lieb zueinander seid“, ist keine politische Forderung, sondern eine Einladung an Ellenbogenbenutzer, die Naivität der übrigen auszunutzen.

    Wir kennen das aus dem Feminismus. Vordergründig, dem Gesetz nach, in Medien und im „politisch korrekten“ Umgang sind Frauen längst gleichberechtigt. Warum nur verdienen Frauen trotzdem immer noch erheblich weniger als Männer? Warum finden sich immer noch zu wenig weibliche Führungskräfte? Liegt es an den Frauen, die lieber Krankenschwester werden als BWL zu studieren? Liegt es immer noch an fehlenden Kinderbetreuungsplätzen? Ich behaupte mal, organisatorisch gibt es kaum unlösbare Probleme: Wenn Frauen nicht von sich aus wegen des „Ehegattensplitting“ aus finanziellen Gründen auf eine Karriere verzichten, scheitern sie doch an der „gläsernen Decke“, nämlich dem nicht vorhandenen guten Willen ihrer Umgebung.

    Das hat sich letztes Jahr auch in der Piratenpartei gezeigt, als ein paar Frauen eine feministische Gruppe in der Partei gründen wollten und diese mit dem lächerlichen Argument abgebügelt wurden, die Piraten seien „postgender“. Selbst wenn ein paar Piraten wirklich mal reflektiert darüber nachgedacht haben und sich als „post-gender“ definieren und das nicht bloß als neue Sprachregelung anstelle von Schröders „Gedöns“ nutzen: Die Gesellschaft ist noch lange nicht so weit. Und schwups: Schon ist eine gläserne Barriere entstanden, wo eigentlich niemand eine haben wollte. Mehrere piratensympathisierende Frauen, mit denen ich geredet habe, halten sich aus diesem Grund lieber von der Partei fern.

    Natürlich verbietet sich ein Vergleich zwischen Frauen und Behinderten, weil er implizieren würde, Frauen seien in irgend einer Form behindert. Frauen sind nicht behindert, aber Frauen werden behindert. Ich war mal so frech, hier den bekannten Spruch abzuwandeln, der ursprünglich lautet: „Behinderte sind nicht behindert, sondern werden behindert.“ Was auf Frauen angewandt korrekt ist, ist auf Behinderte bezogen Unfug. Kein Rollstuhlfahrer wird von seinen Mitmenschen am Gehen gehindert. Niemand hat einem Blinden die Augen verbunden und mir hält niemand die Ohren zu. Dass Behinderte zusätzlich in Teilen der Gesellschaft diskriminiert werden, ist eine völlig andere Baustelle und gehört zum Thema Diskrimierung allgemein, egal ob von Frauen, Behinderten, Ausländern oder Langzeitarbeitslosen.

    Ein behinderter Mensch braucht unabhängig davon, ob er diskriminiert wird, zusätzliche Hilfen: technische Hilfen wie Rollstühle und Hörgeräte oder Barrierefreiheit im Sinne von Rampen, Untertiteln oder Hörfilmfassungen. Diese Barrierefreiheit ist im Alltag nur sehr mangelhaft gegeben. Sie so weit wie möglich herzustellen, ist der einzige Weg, behinderten Menschen ein emanzipiertes Leben mit möglichst vielen Freiheitsgraden zu ermöglichen. Problematisch ist, dass eine solche Emanzipation immer auch auf Kosten der Umwelt abläuft und sei es finanziell. Hier geht es leider nicht um so einfache Dinge wie die Abschaffung des Ehegatten-Splitting: Können wir verlangen, den Kölner Dom behindertengerecht umzubauen, damit auch ein Rollstuhlfahrer mal bis ganz nach oben kommt und runtersehen kann? Dieses absurde Beispiel zeigt, dass hier ein Ausgleich nötig ist zwischen Emanzipation Behinderter und Belastung Nichtbehinderter.

