Die Nachrufe auf Roland Koch

Man soll nichts schlechtes über Tote sagen. Roland Koch ist zwar quicklebendig, aber was „SPON“, „Zeit“ & Co. da zum Rücktritt des brutalst möglichen Aufklärers verbreiten, liest sich, als sei er mausetot. Es klingt wie die Nachrufe, die Redaktionen für den Fall des Ablebens von Prominenten vorgefertigt in der Schublade liegen haben. Ein paar Beispiele:

Spiegel Online sorgt sich um das Vakuum, das Koch hinterlässt: „Kochs Rückzug löst Kursdebatte in der CDU aus„. Die Redakteure versteigern sich in machterotische Anflüge, wenn sie unter „Abschied des Angreifers“ seine brillante Rhetorik und sein taktisches Geschick loben. Selbst in „Adé Bösewicht“ geht es kaum um Kochs Sündenregister sondern darum, dass der CDU nun ein konservatives Schwergewicht fehlt – mit Formulierungen wie „Er hat sich viele Feinde gemacht. Und doch muss gesagt werden…“. Und in „Auf der anderen Seite der Barrikade“ wird Koch als Gegenmodell zum linksliberalen Alt-68er gefeiert.

Vielleicht sitzen ausgerechnet bei SPON die ganzen Koch-Fans? Aber bei der „Zeit“ sieht es nicht viel anders aus. „CDU sucht neue konservative Galionsfigur„, „Ein Rückschlag für die Konservativen in der CDU“ und „Kochs letzter Coup“ zeichnen genauso das Bild des testosterontriefenden Polit-Alphatiers, während der Artikel „Kochs trübe Bilanz“ gerade zu beschönigend wirkt, weil er die allermeisten von Kochs Durchstechereien ausspart. Auf Twitter wurde ich immerhin auf den Zeit-Artikel „Bouffier, der politische Zwilling“ hingewiesen. Darin steht zwar wirklich mal Tacheles, aber eben über Bouffier und nicht Koch.

Ich glaube, diese Beispiele sollten reichen. Soweit ich sehen konnte, sieht es in anderen Blätter nicht viel anders aus, und selbst wenn hier und da mal wirklich eine schonungslose Bilanz der Amtszeit Kochs gezogen wird, bleibt der allgemeine Ton der Medien: Ein Streiter für die (ge)rechte Sache geht von Bord. Ja, Koch war ein neuer FJ Strauß. Ja, er hinterlässt ein Vakuum im rechtskonservativen Flügel der CDU. Ja, der Mann war eine durchsetzungsstarke Machtmaschine. Ja, das sind Aspekte, die in den Medien berücksichtigt werden müssen.

Aber: Dürfen die Medien wirklich so unverhohlen den Machttrieb eines Politikers bewundern, der völlig skrupellos Wahlkampf mit Ausländerhetze führt? Geht das OK, die kriminellen Machenschaften des Hessenberlusconi allenfalls in Nebensätzen zu erwähnen? Kann man beim Abtritt eines Politikers, der daran beteiligt war, lästig gewordene Steuerfahnder zu psychiatrisieren, ernsthaft das entstandene Vakuum betrauern?

Wäre nicht gerade Kochs Abtritt Anlass für wenigstens einen größeren Artikel dazu? Wo bleibt die zwanzigteilige Klickstrecke „Kochs schönste Affairen“? Wo der Artikel, der die kriminelle und korrupte Seite des System Koch beleuchtet (und nicht schon vor x Jahren erschien)? Ach so, den gibt’s wohl, aber nicht bei den großen, sondern beim Spiegelfechter. (Und ich empfehle sehr, den Artikel ganz zu lesen.)

Warum also diese Beißhemmung? Koch ist nicht tot.