Schlagwort: Bundespräsident


  • Verantwortung und Transparenz am Beispiel des Bundespräsidenten

    Es geht ja längst nicht mehr um einen Kredit: Bei der Frage nach dem Privatkredit zum Bau seines Hauses log Christian Wulff das Niedersächsische Parlament an – ein solcher Kredit verstößt wohl gegen das Ministergesetz, weil Vorteilsnahme im Spiel sein könnte. Juristisch wurde das bisher nicht aufgearbeitet und moralisch kann man drüber streiten: Selbstverständlich gewähren sich privat Freunde, Geschäftsleute oder auch Familienmitglieder untereinander Kredite und das sehr oft zu weniger als 4%. Außerdem machen Menschen Fehler und mir ist nicht bekannt, dass das Amt des Bundespräsidenten Heiligkeit voraussetzt.

    Für Wulff hätte es so einfach sein können: Er hätte 2010 das Parlament nicht anlügen müssen. Er hätte die Verantwortung tragen können, indem er damals auf eine öffentliche Bank umgeschuldet, den Vorgang transparent gemacht, sich entschuldigt und ein juristisches Nachspiel in Kauf genommen hätte. Dasselbe im Herbst 2011: Auch hier hatte Wulff die Chance, den Fehler öffentlich einzugestehen und alles gerade zu biegen. Hat er aber nicht getan.

    Eine Affaire hat immer die Folge, dass hinterher mehr Menschen schlecht über einen Politiker denken als vorher. Der Umgang mit einer Affaire bietet aber immer auch die Chance, dass wenigstens ein Teil der Leute hinterher besser über diesen Politiker denken. Das geht durch Offenheit, Transparenz, Einsicht, die ehrliche Bitte um Verzeihung und das Übernehmen von Verantwortung – und zwar aus freien Stücken.

    Gerade das Wort „Verantwortung“ wird oftmals falsch verstanden und als Synomym für „Rücktritt“ benutzt, dabei sollte es beim Tragen von Verantwortung vor allem immer darum gehen, Schaden zu begrenzen und wieder gut zu machen. Der (meist finanziell abgefederte) Rücktritt ist ja vielmehr die Flucht aus der Öffentlichkeit und ein Drücken vor der Verantwortung. Fehler sind dazu da, sie zu machen und aus ihnen zu lernen. Um Schaden einzuschätzen und zu begrenzen, ist Transparenz nötig. Verwundbar macht diese Transparenz nur scheinbar – sie verringert zugleich drastisch die Angriffsmöglichkeiten.

    Bei der Affaire Wulff geht es also nur am Rande um Kredite. Wulff gesteht Schuld nur ein, wenn er muss. Er übernimmt keinerlei Verantwortung und ein eventueller Rücktritt wird daran nichts mehr ändern. Wulff gibt immer exakt genau soviel zu, wie ihm nachgewiesen werden kann. Er er belügt nachweislich die Öffentlichkeit und er bedroht und beschimpft Pressevertreter, die über die Affaire berichten wollen, was ihre Aufgabe ist. Kurz: Christian Wulff ist weder integer noch seriös.

    Wenn jemand das Amt des Bundespräsidenten beschädigt, dann der Präsident selbst und nicht seine Kritiker. Allerdings muss man sich fragen, welches Amt eigentlich. Schließlich sollten wir doch froh sein, dass Wulff auf dem Posten des politische Frühstücksdirektors der Nation keinen größeren Schaden anrichten kann.


  • Kein Respekt vor dem Amt

    Man sieht es deutlich: Vor Entrüstung und Wut innerlich bebend verlas Köhler seine äußerst kurze Rede – und gab seinen sofortigen Rücktritt bekannt.

    https://www.youtube.com/watch?v=Pd_YgwdFhsU

    Er begründet seinen Rücktritt mit mangelndem Respekt vor dem Amt. Bei aller Liebe: Ich habe vor Ämtern keinen Respekt, hatte nie welchen und werde nie welchen haben. Wenn ich Respekt zolle, dann den Menschen, die Ämter ausfüllen. Das Amt des Bundespräsidenten ist auch ein politisches. Auch wenn nur äußerst selten davon Gebrauch gemacht wurde, kann der Präsident Gesetze durch Verweigern der Unterschrift blockieren. Vom Präsidenten wird Moderation erwartet und dass er den Laden durch sinnstiftende Reden zusammenhält, die breit konsensfähig sind. Dass ein Präsident in der Regel die Sphäre der Parteipolitik verlässt, bedeutet nicht, dass er apolitisch wird. Ein apolitischer Präsident wäre tatsächlich nur ein Grüßonkel – ein Zustand, dem sämtliche bisherigen Bundespräsidenten schon immer gefährlich nahe gekommen sind.