    Das über den „guten Willen“ lösen zu wollen, ist aber das Gegenteil von Emanzipation. Der gute Wille degradiert den Behinderten zum Bittsteller an seine Umwelt. Ausgleichende Hilfe für Behinderte wird hier nicht an Rechte des Behinderten geknüpft sondern an die Moral der Mitmenschen. Unterwürfig muss er um Rücksicht bitten. Am Ende muss er noch dankbar sein oder darf gar Schuldgefühle entwickeln, weil man doch so großzügig ist und guten Willen zeigt. Empfange ich Hilfe von jemanden, wird es sofort viel schwieriger für mich, denjenigen zu kritisieren oder anzugreifen – ich stehe ja in seiner Schuld und er könnte mir ja diese Hilfe künftig versagen. Umgekehrt mutet die gehörlose Abgeordnete Helene Jarmer an wie eine Aristokratin, die auf ständige Anwesenheit eines „Dieners“ angewiesen ist, um als Abgeordnete zu funktionieren. Solch ein privilegierter Status hat aber leider ebenfalls nichts mit gesellschaftlicher Emanzipation zu tun, es sei denn, wir stellen die utopische Forderung, jedem Gehörlosen für das gesamte Berufsleben ständig einen Assistenten zur Verfügung zu stellen: ein rollstuhlgerechter Kölner Dom.

    Letztlich ist der Appell an den guten Willen nichts anderes als verkappter Neoliberalismus: Vordergründig klingt es gut, zu sagen: Lasst doch die Leute das selber gütlich untereinander regeln; hintenrum wirken dann aber trotzdem immer das Recht des Stärkeren und der Sozialdarwinismus. Deshalb brauchen wir eine Frauenquote. Deshalb brauchen wir wieder stärkere Gewerkschaften und einen Mindestlohn. Deshalb darf Infrastruktur nicht in privater Hand sein. Deshalb ist Datenschutz im Zeitalter des Kontrollverlustes nicht obsolet sondern wird erst so richtig dringlich. Deshalb brauchen wir harte, einklagbare Rechte für Behinderte. Für Gehörlose könnte das heißen: Beschulung in Gebärdensprache, kostenfreie Gebärdensprachkurse an Volkshochschulen, Behindertenquote nicht nur in Betrieben sondern auch in Schulen und an Universitäten (verbunden mit Bußgeldern), 100 % Untertitelung des Fernsehprogrammes, auch bei Live-Sendungen, 100%ige Kostenerstattung für Hörgeräte durch die Krankenkassen usw., usw., usw.

    Ein gehörloser Vorsitzender hilft mir beim Erlangen dieser Forderungen genauso wenig wie eine weibliche Bundeskanzlerin Merkel dem Feminismus. Erfolg oder Scheitern eines gehörlosen Bundesvorsitzenden beweisen genau gar nichts. Es kommt ja auch (zum Glück!) niemand auf die Idee, die Null-Kanzlerschaft von Angela Merkel als Anlass für eine erneute Diskussion zu nehmen, ob Frauen für ein solches Amt geeignet sind.

    Vertraue niemals einer Politik, die kulturelle Änderungen voraussetzt und einen „neuen Menschen“ propagiert, egal ob Faschismus, Kommunismus oder Spackeria. Stelle Forderungen. Suche Gleichgesinnte. Sei laut. Lupus est homo homini. Vertrauen wir nicht darauf, dass die Wölfe künftig alle ganz lieb und nett zu Behinderten sind, bloß weil das in irgend einer Satzung steht, sondern helfen wir den Behinderten, selber vollwertige und gleichberechtigte Wölfe zu werden. Empowerment halt.

  • Der gehörlose Vorsitzende

    Der gehörlose Vorsitzende ist ein Gedankenspiel der AG Barrierefreiheit in der Piratenpartei. Die Grundidee – nämlich alle Strukturen in der Partei so auszurichten, dass beispielsweise auch ein Gehörloser Vorsitzender sein könnte – begeistert zunächst und ist furchtbar sympathisch. Allerdings auch völlig undurchdacht. Das beginnt schon damit, dass Menschen mit verschiedenen Behinderungen verschiedene und leider teilweise auch konkurrierende Bedürfnisse an ihre Umwelt haben, die sich niemals vollständig realisieren lassen.

