Gilt auch für Unternehmen: Haltung zeigen gegen Rechts

Wenn es darum geht, sich dem Rechtsradikalismus entgegenzustellen, reicht es nicht, sich privat zu engagieren. Auch Unternehmen können und müssen Gesicht zeigen.

Am 1. September kippte etwas. An dem Tag fand in Chemnitz ein sogenannter „Trauermarsch“ statt, doch von Trauer und Andenken an den eine Woche zuvor am gleichen Ort erstochenen Daniel H. blieb nicht viel übrig. Zu den Alt-Nazis, Pegida und den anderen rechtsradikalen Gruppen gesellte sich die von Wahlerfolg zu Wahlerfolg eilende AfD, die lange Zeit noch euphemistisch „rechtspopulistisch“ genannt wurde.

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Nazis beschimpfen

tl;dr: Nazis sind nicht dumm, fett, psychopathisch, behindert oder autistisch sondern Nazis.

nazikacke

In meiner Timeline auf Facebook und Twitter macht sich Wut breit – Wut auf Nazis, Fremdenfeinde und geistige Brandstifter. Das ist gut. Dabei kommt auch eine bisweilen lustige Ansammlung von Schimpfwörtern zusammen. Das ist aber nur auf den ersten Blick amüsant, denn…

Nazis sind nicht „dumm“. Wahrscheinlich sind viele Nazis wirklich „dumm“, aber die Definition von IQ ist, dass die Hälfte der Menschheit weniger schlau ist als der Durchschnitt. Dafür kann sie nichts. Es gibt auch ausgesprochen intelligente Nazis, genauso wie es sehr viele „dumme“ Menschen gibt, die die Gutmütigkeit selbst sind. „Dumm“ zu nennen, was eigentlich „bösartig“ ist, verharmlost Nazis und macht sie zu ein paar unschuldigen Jungs, die halt „Dummheiten“ begehen.

Nazis sind nicht fett. Kann sein, dass Nazis überdurchschnittlich dick sind – manche Bilder lassen das vermuten – allerdings essen dicke Menschen zuviel, treiben zu wenig Sport, haben eine Essstörung oder einfach nur eine ungünstige genetische Veranlagung. Jedenfalls: auch sie können wenig bis nichts dafür.

Nazis sind nicht psychopathisch. Natürlich habe ich keine Zahlen. Vielleicht ist eine psychische Störung bei einigen Voraussetzung dafür, das nötige Gespinst aus Verschwörungstheorien und Menschenfeindlichkeit zu entwickeln, um Nazi zu sein, aber psychische Störungen sind einfach nur eine Krankheit. Den Begriff ihrer Krankheit als Schimpfwort zu verwenden, hilft nicht gegen Nazis, trägt aber dazu bei, kranke Menschen zu stigmatisieren. (Gegenprobe: Einfach mal schauen, wie das klingt, Nazis als „Diabetiker“, „MS-Patienten“, „Grippale“ oder „Krebskranke“ berschimpfen. Funktioniert nicht? Bingo!)

Nazis sind nicht autistisch. Autismus hat nämlich nichts mit Empathielosigkeit und Menschenfeindlichkeit zu tun. Autisten haben eine Störung in der Reizverarbeitung ihres Gehirns, die unter anderem dazu führt, dass sie oft Schwierigkeiten haben, die Emotionen ihrer Mitmenschen intuitiv zu lesen. Sie zünden aber deshalb keine Flüchtlingsunterkünfte an, unter anderem, weil sie sehr wohl zu Empathie fähig sind und sich dabei auch größte Mühe geben.

Nazis sind auch keine „Spasten“. Spastiker sind Menschen mit neurologisch bedingten Lähmungen oder Störungen, was zu Fehlhaltung, eingeschränkter Beweglichkeit und Problemen unter anderem bei der Artikulation führt. Hat nebenbei übrigens gar nichts mit Intelligenz zu tun. Spastiker gehören zu den Behinderten, die selber gerne von Nazis verjagt werden.

(Übrigens sind Nazis auch keine Sachsen. „Sachse“ wird seit Ulbricht zwar auch ganz gerne benutzt, um sich über andere Menschen lustig zu machen, und sicher haben wir eine prägnante Häufung in Sachsen, was Rechtsradikalismus betrifft, allerdings leben sehr viele Leute in Sachsen, die angesichts der Situation in ihrem Bundesland schier verzweifeln. Für die ist es sicherlich ganz besonders hilfreich, jetzt mit all den Nazis in einen Topf geworfen zu werden.)

