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  • Ohr 2 angeknipst: endlich wieder stereo

    Heute wurde nach vier Wochen Stille mein linkes Ohr angeknipst. Auch dort also jetzt ein Cochlea-Implantat. Bevor es soweit war, haben wir mein rechtes Ohr getestet, auf dem ich seit einem halben Jahr ein CI trage. Eher enttäuschend: Beim Freiburger Sprachverständnistest erziele ich immer noch 65% wie vor vier Monaten. Es ist, als hätte ich seitdem keine Fortschritte gemacht, was nicht sein kann, da ich mittlerweile durchaus telefoniere. Eher ist es so, als ob die beiden letzten Anpassungen Verschlimmbesserungen waren. Wir haben das rechte Ohr dann auf den Stand von Juli programmiert und subjektiv hatte ich sofort das Gefühl, besser zu hören. To be continued.

    Außerordentlich ermunternd hingegen das Ergebnis des Oldenburger Sprachverständnis-Test. Dabei muss man sinnlose Sätze in verschiedenen Lautstärken und teilweise unter Störschall nachsprechen. Gemessen wird, um wieviel etwas lauter sein muss, dass ich es verstehe. Auf einer Skala bis 100 dB erreiche ich sehr gute 2,8 dB. (Normalhörende erzielen Ergebnisse von -10 dB). Das ist ein für Cochlea-Implantate wirklich gutes Ergebnis.

    Am Ende haben wir dann das linke Ohr „eingeschaltet“. Frappierend: Ich war sofort in der Lage, Sprache zu verstehen, wofür ich beim ersten Implantat noch Wochen gebraucht hatte. Allerdings ist auch das „Wling„-Geräusch wieder da und alles klingt seltsam. Das Telefon blubbert eher als dass es klingelt. Da heißt es jetzt wieder und weiterhin hin: Eingewöhnen, hören lernen. Im Frühjahr bis Sommer 2012 werde ich wohl das erzielbare Optimum erreichen.

  • Spaß mit Pages: Google+ pseudonym und anonym verwenden

    Gestern Abend verbreitete sich die Nachricht, dass Google+ nun endlich analog zu Facebook auch „Pages“ unterstützt, die keinem Klarnamenszwang mehr unterliegen. Damit kann man dann auch GooglePlus-Accounts für Blogs, Firmen und Organisationen unter passendem Namen anlegen – oder Google+ anonym verwenden. So einer Page sieht man (bisher) nicht an, wer sie angelegt hat. Falls sich das mal ändert und auch damit Google die Verbindung zwischen Pseudonym und bürgerlicher Identität nicht ziehen kann, richtet man sich halt einen Fake-Account unter unter echt klingendem Namen der Sorte „Michael Meier“ an und von dort aus dann die Page mit dem Lieblingspseudonym.

    Ich habe keine Ahnung, ob das schon das neulich angekündigte Pseudonym-Feature ist oder ob es noch kommt. Als Hack erfüllt das ganze seinen Zweck und könnte ähnlich wie bei Facebook einen Trend einleiten: Social Bigotry. Schließlich muss Google seine Policy nicht ändern und kann die Klarnamennazis weiterhin zufrieden stellen, andererseits existiert ein gangbarer Hack, Google+ pseudonym und sogar hinreichend anonym zu nutzen. Ein Bisschen wie bei Facebook, wo Pseudonyme offiziell nicht erlaubt sind, aber massenhaft toleriert und dann doch immer mal wieder gesperrt werden.

    Witz am Rande: Meine neue GooglePlus-Page „Die Ennomane“ habe ich von meinem wegen Pseudonymnutzung gesperrten Account aus angelegt. Einfach so. Dafür sperrt Google mich monatelang aus und nimmt das ganze miese Pseudonymdebattenkarma auf sich? Bleibt nur noch das Problem: Wie kriege ich die rund 4600 Follower des alten Accounts dazu, dem neuen Account zu folgen?