    Bleiben wir beim Beispiel des Gehörlosen: Er ist in Telkos, Versammlungen, Hinterzimmergesprächen, auf Parteitagen, in Interviews und Talkrunden auf völlige Barrierefreiheit angewiesen, das bedeutet auf unbedingten und vollständigen guten Willen seiner Umgebung, so mit ihm zu kommunizieren, dass er damit zurechtkommt. Das ist etwas, worauf sich ein Politiker keinesfalls verlassen kann. Ein geflüstertes Wort am Rande, dass alle mitkriegen, nur der gehörlose Vorsitzende nicht – so etwas können sich normal hörende Menschen schlicht und ergreifend nicht vorstellen, untergräbt die Autorität. So viel Political Correctness, wie nötig wäre, um das auszugleichen, bringen auch die Piraten nicht mit.

    Natürlich gibt es Mailinglisten, IRC, Wiki und Liquid Feedback. Allerdings findet Politik auch in der Piratenpartei eben dort nur teilweise statt sondern immer noch da, wo sich die Alphatiere konkret zusammensetzen und miteinander reden. Eine solche Situation nicht formalisierter Gruppengespräche überfordert nicht nur die meisten stärker schwerhörigen Hörgeräte-Träger und gehörlose CI-Träger, sondern auch Gebärdensprache-Dolmetscher, die übrigens auch nur zu bestimmten Arbeitszeiten zur Verfügung stünden und nicht unbedingt Samstag Abend um 23.00, obwohl sie dann vielleicht benötigt würden.

    Bleibt noch das Argument „Oscar Pistorius„, der mit seinen High-Tech-Protesen schneller laufen kann als Menschen mit organischen Füßen. Eine solche technische Lösung ist zumindest theoretisch für fast jede Behinderung denkbar – zum Beispiel das Cochlea-Implantat für Gehörlose. Das hat aber rein gar nichts mit der Fragegestellung zu tun. In dem Moment, wo eine Behinderung technisch vollständig ausgeglichen wird, ist der Behinderte eigentlich gar nicht mehr behindert – jedenfalls nicht mehr auf eine barrierefreie Umgebung angewiesen. (Und ein solcher Kandidat könnte selbstverständlich auch eine Partei führen.)

    Einem gehörlosen Kandidaten zum Bundesvorsitz würde ich jedenfalls meine Stimme verweigern. Bei mir sträubt sich alles bei dem Gedanken, einen kommunikationsbehinderten (und nichts anderes ist Gehörlosigkeit) Menschen einen Job machen zu lassen, der zu den kommunikationslastigsten überhaupt gehört. Wenn wir versuchen, mit diesem Anspruch Barrierefreiheit in der Partei durchzusetzen (und später nach außen zu tragen) weden wir zwangsläufig auf Ressentiments und Widerstände stoßen. Stattdessen sollten wir in erster Line schauen, wie wir das einfache Mitglied möglichst effektiv in die Partei und ihre (Kommunikations-)Strukturen integrieren. Ideen gäbe es etliche, z.B. keine Versammlungen mehr ohne Mikrofone und Mikroport-Anlage, um nur ein Beispiel zu nennen.

    An die Spitze wählen möchte ich aber eine „handicapfreie Kampfmaschine“ für’s politische Haifischbecken. Das hat mit Diskriminierung wenig zu tun. Die ganze Debatte zeugt von einem veralteten Denken im Gegensatzpaar „behindert“ – „nicht behindert“. Der Übergang vom Haben oder Nichthaben einer Fähigkeit hin zu einer handfesten Behinderung ist durchaus fließend. Niemand wird Schwerhörige im Callcenter beschäftigen. Querschnittsgelämte arbeiten gemeinhin nicht auf dem Bau. Leute mit Problemen in Mathematik werden eher selten Ingenieur. Und trotzdem kann jemand wie Pablo Pineda Akademiker werden. Der Blick auf solche glänzenden Ausnahmen zeigt natürlich, was visionär möglich wäre, verstellt aber völlig den Blick den Alltag, die Probleme und Bedürfnisse der „ganz normalen Behinderten“, die in Deutschland in einem Ausmaß ausgegrenzt sind, von dem wir uns keine Vorstellung machen und über das wir auch nicht informiert sind. Das Gedankenspiel vom gehörlosen Vorsitzenden ist vor diesem Hintergrund Märchen- oder Leuchtturmpolitik.

