Die frustrierend falsche Berichterstattung zu Implantaten, Prothetik und Wissenschaftsthemen

Alle paar Tage das gleiche Spiel: Irgend eine Forschungsgruppe macht eine mehr oder weniger bahnbrechende Entdeckung, schreibt ein Paper und veröffentlicht es in einer renommierten Fachzeitschrift. Ist die Meldung sensationell genug, springen Publikumsmedien auf und berichten darüber. Leider in sehr vielen Fällen ohne das Paper verstanden oder überhaupt gelesen zu haben.

Das passiert auch regelmäßig mit „Cyborg-Themen“, wie sehr schön folgende Meldung aus dem Bereich Hirnimplantate illustriert. Forscher:innen der New Yorker Columbia University ist es gelungen, mit einem Implantat zu messen, was im Hörzentrum des Gehirns passiert, wenn Menschen gesprochener Sprache zuhören. Mit Hilfe von Machine Learning schufen sie ein KI-System, dass aus diesen Hirn-Signalen die gehörten Wörter rekonstruiert und wieder hörbar macht.

Das ist eine enorme wissenschaftliche Leistung. Allerdings sollte genau hingesehen werden, was dieses System kann und was nicht. Es kann gehörte Sprache während des Zuhörens aus dem Hörzentrum rekonstruieren. Was wir im Stillen für uns denken, kann das System hingegen nicht entschlüsseln. Das sagen die Forscher:innen in ihrem Paper auch ausdrücklich selbst, und diskutieren ausführlich, ob und wie auch nicht gerade gehörte Sprache aus dem Gehirn rekonstruiert werden könnte. Das Wort „Gedanke“ (thought) kommt im gesamtem Paper kein einziges mal vor.

In Zukunft also. Vielleicht. Aber nicht hier und heute. Kein Gedankenlesen. Doch was schreiben deutsche und internationale Medien?

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Manchmal sind die Artikel schlicht falsch, manchmal haben die Autor:innen völlig korrekt abgeliefert aber Redakteur:innen offenbar den Inhalt des Textes ignoriert und eine Clickbait-Überschrift drübergetackert. Der Verantwortung der Medien wird ein solches Vorgehen jedenfalls nicht gerecht, insbesondere auch, weil der weitaus größte Teil der Leser:innen Überschriften und Schlagzeilen scannt, ohne tiefer hineinzulesen. Eine vernünftige gesellschaftliche Debatte um technischen Fortschritt und seine Folgen für die Gesellschaft wird so unmöglich.

Dieser Artikel erschien ursprünglich bei cyborgs.cc

Links der Woche

Reblogged

Ich hab nen ganzen Stapel Blogposts, die ich zu gerne auch hier veröffentlichen würde, was aber im Volltext nicht geht, weil ich sie nunmal beruflich schreibe. Manchmal habe ich sie hier angerissen und mit einem „Weiterlesen“-Link versehen, was aber bei der Leserschaft auch nicht so gut ankam. Also habe ich eine Umfrage gestartet und freue mich, dass die Variante am meisten Stimmen bekam, die mir selber auch am besten gefällt: Eine Zusammenfassung aller Posts als wöchentliche Linksammlung. Manche mögen zwar keine Linksammlungen, aber ignorieren kost nix. Here we go:

Zum Schluss

Im folgenden sehen Sie einen Wahlwerbespot der Christlich Demokratischen Union – CDU. Für den Inhalt der Wahlwerbung sind die Parteien verantwortlich.

(Die meinen das wirklich ernst, oder?)

Ignoranz 2.0 am Vorabend der viralen Kriegsführung

Mir ist schlecht. Ich habe mir gerade das Video angesehen, das vor Kurzem auf Wikileaks veröffentlicht wurde. Es zeigt ein Massaker, das amerikanische Soldaten an irakischen Zivilisten begingen, darunter zwei Journalisten. Ich wollte mir das nicht ansehen müssen, ganz wie Michael Seeman das am Ende seines Artikels in der FAZ-Community beschreibt. Im Alltag des Journalisten ist dies nur eine „Meldung“, ich hingegen war ratlos, wie sie zu verbloggen sei.

Weiterlesen auf YuccaTree Post

Links der Woche

Es folgt ein Aufruf des österreichischen Heeres:

https://www.youtube.com/watch?v=KJV6ziVZYDk

Medienmode Depression

Der depressive Fußballer Enke nahm sich das Leben und das einzig Gute, das sein Tod bewirkt haben mag, ist dass die Krankheit Depression jetzt vielleicht ein Bisschen weniger tabubehaftet ist.

SPON berichtet über einen Unternehmersohn, der bis 40 vom Geld seines schwerreichen Vaters leben musste, bis er sich selbst und sein Glück im Bücherschreiben fand. Außerdem über die berühmte Schauspielerin Brooke Shields, die sich mal das Leben nehmen wollte. Und schließlich berichtet ein Redakteur von seiner eigenen Depression, die er zu einem Artikel verarbeitet. Die Süddeutsche berichtet über den Fall einer Londoner Fondsmanagerin, die von ihren Kollegen gemobbt wurde. Die Frankfurter Rundschau bringt den ehemals depressiven Olympia-Sieger Matthias Behr, während der Tagesspiegel den uns den Schriftsteller Adrian Naef vorstellt, der ein Buch über seine Depression geschrieben hat.

Ich will das Schicksal dieser doch recht privilegierten Menschen nicht im geringsten relativieren. Wirklich nicht. Ich weiß nur, dass ich mir nicht vorstellen kann, was sie durchgemacht haben müssen.

Ich habe nur eine Frage an die Redaktionen: Wo bleibt die Geschichte des einfachen Arbeitnehmers, welcher zusätzlich zum Schicksalsschlag Depression nach Monaten in der Psychiatrie keine Arbeit mehr findet und den Rest seines Lebens als Aussortierter von Hartz IV vegetiert, wenn er sich nicht doch das Leben nimmt? Ich frag ja nur…