  • Links der Woche

    • Der griechische Weg: Demokratie ist Ramsch:Es wird immer klarer, dass das, was Europa im Augenblick erlebt, keine Episode ist, sondern ein Machtkampf zwischen dem Primat des Ökonomischen und dem Primat des Politischen.

  • Twitter im Oktober

    Zum Nachfaven bitte draufklicken.

     

  • Die können ja nicht mit Geld umgehen!

    Für meine Oma waren es die Sozialdemokraten, die nicht mit Geld umgehen konnten. Früher war das lange Zeit „der Staat“ und heute neigen viele eher dazu zu sagen, „die Märkte“ können nicht mit Geld umgehen. Vielleicht sollten wir langsam mal verstehen, dass das Argument, irgendwer oder irgendwas könne nicht mit Geld umgehen, grundsätzlich Unfug ist?

    Es sind immer irgendwelche ganz konkreten Leute, die nicht mit Geld umgehen können. Die Versuchung ist immer da groß, wo viel Geld vorhanden ist und Schwund scheinbar niemandem weh tut. Es ist dabei vollkommen egal, ob es sich um den Staat oder einen Konzern handelt. Dass man nicht privatisieren/verstaatlichen dürfe, weil irgendwer nicht mit Geld umgehen könne, ist dämliche Stammtisch-Rhetorik, egal ob man nun für Privatisierungen oder Verstaatlichungen ist.

    Vielmehr ist das Ganze ein Argument dafür, dass wir ganz dringend mehr Transparenz brauchen. Und zwar auf staatlicher Seite und in den Konzernen gleichermaßen. Damit beide künftig besser mit dem Geld umgehen, das wir ihnen – so oder so – geben.

  • Links der Woche

    • Wir sind Zombies:Weil nach Marcus Leaning von der University of Winchester der Zombie-Kult auch in Büchern, etwa in Form von ironischen Zombie-Überlebensratgebern, und selbst als Zombie-Gartenzwerge so verbreitet ist, wird man hier erstmals auch einen Kurs über das Phänomen anbieten.

    • Auf der Straße zur Ironie-Hölle:…zwei postmoderne Phänomene: das der Fremdscham und der Ironie. Anhand von Casting- und Kuppelshows, von “Bad Taste”-Partys und “Bravo Hits” verhandelt sie das Zelebrieren von Dingen, die man eigentlich verabscheut. Die Überschrift “Wenn Ironie zum Zwang wird” verknappt den sehr lesenswerten Artikel leider etwas, denn tatsächlich geht es hier um zwei Phänomene mit ähnlichen Symptomen und einer gewissen Schnittmenge.

    • #om11 Nachtrag: Utopie und Schutzraum:Bei mir bewirkte die Session aber das Gegenteil. Denn das, was ich dort jeweils erlebte, führte mir nicht in erster Linie die Macht der radikalen Transparenz vor Augen, sondern im Gegenteil – die Macht des Schutzraumes.

    • Netzdiskurs: Das Elend der Internetintellektuellen:Jarvis, der sein eigenes Bedürfnis nach dem Schutz seiner Privatsphäre so aufwendig rechtfertigt, indem er es auf andere Güter und Werte zurückführt, möchte nicht, dass auch andere dieses Privileg mit ihm teilen. Eine ähnliche Verwirrung kennzeichnet seinen Umgang mit Finnland. Er erwähnt es zweimal: Zuerst erzählt er uns, dass es finnischen Unternehmen verboten ist, Bewerber bei Stellenausschreibungen zu googlen, und dann sinniert er über die Tatsache, dass in Finnland jedermanns Einkommenszahlen online zugänglich sind. Die letztgenannte Praxis ist ihm ein Rätsel, und er führt sie auf lokale Normen und die finnische Kultur zurück, wobei er betont, dass die Kultur, in der er lebt, solche Normen nicht billigt. (“Wenn es ums Geld geht, halte ich mich an kulturelle Konventionen…; hier bin ich nicht hundertprozentig öffentlich.“)