Warum ich das schreibe? Zwei Gründe:

All diese Schimpfwörter machen Schubladen auf: Sie bezeichnen Randgruppen, die im Ansehen der Gesellschaft so niedrig stehen, dass es offenbar okay zu gehen scheint, sie als Schimpfwort zu benutzen. Darin liegt schon der Keim des Denkens, sich besser als andere zu fühlen. Und genau das ist schon der erste Schritt in Richtung Nazi: Sie sind Möchtegern-Übermenschen. Sie haben das Ideal des schönen, blonden, nordischen Ariers und ihr Lieblingshobby ist, aggressiv alle anderen scheiße zu finden, die nicht diesem Ideal entsprechen und sie das möglichst auch körperlich fühlen zu lassen – zum Beispiel unter Anwendung von Baseballschlägern. Menschen, die behindert sind, krank, zu dick, insgesamt nicht leistungsfähig oder sonst wie nicht ihren Idealen entprechen, nennen sie „Volksschädlinge“ und wenn sie könnten, würden sie sie gerne vergasen oder wenigstens in Lager sperren. Natürlich ist es lustig, anzusehen, wie wenig der jämmerliche, grölende Haufen mit diesem Ideal des „Herrenmenschen“ gemein hat genauso wie es „lustig“ ist sich anzusehen, wie wenig „arisch“ Hitler und seine Spießgesellen aussahen – trotzdem ist niemand auf die Idee gekommen, sie zum Beispiel als jüdisch zu beschimpfen. Aus Gründen.

Das andere ist: Wer Nazis als „dumm“, „Autist“, „Psychopath“, „fett“ oder „Spast“ beschimpft, stigmatisiert nicht eine Reihe von Menschen, die von gesellschaftlichen Idealen abweichen, sondern verharmlost, dass Nazis vor allem eins sind: Empathiefreie Arschlöcher, Unmenschen, gewalttätige Menschenhasser, sich selbst als Opfer stilisierende Großtuer, Popelgourmets die ihren Mitmenschen nicht das Schwarze unter den Fingernägeln gönnen, respektlose Kleingeister, intolerante Gartenzwergzüchter, für die alle Menschen genau so leben müssen, wie sie selber es für richtig halten, sture, argumentresistente Schwadronierer, von denen wir gar nicht wissen, ob sie zuhören können, weil sie deutlich zeigen, dass sie nicht zuhören wollen, dreiste Wortverdreher, die sich buttersanft „besorgte“ Bürger nennen und ihre Ansichten mit „Ich bin ja kein, Nazis, aber…“ kaschieren, weil sie eben ganz genau wissen, dass sie eigentlich antisoziale Arschlöcher sind – oder eben ganz einfach: Nazis.

Das sind doch viel schönere Schimpfwörter, oder?

Update: Einige stören sich an den Begriff „Unmensch“. Ich würde damit den Nazis die Menschlichkeit absprechen.Vielleicht gibt es verschiedene Auffassungen dieses Begriffs. Abgesehen davon, dass ich seltsam finde, dass Leute ausgerechnet dann solche Feinheitheiten hervorkramen, wenn es um Nazis geht, verweise ich auf den Duden und möchte mich auch so verstanden wissen: „grausam gegen Menschen oder Tiere, ohne (bei einem Menschen zu erwartendes) Mitgefühl“.

Update: Einigen fehlt hier „besorgte Bürger“. Das ist allerdings kein Schimpfwort, obwohl es auf dem besten Wege ist, sich dorthin zu entwickeln.

