Gehbehindert mit der Straßenbahn unterwegs: „Nehm se doch n Krankenwajen“

Philip Schwartz kenne ich noch von der Uni. Wir haben eine Gemeinsamkeit: So wie ich Hörgeräte brauche, um mehr schlecht als recht zu hören, so ist er auf einen Rollator angewiesen, um sich mehr schlecht als recht fortzubewegen. Dabei verleiht so ein Rollator doch einige Freiheitsgrade mehr als ein Rollstuhl. Allerdings nicht immer, wenn man Straßenbahn fährt.

Philip fährt jeden Tag mit der M1 zur Arbeit. An wenigen Haltestellen ist die Bordsteinkante so hoch, dass sie mit dem Boden der Straßenbahn abschließt: Einsteigen kein Problem. Meistens jedoch hält die Bahn mitten auf der Straße,  was das Ein- und Aussteigen recht schwierig macht. Genau aus diesem Grund ist in die modernen Straßenbahnwagen ein Hublift eingebaut und von außen mit einem entsprechenden Schildchen versehen. Will man dort einsteigen, bittet man kurz den Fahrer, den Lift auszufahren, und kann auch mit Rollstuhl oder Rollator problemlos die Straßenbahn betreten.

Das heißt: Problemlos nur dann, wenn der Fahrer auch mitspielt. Die meisten sind zwar freundlich, hilfsbereit und einige kennen Philip sogar schon und grüßen ihn. Aber eine Minderheit der Fahrer weigert sich. Einer hat Philip sogar wortlos die Tür vor der Nase geschlossen und ist abgefahren. Es war nicht das einzige mal, dass Philip auf die nächste Bahn warten musste. Eine beliebte Ausrede (abgesehen von „Lift defekt“) ist, dass ein Rollator kein Rollstuhl sei und der Lift eben nur für Rollstühle da wäre. Philip wendet sich an die BVG und bekommt die Antwort: Unsinn, selbstverständlich darf, kann und soll er den Lift benutzen.

Die meisten Fahrten laufen zwar glatt, aber immer wieder machen Fahrer Probleme. Philip muss sich von anderen hilfsbereiten Fahrgästen hineinhelfen lassen (was grundsätzlich länger dauert, als den Lift auszufahren). Oder es kommt zu Diskussionen und Streitereien, die sich minutenlang hinziehen. Manche Fahrer wollen eine schriftliche Genehmigung der Leitstelle sehen oder behaupten, sie hätten die Vorschrift mit dem Liftverbot selber schriftlich da (haben sie aber noch nie vorgezeigt). Und eine Berliner Schnauze meinte, er könne ja einen Krankenwagen nehmen.

Philip sagt, das längste Streitgespräch, dass er bisher mit einem Fahrer hatte, dauerte etwa 5 Minuten. Zum Vergleich: Das Ausfahren des Liftes benötigt etwa 20 Sekunden. Der Fahrer muss dazu nicht aussteigen und eine Rampe anlegen, wie man es von Bussen kennt, sondern einfach nur einen Knopf drücken, ein paar Sekunden warten und schließlich weiterfahren, wenn Philip ein- oder ausgestiegen ist.

Natürlich hat Philip sich mehrmals an die BVG gewandt. Die Zentrale sagte ihm, er solle sich Wagennummer und Uhrzeit notieren und das dann mitteilen. Das tut er jetzt konsequent, vielleicht hilft das ja. Ich bin einge male mit ihm hin- und hergefahren um das zu beobachten. Die meisten Fahrten verliefen glatt, freundlich und problemlos. (Dank an die Mehrheit der netten Fahrer!) Auf zwei Fahrten sagte der Fahrer, der Lift sei eingefroren. Bis auf einen offenbar ziemlich genervten Menschen waren sie alle freundlich. Aber ich war ja auch mit der Kamera dabei.

Update: Natürlich ist Philip nicht der einzige, der mit solchen Problemen zu kämpfen hat…