    • Christopher Lauer: Der Spiegel über unsere “Lustreise”:Ich bin gegenüber der Presse sehr offen und mache mich dadurch angreifbar. Ich bin aber so offen weil ich mir wünsche, dass dieser Vertrauensvorschuss als solcher geschätzt wird und Verhalten und Gesprochenes im Kontext gesehen wird. Die Presse hat genausowenig Bock auf abgelutschte Sprachregelungen wie wir. Berichterstattung wie diese führt aber dazu, dass man zur Skandalvermeidung nur noch das sagen wird, was eben nicht skandalisierbar ist. Es wird darüber geklagt, dass Politik und Politiker so weit entfernt vom Geschehen wären und den Kontakt zur Außenwelt verloren hätten. Wie soll ich denn jemanden an meinen Erfahrungen teilhaben lassen, wenn versucht wird, selbst aus einem korrekt abgelehnten Antrag eines Bezirksverordneten eine Affäre zu basteln?

    • Magisterarbeit jetzt online: Liquid Democracy in der Piratenpartei:Mit großer Freude kann ich Euch heute meine Magisterarbeit mit dem Titel “Liquid Democracy in der Piratenpartei – Eine neue Chance für innerparteiliche Demokratie im 21. Jahrhundert?” zum Download anbieten. Insgesamt habe ich mich rund acht Monate mich mit dem Thema Liquid Democracy in der Piratenpartei beschäftigt. Die Arbeit ist aber nicht nur die Zusammenfassung aller Einzeltexte dieses Blogs, sondern geht auf über 160 Seiten stark ins Detail.

  • Schnauze, Schmidt!

    Helmut Schmidt toll finden ist einer der großen gemeinsamen Nenner unserer Zeit. Schmidt ist bis heute der Kanzler der Herzen, politisch dahin gemeuchelt auf dem Höhepunkt seiner Regierungszeit, ausgerechnet von Birne, der Witzfigur der 80er Jahre. Für meine Generation ist er eine Kindheitserinnerung wie Captain Future und „Moskau“ von Dschinghis Kahn – irgendwie auch heute noch cool, etwas peinlich aber aus einer Zeit, wo wir noch Gut (Schmidt) und Böse (Kohl) auseinander halten konnten und alles seine Richtigkeit hatte.

    Am 6. März 1983 gab es Neuwahlen. Das Datum weiß ich bis heute auswendig. Ich war 9 Jahre alt, durfte bis in die Puppen aufbleiben, lernte viel über Prozente und Sitzverteilung und wartete ungeduldig auf OTTO!!!, der für den Abend angekündigt war. Das konstruktive Misstrauensvotum gegen Schmidt und die Neuwahlen ein paar Monate später waren das erste, was ich politisch bewusst wahrgenommen habe, auch wenn ich in meiner kindlichen Weltsicht im Verrat der FDP an der guten Sache einen Akt reiner Bosheit sah.

    Vielen geht es ähnlich und viele verklären die Jahre zu einer goldenen Zeit, in der die Promis in Talkshows nur scheinbar klüger redeten als heute, dafür aber viel und öffentlich rauchten. Der Krisenmanager der Sturmflut von 1962 gehört nicht nur in dieselbe Ära wie Loriot, sondern ist auch ähnlich sakrosankt, was sein öffentliches Ansehen betrifft. Warum eigentlich? Dass Schmidt zur Katastrophenbekämpfung die Bundeswehr für Hilfsdienste im Innern einsetzte, wäre heute legal, war aber damals ein Verfassungsbruch, für den man Helmut Schmidt angesichts der Notlage freilich nicht verurteilen mag.