Mondverschwörung

Es ist jetzt bestimmt 10 Jahre her, dass ich das letzte mal geradewegs aus dem Kino kommend über einen Film bloggen musste. Es geht um mein vernachlässigtes Steckenpferd: Esoterik in Verbindung mit Verschwörungstheorien. Der amerikanische Journalist Dennis R.D. Mascarenas vom deutschsprachigen TV-Sender DDCTV reist kreuz und quer durch Deutschland, um mit Menschen zu sprechen, die ein besonderes Verhältnis zum Mond haben. Merkbefreite, Freaks und Denkabstinenzler aller Couleur kommen zu Wort. Sie erzählen zum Beispiel von Mineralwasser, welches vom Mond beschienen beim Gefrieren wohlgeformtere Kristalle entwickele, weil es sich freier entfalten könne als das brutal in Rohre gezwängte Leitungswasser – besonders wenn man ihm klassische Musik vorspielt. Weder Chemtrails noch die Zahl 666 in Barcodes oder Rudolf Steiner werden ausgelassen. Konsequenterweise landet der Film irgendwann beim Thema Nazi-Raumbasis auf der Rückseite des Mondes, wo die Reichsdeutschen das jüngste Gericht vorbereiten und die US-Amerikaner an der Raumfahrt hindern, weshalb letztere damals die Mondlandung fälschen mussten, zumal man für Raumfahrt ja auch Flugscheiben brauche, da sie mit Raketen nicht funktioniere, die nach dem Rückstoß-Prinzip arbeiten, was im Vakuum ja unmöglich sei. Ich weiß nicht, was faszinierender ist: all diese Leute, die bar jeder Ironie ihre Logorrhö vortragen, oder die vielen furchtbaren Provinzhotelzimmer. Der Film endet in der Nähe der Antarktis unter Pinguinen – auf der Suche nach Neuschwabenland oder wenigstens dem Eingang (oder Ausgang) der Hohlwelt. Beim einsetzenden Abspann schwöre ich mir, nie, nie, niemals wieder voreingenommen gegenüber US-Amerikanern zu sein, bloß weil sie den Bible Belt, Scientology und Sarah Palin hervorgebracht haben. Dass wir Deutschen in Sachen Hirnverbrannz kein Stück besser sind, beweist jede Waldorfschule. Vielen Dank an Florian Freistätter fürs Draufaufmerksammachen. Wer kann, sehe sich den Film an. Eine DVD gibt es noch nicht. Derzeit läuft die Mondverschwörung im Berliner Sputnik am Südstern.

(Außerdem kommt Guido Westerwelle drin vor.)

Twitternde Nazis

Das Auftauchen der NPD hat heute auf Twitter viel Aufregung verursacht. Sofort machten Aufrufe die Runde, den Account zu blocken. (Wenn das genügend Twitterer tun, geht Twitter davon aus, dass es sich um Spam handelt und sperrt den Account). Gleichzeitig wurden Rufe laut, das sei Zensur und Diskriminierung. Eigentlich hat German Psycho das ganze schon sehr schön zusammengefasst. Wegen einiger Nachfragen muss ich das aber mal ergänzen:

Wenn ich eine Kneipe betreibe, habe ich Hausrecht und darf Leute, die mir nicht passen, hinauswerfen. Genauso darf ein Blogger unerwünschte Kommentare löschen, darf ein Verleger entscheiden, welche Artikel in seinen Zeitungen erscheinen – und genauso darf Twitter auch Nutzer von der Plattform ausschließen. Das  hat mit Zensur nichts zu tun. Zensur ist die staatliche Unterdrückung unerwünschter Inhalte (unabhängig davon, ob sie angemessen ist oder nicht). So etwas wie private Zensur gibt es nicht. Wenn auf Twitter eine Anti-NPD-Bewegung entsteht, so ist das das Online-Pendant zur Gegendemonstration in der Offline-Welt.

(Update 10.10.2011: Meine Meinung in Bezug auf das Hausrecht habe ich inzwischen geändert. Twitter, Google+ und Facebook sind heute öffentliche Räume, die Regeln darf nicht mehr nur noch das betreibende Unternehmen aufstellen, sondern müssen von den Nutzern mitbestimmt werden. An meiner Haltung zu NPD-Anhängern ändert das freilich nichts.)

Die Meinungs- und Redefreiheit jedenfalls bleibt gewahrt. Die Nazis haben weiterhin das Recht, Ihre Meinung in Wort, Schrift und Bild zu verbreiten. Sie können weiterhin im Rahmen der Gesetze Aufmärsche organisieren, Wahlwerbespots ausstrahlen lassen, Flyer unters Volk bringen, ihre Zeitungen verlegen und Webseiten online stellen soviel sie wollen. Sie können mich aber nicht zwingen, ihren Kram zu tolerieren. Selbstverständlich kann jeder Anwender die NPD auf Twitter blocken, wenn er sich von ihr belästigt fühlt. Und Twitter ist zwar ein öffentlicher Raum, zugleich aber ein privates Unternehmen. Die Spielregeln, die dort gelten, werden von niemand anderem festgelegt als vonTwitter selbst. Wenn sie eine Regel aufstellen, einen Account bei zu vielen Blockings zu sperren, und die NPD zu oft geblockt wird, dann hat letztere schlicht und ergreifend Pech gehabt. Das Recht auf Meinungsfreiheit gilt nämlich nicht nur für die NPD sondern ist auch mein Recht, öffentlich zu sagen, was ich von ihr halte.