    Horst Köhler ist vom Volk gewählt worden. Mit dem Amt übernahm er nicht nur Rechte, sondern auch die Pflicht, das Amt nach bestem Vermögen auszufüllen. Dazu gehört auch, sich der Kritik an seiner Amtsführung zu stellen. Sicherlich, die Worte, die er zum Thema Krieg und Bundeswehr sprach, waren äußerst bedenklich, decken sich allerdings im großen und ganzen mit der deutschen Militärdoktrin. Wenn Horst Köhler also etwas vorzuwerfen wäre, dann dass er eine unangenehme Wahrheit ausgesprochen hat. Leider ist er dann zurückgerudert und meinte, er sei missverstanden worden. Schade, denn Horst Köhler hätte für diese Debatte auch in die Geschichtsbücher eingehen können, wäre er bereit, sie zu führen bzw. in der Gesellschaft zu moderieren. Diese Kriegsdebatte ist nämlich dringend nötig in einem Land, in dem die Kanzlerin auf der Trauerrede für getötete Soldaten laut darüber nachdenkt, ob man den Krieg nun so nennen darf.

    Horst Köhler findet also, man dürfe ihn nicht kritisieren, sonst habe man keinen Respekt vor dem Amt. Hält er sich für den Papst? Und wo ist sein Respekt vor dem Wähler, der ihn indirekt über die Bundesversammlung in dieses Amt gebracht hat? Oder hat Horst Köhler am Ende sich selbst gemeint, als er vom mangelnden Respekt vor dem Amt sprach?


  • Zensursula 2.0 oder: Kopfschütteln über Köhler

    Bundespräsident Köhler hat unterschrieben: Das „Zugangserschwerungsgesetz“, untrennbar verknüpft mit „Zensursula“ von der Leyen. (Die meisten meiner Leser können zum Ende dieses Absatzes springen.) Das Gesetz will Kinderpornographie im Web bekämpfen, indem es Zensurmechanismen errichtet, die brandgefährlich für Demokratie und Meinungsfreiheit sind und leider gar nichts gegen Kinderpornographie ausrichten. Das Gesetz kam unter dubiosen Umständen zu Stande: Nach der 1. Lesung im Bundestag wurde es schnell noch geändert und dann in 2. und 3. Lesung zugleich durchgewunken, obwohl eine neue erste Lesung hätte stattfinden müssen. Dann wurde es nicht rechtzeitig an die EU gegeben, weil verschiedenerlei Bedenken bestanden. Und schließlich möchte die neue Regierung das Gesetz, so es denn in Kraft tritt, einfach nicht mehr anwenden. Unter politischen und staatsrechtlichen Aspekten hätte Köhler ohne Probleme seine Unterschrift verweigern können und darauf verweisen können, doch bitte erst das Kuddelmuddel zu klären, völlig unabhängig vom Inhalt des Gesetzestextes. Hat er aber nicht. Warum?

    Das wird jetzt ein wenig abstrus, aber ich träume mal laut: Zensursula war verantwortlich für die erfolgreichste Petition seit Bestehen der Bundesrepublik. Es hat der Piratenpartei und etlichen Initativen einen enormen Aufwind beschert. Zahllose unpolitische Menschen fingen plötzlich wieder an, sich politisch zu engagieren. Dann kam die Bundestagswahl, die Regierung schwenkte auf „Löschen statt Sperren“ – die Kernforderung von AK Zensur über Mogis bis Piratenpartei – und wollte ein neues „Löschgesetz“. Trotz vieler bürgerrechtlicher Brandherde wie z.B. der immer noch auf Verhandlung wartenden Vorratsdatenspeicherung, dem SWIFT-Abkommen, der Gesundheitskarte, ELENA, Nacktscanner, Kindernet, ACTA usw. schlaffte die Bewegung ab. Das Gefühl des „Sommers 2009“ war irgendwie futsch. Nun hat Köhlers Unterschrift alle wieder alarmiert. Die Piraten demonstrieren vor dem Präsidialamt. Verschiedene Gruppen hecken Proteste alle Art aus oder wollen Verfassungsbeschwerde einlegen. Twitter und die Blogosphäre brodeln. We’re back. Konnte Köhler der Bewegung einen besseren Gefallen tun?

    Leider bleibt es wohl beim abstrusen Traum. Denn das BKA pflegt ja weiterhin Zensur-Listen aufgrund der Verträge, die es im Frühjahr 2009 mit einigen Providern getroffen hat. Das wäre ohne gesetzliche Grundlage illegal. Und ich fürchte, genau deshalb musste Köhler unterschreiben. Jetzt kommt Zensursula 2.0. Mein Traum wäre mir lieber.