    Schmidt tröstet. Wenn Ronald „Ich kann Deine Fresse nicht mehr sehen“ Pofalla zu Wolfgang Bosbach über das Grundgesetz sagt „Lass mich mit so einer Scheiße in Ruhe.“, ist das zwar – gerade auch wegen des Anlasses (Fraktionszwang) – vulgär, aber dank Schmidt Schnauze eben nicht wirklich neu und kein Grund zur Beunruhigung. 1958 warf die SPD Schmidt aus dem Fraktionsvorstand, weil der pflichtbewusste Militarist, der bis 1945 seinem damaligen Führer noch als Oberleutnant diente, lieber als Hauptmann der Reserve an einer Wehrübung teilnahm statt an den Fraktionssitzungen. 16 Jahre später erlaubte man ihm das Regieren und er sorgte via Nato-Doppelbeschluss dafür, dass atomare Kurz- und Mittelstreckenraketen in Deutschland stationiert wurden, deren Einsatz nicht nur Polen und die DDR sondern auch gleich noch die westliche Hälfte Deutschlands unbewohnbar gemacht hätte, ohne dass es dafür noch eines sowjetischen Gegenschlages bedurfte. Die einst friedensbewegten Grünen schuldeten ihrem Geburtshelfer viel Dankbarkeit.

    Aber das war damals – wo steht er eigentlich heute? Und so als Ökonom? Der alte Keynesianer, der in den 70ern gesagt haben soll, ihm seien 7% Inflation lieber als 7% Arbeitslosigkeit, hat sich um 180 Grad gedreht. Er steht voll hinter der neoliberalen Agendapolitik Schröders. Ginge es nach Helmut Schmidt, wäre der Hartz-4-Satz zu senken, zumindest aber auf Jahre hinaus einzufrieren und der Kündigungsschutz weiter zu lockern, natürlich nicht ohne die Wochen- und Lebensarbeitszeit ohne Ausgleich zu erhöhen. Dass im so geschaffenen Niedriglohnsektor keiner mehr vom Einkommen seines Jobs leben kann, stört das Urgestein der Sozialdemokratie nicht. Immerhin wäre er für einen (niedrigen) Mindestlohn – aber erst wenn den Flächentarifverträgen auch in ihren letzten Nischen der Garaus gemacht wird und Gewerkschaften keinerlei Einfluss mehr haben.

    Da ist es nur folgerichtig, dass der autoritäre Parteipatriarch ein ebenso neoliberales Überbleibsel der Agendapoltik in einer unwürdigen Buchvermarktungsveranstaltung zum Kanzlerkandidaten krönt, kurz nachdem die SPD alle Ambitionen hat fahren lassen, so etwas wie Vorwahlen nach amerikanischem Vorbild durchzuführen. Bloß nicht mehr Demokratie wagen! Die SPD hat jetzt die Wahl zwischen Steinbrück und Steinmeier – und das soll die lang erwartete Antwort der Sozialdemokratie auf immer drastischere Umverteilung von unten nach oben sein? Auf Finanzkrise, Kapitalismusversagen und OccupyWallstreet?

    Wenn ich verschiedene Texte von und über Helmut Schmidt so lese, bin ich geradezu bestürzt, in wie wenig Punkten ich mit dem einst verehrten Helden meiner politischen Kindheit eigentlich übereinstimme. Die multikulturelle Gesellschaft empfindet er als Illusion und bereitet so den Sarrazins in der SPD ihren Nährboden. Den Klimawandel habe es schon immer gegeben, die Debatte sei hysterisch und all die Wissenschaftler und Klimaforscher haben vermutlich einfach keine Ahnung. Das Verfassungsgericht möge sich künftig doch bitte ein wenig mehr zurückhalten und mit seinen Urteilen dem Kanzler weniger dreinregieren. Ach ja: wählen sollte man auch besser erst mit 21 statt schon mit 18 dürfen. Und wer Visionen habe, müsse zum Arzt gehen. Gerade der letzte Satz steht für das Ende von Poltik und den Anfang der Postdemokratie und ist ein Symbol für die Ursachen heutiger Parteienverdrossenheit.

