Schlagwort: Kontrollverlust


  • Links der Woche

    Als echte Männer noch echte Männer waren und echte LOLcats noch echte LOLcats, sorgten die Internet-Provider noch dafür, dass der Katzencontent dorthin fließt, wo er hin soll:


  • Wie wir die Kontrolle über den Kontrollverlust verlieren

    Es ist schon interessant, dass die Debatte um Privatheit, Kontrollverlust und Datenschutz ausgerechnet wegen der Wikileaks-Veröffentlichung der Afghanistan-Dokumente eine neue Wendung nimmt – sind das doch keine privaten Dokumente sondern welche von höchst öffentlichem Interesse.

    Der Gedanke des Kontrollverlusts besagt, dass Datenschutz ein reines Rückzugsgefecht sei. Selbst wenn wir nicht unseren Seelenmüll auf Facebook und Twitter abkippen, hinterlassen wir im Netz durch ganz alltägliche Tätigkeiten eine breite Datenspur, die viel über uns aussagt. Das lässt sich nicht mehr zurückdrehen: Wir haben die Kontrolle über unsere Daten oder das, was die Welt über uns weiß, verloren. Michael Seemann et al. nehmen die progressive Haltung ein und sehen die mannigfaltigen Vorteile, die uns das verschafft. Sie wollen aus der Not eine Tugend machen und sagen, die Antwort auf den Kontrollverlust eine Kultur des Filterns und Nichtbeurteilens, die es uns erlaubt, darüber hinweg zu sehen, dass ein Mitmensch eine politische Meinung vertritt, die wir unmöglich finden, eine sexuelle Orientierung hat, die wir pervers finden, oder auch einfach nur ein Alkoholproblem.

    Im Grunde läuft es auf das Konzept des Outings hinaus: Erst der Gang an die Öffentlichkeit bis hin zum Stolz, die Gay Pride und dem Christopher Street Day konnten zum Beispiel die Homosexualität aus dem Schattenreich in die Normalität führen. Damit ist im Grunde der Beweis erbracht, dass ein solcher kultureller Wandel machbar ist, wenn das ihm zu Grunde liegende gesellschaftlich verpönte Verhalten nur häufig genug sichtbar wird.

    Aber es gibt auch die andere Seite, zum Beispiel die ökonomischen Interessen unserer Arbeitgeber, die uns gerne einen lieben Menschen sein lassen, so lange wir nicht irgendwas treiben, was vielleicht dem Image der Firma schaden könnte. Ich habe kürzlich erst einen Mikrokontrollverlust erlebt, als ich über den „Auschwitz-Tanz“ schrieb und wie geschmacklos ich ihn finde, wofür ich dann selbst in die braune Ecke gestellt wurde, weil ich angeblich Auschwitz mit einem Verkehrsunfall verglichen hätte – dabei ging es mir nur um den Umgang mit Trauer und Toten.

    Meine (konservative) Befürchtung: Es wird immer Ansichten und Verhaltensweisen geben, die wir besser für uns behalten oder nur im kleinen Kreis offenbaren, weil es immer kleine oder große Gruppen in der Gesellschaft geben wird, die uns für etwas ablehnen werden, vollkommen egal, ob legitim oder oder nicht. Der Kontrollverlust betrifft nämlich nicht einfach nur unsere Daten, sondern die Art, wie die Welt mit uns umgeht. Beispiele für Schubladen-Denken (etwas, das wir ebenfalls schon aus psychologischen Gründen nie bleiben lassen können) und Sündenbockmentalität gibt es ohne Ende. Und die Schicht der Aufgeklärtheit ist sehr sehr dünn, wenn neubürgerliche Eltern tunlichst dafür sorgen, dass ihre Kinder in Schulklassen mit niedrigem Ausländer-Anteil landen.

    Wer also der Ansicht ist, dass wir das Geheimnis brauchen, wurde in der Kontrollverlustdebatte als Gestriger hingestellt, der nicht den Verlust des Geheimnisses beklagen sondern offensiv für sich und sein Sein einstehen soll. Nur wenige Menschen sind jedoch so stark, unabhängig und frei von Bindungen, dass sie es sich erlauben können, mit Kampf oder einer Egal-Haltung auf Ablehnung zu reagieren. Statt einer Kontrolle über das Bild, das man vermitteln möchte, propagiert zum Beispiel Michael Seemann die Plattformneutralität – alles wird transportiert und wir filtern weg, was wir nicht sehen wollen. Das ist im Grunde genommen eine Kultur des Wegsehens und birgt den nächsten Konflikt in sich: Wenn wir etwas sehen und es uns nicht gefällt – können wir dann immer darüber hinweg sehen? Welche Instanz will beurteilen, ob es sich bei dem, was wir wegfiltern, um eine berechtigte Eigenheit des Mitmenschen handelt, die uns nichts angeht, oder aber um einen Missstand, welcher möglichst öffentlich anzuprangern ist? Ich prophezeie endlose Streitigkeiten darüber. Nicht immer ist die Lage schon so einfach und klar entschieden wie vielleicht beim Thema Homosexualität.

    Interessant ist, dass der Kontrollverlust jetzt Muffensausen auf anderer Ebene bekommt. Da wäre einmal Wikileaks, worüber geheime Dokumente über den Afghanistan-Krieg veröffentlicht wurden – einige aber auch erstmal unterdrückt, um die Whistleblower zu schützen. Das ist ein staatlicher Kontrollverlust, und plötzlich ist die Angst da: Welche schädlichen Auswirkungen kann ein schonungsloses „wir veröffentlichen einfach alles“ haben? Wie lange werden sich so mächtige Institutionen wie CIA oder Pentagon es sich gefallen lassen, dass ihnen das Volk im Internet auf der Nase herumtanzt? Ich bin mir ziemlich sicher, dass gerade jetzt schon irgendwo ein Gremium tagt und sich Gedanken macht, wie man diese Freiheit im Internet wieder unter Kontrolle bringen kann. Und ich fürchte, es ist nur eine Frage der Zeit, bis irgendwo der erste Netzaktivist von einem Geheimdienst liquidiert wird. Sowas passiert, man denke nur an die Caesarea des Mossad. Gleichzeitig entzündete sich die Frage anhand der Bilder, die kürzlich von der Duisburger Loveparade aufgetaucht sind. Sie sind so intensiv und furchtbar, dass man sich fragen musste, ob man sie überhaupt weiterverbreiten solle.

    Ich stimme hier mit Huck Haas überein: Die Öffentlichkeit hat jenseits jeder Katastrophengaffermentalität ein Recht auf die Bilder. Genauso wie die Öffentlichkeit ein Recht auf die wahren Umstände des Afghanistan-Krieges hat. Jedenfalls sollte es in einer Demokratie so sein. Trotzdem ist die Diskussion darüber mehr als legitim – man denke nur an die öffentliche Vorverurteilung in den Fällen Kachelmann oder Tauss. Ab wann beginnt Information schädlich zu sein? Wenn aber die Frage nach dem Geheimnis und seinem Schutz nun plötzlich bei öffentlichen Angelegenheiten eine so große Rolle spielt, kann man die gleiche Frage auf der kleinen, unbedeutenden, privaten Ebene nicht einfach so abtun und auf die eher vage Hoffnung auf kulturelle Anpassung verweisen. Wir ahnen jedenfalls bereits, dass wir über den Kontrollverlust die Kontrolle verlieren.