Der Verschwörungstheorie-Reflex

tl;dr: Die Nachrichtenlage der letzten Jahre erzeugt kognitive Dissonanz und ist schwer auszuhalten.

Vorsichtabgrund

In Oberursel wurden Salafisten hops genommen, die ein wenig zu auffällig Bombenrohstoffe einkaufen gewesen waren. Auf Twitter gehen da natürlich sofort die Verschwörungstheorien los: Es wird unterstellt, die ganze Aktion sei ein Fake einer Psyops-Abteilung deines bevorzugten Nachrichtendienstes gewesen, um mal wieder ein wenig Terror-Angst zu schüren. Etwas gute Presse für die Ermittlungsbehörden passt so gesehen auch gut in die aktuelle Nachrichtenlage rund um Vorratsdatenspeicherung, BND und NSA.

Das Problem: Wir wissen nichts. Skepsis ist sicherlich angebracht, aber wir brauchen schon Beweise oder starke Hinweise. Eine Korrelation – nämlich dass Oberursel passiert, während die Ermittlungsbehörden von Skandal zu Skandal hecheln – ist eben nur das: eine Korrelation und weit entfernt von jedem Beweis. Dass wirklich gerade irgendwo in Deutschland Salafisten Waffen horten und Bomben basteln, ist nunmal mindestens genauso wahrscheinlich. Wer ohne weitere Anhaltspunkte skeptisch gegenüber der These ist, dass da Terroristen am Werk waren, muss genauso skeptisch gegenüber der These sein, dass da Geheimdienste am Werk waren. Sonst hat die ganze Skepsis nämlich keinen Sinn.

Und hier bekommen wir ein Problem. Es gibt zahllose echte Affairen, die das Vertrauen in offizielle Stellen nachhaltig erschüttern. Die Überwachung durch die NSA oder der ganze Skandalkomplex rund um den NSU sind nur zwei hervorstechende Beispiele. Auf der anderen Seite stehen die Quatschtheorien, bei denen stimmt, was die offiziellen Stellen und die Medien sagen: Chemtrails, Impfgegnertum, Reichsbürger usw. Rastet das Denken erst einmal in die Spur des völligen Misstrauens ein, wird es schwer für uns, ein neues Ereignis richtig einzuordnen. Wir sind plötzlich bereit, den letzten Blödsinn zu glauben.

Beide Gruppen auseinander zu halten und je nach Lage ständig neu zu entscheiden, ob ich jetzt mit einer vertrauensvollen oder mit einer misstrauischen Einstellung an ein Thema herangehe, ist ausgesprochen schwierig. Ich glaube sogar, dass es zu dem Gefühl führen kann, zwei inkompatible Weltbilder gleichhzeitig mit sich herumtragen zu sollen. Die Folge ist kognitive Dissonanz, die bekanntlich zu psychischen Problemen führt, wenn sie längere Zeit ausgehalten werden muss. Da wundert mich rund um Pegida & Co. langsam auch nicht mehr, warum einige Menschen so … äh, „seltsam“ drauf sind.

Die Lösung kann nur sein, immer und unter allen Umständen bereit zu sein, sein Weltbild oder teile davon zu revidieren. Niemals etwas als endgültige Wahrheit hinzunehmen. Immer offen dafür zu sein, dass eine Sache vollständig anders ist, als man sie zunächst beurteilt hat. Egal ob es um Politik, Religion, Arbeit oder – besonders – um die eigenen Mitmenschen geht.

Das ist sauschwer. Ich bin schon froh, wenn mir das wenigstens ab und zu gelingt.

 

 

 


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