    Bleibt noch die schnarrende Schneidigkeit des alten Haudegens, seine Aufrichtigkeit und Prinzipientreue. Den Menschenrechten stellt er eine allgemeine Erklärung der Menschenpflichten gegenüber, die sich allesamt ehrbar lesen. Sie leiten sich aus dem kategorischen Imperativ ab, der Ehrfurcht vor dem Leben und der Ehrfurcht vor den Rechten unserer Mitmenschen. Über diese Deklaration musste ich sehr lachen, habe ich doch beim Lesen das Bild des halstarrigen Greises vor Augen, der seine Umgebung zum Passivrauchen zwingt.

    Da wird klar, dass die SPD sich nicht erst unter Schröder von der Sozialdemokratie verabschiedet hat und Willy Brandt der letzte sozialdemokratische Kanzler war. Und es sieht derzeit nicht danach aus, als ob sich das ändert. Auch dank Schmidt Schnauze.

  • Open Mind 2011

    Ich weiß jetzt schon: Wenn ich am Silvesterabend zurückblicken werde, welche drei Dinge mich 2011 nachträglich am meisten ärgern, dann dass ich nicht zur Open Mind nach Kassel gefahren bin. Einige der Vortragenden haben ihre Vorträge noch einmal aufgeschrieben und auf Telepolis veröffentlicht. Das ist alles nicht nur extrem lesenswert, sondern ich bin ernsthaft baff, in fünf dieser sieben Artikel die Quintessenz dessen wiederzufinden, womit ich mich gedanklich, bloggend und politisch die letzten zwölf bis 24 Monate beschäftigt habe:

    Werke wie Musikstücke und Filme sind – wie wir dank der Digitalisierung wissen – nicht viel mehr als Daten, Nullen und Einsen und damit nichts anders als große Zahlen. Daten sind nicht ökonomisch knapp, man kann sie durch Kopieren nicht mal stehlen, immerhin hat sie der vermeintlich Bestohlene ja immer noch. Sie sind in beliebiger Menge vervielfältigbar und jeder kann sie nutzen ohne andere dabei einzuschränken.

    Andreas Popp:
    Warum Eigentum nicht geistig sein kann

    Ich bin (…) überzeugt davon, dass die meisten Menschen, die vorübergehend oder dauerhaft in der institutionalisieren Wissenschaft tätig sind, aufrichtig handeln und sich ihr Ansehen und ihre akademischen Weihen ehrlich verdienen. Aber dass eine besondere kriminelle Energie nötig ist, um das System auszuhebeln, glaube ich nicht. Denn die institutionalisierte Wissenschaft selbst – konkret, das System der wissenschaftlichen Qualitätskontrolle – versagt hier auf eine vorhersehbare, in diesem System selbst angelegte Art und Weise.

    Anatol Stefanowitsch:
    Institutionalisierte Wissenschaft reloaded

    Wie krass der Unterschied von einst zu heute ist, merkt man am besten an den Anachronismen, die in der alten Medienwelt bis heute überwinterten. Es gibt immer noch den Reflex der Massenmedien, sobald irgendwo ein Unglück geschieht, dass die Opferzahl unter den Deutschen extra ausgewiesen wird. So nach dem Motto: „Erbeben in China. 12 Deutsche verletzt. Insgesamt 8000 Todesopfer.“ Auf den ersten Blick wirkt das für unsereins zynisch und auf den zweiten nationalistisch, fast rassistisch. Aber ich glaube, diese Deutung ist falsch. Es ist schlicht: aus der Zeit gefallen.

    Michael Seemann:
    Die gesellschaftliche Singularität ist nah

    Zur Folge hat dies oft, dass sich die Medien ihre Flügel selbst definieren. Als es 2010 um die Programmerweiterung ging, wurden zwei Lager definiert: das progressive Pro-BGE-Lager rund um Deutschlands Nord-Osten und das konservative Contra-BGE-Lager, vor allem aus den südlichen Bundesländern. Ähnliches geschah bei der Wahl zum Bundesvorsitzenden im Mai 2011, als trotz zahlreicher Kandidaten die Wahl künstlich zu einem Showdown zwischen einem eher gemäßigteren LiquidFeedback-kritischen, südlichen Nerz und dem progressiven LiquidFeedback-Fan Lauer aus Berlin hochstilisiert wurde.

