Schlagwort: Militärschlag


  • Aaron und der Iran (Update)

    Stefan „Aaron“ König fordert in seinem Blog „Politicool“ die Bombardierung des Iran, um die dortigen Atomanlagen auszuschalten. Dafür bekommt er gerade einmal mehr ziemlich viel Ärger innerhalb der Piratenpartei. Doch auch die Beschimpfungen, denen er ausgesetzt ist, sind mir oft zu platt. Es ist wert, sich die Lage einmal etwas genauer anzusehen.

    Konstitutionell gibt es außer der Türkei keinen Staat nur sehr wenige Staaten im muslimischen Raum, der unserem Verständnis von Demokratie näher kommen, als der Iran. Es handelt sich nicht um eine Diktatur, sondern eine Theokratie, in der der Wächterrat und die Ayatollahs eine ähnliche Rolle einnehmen wie der König in einer konstitutionellen Monarchie. Persien ist eine uralte Kulturnation mit regional beispielloser Bildungs- und Alphabetisierungsrate. Der Iran hat seit vielen Jahrzehnten keinen Krieg geführt, wurde aber im 1. und im 2. Weltkrieg von britischen und russischen Truppen besetzt und im 1. Golfkrieg vom Irak angegriffen. Umgeben von den Atommächten Israel, Russland, Pakistan, China und Indien (sowie dem Nato-Mitglied Türkei und den US-Truppen im Irak) ist es alles andere als verwunderlich, dass der Iran versucht, an Nukleartechnologie zu gelangen. Die Anreicherung von Uran auf 20% widerspricht nicht dem Atomwaffensperrvertrag und reicht auch nicht für militärische Zwecke, wofür das Uran auf über 90% angereichert werden müsste. Es gibt eine Resolution der UNO gegen den Iran, die Sanktionen gegen das Land vorsieht, aber gleichzeitig einen Passus enthält, der militärische Maßnahmen gegen den Iran verbietet. Rein rechtlich sollte eine UNO-Resolution für deutsche Politiker bindend sein.

    Von 1979 bis 2009 sind Wahlen und Machtübergaben im Iran friedlich verlaufen. Im Sommer 2009 kam es zu Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen. Es gab Indizien für Wahlfälschung, worauf Demonstrationen, Aufstände, staatlicher Terror gegen die Opposition, Unterbindung der Meinungsfreiheit und anderer Grundrechte, Zensur des Internet usw. folgten. Das ganze muss vor dem Hintergrund gesehen werden, dass die Menschenrechte in der iranischen Rechtsordnung fundamental missachtet werden, und zwar nicht nur nach westlichen Maßstäben sondern auf teilweise barbarische und mittelalterliche Art und Weise – man denke nur an Steinigungen von „Ehebrecherinnen“. Die iranische Führung steht deshalb der eigenen Bevölkerung gegenüber unter erheblichem Druck. Der Aufbau eines äußeren Feindbildes bis hin zum Krieg ist ein klassisches Mittel, um die Bevölkerung wieder hinter die Führung zu bringen.  Ahmadinedschad war schon aus seiner Zeit als Bürgermeister Teherans als radikaler Fundamentalist und Antisemit bekannt. Er kokettiert mit Holocaust-Leugnern. Juden werden im Iran diskriminiert, allerdings auch Christen und nicht schiitische Moslems. Ahmadinedschad ist unberechenbar in der Frage, ob er nur pokert oder wirklich tun würde, was er sagt, wenn er Israel „aus der Geschichte tilgen“ möchte. Dass Israel sich in dieser Lage bedroht fühlt, ist wahrlich kein Wunder. Die Israelis üben seit 2007 Luftschläge auf iranische Atomanlagen. Niemand kann sagen, warum noch keine durchgeführt wurden und sie können täglich passieren. Besonders gefährlich an der Situation ist, dass anscheinend einige iranische Nuklearanlagen dermaßen gut gegen Bombardements abgesichert sind, dass man Atomwaffen einsetzen müsste, um sie zu vernichten. Sollte das stimmen, impliziert die Forderung nach einem Militärschlag gegen den Iran einen Atomschlag. Verzichtet man auf diesen, riskiert man einen Krieg mit allen folgen, ohne das Ziel des Angriffes zu erreichen.

