…aus Piratensicht:
Die Piratenpartei hat aus dem Stand 2 % geholt. Normalerweise schneiden Kleinparteien bei einer Bundestagswahl wesentlich schlechter ab als bei Europawahlen, dennoch konnten die Piraten ihre Stimmen verdoppeln. Alles Reden von der 5-%-Hürde war von Anfang an utopisch, aber immerhin: Die Piraten holten bei ihrer ersten Bundestagswahl mehr Stimmen als damals die Grünen, und das obwohl die Grünen 1980 über einen breiten Rückhalt in aus vielen Gruppierungen wie Umweltschützern, der Anti-Atomkraft-Bewegung und der Friedensbewegung hatten, während die Piraten heute aus dem viel kleineren Reservoir der Netzaktivisten zehren. Das Ergebnis war ein ein Erfolg für die Piraten und lässt für die Zukunft hoffen.
Was bringt diese Zukunft? Die CDU möchte gerne die Bundeswehr im Innern einsetzen, Sicherheitsgesetze verschärfen, denkt laut über 3-Strikes im Urheberrecht nach und will noch mehr Überwachung. Die FDP ist sehr stark und könnte dem Einhalt gebieten. Die Frage ist, ob sie es auch tut. Ihre Macht als Königsmacher hat die FDP weder in Sachsen noch in Bayern ausgespielt und dort geholfen, den Bayerntrojaner sowie eine stärkere Überwachung des Internet etabliert. Es sieht also alles andere als rosig aus. Eine Fortsetzung dieser Politik dürfte Wasser auf die Mühlen der Piraten sein.
Hat das Wählen der Piraten geschadet? Hätte Schwarz-Gelb verhindert werden können? Das bürgerliche Lager kommt auf 48,4 % während SPD, Linke und Grüne zusammen 45,6% erhielten. Das gesamte Stimmengewicht der Piraten hätte also nicht gereicht, Schwarz-Gelb zu verhindern. Man kann auch nicht sagen, dass die Piraten den Grünen und der FDP übermäßig Stimmen gekostet haben: Beide Parteien haben so gut abgeschnitten, wie noch nie zuvor seit 1949. Interessant ist aber der Blick auf die „sonstigen“: Dort gab es jenseits der Piraten nur wenig Bewegung. Während 2005 die sonstigen Parteien 2005 auf 3,3% kamen, waren es dieses Jahr 6 % (Quelle: Bundeswahlleiter). Es ist unwahrscheinlich, dass die Piraten die 1,5%-Punkte aufgefangen haben, die CDU/CSU verloren haben. Die massiven Verluste der SPD werden evtl zu kleinen Teilen bei den Piraten hängen geblieben sein. Die meisten SPD-Wähler sind jedoch ziemlich sicher zu Grünen oder der Linkspartei gewechselt, wenn sie nicht gleich zuhause geblieben sind. Bis zu 0,1%-Punkte könnten von Republikanern und DVU stammen, was allerdings auch unwahrscheinlich ist. Wie die Wahlergebnisse in Brandenburg und Sachsen, zeigen, haben diese wohl doch eher eine Affinität zum nationalliberalen Flügel der FDP.
Meine Vermutung: Die Piratenpartei hat ganz überwiegend Nichtwähler motiviert, wieder zur Wahlurne zu gehen. Das war auch meine persönliche Erfahrung bei Gesprächen mit einigen Nichtwählern und unpolitischen Menschen in meinem Bekanntenkreis. Ich hoffe stark, dass die Piraten 2013 noch mehr Nichtwähler motivieren können. Dazu müssen sie bekannter werden, vor allem in der Offline-Welt. Das Verfahren gegen Tauss wird hoffentlich Klärung bringen, das Programm wird verbreitert werden. Die Erfolge in den großstädtischen Hochburgen und rund um die Unis deuten an, dass in den nächsten Jahren im ganzen Land Piraten in die Stadtparlamente einziehen werden.
Die Piraten entstanden aus einer Prostesthaltung gegen die Innenpolitik der der letzten Jahre. Im Wahlkampf war deutlich zu spüren, wie stark die latente Wut auf die etablierten Parteien ist. Bei dieser Wahl stellen die Nichtwähler virtuell die stärkste Fraktion. Dieses Ergebnis war ein Arschtritt erster Klasse für beide Volksparteien, nicht nur für die SPD.