    Fabio Reinhardt:
    Two wings to fly

    Und in der Tat ist eine sachliche Diskussion über Feminismus und die Themen des Feminismus kaum möglich – ja, wird sie schon im ersten Schritt an dem semantischen Bias des Begriffes abgelehnt. Außerdem wird ein feministischer Diskurs grundsätzlich als ideologisch und nicht faktenorientiert empfunden. Und so bleibt letztlich nur die Frage: Warum? Woher kommen diese Emotionen? Was lässt emanzipatorisch gesinnte Menschen eine Emanzipationsbewegung so ablehnen?

    Julia Schramm:
    Einfach mal zuhören

    Ich kam auf den mir damals noch völlig abwegig erscheinenden Gedanken, diese Gelegenheit zu nutzen, etwas öffentlich anzusprechen, was ich viele Jahre lieber verschwiegen hatte: meine eigene psychische Krankheit. (…) Der Moment, bevor ich mich vor die gut 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer stellte, war auch der letzte, bei dem ich wirklich unangenehm aufgeregt war. Einmal das Mikrophon in der Hand und die ersten, halb gestotterten Ansätze überstanden, verschwand die Anspannung schlagartig.

    Andreas Preiß:
    Post-Privacy: Schwäche zeigen, Stärke beweisen

    Ein Wahl-O-Mat der nicht allzu fernen Zukunft wird natürlich weit mehr können. Er recherchiert – für mich personalisiert – die Entscheidungen der Politiker, ihre Versprechen, ihre Lügen, ihre Lobby, ihre Ziele. Er beobachtet mich in Twitter und Facebook und bestimmt so meine Präferenzen, schaut, mit wem ich befreundet bin und was mir und meinen Freunden wichtig ist. Wie lange mein Facebook-Avatar den „Atomkraft – Nein Danke“-Badget trägt. Auf welchen Webseiten ich wie lange verweile. Und aus all dem kann der Wahl-O-Mat der Zukunft mir eine unumstößliche Präferenz für eine Partei berechnen.

    Jörg Friedrich:
    Der Wahl-O-Mat

  • Links der Woche

    • Überwachung: Bitte recht freundlich:Irgendwann bemerkte ich eine Stimme in meinem Kopf: „Dreh dich auf der Straße nicht um! In den Akten stand, dass sie das bei Andrej verdächtig fanden.“ – „Mach keine Witze über Brandanschläge am Telefon! In den Akten stand, dass sie das in einem Telefongespräch mit deiner Mutter angestrichen haben.“ Dabei war ich selbst ja gar nicht verdächtig. Meine Telefonate wurden trotzdem abgehört und in den Akten kommentiert.

    • Muslime und Schwule: ein konstruierter Gegensatz:Homophobie, also die moralische Ablehnung sexueller Beziehungen unter Menschen desselben Geschlechts (vor allem unter Männern) ist – zumindest in der Form, wie wir sie kennen – eine Erscheinung, die wesentlich zur westlich-abendländischen Kultur gehört. Trotzdem ist im Zuge der zunehmenden Islamfeindlichkeit nach den Anschlägen vom 11. September vor allem der Islam in den Ruch der Homophobie gekommen.

    • Partizipation 2.0 – das Social Web als Chance für die Bürgerrechte:Während das Web 2.0 die Gesellschaft gefühlt durchlässiger macht, nimmt die soziale Mobilität, und somit die gesellschaftliche Durchlässigkeit, ab, der demokratische Einfluss stagniert seit Jahrzehnten. Im Gegenteil wird durch die Kompetenzverlagerung in die EU sogar ein Demokratiedefizit gepflegt, welches auch die Reform des Vertrags von Lissabon nicht aufheben konnte. Obwohl es einen Konsens über die vermeintliche Politikverdrossenheit zu geben scheint, zeigt sich, dass Verdrossenheit im Wesentlichen über verkrustete Partei- und Politikstrukturen besteht, die dem 21. Jahrhundert nicht mehr angemessen sind.