    P.S.: Nochmal anders sieht die Lage aus, als Abgenordneter zu kandidieren. Hier würde ich sehr wohl die Kandidatur gehörloser Menschen begrüßen. Die Arbeit als ein Abgeordneter unter vielen einer Fraktion ist aber nochmal eine ganz andere als die eines Parteivorsitzenden.

    Update: Not quite like Beethoven hat mir geantwortet und ich stimme ihm durchaus zu. Besonders interessant finde ich seine Kritik an der gehörlosen Abgeordneten Helene Jarmer, die genau meine Meinung zu diesem Thema zusammenfasst.

  • Pest oder Cochlea?

    Freitag war ich erneut in der Charité zwecks Besprechung der Untersuchungsergebnisse. Die Ärzte haben sich die Bilder von Computertomographen angesehen, um zu schauen, ob anatomisch etwas gegen die Operation spricht. Dass mein Hörnerv intakt ist, wussten wir ja schon. Ganz unspektakulär und lakonisch: Sie wollen operieren, und das schon Anfang Mai. Allerdings werde ich vor eine für mich schwierige Entscheidung gestellt: Die Klinik operiert zwei Systeme und die seien angeblich beide gleich gut.

    Das Maestro von MedEl ist größer und scheint mehr Strom zu verbrauchen. Dazu gehört eine Fernbedienung, ohne die ich das CI nur an- und abschalten kann, was ich als großen Nachteil empfinde. Nachrangig: Das Design ist kantiger und es gibt weniger Gehäusefarben zur Auswahl. Aber: Dafür wird der Draht mit den Elektroden tiefer in die Schnecke (Cochlea) eingeführt als bei anderen Systemen, wodurch später Bässe besser wiedergegeben werden können. Angeblich empfinden das machen als „zu dumpf“.

    Konkurrent ist das Nucleus 5 vom Marktführer Cochlear. Das ist kleiner, leichter, verbraucht weniger Strom bzw. läuft mit Akkus, sehen etwas besser aus und es gibt mehr Farben zur Auswahl. (Ich nehme ja sowieso Schwarz, von daher…) Bei diesem Gerät wird der Draht weniger tief eingeführt, sondern so, wie es bei Cochlea-Implantaten seit Jahren Standard ist. Bässe werden also nicht so gut abgedeckt wie beim Meastro, dafür hat der Draht gleich 22 statt nur 12 Elektroden, was eigentlich zu einer höheren Auflösung des Klangbildes führen sollte. Man kann sich davon ein besseres Sprachverständnis versprechen, allerdings sei der Effekt auch nicht so groß, weil die Elektroden so dicht beieinander dazu neigen, zu übersprechen.

    Zwei Bekannte habe ich bisher gefragt: Der eine trägt Maestro, der andere Nucleus. Da soll sich einer entscheiden können, welches elektrische Ohr er sich einpflanzen lässt…

  • Links der Woche

    • Twitter als Kommunikations-Überholspur? Oder eine Gated Community? | Notizblog:

      Twitter ist das Äquivalent einer “gated community”, in der sich die Wohlhabenden eines Landes von der normalen Bevölkerung abgrenzen. Doch statt elektrischen Zäunen, Wachmännern und Videoüberwachung benötigen wir nur unsere Kommunikationsfilter. Ist das die Zukunft der Kommunikation?

    • Antje Schrupp: Andere arbeiten immer. Ich arbeite nie.:

      Vielleicht kommen wir weiter, wenn wir den Begriff der „Arbeit“ durch den des „Tätigseins“ ersetzen. Anstatt von der „Arbeit“ auszugehen, die mir von anderen (dem „Arbeitgeber“) aufgetragen wird und die zu verrichten ich mich verpflichtet habe, gehe ich von mir und meinen Möglichkeiten aus, etwas zu tun. Ich tue das, was ich kann und will, und dann sehen wir ja, wie viel „Getanes“ dabei herauskommt.

    • Gleich und Gleich ergibt Arm und Reich. So ein Mist.:

      Das Ende der Alleinverdiener-Ehe führt zu mehr materieller Ungleichheit. Ich habe über dieses Problem vor Jahren mal in einem Aufsatz von Nancy Fraser gelesen und erwähne es seither bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Jetzt ist es auch statistisch belegt und führt hoffentlich zu weiterführenden Diskussionen.