Ja, selbstverständlich ist das Diskriminierung. Das macht aber nichts. Diskriminieren ist etwas, das wir alle ständig tun. Wir haben nunmal nicht alle Menschen gleichermaßen lieb und niemand kann uns zwingen, zu allen gleich freundlich zu sein. Es ist unser Recht, Menschen aufgrund ihrer Persönlichkeit abzulehnen. Jeder von uns darf selbst entscheiden, mit wem er nichts zu tun haben will. Ein Arschloch ist, wer Menschen nicht anhand Ihrer Worte und Taten ablehnt, sondern sie aus Gründen wie Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht oder Religion diskriminiert. Und über genau solche Leute reden wir, wenn wir über die NPD reden.

Auf Twitter schrieb ich

Es kotzt mich sowas von an, dass so viele themen kampflos der npd überlassen werden u man bräunlich wirkt, wenn man bestimmte ansichten hat

und wurde gefragt, was ich meine. Obligatorisches Dementi: Ich bin nicht ausländerfeindlich, nicht rassistisch, nicht homophob, fühle mich nicht überfremdet, träume nicht von den Grenzen von 1937, glaube nicht an eine polnische Kriegsschuld, erwarte von Frauen kein Gebärmaschinendasein am Herd, will auch die D-Mark nicht wiederhaben usw. usw. usw.

Viele Menschen fühlen sich in einer kalten Gesellschaft zurückgelassen. Besonders in Ostdeutschland wird einem verloren gegangenen Zusammenhalt nachgetrauert. Hartz IV wird als Entsolidarisierung und Repressalie wahrgenommen. Antikapitalismus ist längst wieder salonfähig geworden. Die Globalisierung macht vielen Leuten Angst. Und sehr viele Menschen haben das Gefühl, die Politiker leben in einer Parallelwelt und machen da ihr eigenes Ding.

Würde man Umfragen machen: Die obigen Aussagen bekämen sehr hohe Zustimmungswerte. Die NPD nutz genau dies aus. Sie kümmert sich nicht nur scheinbar um die Sorgen und Nöte dieser kleinen Leute sondern organisiert sogar vor Ort Einkaufshilfen, Lagerfeuer usw. Das erregt Sympathie und stille Zustimmung bei Leuten, die sich selbst nicht als Nazi sehen würden. Und wenn diese Leute sich zu oft von „denen da oben“ angelogen gefühlt haben, dann werden sie irgendwann anfangen, den rechtsradikalen Verschwörungstheorien derjenigen zu glauben, die sonst im Alltag was nettes auf die Beine stellen. Ganz leicht wird die USA zum Besatzer, der Holocaust zur Lüge, der Nazi zum netten Kumpel.

Bis vor kurzem hatte ich eine sehr tolerante Haltung der NPD gegenüber: Sie sollten uneingeschränkte Meinungsfreiheit genießen. Nachdem ich mich heute wieder mit ihr beschäftigt habe, fange ich an, meine Haltung zu liberal zu finden. Ich habe einfach dermaßen viele widerwärtige Verdrehungen, Hetzereien und Lügen gefunden, dass ich diese Partei am liebsten verbieten würde. (Nein, ich verlinke den Dreck hier nicht.) Nur noch wenige Argumente lassen mich die NPD tolerieren: Immer noch besser, sie betreiben ihren Mist offen als im Untergrund. Und Verbote könnten das „Gedankengut“ für manche noch attraktiver machen.

Ich denke, die meisten Wähler der NPD sind nicht wirklich rechtsradikal, sondern haben aus Protest gewählt. Ich denke, hier wird eine Zustimmung in der Bevölkerung konstruiert, die so nicht existiert. Diese Menschen wollen vor allem keinen Rechtsradikalismus, sondern dass jemand sich ihrer konkreten Probleme annimmt. Vermutlich würden sie gerne eine Linkspartei ohne SED-Vergangenheit oder eine SPD ohne Hartz IV wählen. Das ist ein Feld, das man verdammt nochmal nicht den Nazis überlassen darf. Ist die NPD weiterhin erfolgreich, sind CDU/CSU, FDP, Grüne, Linke und SPD mit schuldig daran.

P.S.: Kann man NPD-Mitglieder eigentlich Nazis nennen? Die NPD ist ja nicht nur nationalistisch, sondern wendet sich (wie oben dargelegt) an „den kleinen Mann“. Programm und Propaganda enthalten viele antikapitalistische und sozialistische Züge, bestehen aber vor allem aus Deutschtümelei, Reaktion, Revanchismus und – ja! – Antisemitismus. Zwischen NPD und NSDAP besteht nur ein gradueller Unterschied. Menschen, die vollkommen hinter diesem Gedankengut stehen, sind nicht „irgendwie bräunlich“ sondern schlicht Neonazis, die ihre Hakenkreuze verstecken, weil sie sie nicht zeigen dürfen.