    • Die Sache mit dem verfassungsrechtlichen Risiko:Im Kreis seiner Mitarbeiter im Kanzleramt offenbarte Kohl, woran er denkt: Wenn sich bald über 700 000 Asylbewerber in Deutschland drängten und wenn die erforderlichen Grundgesetzänderungen mit der SPD nicht zu machen seien, dann werde er sich so verhalten, “als ob” die einschlägigen Grundgesetz-Artikel geändert worden wären.

    • Quis custodiet …:Da ist der Bundestrojaner also. Als erstes muss ich mal festhalten, dass ich von der Heftigkeit der Debatte ernsthaft überrascht bin. Alle Bestandteile waren sein langem bekannt oder doch wenigstens klar und leicht absehbar. Ich fasse mal zusammen, was ich hier schon merhfach gesagt habe.

    • Unter Generalverdacht:„Jemand musste Josef K. verleumdet haben…” beginnt Kafkas düsterer Roman „Der Prozeß”. Und bis zum Ende bleibt im Dunkeln, welches Vergehen dem Protagonisten eigentlich zur Last gelegt wird. Der Gedanke, dass K.‘s Verbrechen womöglich präemptiv gesühnt wurde, also bevor er es überhaupt begehen konnte, ist wohl nur den wenigsten Kafka-Interpreten gekommen.

    • Netzfreiheit: Die Antwort der Piraten:Wer das jetzt als staatliches Kavaliersdelikt abtut, der rüttelt an den Grundfesten unseres Zusammenlebens und zerstört den Glauben an den Rechtsstaat in derselben Weise wie prügelnde Polizisten, schlampige Richter oder korrupte Beamte. Tatsächlich findet in vielen Bereichen des Sicherheitsapparats keine wirksame Steuerung oder Kontrolle statt. Die Ursachen für die Staatstrojaneraffäre liegen nicht in mangelndem technischen Sachverstand oder finanziellen Engpässen. Sie sind in der grundsätzlichen Struktur zu suchen, die mit Konstruktionsfehlern behaftet ist, die nicht erkannt und beseitigt werden, weil vieles den Augen der Öffentlichkeit und der politischen Kontrolle entzogen ist.

    • Der Trojaner nach dem Trojaner:Ich bin Informatiker, kein Jurist. Die Juristen und Verwaltungsmenschen, die ich kenne, haben mich jedoch gelehrt, daß Menschen in Deutschland Handlungsfreiheit haben – sie können tun, was immer sie wollen, solange dem nicht ein Verbot durch ein Gesetz entgegensteht. Dem Staate jedoch, so erklärten sie mir, ist diese Freiheit nicht gegeben: Grundlage allen staatlichen Handelns muß ein Gesetz sein.

    • The Little Ice Age and Other Unintended Consequences of the Conquest of the Americas:Low-level burning kept grasslands from turning into forests, helped create forests that looked to Europeans like great parks, and produced charcoal that was used to make thin soils fertile through terra preta. And these practices effectively kept enormous amounts of carbon dioxide constantly in the atmosphere rather than locked into trees and other vegetation. When native populations collapsed, however, the burning stopped or was greatly reduced, and the carbon dioxide was quickly locked up into forests again. Now, what follows is quite controversial. Mann cites some recent research that argues that this must have made a big contribution to the so-called Little Ice Age

  • Wenn Politiker ihre Meinung nicht sagen sollen… oder wollen

    Die Piratenpartei hat zu etlichen Themen keine Positionen und bis die wirklich in alle Verästelungen und Politikbereiche ausgedacht, ausformuliert und auf Parteitagen verabschiedet sind, wird noch sehr viel Zeit vergehen. Bloß was tun wir bis dahin? Die Frage zum Beispiel, wie im Falle einer Regierungsbeteiligung eigentlich die Außenpolitik der Piraten aussähe, ist ja nun mehr als berechtigt, vor allem wenn gewisse Parteimitglieder laut über solche Optionen nachdenken.