    • Systemische Krankheiten: Weitermachen, so lange es geht.:

      Seit einigen Jahren beobachte ich so eine Art systemische Krankheit in Wirtschaft und Politik: Weitermachen, so lange es irgend geht. (…) Das Phänomen scheint vor allem dann aufzutreten, wenn es darum geht, den Verlust eines im Ablaufen begriffenen Vorteils möglichst lange hinauszuzögern.

    • Zu Verschwörungstheorien in diesem Blog « USA Erklärt:

      Never blame something on a conspiracy that can be explained by incompetence.

  • Vor Kindern Karnickel schlachten

    Nicht nur Vegetarismus kommt immer mehr in Mode. Ich beobachte zunehmend, dass Menschen keinerlei Bezug mehr zu dem haben, was sie essen. Fleisch wird als ekelig empfunden, wenn man das Tier noch erkennen kann oder noch Knochen, Sehnen oder gar Adern darin sind. Ansonsten wird Fleisch aber weiterhin mit Genuss verzehrt, solange es in pürierter Form zu Chicken-Nuggets oder Burgern verarbeitet wurde. Aus dieser Fraktion scheinen einige Eltern und Kinder zu kommen, die gerade einen Bohei um einen toten Karnickel machen.

    Im Rahmen einer Projektwoche hatte ein Vater das Tier von seinem Hof mitgebracht und vor den Kindern einer fünften Klasse geschlachtet. Später wurde es dann gegrillt und gemeinsam verzehrt. Das ist offenbar dem einen oder anderen Kind nicht gut bekommen: Es wurde von Blässe um die Nase, Schlafstörungen und Ohnmacht berichtet. Heftiger reagierten allerdings einige Eltern, die das ganze „pervers“ fanden. Wer Lehrer in seinem Freundes- und Bekanntenkreis hat, kennt 1000 Geschichten über diesen Typus „hysterische Mutter“.

    Nein, liebe bionade-biedermeierlichen Hysteriker, so eine Aktion ist in keiner Weise pervers sondern meiner Meinung nach das beste, was man tun kann, um Kindern in aller Deutlichkeit zu zeigen, dass wir Tiere töten, um sie zu essen. Wenn das die Kinder schockiert und sie dadurch zu Vegetariern werden: nicht die schlechteste Idee. Wenn nicht, haben sie deutlichst gelernt, wo das Fleisch auf ihrem Teller herkommt. Und das ist mir allemal lieber als dieser Ekel vor richtigem Fleisch in Verbindung mit Appetit auf Industrie-Food.

    Pervers ist vielmehr, dass wir darüber streiten, ob wir es aus Rücksicht auf Aberglauben muslimischen Mitbürgern erlauben sollten, Tiere qualvoll zu schächten, dass aber auf der anderen Seite unsere Kinder bloß nicht mit der Realität einer Karnickelschlachtung behelligt werden sollen. Beides gleichermaßen Auswuchs einer seltsamen Political Correctness aus der gleichen schwarzgrünen Ecke.

    Natürlich bin ich kein Pädagoge, empfinde aber 10 Jahre als durchaus passendes Alter für eine solche Aktion. Sollten Kinder psychisch labil sein und die Schlachtung eines Tieres nicht verkraften, ist es falsch, die Schlachtung pervers zu nennen. Vielmehr sollten wir nach den Ursachen dieser gesteigerten Sensibilität suchen und für eine psychologische Betreuung derart labiler Kinder und ggf. ihrer Eltern sorgen. Ich frage mich eher, warum vergleichbarer Projektunterricht vor allem in urbanen Gegenden nicht längst Bestandteil des Pflichtunterrichts ist.

    Jamie Oliver macht das übrigens richtig klasse in folgendem Video. Leider reagieren die Kinder nicht ganz wie erwartet…

    [youtube]http://www.youtube.com/watch?v=S9B7im8aQjo[/youtube]

    Update: Vergaß, schon der gute alte Douglas Adams hatte sich ja erschöpfend mit dem Thema befasst:

    [youtube]http://www.youtube.com/watch?v=C1nxaQhsaaw[/youtube]