    Ich widerspreche denjenigen, die die Situation mit 2003 vergleichen, als die so genannte „Koalition der Willigen“ Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen andichtete. Niemand behauptet, der Iran habe Atomwaffen und im Gegensatz zum Irak 2003 gibt der Iran offen zu, ein Atomprogramm zu besitzen und dieses ungeachtet von UNO-Sanktionen fortsetzen zu wollen, wenn auch angeblich zu zivilen Zwecken. Während der Iran wahrscheinlich keine biologischen Kampfstoffe hat, so scheint er doch über chemische Waffen aus den 70er Jahren zu verfügen. Das ist eine völlig andere Lage.

    Die einzige Antwort in dieser äußerst komplexen Situation kann nur eine Entspannungspolitik sein, die beide Seiten ernst nimmt. So lange Ahmadinedschad regiert, muss unter allen Umständen versucht werden zu verhindern, dass der Iran an Atomwaffen gelangt. Gleichzeit muss ein Krieg gegen den Iran vermieden werden, egal ob von Israel ausgehend oder irgendwelchen Allierten. Ein solcher Krieg würde nicht nur die Iraner sondern die ganze muslimische Welt hinter Ahmadinedschad einigen und weitere Kriege, bewaffnete Konflikte sowie Terroranschläge auf der ganzen Welt nach sich ziehen. Nach meinem Verständnis der Werte der Piratenpartei kann unsere einzige Forderung sein, dass man vollkommen ideologiefrei und unabhängig von bestehenden Sympathien beide Seiten dazu bringen muss, still zu halten und zwar auf Grundlage des internationalen Rechts.

    Zum Schluss ein paar Anmerkungen zum Blogpost von Stefan „Aaron“ König. Dass er laut denkt und im Konjunktiv formuliert, ein Militärschlag gegen den Iran könne „einen weit größeren Schaden vermeiden“, fällt ganz bestimmt nicht unter den §80a des StGB sondern wohl eher unter Meinungsfreiheit. Auch wende ich  mich gegen alle, die in Sympathien zu Isreal etwas verwerfliches sehen. Mich stört eher seine Wortwahl. Zum Beispiel redet er abwertend von „Appeasement-Politikern“ und zieht dabei bewusst oder unbewusst eine Parallele zur Münchner Konferenz von 1938 und diffamiert so den Versuch, sich politisch für eine Entspannung in der Region einzusetzen. Aussagen wie, dass „die Zeit für Verhandlungen und Kompromisse vorbei“ sei und „dass wir uns von ihnen nicht länger auf der Nase herumtanzen lassen“ entlarven ein mindestens unsachliches Denken und erinnert mich ein wenig an das Säbelgerassel eines Wilhelm Zwo. Wird Zeit, dass der Stammtisch-Demagoge an selbigen zurückkehrt.

    Update 21.02.

    Bei der letzten Vorstandssitzung wurde Aaron zwar kein Maulkorb verpasst, aber er verzichtete darauf, weiterhin für die Partei zu sprechen. Das fand ich etwas mau, aber hinnehmbar – bis heute ein Artikel in der taz erschien samt ergänzendem Blogpost in Aarons Blog. Dort hält er an seiner Forderung fest und tut Appeasement-Poltik als „nett gemeint“ ab. (Gedanken hierzu von Frau Forschungstorte)

    Damit ist die Schwelle endgültig überschritten, denn der taz-Artikel war als „Streit der Woche“ angelegt, bei dem auch Vertreter verschiedener Parteien zu Wort kommen sollten. Für den Außenstehenden muss sich der Eindruck einstellen, dass die Piratenpartei für einen Militärschlag gegen den Iran stehe, was absoluter Blödsinn ist.

    Das Protokoll der letzten Sitzung des Bundesvorstandes lässt offen, ob Aaron das Interview der taz da schon gegeben und verschwiegen hatte, oder ob es erst danach stattfand. Beides ist einfach nur dreist. Das Interview mit der taz fand nach dieser Vorstandssitzung statt, was einfach nur noch dreist ist. Mittlerweile fordern viele Piraten einen Parteiausschluss. Parteischädigendes Verhalten liegt wohl vor, dennoch tue mich mich aus Gründen der Meinungsfreiheit schwer damit. Nur im Bundesvorstand hat er endgültig nichts verloren. Es kann einfach nicht sein, dass die Parteidiskussion dauernd nur daraus besteht, dass Aaron etwas sagt, und alle sich drüber aufregen. Ihm gegenüber hat eine „Appeasement-Politik“ langsam keinen Sinn mehr.