    Nehmen wir ein akutes Problem, die Schuldenkrise. Im Handelsblatt erschien ein Interview mit Piraten-Vorstand Matthias Schrade. Darin sagt er vieles, was ich so unterschreiben würde, und vieles, was ich für falsch halte – unter anderem dass Griechenland und andere Länder unter Umständen die Währungsunion verlassen müssen.

    Fabio Reinhardt hat in seinem Blog geantwortet. Inhaltlich nimmt er in der Griechenland-Frage die Gegenposition ein – da bin ich übrigens ganz bei Fabio – kritisiert aber vor allem, dass da ein Piratenvorstand seine „Privatmeinung“ kund tut, was derzeit kontraproduktiv sei, weil diese „Privatmeinung“ nicht nur falsch sei, sondern auch die FDP in Berlin und Gauweiler in der CSU damit auf die Schnauze geflogen seien. Stattdessen lobt er Sebastian Nerz:

    Gerade beim Thema Eurokrise hat er sich sehr vorbildlich verhalten. Sebastian gab an, eine eigene, wohldurchdachte Meinung zu dem Thema zu haben und lehnte es aber – trotz mehrmaliger Nachfrage – ab, diese zu äußern, da sie natürlich in einer öffentlichen Gesprächssituation als Parteimeinung verstanden werden könnte.

    Wie bitte? Sebastian ist Bundesvorsitzender der Piratenpartei. Er wird sich sehr wahrscheinlich irgendwann zur Wiederwahl stellen. Und ich würde mich wundern, wenn er nicht auch für ein Mandat kandidiert. Aber selbstverständlich möchte ich wissen, wie er über dieses Thema denkt – gerade auch weil es hierzu noch keine Parteibeschlüsse gibt, die er nachbeten kann.

    Wie leicht bei einem solchen Stil die Kommunikation krepiert, sieht man schön an diesem Interview im  Deutschlandradio, wo Sebastian sich zunächst wacker schlägt, sich dann aber im Konflikt zwischen Transparenz und Privatmeinung verheddert und am Ende recht unsympathisch rüberkommt.

    Überhaupt, „Privatmeinung“, was für ein Unwort! Korrigiert mich, aber die Piratenpartei ist unter anderem angetreten, um Politik wieder menschlicher zu gestalten. Dazu gehört auch, die öffentliche Inszenierung „Politiker“ und den Alltagsmenschen wieder mehr zur Deckung zu bringen. Für offizielle Sprecher gilt natürlich etwas anderes, aber von Amts- und Mandatsträgern erwarte ich einfach, dass sie sagen, was sie denken. „Privatmeinung“ ist das Gegenteil von Transparenz. Wer seine Meinung nicht sagen will, sollte gar nicht erst für den Vorsitz einer Partei kandidieren. Immerhin werden unsere Spitzenleute in den Interviews zu aktuellen politischen Themen befragt und nicht zu ihren sexuellen Vorlieben.

    Aber es gibt zwischen „Dazu hat die Piratenpartei noch nichts entschieden und ich will meine Privatmeinung nicht sagen.“ einerseits und „Dazu hat die Piratenpartei noch nichts entschieden, aber ich persönlich habe keine Meinung dazu oder finde, dass Carthago zerstört werden muss“ andererseits noch einen dritten Weg: „Dazu hat die Piratenpartei noch nichts entschieden, aber wenn Sie sich unsere anderen politischen Forderungen wie Netzneutralität, Abschaffung von Studiengebühren oder bedingungsloses Grundeinkommen ansehen, können Sie davon ausgehen, dass die Piraten für Solidarität mit Carthago plädieren werden.“

    Wir müssen noch viel lernen. Besonders wenn wir den anderen nicht alles nachmachen wollen.